II. Token Offerings und dezentrale Handelsplätze
1. Einleitung und Untersuchungsgegenstand
Während die Arbeit unter Titel I. – Token als Wertrechte – primär die zivilrechtliche Natur von Token und deren Übertragung in Liechtenstein behandelt, wird in gegenständlicher Abhandlung der Fokus auf die aufsichtsrechtlichen Aspekte, insbesondere im Zusammenhang mit Token Offerings gelegt, wobei europäische Rechtsakte im Besonderen in der Abhandlung berücksichtigt werden. Der Begriff des Token Offerings wird vorliegend bewusst gewählt, da diesem der höchste Abstraktionsgrad hinsichtlich des öffentlich-rechtlich relevanten Anbietens von Token zugeschrieben werden kann und der Kreativität hinsichtlich Wortneuschöpfungen für eine Emission von Token schier unerschöpflich scheint. Für Insider in der Blockchain-Branche299 bewegen sich diese nicht legaldefinierten Termini von ICO (Initial Coin Offering in Anlehnung an den Börsengang – „Initial Public Offering“; IPO), über Abarten hiervon wie DAICO (Dezentralized Autnonomous Initial Coin Offering), IPCO (Initial Public Coin Offering), IEO (Initial Exchange Offering), IDO (Initial DEX Offering) oder ITO (Initial Token Offering), den eher technisch bezogenen Begriff TGE (Token Generating Event) bis hin zu Wertungen, die der rechtlichen Beurteilung bezüglich der Klassifikation vorgreifen wie etwa ETO (Equity Token Offering), ACO (Accredited Coin Offering) oder STO (Security Token Offering).300
Diese Begriffe sind dabei höchst heterogen ausgestaltet und ist es letztlich auch immer im Einzelfall zu beurteilen, ob blockchainbasierte Geschäftsmodelle und das involvierte Token-Design bzw die Token-Struktur eine finanzmarktrechtliche Bewilligung auslösen. Den vorgenannten Begrifflichkeiten ist nicht einmal zwingend ein öffentliches oder privates Angebot von Token gemein. Hierunter kann auch lediglich die technische Erzeugung von Token gemeint sein301, oder aber die Generierung von Token im Zuge des sogenannten Minings bzw Mintings, welches bei Proof-of-Work-Mechanismen302 üblich ist. Das Bitcoin-Protokoll setzt beispielsweise auf den vorgenannten Proof-of-Work-Me-chanismus und sieht vor, dass jeder Block 50 neue Bitcoin generiert, wobei diese Anzahl an neu geschaffenen Bitcoin alle 210‘000 Blöcke halbiert wird und die kleinste Untereinheit, 1 Satoshi303, unteilbar ist.304 Mittels geometrischer Folge veranschaulicht, sieht dies wie folgt aus:
Hieraus resultiert das Limit von gerundet 21 Millionen Bitcoin (exakt 20‘999‘999.9769 BTC305), wobei die 50 Bitcoin des Genesis Blocks nicht übertragbar sind306 und auch weitere Irregularitäten zu unübertragbaren Bitcoins geführt haben.307
Insofern dient das derartige (technische) Erzeugen und Inverkehrbringen solcher Token aber auch nicht zwangsläufig einer Kapitalisierung am Finanzmarkt bzw Unternehmensfinanzierung, sondern können die ausgegebenen Token auch einfach einen dem blockchainbasierten Geschäftsmodell inhärenten Zweck – eine Utility – haben, was nach liechtensteinischem Recht regelmässig auch keine allzu grossen regulatorischen Konsequenzen mit sich ziehen wird. Dabei ist also zu beachten, ob es zu einem Angebot von Token im Zuge eines Fundraisings kommt (mithin Token Offering), oder ob die Token eigentlich digitale Inhalte im Sinne von Daten bzw Software als Handelsware darstellen und mit kommerzieller Absicht verkauft werden (mithin Token Sale).
Demgemäss scheint aber auch die versuchte Legaldefinition im Draft Report der Europäischen Crowdfunding Service Provider Verordnung (ECSP) verfehlt, da diese ausschliesslich auf virtuelle Währungen, bzw in der vormaligen Diktion des TVTG idF BuA 2019/54308 auf Zahlungstoken309 abstellt. Wörtlich lautet es in der ECSP: „‘Initial Coin Offering or ICO’ means raising funds from the public in a dematerialised way using coins or tokens that are put for sale for a limited time by a business or an individual in exchange for fiat or virtual currencies.“310
Diese Formulierung trägt jedoch nicht den mannigfaltigen Ausgestaltungsvarianten von Token Rechnung, welche grundsätzlich alle Rechte repräsentieren können. Berechtigterweise wurden ICOs im finalen Report gestrichen. Während den ICOs hier nach wie vor eine Finanzierungskomponente zugeschrieben wird, welche insbesondere für KMU interessant sein könne, wird abseits der kapitalmarktrechtlichen Einordnung auch erkannt, dass die Technologie bspw den Technologietransfer beschleunigen kann. Es wurde rechtzeitig erkannt, dass die Inkludierung von ICOs in der ECSP die damit im Zusammenhang stehenden rechtlichen Unsicherheiten nicht zu lösen vermag und wird dort auch festgehalten, dass die Europäische Kommission in Zukunft eine umfassende unionsrechtliche Rahmengesetzgebung vorschlagen könnte, welche auf einer gründlichen Folgenabschätzung basiert.311
Die konkrete Forschungsfrage der vorliegenden Arbeitet lautet sohin: Wann liegt ein Token Offering vor und wie werden Token Offerings im liechtensteinischen Aufsichtsrecht behandelt? Die konkretisierende Unterfrage hierzu lautet: Können Token auch Einlagen, E-Geld oder Finanzinstrumente repräsentieren? Wie verhalten sich diese drei Regularien zueinander bzw wodurch grenzen sie sich von virtuellen Währungen ab? Hierbei muss nolens volens auch der unionsrechtliche Rechtsrahmen Berücksichtigung finden. Die Arbeit soll dabei im Besonderen auf Token Offerings über sogenannte dezentrale Handelsplätze bzw dezentrale Märkte eingehen. Als dezentrale Handelsplätze werden zum Beispiel EtherDelta312, IDEX313, Token Store314 oder die Stellar Decentralized Exchange (DEX)315 erfasst, auf welchen völlig dezentral, sohin peer-to-peer (p2p), Kryptowährungen bzw Token, mitunter auch solche Token, welche Finanzinstrumente repräsentieren, gehandelt werden können.316 Die Interessenszusammenführung kann dabei von dem jeweiligen Netzwerk-Protokoll – der Blockchain selbst – durchgeführt werden und unterscheidet sich ein solcher dezentraler Handelsplatz von dem organisierten Kapitalmarkt dadurch, dass dieser nicht von einem zentralen Intermediär, sondern von der Summe der Netzwerknutzer – sohin von dem Netzwerk als dezentrale autonome Organisation – selbst betrieben wird. In diesem Zusammenhang ist weiters nachfolgende Unterfrage zu eruieren: Finden finanzmarktrechtlichen Regularien auf dezentrale Handelsplätze Anwendung – und falls dies zu bejahen sein sollte, in welcher Form bzw in welchem Umfang und wie unterscheiden sich diese Regularien von denjenigen für organisierte Handelsplätze?
1.1 Finanzmarktrechtliche Würdigung von DLT-basierten Geschäftsmodellen
Die Finanzmarktaufsicht Liechtenstein verfolgt gemäss Art 4 FMAG die Ziele der Gewährleistung der Stabilität des Finanzmarktes Liechtenstein, den Schutz der Kunden, die Vermeidung von Missbräuchen sowie die Umsetzung und Einhaltung anerkannter internationaler Standards. Das Finanzmarktrecht verfolgt sohin eine „eine technologieneutrale, risikogerechte und für bestehende Marktteilnehmer nicht-diskriminierende Regulierung“.317 Auch DLT- bzw Blockchain-basierte Geschäftsmodelle können grundsätzlich unter den Anwendungsbereich der Finanzmarktregulierung fallen, wobei ein funktioneller Ansatz verfolgt wird, was bedeutet, dass jedes Modell bzw jede Token-Struktur einzelfallbezogen analysiert wird (bspw Erzeugung von Token im Rahmen eines Token Offerings).
Die faktische wirtschaftliche Ausgestaltung eines Tokens und die hieraus resultierende rechtliche Qualifikation stellt sohin aus aufsichtsrechtlicher Perspektive den Dreh- und Angelpunkt dar. Dabei ist stets zwischen Geschäftsmodell und Token-Design zu differenzieren. Ein Token muss kein Finanzinstrument darstellen, jedoch kann das Geschäftsmodell dennoch einer spezialgesetzlichen Bewilligung, welches der Aufsicht durch die FMA (Liechtensteiner Finanzmarktaufsicht) gemäss FMAG untersteht, unterliegen. Anders herum kann es auch sein, dass das Geschäftsmodell finanzmarktrechtlich unreguliert ist, jedoch ein Token ein Finanzinstrument darstellt, was folglich mit bestimmten Beschränkungen bspw im Vertrieb einhergeht, oder aber einen Prospekt erforderlich macht.
Der technologieneutrale Ansatz ist dabei nicht nur bei der Beurteilung durch die FMA massgebend, sondern wurde diesem Aspekt auch im TVTG Rechnung getragen. So verstehen sich unter dem gesetzlichen Oberbegriff der vertrauenswürdigen Technologien bzw vertrauenswürdigen Technologiesystemen gemäss Art 2 Abs 1 lit a und b TVTG grundsätzlich auch technische Umsetzungsvarianten der Distributed Ledger Technology. Dies ist vor jenem Hintergrund zu verstehen, dass die aktuell noch angenommene bzw unterstellte Vertrauenswürdigkeit einer Blockchain künftig nicht mehr zwingend gegeben sein muss (so zB durch den technologischen Fortschritt iZm der Quantentechnologie vorstellbar, durch welche Computer einen massgeblichen Rechenleistungszuwachs erfahren).318 Das Vertrauen, welches im klassischen Finanzmarkt in einen zentralen, qualifizierten und zuverlässigen Finanzintermediär bzw in ein geeignetes Finanzinstitut gelegt wird, wird bei derartigen dezentralen...