Die Notwendigkeit empirischer Naturgesetze bei Kant
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Die Notwendigkeit empirischer Naturgesetze bei Kant

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Die Notwendigkeit empirischer Naturgesetze bei Kant

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Über dieses Buch

Diese Studie beschäftigt sich mit dem Status von empirischen Naturgesetzen in Immanuel Kants kritischer Philosophie. Insbesondere geht es um die Beantwortung der Frage, welche argumentativen Ressourcen Kant im Rahmen seines Ansatzes bereitstellt, um empirischen Naturgesetzen den Status der Notwendigkeit zuzusprechen. Außerdem wird geklärt, welche Art Notwendigkeit dabei erfüllt wird.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783110697247

Teil II Die Detailanalysen

3 Die zweite Analogie der Erfahrung

In der Kant-Literatur wurde der Abschnitt zur zweiten Analogie der Erfahrung in der Kritik der reinen Vernunft häufig als der für Kants Antwort auf Hume zentrale Abschnitt betrachtet. Unstrittig dürfte folgendes sein: In diesem Abschnitt geht es Kant darum, die Gründe für die Gültigkeit des allgemeinen Kausalsatzes darzulegen, dem zufolge jede Veränderung eine Ursache hat. Es ist jedoch in der aktuellen Kant-Literatur äußerst umstritten, inwieweit die Ergebnisse dieses Abschnitts eine Relevanz für die Frage nach der Existenz und Notwendigkeit konkreter empirischer Naturgesetze haben.
Auf der einen Seite vertreten viele Interpreten ausgehend von Arbeiten Gerd Buchdahls die Auffassung, dass Kant in der zweiten Analogie der Erfahrung nicht den Anspruch erhebt, die Existenz von empirischen Naturgesetzen aufzuzeigen, die mit Notwendigkeit gelten.1 Eine Perspektive, aus der Kausalbeziehungen als unter notwendigen Gesetzen stehend betrachtet werden können, ergibt sich dieser Interpretationsströmung zufolge erst im Zusammenhang mit der Idee der systematischen Verfasstheit der Natur, die Anlass gibt, empirisch erfasste Regularitäten in einen systematischen Zusammenhang zu bringen und sie dadurch in den Stand von notwendigen Gesetzen zu erheben.2
Auf der anderen Seite vertritt Michael Friedman die Position, dass Kant in der zweiten Analogie der Erfahrung durchaus beansprucht, die Existenz notwendiger empirischer Naturgesetze nachzuweisen.3 Friedman führt zum einen zahlreiche Zitate Kants an, die ihm zufolge diesen Anspruch eindeutig zum Ausdruck bringen. Zum anderen verfolgt er in einer sorgfältigen Rekonstruktion zentraler Argumente der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786) das Ziel zu zeigen, dass Kant beansprucht, die Notwendigkeit zumindest eines Naturgesetzes, nämlich des Newtonschen Gravitationsgesetzes, in einem mehrschrittigen Verfahren unter Einbeziehung empirischer Beobachtungen aus den Analogien der Erfahrung herzuleiten. Ich möchte in Kapitel 4 Friedmans Rekonstruktion der relevanten Abschnitte der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft nachvollziehen. Zuvor werde ich jedoch Kants Argument in der zweiten Analogie der Erfahrung einer Analyse unterziehen, um zu ergründen, ob es Kant dort gelingt, die Existenz notwendiger empirischer Naturgesetze aufzuzeigen.4
Außerdem möchte ich herausarbeiten, dass selbst in dem Fall, dass Kant diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird, in der zweiten Analogie der Erfahrung noch ein Problem offen bleibt: Selbst wenn Kant in der Lage sein sollte, den Nachweis zu erbringen, dass notwendige empirische Naturgesetze existieren, bleibt in der zweiten Analogie der Erfahrung jedoch offen, wie wir diese erkennen können.5 Jede Regularität in der Abfolge von Ereignissen, die wir beobachten und für die Folge eines notwendigen Gesetzes halten, kann sich im Nachhinein als kontingente Regularität erweisen, der kein Gesetz entspricht. Die Frage, die sich im Zusammenhang mit Kants Argumentation für die zweite Analogie der Erfahrung stellt, ist insbesondere, wie wir mit alltäglicheren Fällen von Erkenntnis umgehen, denn Kant zufolge beinhalten auch Urteile wie „Die Sonne erhitzt den Stein“ und „Das Schiff fährt flussabwärts“ eine Festlegung auf notwendige Naturgesetze.6 Schon um solche recht alltäglichen Urteile rechtfertigen zu können, müssen wir also in der Lage sein, empirische Gesetzesannahmen zu rechtfertigen. In den folgenden Kapiteln 4, 5 und 6 soll es daher um Abschnitte bei Kant gehen, in denen über diese Problematik Aufklärung zu erhoffen ist.

3.1 Vorbetrachtungen

3.1.1 Der Grundgedanke des Beweises

Bevor wir auf den Beweisgang der zweiten Analogie der Erfahrung eingehen, müssen wir uns den Grundgedanken des Beweises verdeutlichen, um später vor dem Hintergrund dieser Grundidee die einzelnen Beweisschritte besser bewerten zu können.
Die zweite Analogie der Erfahrung steht zusammen mit den beiden anderen Analogien der Erfahrung in einem interessanten Verhältnis zur transzendentalen Deduktion der Kategorien. Wie wir schon im zweiten Kapitel gesehen haben, handelt es sich bei der transzendentalen Deduktion nach Kants eigener Auskunft um „die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Objekte beziehen können“ (KrV, A 85 / B 117).7 Die Grundidee der Deduktion besteht darin zu zeigen, dass die Anwendung der Kategorien eine notwendige Bedingung dafür ist, dass wir uns mit unseren Vorstellungen auf Objekte beziehen können. Die Beweise der drei Analogien der Erfahrung können – ebenso wie auch die Beweise der anderen Grundsätze des Verstandes – in gewisser Weise als Spezifizierung der Deduktion verstanden werden: Es wird in den Beweisen der drei Analogien für die drei Relationskategorien (Substanz/Akzidens, Kausalität und Gemeinschaft) gezeigt, wie diese einen notwendigen Beitrag zur Möglichkeit von objektiver Erkenntnis leisten.8
Der Grundgedanke des im Folgenden zu betrachtenden Beweises der zweiten Analogie der Erfahrung9 lässt sich vor diesem Hintergrund folgendermaßen formulieren: Die zweite Analogie der Erfahrung ist eine notwendige Voraussetzung für objektive Erkenntnis, und zwar genauer in dem Sinne, dass die Gültigkeit der zweiten Analogie eine Voraussetzung dafür ist, dass wir überhaupt in der Lage sind, von unseren subjektiven Wahrnehmungen ein Objekt zu unterscheiden, auf das sich unsere Wahrnehmungen beziehen. Die in diesem Grundgedanken ausgedrückte Behauptung ist natürlich keineswegs trivial, sodass wir von Kant hierfür eine Begründung erwarten können. Wir werden daher bei der Rekonstruktion des Argumentverlaufs ein Augenmerk darauf zu richten haben, inwiefern die zweite Analogie tatsächlich zur Möglichkeit von Objektbezug beiträgt.
Um zu untermauern, dass sich dieser Grundgedanke tatsächlich hinter Kants Argument für die zweite Analogie der Erfahrung verbirgt, möchte ich nun ein paar Textstellen anführen, die genau dies zum Ausdruck bringen. Da Kant sein Argument im Verlauf des Textes mehrfach reformuliert, gibt es gleich mehrere Stellen.
[…] Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, [kann] nur dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben […] vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen notwendig macht. (KrV, A 191 / B 236)
Wir sehen hier, dass es Kant um die Frage geht, wie wir ein Objekt – die Erscheinung – von unseren subjektiven Vorstellungen unterscheiden können. Die Bedingung hierfür besteht Kant zufolge darin, dass das Objekt unter einer Regel steht, die eine bestimmte Verbindung der Vorstellungen notwendig macht. Wie wir später sehen werden, meint Kant hiermit unter anderem, dass wir die Zustände des Objektes als einem empirischen Kausalgesetz unterworfen vorstellen müssen, damit wir in der Lage sind, verschiedene aufeinanderfolgende Wahrnehmungen zu einem Wahrnehmungskomplex eines Objektes zu verbinden.
Ganz ähnlich heißt es wenige Seiten später:
Man setze, es gehe vor einer Begebenheit nichts vorher, worauf dieselbe nach einer Regel folgen müßte, so wäre alle Folge der Wahrnehmung nur lediglich in der Apprehension, d. i. bloß subjektiv, aber dadurch gar nicht objektiv bestimmt, welches eigentlich das Vorhergehende, und welches das Nachfolgende der Wahrnehmungen sein müsste. Wir würden auf solche Weise nur ein Spiel der Vorstellungen haben, das sich auf gar kein Objekt bezöge […]. (KrV, A 194 / B 239)
Auch hier besteht Kants Idee offenbar darin, dass wir von der kausalen Bedingtheit eines Ereignisses ausgehen müssen, wenn wir in der Lage sein wollen, unsere subjektiven Wahrnehmungen in eine Ordnung zu bringen und sie dadurch auf ein Objekt zu beziehen. Wie wir hier außerdem sehen können, geht es Kant offenbar darum, dass die Wahrnehmungen hierfür in eine zeitliche Ordnung gebracht werden müssen – ein weiterer Grundgedanke der Argumentation, auf den wir später ausführlich zurückkommen werden.
Erneut nur wenige Seiten später begegnet uns dieser Gedanke ein weiteres mal:
Wir haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewußt werden können. […] Wie kommen wir nun dazu, daß wir diesen Vorstellungen ein Objekt setzen, oder über ihre subjektive Realität, als Modifikationen, ihnen noch, ich weiß nicht, was für eine, objektive beilegen? […] [N]ur dadurch, daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhältnisse unserer Vorstellungen notwendig ist, [wird] ihnen objektive Bedeutung erteilet […]. (KrV, A 197 / B 242 f.)
Und wiederum wenige Seiten später heißt es:
Zu aller Erfahrung und ihrer Möglichkeit gehört Verstand, und das erste, was er dazu tut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht. Dieses geschiehet nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt […]. (KrV, A 199 / B 244 f.)
Kants Beweisidee für die zweite Analogie der Erfahrung besteht also offenbar darin, dass die Analogie – bei der es sich um den allgemeinen Kausalsatz handelt10 – eine notwendige Bedingung dafür ist, dass wir überhaupt in der Lage sind, subjektive Wahrnehmungen auf Objekte zu beziehen. Dies soll die zweite Analogie Kant zufolge insbesondere dadurch ermöglichen, dass sie uns die Möglichkeit eröffnet, eine Ordnung der Zeitverhältnisse auf die Objekte unserer Wahrnehmungen zu übertragen. Diese Schritte der Argumentation gilt es im Folgenden genauer zu verstehen.
Diese Grundidee des Beweises der zweiten Analogie ist eingebettet in eine allgemeinere Überlegung, die alle drei Analogien der Erfahrung und ihre Rolle im Zusammenhang mit Erkenntnis umfasst. Kant stellt den drei Analogien der Erfahrung in der B-Auflage ein allgemeines Prinzip voran, das allen Analogien gemeinsam zugrunde liegt. Dieses Prinzip lautet:
Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich. (KrV, B 218)
Die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung ist eine Vorstellung, die Kant zufolge nur a priori entspringen kann.11 Sie ist gerade diejenige Vorstellung, die in allen drei Relations-Kategorien enthalten ist12, von denen jede jeweils der zentrale Begriff einer der drei Analogien ist. Der Grundgedanke der drei Analogien, wie er im gerade zitierten Prinzip zum Ausdruck kommt, besteht also offenbar darin, dass Erfahrung nur dadurch möglich ist, dass die drei Relations-Kategorien der Substanz, der Kausalität und der Gemeinschaft und damit insbesondere die in allen dreien enthaltene Vorstellung der Notwendigkeit auf Wahrnehmungen angewandt werden. Dies wird in den drei Analogien für jeweils eine der drei Relations-Kategorien konkret ausgeführt und eigens bewiesen.
Kants zentrale These an dieser Stelle besteht also darin, dass Wahrnehmungen allein noch keine Erfahrung ausmachen, sondern dass die Wahrnehmungen durch die drei Relations-Kategorien miteinander verknüpft werden müssen. Unter Erfahrung versteht Kant „ein empirisches Erkenntnis, d. i. ein Erkenntnis, das durch Wahrnehmungen ein Objekt bestimmt.“ (KrV, B 218) Wahrnehmungen sind also zwar notwendig für Erfahrung, aber nicht hinreichend, denn ohne die verknüpfenden Relationskategorien wird von den Wahrnehmungen noch kein Objekt bestimmt. Aber was bedeutet das genau? Um dies genauer zu verstehen, muss man sich zunächst genauer vergegenwärtigen, was Kant im Abschnitt über die zweite Analogie der Erfahrung unter einer Wahrnehmung versteht.

3.1.2 Wahrnehmungen und Objektbezug

Der Begriff der Wahrnehmung ist bei Kant eng verknüpft mit dem Begriff der Anschauung. An manchen Stellen verwendet Kant den Begriff der Wahrnehmung offenbar synonym mit dem der empirischen Anschauung, etwa wenn er festhält, dass die reinen Formen der Sinnlichkeit „aller empirischen Anschauung, d. i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände“ vorausgehen (Prol, AA 4: 283).13 An anderen Stellen klingt es zunächst so, als hätte Kant einen etwas engeren Begriff der Wahrnehmung vor Augen. So erläutert er im Rahmen der B-Deduktion an einer Stelle, dass es sich bei einer Wahrnehmung um ein „empirisches Bewusstsein [einer empirischen Anschauung], (als Erscheinung)“ (KrV, B 160) handelt. Dies kann so verstanden werden, dass es sich...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Einleitung
  6. Teil I  Die Grundlagen
  7. Teil II Die Detailanalysen
  8. Personenregister
  9. Sachregister