Völkische Wissenschaften: Ursprünge, Ideologien und Nachwirkungen
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Völkische Wissenschaften: Ursprünge, Ideologien und Nachwirkungen

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Völkische Wissenschaften: Ursprünge, Ideologien und Nachwirkungen

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Völkische Forschungsparadigmen wirken über die NS-Zeit hinaus und können bis in die Gegenwart verfolgt werden. Erst 1998 stellte der Historikertag in Frankfurt die Verstrickung der Lehrer führender deutscher Sozialhistoriker ins Rampenlicht. Im Zentrum des Bandes stehen die Ursprünge und Auswirkungen völkischer Stereotypen im 19. und 20. Jahrhundert und die Radikalisierung, Nazifizierung und Mobilisierung von Wissenschaftlern im Dienste rechtspopulistischer Wissenschaftsfelder in den Jahren bis 1945. Untersucht werden langfristig wirksame Netzwerke und die Kontinuität von Antisemitismus und rassistischem Nationalismus.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783110654967

Teil II: Ideologien

Germanistik und Niederdeutsch. Liaison im Schatten eines Essentialismus

Ulf-Thomas Lesle
In diesem Beitrag wird anhand einer Kritik von Denkmustern und Handlungsschemata dargelegt, wie in der Germanistik Sprachgeschichte als Volksgeschichte gedeutet wurde. Diese Forschungstradition ist in der Niederdeutschen Philologie um die Jahrtausendwende reaktiviert worden. Akteure der Fachwissenschaft haben mit ihrer diskursiven Konstruktion einer Sprachgemeinschaft Identitätspolitik zum Achsenpunkt einer Kampagne gemacht.1

Ein dialektales Idiom wird zur „Ausbausprache“ erklärt.

Der Soziologe Pierre Bourdieu arbeitete mit dem Begriff der Gewalt, als er Herrschaftsverhältnisse kennzeichnete.2 Eine Form dieser Gewalt spiegelt sich im Kampf um symbolische Macht und kulturelle Dominanz auf dem sozialen Feld von Ab- und Ausgrenzungen wider.
Ideengeschichtlich betrachtet, konstituierte sich in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Ideal der homogenen Nation die Herrschaft eines völkischen Nationalismus. Mit den kulturrelativistischen Setzungen dieses Radikalisierungsprozesses wurde jede Form von Universalität als Vermächtnis der Aufklärung aufgekündigt. In der autoritär strukturierten wilhelminischen Gesellschaft sind Menschen erstmals anhand ethnischer und kultureller Merkmale ausgegrenzt und entrechtet worden. Im Zuge des modernen Antisemitismus wurden die Merkmale existenzieller Zugehörigkeit dann um die Kategorie der Rasse erweitert. In der politischen Durchsetzung dieses kruden soziologischen Determinismus war die Metamorphose des Rassenwahns zum (selbst)zerstörerischen Zivilisationsbruch der Shoa bereits angelegt.3
Identitätspolitik stellt als Instrument eines Schutzes vorgeblich bedrohter Werte die zentrale Handlungsachse einer Bewegung dar, die in Deutschland seit Jahrzehnten als Neue Rechte auftritt.4 Ethnische Entität bildet das Leitbild dieser Formation deren strategisches Ziel es ist, kulturelle Hegemonie zu gewinnen. Die Handlungsmuster der Akteure der Neuen Rechten sind dabei von einem autoritären Etatismus geprägt. In ihrem Kampf um Einfluss und Ressourcen folgt diese antidemokratische Revolte dem NS-Staatsrechtler Carl Schmitt, der die rassisch geformte Volksgemeinschaft als Ordnungsfigur eines autoritär gelenkten Staates propagiert hatte: Utopie und Rechtsnorm zugleich.5
Inzwischen erzeugt der Diskurs von Meinungsführern durch seine habituellen Zuschreibungen auf vielen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens Differenzlinien: Populistische Politik vollstreckt Volkswillen in Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Bei diesem Handlungsmuster geht es nicht um den Schutz individueller Rechte und Lebensformen, die Strategie zielt ausschließlich darauf ab, ethnisch eindeutige Zugehörigkeit herzustellen. Mittels einer Politik der Differenz, die mit der Behauptung starrer kultureller Werte einhergeht, sollen Vorstellungen von rassisch-ethnischer Homogenität und kategoriales Freund-Feind-Denken durchgesetzt werden. Vertreter der niederdeutschen Fachwissenschaft, die dieses Argumentationsfeld eines vordemokratischen Antiintellektualismus in gleicher Weise besetzen, proklamieren deswegen auch das völkische Ideal von Sprachkultur, ethnisch angestammt und territorial gebunden.
Ein Menetekel der Gegenwart stellt für die Neue Rechte der Prozess der Globalisierung dar. Die Inszenierung des Szenarios, festgelegte Identitäten würden sich immer mehr auflösen, mobilisiert diffuse gesellschaftliche Ängste vor dem Verlust des Vertrauten. Vor allem die Identitäre Bewegung (IB) arbeitet in diesem Zusammenhang mit neuen Sprachbildern. Sie will so deutlich machen, dass sie sich von veralteten Denkmustern distanziert. Doch der Diskurs, mit dem die IB völkischen Kollektivismus als allfälliges Heilsversprechen erzeugt, gründet sich, ebenso wie bei den alten Setzungen, auf rassistische Prämissen. Mit Endzeit-Metaphern suggerieren die Hipster der neu-rechten Szene, der Untergang der deutschen Herkunftsheimat stehe unmittelbar bevor. Beschworen wird ein „Finis Germania“: Klischees des Eigenen werden vor der Schreckenskulisse einer ungesteuerten Zuwanderung volksfremder Massen zu Merkmalen einer deutschen (Minderheiten-)Kultur stilisiert, deren Fortbestand bedroht ist.6
Theoretische Vorstellungen von Volk und Raum hat die Neue Rechte im bruchlosen Vollzug völkischen Denkens durch Begriffe wie Ethnie und Region ersetzt. Ob alte oder neue Kennzeichnungen: Die Verfasstheit des Staates wird grundsätzlich nicht als Demos, sondern als Ethnos gedacht: Nur das ethnisch homogene Volk kann in Gestalt seiner Blutsverwandtschaft eine Gemeinschaft bilden.7 Im Weltbild der Neuen Rechten muss Europa als Bollwerk nationaler Völker und autochthoner Minderheiten dem geballten Angriff der globalen Welt standhalten. Zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die Stigmatisierung alles Fremden und die Zwänge eines völkischen Kollektivismus gilt als Verstoß gegen das quasi-religiöse Gesetz rassischer Homogenität.
Fiktionen von Identität, die sich auf Rechtsideen des Bodens oder Blutes gründen, spiegeln die distanzlose Überhöhung des vorgeblich Eigenen zum kulturellen Leitbild. Zur Ambiguität moderner Gesellschaften gehört es jedoch, dass sie vor dem Hintergrund der universellen Gleichheit aller Menschen von freiheitlicher Offenheit geprägt sind. Akteure eines politischen Populismus relativieren diesen elementaren Grundsatz durch die Setzung, nur die eigene Kultur sei für die Identität der ethnischen Herkunftsgemeinschaft konstitutiv. Mit dem strategisch eingesetzten Konfliktmuster, ein moderner Universalismus würde dieses kollektiv Eigene zum Verschwinden bringen, wird in der Gesellschaft seit Jahrzehnten die Rhetorik des Othering in Gang gehalten.
Wie völkische Muster und konservative Werthaltungen sich zu Handlungsachsen amalgamieren können, bildet sich seit 150 Jahren beispielhaft in einem Netzwerk für Niederdeutsch ab. In diesem weitgehend geschlossenen Verbund ist das quasi-religiös überhöhte Bild der unauflöslichen Einheit von Volk, Raum und Sprache emotional hoch besetzt. Vertreter institutioneller Einrichtungen sowie Einzelakteure nutzen heute für die Darstellung dieser Verknüpfungen vor allem den digitalen Informationsraum des Internet. In den einschlägigen sozialen Medien markiert der Begriff Niederdeutsch durchweg ein von alters überliefertes Kulturkapital, das als sakrosankt angesehen wird. Die niederdeutsche Bewegung hatte sich im wilhelminischen Kaiserreich als formiertes Segment innerhalb der völkischen Sammelbewegung breit aufgestellt, eingebettet in ein klein- und bildungsbürgerlich geprägtes Milieu, hauptsächlich in Norddeutschland.
Mit der Zäsur von 1968 war erstmals eine Aufarbeitung dieser Bewegungsgeschichte möglich geworden, die innerhalb der Fachwissenschaft weitgehend tabuisiert wurde, weil sie selbst Teil dieses völkischen Aufbruchs war.8 Historische Einsichten, die seinerzeit gegen szenetypische Widerstände öffentlich gemacht wurden, sind durch das ideologische roll back des Niederdeutsch-Netzwerks wieder hochaktuell geworden.
Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte konnten Akteure der Fachwissenschaft mit ihrer Zielsetzung, den Sprachraum einer Wir-Gruppe gleichsam neu zu denken und somit neu zu erfinden, aus ihrem subkulturellen Nischendasein heraustreten. Vor allem im Rahmen digitaler Kommunikation wurde eine ethnisch motivierte Sprachbewusstheit geschaffen, die der niederdeutsch-affinen Community neue Akteure zuführte, die zumeist rechtskonservativen Zirkeln des Sprach- und Heimatschutzes angehörten.9 Im digitalen Netzwerk akkumulierte sich die Sprachschutz-Debatte zu einem Mainstream, weil die Konsumenten in aller Regel auch Produzenten waren. Auf diese Weise haben sich völkische Stereotype innerhalb kurzer Zeit flächenhaft ausgebreitet. Darüber hinaus definierten sich die Kontakte im digitalen Raum nahezu ausschließlich über das sprachliche Format der Varietäten, zudem ist diese Kommunikation häufig mit Versuchen verknüpft, Standardisierungen durchzusetzen.
Aufgrund der Diglossie von Hoch- und Plattdeutsch gibt es in Norddeutschland keine Gesprächspartner, die der Standardsprache nicht mächtig sind. Es ist also niemand gezwungen, aus Verständnisgründen im Dialekt zu kommunizieren. Angesichts der realen Figuration der Sprachlagen entlarvt sich der plattdeutsch-sprachliche Diskurs, der sich im Netzwerk durchgesetzt hat, als mentale Attitüde einer digitalisierten Kommunikation, die (sprach)ideologisch besetzt ist.
Die Aufnahme der plattdeutschen Varietäten in die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen war in den 1990er Jahren Thema einer aktionistischen Kampagne. Ihr Diskurs wurde von der Beschwörung eines globalisierten Universalismus beherrscht: Insbesondere die Kultur von Minderheiten werde durch Prozesse ungezügelter Pluralisierung zerstört. Das Bild vom nahen Sprachtod war denn auch die treibende Kraft der Aktion, deren strategische Ziel darin bestand, eine zur ultima ratio gestylte Aussage über die Community hinaus öffentlich zu machen und im politischen Raum zu verankern: Nur im Rahmen einer rechtlich geschützten ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung: Das Völkische als genuin deutschnationales Ideologem
  5. Teil I: Ursprünge
  6. Teil II: Ideologien
  7. Teil III: Nachwirkungen
  8. Teil IV: Folgen
  9. Literatur
  10. Verzeichnis der Abkürzungen
  11. Verzeichnis der AutorInnen
  12. Terms Index