Der Genosse
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Der Genosse

Roman

  1. 216 Seiten
  2. German
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Der Genosse

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Sie nennen ihn Pablo, weil er Gitarre spielt. Alle in der Osteria rühmen sein Talent, doch einst für Geld aufzutreten, hat Pablo keine Lust. Ebenso wenig sieht er seine Zukunft hinter der Theke des Tabakladens seiner Mutter. Lieber spannt er dem besten Freund, Amelio, der nach einem Motorradunfall als Krüppel weiterleben muss, die Freundin aus. Nur bekommt er es bald satt, das Spiel, das Linda mit ihm treibt, mitsamt den Tanzlokalen und Varietés – und macht sich aus Turin nach Rom davon, wo ihm langsam die Augen aufgehen. Seinem Instinkt folgend, stößt er auf Leute, die Flugblätter verteilen, und befindet sich plötzlich inmitten des Widerstands gegen ein alles beherrschendes System, der auch Amelio wieder auf den Plan ruft.Der Genosse ist der Roman einer Politisierung. Paveses spiegelt die lähmende Atmosphäre des italienischen Faschismus im Milieu der sogenannt kleinen Leute. Das Grundthema seines Schreibens, das "Handwerk des Lebens" aus dem belanglosen ins sinnvolle, wahrhaftige Dasein zu finden, setzt sich hier in ergreifender Weise fort.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783858698544

IX.

Er erkannte mich nicht und unterhielt sich mit dem Barmann. Erstaunt bemerkte ich, dass er nicht mehr so bucklig war, aber die Stimme war seine und auch die sprunghafte Art. Er war klein und hatte einen Hut auf.
Laut erzählte er, dass er von Katzen geträumt habe, und bewegte sich katzenhaft. Der Barmann lachte.
Linda kam herein und sah ihn nicht. »Weißt du, wer da an der Theke steht?«, sagte ich zu ihr.
»Oh, Carletto.« Sie blieb seelenruhig sitzen und sah wieder mich an.
»Schon eine halbe Stunde lang redet er von Katzen«, sagte ich. »Er hat geträumt, dass Turin voller Katzen war und weit und breit kein Mensch mehr, und um wegzukommen, musste man es den Katzen nachmachen und sich verstecken und über die Dächer abhauen.«
»Hast du nie solche Träume?«, fragte Linda.
»Vorgestern Nacht habe ich von Lilí geträumt.«
»Bravo.«
»Es war aber nicht Lilí. Sie ähnelte meiner Schwester Carlottina. Wir gingen auf der Straße. Sie vorneweg. Ich sagte mir: Wenn sie sich umdreht, sieht sie mich und läuft mir davon. Ich wusste, wenn sie sich umdrehte, würde ich Lilí sehen. Wir kamen an einigen Gassen vorbei, und ich fürchtete, auf einmal könnte dort jemand auftauchen. Dann rannte ich und Lilí rannte vor mir her und ich wusste, dass sie durch die Gassen ums Karree laufen und mich von hinten packen wollte …«
Doch Carletto hatte uns gesehen. Er kehrte der Theke den Rücken und eilte herüber. »Wie schön«, sagte Linda. Sie begrüßten sich freudig. Auch wir beide drückten einander die Hand.
»Seit zwei Tagen bin ich hier«, sagte Carletto, »und schon hat dieses Schwein mich versetzt. Wieder nichts mit Arbeiten.«
»Ist Dorina auch da?«, fragte Linda.
»Sie ist nach Rom zurück«, antwortete er. »So kann man nicht leben. Dort sind alle mit allen verwandt wie die Katzen.« Er schlug sich mit der Faust an die Stirn und dann auf den Tisch.
»Ach, deswegen habe ich von Katzen geträumt«, rief er aus. »Turin ist genau wie Rom.«
»Und was hast du mit Lilí gemacht?«, sagte Linda zu mir.
Ich fing wieder an. »Wir kamen ans Meer. Wir rannten. Sie fuhr mit dem Fahrrad auf dem Sand davon. Ich hob einen Stein auf und warf ihn, zielte von weitem auf ihren Kopf. Der Stein prallte am Kopf ab und sprang ins Wasser. Lilí fiel tot um.«
Carletto sagte: »So viel Wasser ist ein schlechtes Zeichen.«
»Wer liebt, tötet«, sagte Linda.
Diesen Traum so vor einem Dritten zu erzählen, behagte mir nicht. Man fühlt sich immer, wie wenn man sich nicht mehr an das Ende einer Geschichte erinnert oder einem die Gitarre nichts mehr sagt. Als entblößte man sich. Ich hätte ihn nur Linda ins Ohr flüstern sollen. Doch Linda witzelte darüber, nahm den Traum ernst und schnitt Lilí Grimassen.
Sie fragte mich: »Was hatte Lilí denn an?«
»Das weiß ich nicht.«
Hier grinste Carletto. »Ja, ja«, sagte Linda, »ihr habt zusammen geschlafen.«
»Hört schon auf«, sagte Carletto. »Weißt du, dass ich mich heute Nacht in den Po stürze?«
»Wie hast du denn Silvester verbracht?«
»Auf der Suche nach Lubrani, um ihn zu erwürgen. Nachdem ich so viele Leute auf die Straße gesetzt habe. Ich bin nicht so kaltblütig wie er. Wenn ich nach Genua zurückkomme, bringen sie mich um. Der Mistkerl, er hat mich weggelotst, um dieser Clari den Saal zu geben.«
»Quatsch«, sagt Linda. »Du gefällst dem Publikum. Das wissen alle.«
»Er offenbar nicht.«
Dann beruhigte Carletto sich und trällerte seine Melodien. Linda zündete ihre Zigarette an meiner an und sagte zu ihm: »Zeig uns mal was.«
Da spielte, sang und tanzte Carletto uns die Revue vor. Alles halblaut. Bei den albernsten Kleinigkeiten, bei den Einsätzen der Tänze tat er so, als würde er sie übergehen, und schnalzte mit den Fingern. Jeden Augenblick hatte er eine andere Stimme. Linda gackerte wie ein Huhn. Leute beobachteten uns. Noch nie hatte ich so einen Schauspieler gesehen. Selbst den Buckel nutzte er, er war der Souffleurkasten. Er mimte das Orchester. Spielte die Frauenrollen. Und hörte nicht auf, nebenbei zu rauchen.
Schließlich musste er selbst lachen. »Es nützt alles nichts«, sagte er zu Linda. »Jetzt ist die Truppe aufgelöst.«
»So ist es schöner als im Theater«, sagte ich zu ihm, »ich habe noch nie eine so ausdrucksvolle Revue gesehen.«
»Werdet ihr sie nicht auch in Turin aufführen?«, fragte Linda.
Carletto begann wieder zu fluchen. »Wenn ich Lubrani heute Abend nicht sehe«, sagte er zu uns, »stürze ich mich in den Po, Ehrenwort.«
Wir waren gleich draußen mit Lubrani verabredet, doch ich merkte, dass Linda es nicht erwähnen wollte. »Er hat mir an der Kasse ausrichten lassen, dass er heute Abend kommt«, sagte Carletto.
»Willst du mit uns essen?«, fragte Linda.
So aßen wir ein Ei pro Kopf, und Carletto sah sich nach allen Seiten um und sagte: »Früher war es aber heller hier.« Er rief dem Kellner zu: »Kannst du uns mal eine Kerze bringen?«
Dann sagte er zu mir: »Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie? Ach, du bist der, der Gitarre spielt? Hat Lubrani dich noch nicht gelinkt?«
»Ich arbeite als Mechaniker«, erwiderte ich. »Ich spiele nur mit dem Schraubenschlüssel.«
Linda lachte und schaute uns an. »Wenn du die Zeit, die du in der Werkstatt verplemperst, ernsthaft zum Spielen nutzen würdest, hättest du dir längst einen Namen gemacht.«
Carletto sagte: »Gar nicht dumm, der Junge. So einen Beruf hätte ich auch gern.«
»Ach was, sich einen Namen machen«, sagte ich zu ihr. »Man spielt gern für Leute, die einen kennen. Wenn man Geld dafür nimmt, was ist dann noch schön daran, kannst du mir das sagen?«
»Recht hast du«, sagte Carletto. »Du machst es genau richtig.«
Bald darauf war das Café ganz voll. In Kürze würde das Variété beginnen, und manche standen auf, andere kamen und gingen. Einige grüßten Carletto und wollten mit ihm reden. Er stellte sich mit ihnen an die Theke.
Linda sagte zu mir: »Komm, wir gehen.«
Ich wollte nicht.
»Los, gehen wir. Sollen sie ihre Geschäfte doch unter sich ausmachen.«
Sie flüsterte dem Kellner etwas zu, und wir brachen auf.
Zu Fuß stiegen wir zum Paradiso hinauf. »Lubrani wird schon kommen, wenn er Lust hat«, sagte sie. »Wir tanzen.«
Am späteren Abend erschien Lubrani mit Carletto. Sie wirkten friedlich, und Lubrani war gut gelaunt. »Schluss mit Tanzen, ihr zwei«, sagte er. »Jetzt wird gefeiert.« Er ließ kalte Platten und Rotwein bringen. »Ihr habt heute nicht zu Abend gegessen«, sagte er zu uns. »Wollt ihr mir Carletto verhungern lassen?« Carletto drohte Linda mit der Hand. So ohne Mantel, wie er jetzt war, stand der Buckel wieder vor. Ab und zu klopfte Lubrani ihm auf die Schulter, wir aßen, lachten, und Carletto führte erneut seine Revue vor. »Pablo, dir fehlt die Gitarre«, sagten sie. Dann irgendwann, ich weiß nicht, wie, saß Lilí mit am Tisch.
Ich wusste schon alles und trank wie blöd. Linda sagte mir, dass sie am nächsten Tag verreisen würde. Ich begriff, dass sie Carletto so behandelte, wie sie auch mich behandelt hatte. Nach und nach verstummte ich und ließ sie sich austoben. Ja, ich hatte nur noch Lust, allein zu sein.
Ich weiß nicht mehr, was ich sagte und tat. Ich war halb betrunken und tanzte mit Lilí. Tanzte mit Linda. Es wurde spät, es wurde fast Morgen. Als das Auto auf der Piazza Castello anhielt, war ich schon dabei, mich dicht an den Säulen davonzuschleichen, aber sie sahen es und sagten: »Pablo.«
Bei Lubrani kam mein Rausch, der verflogen war, zurück. Wir mussten Likör trinken, und Carletto sprang herum und grölte; wir saßen auf dem Boden. Wir drehten das Licht ab, um im Dunkeln zu sein, doch durch die Fensterscheiben ahnte man schon den Nebel und den Schnee auf den Dächern. Alle wussten, dass Linda verreiste, und sagten, man müsse sie feiern und auf sie anstoßen.
Ich fragte Linda: »Gehst du nicht mehr schlafen?«
»Um diese Zeit?«
Wir liefen durch die Wohnung auf der Suche nach Kaffee, Mandarinen, Likör. Es herrschte das fahle graue Licht des frühen Morgens; die Lampen wieder einzuschalten, hatte keinen Sinn; alle waren wir bleich wie Schnee, und endlich hielt auch Carletto inne. Er setzte sich auf ein Bett und sagte: »Ich schlafe hier.«
»Willst du Lubrani mit den Mädchen allein lassen?«, fragte ich.
»Mit Lilí? Die ist nicht übel.«
Es war Morgen, und ich war müde. Lilí wollte gehen; die Hunde warteten auf sie. Linda war im Bad und Lubrani kochte Kaffee. Ich sagte zu Lilí, sie solle einfach unauffällig verschwinden.
Als ich allein im Zimmer stand, merkte ich, dass es war, als sei Linda schon fort. Da konnte ich ja genauso gut nach Hause gehen. Ich fragte sie durch die Tür, ob sie mitkäme. Sie wurde wütend und antwortete: »Schluss jetzt!« Ich fühlte, wie meine Stimme zitterte, und sagte Sachen, die nicht dem entsprachen, was ich dachte. Eines wusste ich. Ich war bereits allein und Linda auf ihrer Reise.
Mittags gingen wir alle zusammen hinunter. Als wir das Café verließen, sagte Linda: »Mach’s gut«, und gab mir die Hand. »Auf Wiedersehen«, und weg war ich. Sie blieb mit Lubrani und Carletto dort stehen.
So begannen diese sechs Tage allein. Ich wusste nur, dass sie nach Mailand gefahren war. Drei Tage lang war ich immer zu Haus oder in der Werkstatt. Diesmal hatte es keinen Sinn, zur Gitarre zu greifen. Beim Spielen dachte ich an was ganz anderes. Ich stand im Laden, starrte auf die Tür und stellte mir vor, gleich werde Linda hereinkommen. Im Café suchte ich nach Milo, doch er war nicht da. Einen Abend verbrachte ich mit M...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Kapitel I
  6. Kapitel II
  7. Kapitel III
  8. Kapitel IV
  9. Kapitel V
  10. Kapitel VI
  11. Kapitel VII
  12. Kapitel VIII
  13. Kapitel IX
  14. Kapitel X
  15. Kapitel XI
  16. Kapitel XII
  17. Kapitel XIII
  18. Kapitel XIV
  19. Kapitel XV
  20. Kapitel XVI
  21. Kapitel XVII
  22. Kapitel XVIII
  23. Kapitel XIX
  24. Kapitel XX
  25. Kapitel XXI
  26. Kapitel XXII
  27. CESARE PAVESE AUSGEWÄHLTE DATEN ZU LEBEN UND WERK