Eine Kindheit und Jugend in Preußen um 1900
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Eine Kindheit und Jugend in Preußen um 1900

  1. 186 Seiten
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Eine Kindheit und Jugend in Preußen um 1900

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Lassen Sie sich mitnehmen in eine völlig andere Zeit! Alexandra von Stein gewährt uns Einblicke in die Kindheits- und Jugenderinnerungen ihrer Großmutter Doris von Auerswald, die, 1891 geboren, in Westpreußen aufwuchs und einen großen Teil ihrer Kindheit auf dem Gut ihrer Großeltern verbrachte.Angeregt durch die lebendigen und detailreichen Erinnerungen ihrer Großmutter hat Alexandra von Stein Nachforschungen zur Familie von Auerswald angestellt und dabei einige ungeahnte Fundstücke ausgegraben.Seien Sie dabei und genießen Sie einen wunderbaren Einblick in das Leben von vor über 120 Jahren.

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Erste Erinnerungen

Aus beruflichen Gründen musste der Vater meiner Großmutter, der irgendwann einmal als Beamter ein großes Landgestüt leiten sollte, in den ersten Jahren seiner Ehe häufig umziehen, manchmal nur für Monate oder ein Jahr, manchmal auch für länger. Die enge Verbindung zur Familie und zu Faulen blieb jedoch immer bestehen.
„Meine Erinnerung reicht zurück bis zu der Zeit, als mein Vater in Hannover auf Reitschule kommandiert war. Ich sehe auch heute noch die Wohnung dort und den kleinen, etwas dunklen Garten vor mir, in dem ich mit meinem Bruder Hans täglich spielte. Ich kann mich auch noch genau auf Papas eines Pferd, einen Rappen mit Namen „Immergrün“, entsinnen sowie auf einen großen Neufundländer Hund, der mich zum Entsetzen meiner Eltern in die Backe biss, da ich ihn an den Ohren gezogen hatte. Es war aber nicht so schlimm und verheilte vollkommen.
Auch an den Tag in Hannover, an dem am 12.3.1894 mein zweiter Bruder Arthur geboren wurde, entsinne ich mich genau, und dass ich den ersten Anblick dieses kleinen, krebsroten Etwas sehr enttäuschend hässlich fand!
Mein Vater hatte zu der Zeit Scharlach und so war das Ereignis der Geburt dieses Kindes mit besonderer Aufregung verbunden.
Wir Kinder wurden von der alten Matka, einer halb polnischen Kinderfrau, die weder schreiben noch lesen konnte, betreut. Sie war seit meiner Geburt schon bei uns und blieb, bis ich fast erwachsen war. Ich sehe sie vor mir, klein und rundlich und stets mit einer schwarzen Tüllhaube, die unter dem Kinn zugebunden war. Die Alte war die treueste Seele und hing an uns mit geradezu hündischer Liebe; besonders wohl an mir, dem „Dor’chen“, wie sie mich nannte. Ihre Pflege war wohl mehr rührend als sehr hygienisch, nach modernen Begriffen. Jedenfalls weiß ich noch, dass sie den kleinen Brüdern Kakao aus der Flasche gab, die sie erst mal ansaugte, ebenso wie sie ihnen Semmeln vorkaute, damit sie diese besser zerkleinern konnten! Man sieht daraus, dass die moderne hygienische Kinderpflege gar nicht so wichtig ist, denn wir sind ja alle recht munter und gesund aufgewachsen. Die halb polnische und sehr westpreußische Sprache, die wir von der Matka lernten, war weniger die Freude meines Vaters, und er hielt mir immer vor, dass ich mit der Sprache nie einen Mann kriegen würde! Mich schilderte die alte Matka immer als besonders artiges Kind. Sie setzte mich stundenlang auf eine Fußbank vor einen Rohrstuhl und gab mir alte Schnürbänder, die ich dann in das Rohrgeflecht einzog.
Von Hannover aus kam mein Vater wieder zur Garnison nach Rosenberg.
Von dieser Zeit an beginnen auch meine Erinnerungen an Faulen und die geliebten Großeltern, denn von da an fuhren wir oft dorthin. Es war ja auch nur eine halbe Stunde Wagenfahrt, denn Rosenberg war die Kreisstadt und die nächste Stadt für Faulen. Für uns Kinder war Faulen der Inbegriff alles Schönen, und die glücklichsten Zeiten unserer Kindheit und Jugend haben wir dort verlebt, da wir alle Ferien und viele Wochenenden dort verbrachten. Noch heute und bis zum Ende meines Lebens werde ich Faulen als meine eigentliche Heimat betrachten, obgleich, als mein Vater 1917 Besitzer wurde, ich schon vier Jahre verheiratet und aus dem Elternhause fort war.
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• Gut „Faulen“
Ich bin in ganz Deutschland und an vielen wunderschönen Orten des Auslandes gewesen, aber stets ist mir Faulen und der Rosenberger Kreis als der liebste Ort auf Erden erschienen, dem kein anderer gleichkommt.“

Großeltern, Onkel und Tanten

Mein Ur-Ur-Großvater muss ein sehr liebenswerter, tüchtiger und kluger Mann gewesen sein, der hohes Ansehen genoss und mit seiner Frau „auf Augenhöhe“ gelebt haben muss. Meine Ur-Ur-Großmutter hatte zuhause jedenfalls fest das Zepter in der Hand, war streng, aber gerecht und für manchen Spaß zu haben.
„Mein Großvater, Hans Albert von Auerswald, war ein mittelgroßer, schlanker Mann mit einem feinen Gesicht, gebogener Nase und leuchtend blauen, klugen, stets sehr lebhaften Augen, und ich habe ihn als immer fröhlich in Erinnerung. Er trug von jung an einen kurz gehaltenen Vollbart, den ich besonders liebte, weil er so weich war, wenn ich mich an ihn schmiegte. Großpapa war außergewöhnlich gebildet, las viel, auch viel Französisch, was er völlig beherrschte. Sein sicherer Rat in landwirtschaftlichen, innenpolitischen und menschlichen Dingen wurde vom ganzen Kreis, ja sogar weit darüber hinaus, gesucht. Er wurde Landrat des Kreises Rosenberg und hat in dieser Eigenschaft viel für den Kreis getan: die Chausseen gebaut, die Molkereigenossenschaft in Rosenberg und die Zuckerfabrik gegründet.
40 Jahre war er Landrat des Kreises und ist an seinem 70. Geburtstag und bei der Goldenen Hochzeit ganz besonders von den Kreisinsassen geehrt worden.
Jeden Morgen fuhr Großpapa bis zum Mittag aufs Landratsamt Rosenberg. Später wurde er gebeten, Landschaftsrat bei der ostpreußischen Landschaft in Königsberg zu werden. Der Kreis Rosenberg gehörte stets, obgleich er noch in Westpreußen lag, zur ostpreußischen Landschaft. Großpapa nahm dieses Amt an und wurde später sogar Generallandschaftsrat. Seine hervorragende Tüchtigkeit ist in beiden Provinzen sehr anerkannt.
Meiner Großmutter gefiel dieser Posten ihres Mannes bei der Landschaft in Königsberg schon deshalb außerordentlich, weil sie dadurch öfter Gelegenheit hatte, mit nach dort zu reisen, was sie zu gerne tat, um dort Theater zu besuchen und Einkäufe zu machen. Großmama, eine geborene Freiin von Hoverbeck gen. v. Schöneich mit den Vornamen Magdalene Doris Jeanette, wurde am 10.6.1842 in Marienwerder geboren. Sie war eine ganz besondere Frau, ja fast ein Original. Sie war außerordentlich lebhaft und sehr beweglich in der Unterhaltung und in ihren Ideen. Alles, was sie tat, wurde sehr schnell getan und Gedanken sofort ausgeführt. Ich habe das von ihr geerbt. Sie war sehr statiös, groß, von vorbildlicher Haltung. Ich habe sie nie, auch bis in ihr spätes Alter hinein, „mit krummem Rücken“ gesehen. Sie hielt auch bei mir sehr auf gute Haltung und so ist mir diese in Fleisch und Blut übergegangen. Auffallend waren ihre sehr hellen, lebendigen Augen, obgleich sie sonst nicht besonders hübsch war. Sie ist aber immer eine sehr elegante Frau gewesen, stets sehr geschmackvoll angezogen – alle Röcke bis zum Boden und meist mit kleiner Schleppe. Auf ihrem glatten, gescheitelten, weißen, früher aschblonden Haar trug sie stets ein schmales, schwarzes Spitzentuch. Sie liebte Schmuck besonders. Ihr ungewöhnlich gutes Gedächtnis war bekannt, und sie konnte neue und alte Begebenheiten herrlich und sehr humorvoll wiedererzählen – sowohl in Hochdeutsch wie in preußischem Dialekt!
Es war für mich das Schönste, wenn Großmama alte Geschichten erzählte. Mit diesem Talent machte sie vielen Menschen Freude, und ich sehe sie vor mir, wie sie, im Kreise jüngerer und älterer Leutnants von den 5. Kürassieren sitzend, Geschichten in sprühender Lebhaftigkeit erzählte. Überall war Großmama sehr beliebt, wenn auch manchmal gefürchtet, da sie jedem Menschen ohne Beschönigung ihre Meinung zu sagen pflegte – und es entging ihr selten etwas. Für viele junge Menschen wurde sie dadurch eine gute Erzieherin. Wenn ihre Besucher zu lange blieben, pflegte sie ungeniert zu sagen: „Wenn ich wo wäre, da führ’ ich jetzt!“, eine alte preußische Redensart, die dann den Aufbruch der Gäste beschleunigte! Ihren Haushalt hatte sie vorbildlich in der Hand, kümmerte sich um alles, ohne dass man es merkte. Da sie mit einer sehr kurzen Nachtruhe auskam, stand sie immer sehr früh auf. Man sah sie im Sommer schon in aller Morgenfrühe im Garten, dem Gärtner Anweisungen gebend. Da der ganze Obstgarten ihre kleine Privat-Einnahmequelle war, machte es ihr große Freude, dort viele gute Dinge zu ziehen; aber auch viele Blumen, die als gebundene Sträuße mittwochs und samstags auf dem Markt in Rosenberg verkauft wurden. Ganz berühmt war ihre Spargelzucht. Der Boden in Faulen war dafür wohl besonders geeignet. Er gab dem Spargel den so besonders guten Geschmack. Jedenfalls weiß ich, dass, wenn Kaiser Wilhelm II. nach Rommitten/Ostpreußen zur Rehbock-Jagd kam, in Faulen der Spargel für die kaiserliche Tafel bestellt wurde und in besonders großen Körben täglich dorthin ging.
Gesellschaftlich war Großmama sehr rege. Sie liebte es, Gäste bei sich zu haben, Feste zu organisieren und selbst viel auszugehen. Sie tanzte leidenschaftlich gerne und vorzüglich und tat es bis in ihr hohes Alter – wo sie es nur konnte –, wenn auch nur einige Walzer am Abend.
In den Zeitungen las sie alle Anzeigen über Dinge, die gesund sein sollten, und oft versuchte sie dann diese Rezepte. So entsinne ich mich, dass sie einmal wochenlang gegen Rheuma, an dem sie öfter litt, 3x täglich einen Esslöffel Petroleum mit klein gehackten Zwiebeln schluckte. Die ganze Familie schauderte, wenn sie das sah – und roch –, aber sie ließ sich nicht beirren.
Sie muss einen ausgezeichneten Magen gehabt haben; vertrug mitten in der Nacht einen „kleinen Imbiss“, den sie sich aus der Speisekammer holte, so z.B. ein riesig großes Stück Aal oder ein halbes Pfund Schweizer Käse, den sie so eben mal – ohne Brot dazu – verzehrte. Es raubte ihr auch keineswegs die Nachtruhe.
Alle im Hause gingen „auf Draht“ vor ihr, einschließlich Großpapa und wir Enkelkinder, und trotzdem liebten wir sie innigst und bewunderten sie sehr.
Als ich ein ganz kleines Mädchen war, gab es nichts Schöneres für mich, als wenn ich mal in dem gemeinsamen Schlafzimmer der Großeltern ein paar Stunden zwischen ihnen im großen Ehebett „auf der Ritz“, wie man in Preußen sagt, schlafen durfte – Großmama, so gemütlich in ihrer weißen, leinenen Nachthaube, die sie stets trug, und Großpapa, mit der Brille auf der Nase im Buch lesend.
Das Schlafzimmer der Großeltern war besonders hübsch. Durch Gardinen aus blauweißem Cotton war der sehr große Raum in drei Abteilungen geteilt. Links hinten, neben dem gemütlich knisternden Kachelofen, entstand dadurch ein Schlafraum; rechts daneben, an einem der Fenster, ein kleines Toilettezimmer für Großmama mit ihrem Toilettentisch. Auf diesem standen eine Menge mich sehr interessierender Kleinigkeiten, darunter die Porzellanente, in die täglich abends die Ringe hinein gelegt wurden. Vorne war dann ein großer Raum als Boudoir für Großmama, mit großem, offenem Kamin, Chaiselongue und dem großen Schreibtisch am Fenster, an dem sie ihre umfangreiche Korrespondenz erledigte. Neben dem Kamin stand ein schöner, hoher, alter Sekretär. In diesem bewahrte Großmama ihren Schmuck und viele Erinnerungen auf. Manchmal holte sie einiges davon hervor und zeigte es mir, die dazu passenden Gegebenheiten berichtend.“
Ihre ganz frühe Jugend verbrachte meine Großmutter in Rosenberg, in dessen Nähe auch die Schwester ihres Vaters mit ihrem Mann lebte. Auch dort war man häufig zu Besuch und es war jedes Mal eine große Freude für die Kinder. Und doch war nichts vergleichbar mit den Besuchen bei den Großeltern!
„Zu dieser Zeit lebten meine Eltern in der Garnison Rosenberg. Die Wohnung dort, das Haus mit dem großen Garten, in dem sich zwischen hohen Nussbüschen ein langer, dunkler Gang befand, der mir immer etwas unheimlich erschien, ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Ebenso die vielen Fahrten, die wir nach Brunau machten, welches dicht bei Rosenberg lag und der Besitz meines Onkels Alfred Dohna war, waren für uns eine große Freude. Onkel Alfred, auch „Manncken“ genannt, war lange Zeit Kommandeur der Gardehusaren in Potsdam, dann Flügeladjutant von Kaiser Wilhelm II., später dann, bis zum Kriege 1914, Millitärbevollmächtigter beim letzten Zaren in Petersburg. Er war verheiratet mit Aenni von Wallenberg und leider kinderlos. Tante Aenni war eine berühmt-schöne Frau, die der Kaiser sehr verehrte. Sie ließ sich einmal extra für ihn malen und schenkte ihm das Bild, welches er in sein Arbeitszimmer in seinem Potsdamer Schloss hängte.
Nach dem Tod seines Bruders Georg, der ebenfalls keine Kinder hatte, erbte Onkel Manncken später den Besitz Finkenstein im Rosenberger Kreis, den Nachbarbesitz von Faulen. Es war ein wunderschönes, großes Schloss im französischen Stil, mit Möbeln, Kunstschätzen und vielen historischen Erinnerungen. Es ist nun auch in Russenhand gefallen und das Schloss von diesen niedergebrannt worden.
Onkel und Tante Dohna liebten uns Kinder sehr und wir wurden in Brunau immer besonders verwöhnt. Für uns Kinder gab es dort eine besondere Attraktion: einen schwarzen Pudel, der Tante Aenni gehörte und besonders klug war und viele Kunststücke konnte, die er uns Kindern vormachen musste. So entsinne ich mich eines, welches wir bei jedem Besuch immer wieder sehen wollten: Tante Aenni trug zu schwarzen Spitzenkleidern stets farbige Gürtel und Onkel Alfred den dazu in der Farbe passenden Schlips, und der Pudel bekam eine Schleife in der gleichen Farbe in seine Tolle gebunden. Diese verschiedenfarbigen Schleifen lagen auf einem kleinen Tischchen, vor welches der Pudel gesetzt wurde, und ihm wurde befohlen, sich eine auszusuchen. Er sah dann stets eine Weile seine Herrin an und legte dann seine Pfote auf DAS Band, welches zur Farbe ihres Gürtels passte. Dieses begeisterte uns Kinder jedes Mal von neuem. Ich entsinne mich der schönen Tante Aenni noch sehr genau, und sehe sie vor mir am Klavier sitzen und uns Kindern vorspielen, in einem hübschen Kleid mit langer Schleppe, neben sich der schwarze Pudel mit gelber Schleife.

Faulen

Das Gut Faulen betrachtete meine Großmutter offensichtlich als ihre eigentliche Heimat. Kein Wunder, denn dies war für sie in ihren ersten Lebensjahren, die mit ständigen Umzügen verbunden waren, ein Ort der Beständigkeit. Hier fühlte sie sich wohl und beheimatet. Sicher trugen auch die häufigen Besuche und die Liebe der Großeltern dazu bei.
„Obgleich ich damals in Rosenberg doch nur ein ganz kleines Kind war, kann ich jetzt noch das Gefühl nachempfinden, welches ich hatte, als es hieß: „Wir gehen nach Faulen.“ Es war immer wieder ein beseligendes Glücksgefühl! Und ähnlich ist es auch später immer gewesen, wenn es hieß: „Nach Faulen“. Ich freute mich schon auf den Augenblick, wenn man an den Wegweiser kam, auf dem „nach Faulen“ stand, und es befiel uns Kinder ab Chausseehaus, wenn wir aus Richtung Rosenberg kamen, eine große freudige Unruhe, so dass wir im Wagen kaum stillsitzen konnten. Das alte Chausseehaus stand an der Rosenberger Chaussee, nicht weit vom Faulener Park, und war zu der Zeit noch in Betrieb. Ich kann mich des kleinen Fensters sehr genau erinnern, das sich öffnete, und aus dem von dem Chausseewärter ein langer Stock, an dem ein Blechgefäß hing, herausgeschoben wurde und in den man den Straßenzoll, einen Groschen, werfen musste.
Noch schöner war es, wenn man aus der Richtung Deutsch-Eylau kam. Dort sah man von einer gewissen Stelle aus schon auf einem Hügel das geliebte Faulener Haus liegen! Der Augenblick, wenn man entweder an der Mauer entlang um die große Linde herum den Berg herauf- oder an Fohlenstall, Schmiede und Inspektorhaus vorüber zum Hause fuhr, dessen erleuchtete Fenster uns so bewillkommnend anmuteten, war schon eine Vorfreude auf die kommenden Tage. Es gehörte zu den schönsten und erwartungsvollsten Momenten meines Lebens und verursachte mir stets freudiges Herzklopfen.
Das Faulener Haus war ein richtiges, lang erstrecktes, östliches Landhaus, sehr hübsch und anständig mit seinem gebrochenen Dach und einer Art Giebel in der Mitte und der so gemütlichen Veranda vor der Haustüre, deren Dach auf vier Säulen getragen wurde. Die Seiten der Veranda waren verglast, so dass sie einen zugfreien, großen Raum bildete – fast wie ein Wohnzimmer: sehr behaglich möbliert, mit vielen grünen Pflanzen in den Ecken, hinter dem Sofa und großen blühenden Oleanderbäumen an den Säulen. Ich sehe meine Großeltern dort sitzen: Großpapa lesend, Großmama mit ihrem Schreibzeug; diese sehr eifrige Briefeschreiberin, die mit einer Unzahl von Menschen korrespondierte, obgleich sie eine sehr unleserliche Handschrift und viel Ärger deshalb hatte! Auf dieser Veranda wurde im Sommer auch stets der Mokka nach dem Essen eingenommen, ebenso der Nachmittagstee. Fast täglich kamen dazu Gäste vom Lande aus der Nachbarschaft oder von den Kürassieren.“

Die Januschauer Nachbarn

„Einige unserer allernächsten Nachbarn waren die „Januschauer“. Januschau mit Brausen und Zollnick gehörte Herrn Ellard von Oldenburg, dem sehr bekannten konservativen Reichstagsabgeordneten, welcher, ebenso seine Frau, geb. Gräfin Kanitz, obgleich beide mehr als 20 Jahre jünger, sehr mit meinen Großeltern befreundet war. Kein Fest in Faulen, ohne dass die Januschauer dazu herüber kamen! Aber auch im täglichen Leben erschienen sie oft. Es gab ja immer etwas zu erzählen oder zu besprechen, oder auch nur, um vergnügt zusammen zu sein! So im Winter, wenn die sämtlichen Januschauer zum „Schlitt’chenfahren“ herüberkamen; den Berg vom Kutschstall herunter bis zur Chaussee – ein fröhliches und lärmendes Vergnügen, an dem sich selbst Papa und Herr von Oldenburg beteiligten!
Das Gut Januschau war ein sehr schöner, großer Besitz mit einem großen Herrenhaus mit zwei ausgebauten Stockwerken, einem vorspringenden Seitenflügel – alles bis oben hin mit Efeu bewachsen – mit sehr großen Räumen, die keine besonderen Kostbarkeiten aufwiesen und sehr gemütlich waren. Herrn von Oldenburg sehe ich vor mir: ein großer, schwerer Mann, wohlbeleibt und mit Spitzbart und immer lustigen Augen, stets laut und fröhlich lachend, mit einem Sack voller Geschichten, umringt von Menschen, die alle in Lachsalven ausbrachen. Seine sehr preußische Aussprache liegt mir noch im Ohr, sein herrlicher Humor war herzerfrischend für jeden. Herrn v...

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  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Start
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