Viermalige Reise durch das nördliche Eismeer
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Viermalige Reise durch das nördliche Eismeer

auf der Brigg Nowaja Semlja in den Jahren 1821 - 1824

  1. 448 Seiten
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Viermalige Reise durch das nördliche Eismeer

auf der Brigg Nowaja Semlja in den Jahren 1821 - 1824

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"Von allen Seiten umgaben uns Kolosse von Eis, welche wie böse Vorbedeutungen durch die Finsternis schimmerten. Friedrich LitkeVier Mal bricht Litke, trotz hindernder Eismassen, von Archangelsk in das nördliche Eismeer auf, um die Doppelinsel Nowaja Semlja zu erkunden, auf der einst Willem Barents überwinterte. Nach seiner Teilnahme an Wassili Golownins Weltumseglung (1817-1819) überträgt Zar Alexander I. ihm damit im Jahre 1821 seine erste eigene Expedition. In seinen vier Anläufen erkundet er das Weiße Meer und die Küste Russisch-Lapplands, umfährt das bis dahin noch weitgehend unbekannte Süd- und Ostufer Nowaja Semljas und bestimmt die Lage der Waigatsch-Straße und der Insel Kolgujew. Lediglich die Versuche zum Nordufer der Insel vorzudringen, bleiben aufgrund der dichten Eismassen erfolglos - die Meerenge zur Karasee ist zugefroren. Litke fertigt auf seiner Expedition bedeutende Karten dieses Meeresraumes an, die über ein halbes Jahrhundert maßgeblich sein werden!

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ERSTES KAPITEL

EINLEITUNG

KRITISCHE ÜBERSICHT DER REISEN NACH NOWAJA SEMLJA UND DEN IHR NAH GELEGENEN KÜSTEN, BIS ZUM JAHRE 1820 – DAMALIGER ZUSTAND DER KARTEN

Sehr viele der wichtigsten geographischen Entdeckungen verdanken wir dem Zufall. Ein normannischer Seeräuber gab die erste Kunde von Island, als ihn Stürme von seinem Wege verschlugen3; ebenso entdeckte Kolumbus den neuen Erdteil, indem er den kürzesten Seeweg nach Ostindien suchte; dann wurden seine nächsten Nachfolger, für gleiche Absicht, durch Auffindung der Insel-Archipele des Großen Ozeans belohnt, während die Seefahrer, welche ebendahin auf nördlichstem Weg zu gelangen versuchten, nach Spitzbergen, und andere endlich, bei beabsichtigtem Nordost-Durchgang, nach Nowaja Semlja, der größten Insel des Nördlichen Eismeers gelangten.
Als Epoche der Entdeckung von Nowaja Semlja rechne ich übrigens hier die Zeit, in welcher davon erste glaubwürdige Kunde zu den schon damals gebildeteren Nationen Europas gelangte, obgleich, im weiteren und eigentlichen Sinne, die Ehre der Auffindung ohne Zweifel den Russen gebührt, welche die Landschaften an der Dwina bewohnten. Schon die jetzige und niemals bestrittene Benennung dieser Insel spricht hinreichend für diese Ansicht, denn höchst auffallend wäre es sonst, dass es keinem der Seefahrer des 16. und 17. Jahrhunderts einfiel dieselbe umzutaufen, während sie doch die Leidenschaft, ihre Namen schon früher entdeckten und bezeichneten Ländern beizulegen, gar häufig betätigten, namentlich aber an den Küsten des Kontinentes und den Inseln, welche Nowaja Semlja umgeben. Von dieser selbst aber sprechen schon die ersten Reisenden nur als von einem viel besagten Gegenstand; auch fanden sie wirklich auf deren äußersten nördlichen Ufern Kreuze mit slawischen Inschriften, Ruinen von Wohnungen und manches Ähnliche. Die russischen Segler, denen sie oft während ihrer Fahrten begegneten, zeigten ihnen den Weg und gaben wichtige Anleitungen, sodass wohl endlich aus diesem allen hinreichend hervorgeht, wie schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts alle Küsten des Nördlichen Eismeers den Russen ausführlich bekannt waren, und wie diese daher, ohne Zweifel schon um einige Jahrhunderte früher, jene Gewässer zu befahren begannen.
Auf genauere Festsetzung des Anfangs dieser Schifffahrt der Russen und des Zeitpunktes ihrer ersten Bekanntschaft mit Nowaja Semlja werden wir dennoch wohl auf immer zu verzichten haben, und zwar aus sehr natürlichen Gründen. Auch heute noch rühmen wir uns nur sehr weniger Schriftsteller, welche der Nachwelt von wichtigen Privatunternehmungen ihrer Landsleute und Zeitgenossen und von deren Erfolgen berichten: Ein Hakluyt ist auch noch jetzt in unserem Vaterland selten.4 Wie vielmehr nicht in jenen kulturlosen Zeiten, welche dem 16. Jahrhundert vorhergingen und in denen sogar die Schreibekunst nichts weniger als allgemein verbreitet war? Sicher würde die Geschichte der ersten russischen Unternehmungen im Eismeer und der allmählichen Auffindung der Küstenorte, welche es bespült, uns von Taten zu berichten haben, die denen der Normannen an Merkwürdigkeit nicht nachständen; – aber aus jener Zeit sind uns weder Denkmale noch Überlieferungen irgendwelcher Art geblieben, und kaum gibt es hinreichende Materialien, um darüber einigermaßen wahrscheinliche Konjekturen zu begründen.
Unsere Chronikenschreiber berichten, dass die Bewohner der Landstriche zwischen Dwina und Petschora, welche Nestor mit dem Namen Sawolozkaja Tschud (der Fremdenstamm jenseits der Wasserscheide) belegt, schon in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts den Nowgoroder Slawen tributpflichtig waren.5 Im Verlauf der Zeiten ließen sich allmählich diese erfolgreichen Eroberer in den unterworfenen Gegenden nieder, sie verbreiteten daselbst mit dem christlichen Glauben auch ihre Sprache und Sitte, sodass bald der Charakter der Urbewohner fast gänzlich verschwand. Erinnerungen an jenen ursprünglichen Zustand finden wir nur noch in der Benennung einiger Flüsse und anderer Lokalitäten.6 Wann aber unter den Nowgorodern diese Auswanderungen in den höheren Norden begannen, hat man bis jetzt ebenso wenig ergründet, wie so viele andere Umstände aus der mittleren Geschichte derselben. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts scheint noch niemand von ihnen an der Dwina gelebt zu haben, denn der verdiente norwegische Reisende Oter oder Ochter7, welcher ungefähr um dieselbe Zeit die Mündung jener Flüsse erreichte, fand dort ein Volk, welches sich derselben Sprache wie die Finnländer bedienten: Die Slawen aber werden von ihm durchaus nicht erwähnt. Es ist äußerst bedauernswert, dass jener unternehmende Normanne die imposante Volksmenge der Bjarmen allzu sehr fürchtete und es daher nicht wagte, ihre Küste zu betreten: Denn sicher wäre er imstande gewesen, über die damaligen Beziehungen dieses Volks zu den Nowgoroder Slawen zu berichten. – Anderweitig ist es übrigens wahrscheinlich, dass die Einwanderungen dieser Letzteren in die Dwinagegend zugleich mit der Ankunft und mit dem Emporkommen des warägischen Fürstenstammes in Russland begannen. Die Nowgoroder beriefen diese fremden Herrscher nur, damit sie in ihrem Vaterland innere Unruhen beschwichtigten und es vor äußeren Feinden kräftiger sicherten. Durch Charakter und Gewohnheit zu aufrührerischen Bewegungen geneigt, verlangten sie nach Beschützern, aber keineswegs nach Herrschern, und, nach langer Gewöhnung an eigenmächtige Freiheit, konnten sie sich nicht mit Rjuriks Verfassung befreunden, welche zum ersten Male Unterwürfigkeit verlangte: noch unerträglicher aber erschien ihrer Eigenliebe der Vorzug, welchen die fremden Herrscher den mit ihnen eingewanderten vornehmen Vasallen erteilten. Der Aufruhr wurde genährt, und um ihn zu beschwichtigen schritt man zu Hinrichtungen und schwerer Ächtung, von denen dann Flucht und Auswanderung notwendige Folgen wurden. Die dwinische Landschaft, die, bei Überfluss an kostbaren Pelzwaren, nur von einem friedlichen Stamme bewohnt wurde, bot nun der Tätigkeit und dem rastlos unruhigen Geiste unserer Republikaner ein weites Feld. Die glücklichen Erfolge der Ersten, welche die Sucht nach Abenteuer in jene Gegend trieb, und der Ruf von den Reichtümern, welche sie dort erwarben, musste bald auch bei den Übrigen die angeborene Leidenschaft zu bewaffnetem Wanderleben wieder erwecken8, und ihnen den Gehorsam, welchen nun, wider jedes ursprüngliche Abkommen, auch die Statthalter der Fürsten verlangten, weit unerträglicher darstellen. Zum Kriege weder geübt noch geschickt wurden die Sawolozkischen Fremden eine leichte Beute für die unternehmenden Nowgoroder, von denen nun viele Begüterte und Ausgezeichnete sich ansiedelten, um über das unterworfene Volk und dessen Ländereien nach den Gesetzen und Herkömmlichkeiten ihres Vaterlandes zu herrschen, — die Ärmeren unter ihnen, und die, welchen kein Recht an dem Grundbesitze zustand, mussten ihre Wanderungen noch weiter fortsetzen, und folgten dem Wasserlaufe stromabwärts bis zum Meere. So entfernt nun auch ihre ursprünglichen Wohnorte von den Küsten gewesen waren, so konnten sie doch von nun an sehr schnell zum Bau und zur Lenkung von Seeschiffen die erforderlichen Kenntnisse erwerben: teils durch Verbindungen mit den Warägern, welche Stammverwandtschaft an die Normannen, die ausgezeichnetsten Seefahrer des Mittelalters, band; teils durch unmittelbaren Verkehr mit diesen Letzteren, welche nach Ochters Beispiel die Küsten von Bjarmaland nicht selten besuchten.9
Das auf den Werften nötige Holz fanden sie im Überfluss, längs der Flüsse welche in den Nördlichen Ozean münden. Das Meer, mit seinem Reichtum an Fischen und anderen jagdbaren Tieren, erregte Wissbegierde und Gewinnsucht und lockte so dringend zur Schifffahrt, dass die Unternehmungssucht der Einwanderer unmöglich widerstehen konnte.
Höchstwahrscheinlich war dieser der Verlauf eines Ereignisses, welches der dwinischen Landschaft ein durchaus neues Ansehen erteilte und welches die Russen mit dem Nordmeer bekannt machte. Zu Anfang des 12. Jahrhunderts bestand bereits an der Mündung der Dwina das Sawolozker Kloster des Erzengels (Archangel) Michael, woraus deutlich hervorgeht, dass der dwinische Küstenstrich bereits im 11. Jahrhundert von Russen bevölkert ward, und dass auch schon damals ihre Schifffahrten auf dem Nordmeer begannen. Wie weit aber dieselben in den einzelnen Perioden jenes Zeitalters sich erstreckten, bleibt gänzlich unbestimmt. Die Chroniken lassen uns hierüber durchaus hilflos, obgleich durch deren dunkle und unbestimmte Andeutungen einige Schriftsteller beweisen wollen, dass schon im 11. Jahrhundert den Nowgorodern ein Weg nach Nowaja Semlja bekannt war.
In den russischen Chroniken wird ein Feldzug der Nowgoroder erwähnt, durch welchen sie, unter dem Großfürsten Jaroslaw, jenseits der eisernen Pforten gelangten.10 Der Historiograph Müller behauptet in seinen geschichtlichen Abhandlungen, dass man unter dieser Benennung nicht etwa die Kaspischen eisernen Pforten (Derbent) zu verstehen habe, welche den Nowgorodern allzu entfernt lagen, sondern vielmehr die Werchoturische oder Uralische Gebirgskette, welche früher die Jugrische genannt wurde, und er schloss, dass vielleicht mit jenem Feldzuge die Unterwerfung von Permien und Jugrien begann.11 Diese Meinung wird indessen von Hrn. Krestinin, dem Verfasser der Entstehungsgeschichte des dwinischen Volkes, nicht gebilligt. Dieser setzt vielmehr voraus, dass wohl die Straße zwischen Waigatsch und Nowaja Semlja den Namen der eisernen Pforten führe, und die bezeichnete Stelle der Chroniken auf diese Durchfahrt beziehend, schließt er daher, dass die Nowgoroder schon im 11. Jahrhundert Nowaja Semlja kannten.12 Mir scheint diese Meinung nicht hinreichend begründet. Zuerst deswegen, weil jene Durchfahrt nicht eiserne, sondern Karische Pforte, oder auch wohl bloß die Pforten genannt wird, denn so berichteten mir einstimmig unsere Nowasemlischen Seefahrer, welche ich angelegentlich deshalb befragt habe. So unveränderlich werden aber in jener Gegend die einmalgegebenen Benennungen noch den spätesten Nachkommen überliefert, dass ich mich überzeugt halte, auch die hier in Rede stehende stamme aus dem höchsten Altertume.
Dasselbe beweisen sodann auch die von Hrn. Krestinin selbst gesammelten Nachrichten, denn überall, wo er die Aussagen unserer Schiffer wörtlich aufführt, wird jene Straße nur die Pforten genannt, und es scheint fast, als habe ihn gerade nur die fragliche Stelle der Chroniken veranlasst, das Beiwort der eisernen zu supplieren.13 In der Tat gibt es eine Straße dieses Namens bei Nowaja Semlja, aber sie liegt weiter gegen Nordwesten. Außerdem auch, selbst wenn man voraussetzt, dass jene zuerst erwähnte Örtlichkeit im 11. Jahrhundert wirklich die eisernen Pforten genannt wurde, so bliebe es dennoch sehr zweifelhaft und fast unwahrscheinlich, dass die Annalisten sich auf jene beziehen, denn höchst auffallend wäre es, dass sie ein so bedeutendes Unternehmen ihrer Landsleute so außerordentlich kurz behandelten, und sogar nicht ein Mal berichteten, ob dasselbe zu Lande oder auf Schiffen ausgeführt worden? in welches Land man jenseits jener eisernen Pforten gelangt sei? und weshalb man sich dahin begeben habe? – Im Weißen Meer finden wir jene Benennung für zwei Straßen üblich, von denen die eine zwischen der Nordspitze der Mudiujskischen Insel und der Küste des Festlandes, die andere zwischen der Solowezker und Muksalmer Insel liegen. Mir scheint es glaublicher, dass die Nowgoroder, welche sich um jene Zeit an der Dwinamündung niederließen, zur Unterwerfung der Anwohner des Weißen Meeres Streifzüge unternommen und dabei eine dieser letzteren Straßen überschritten haben, sodass dann auch die Stelle der Chroniken nur auf diese zu deuten wäre.
Da nun also ein gänzlicher Mangel an Kunde über die ersten Reisen der Russen im Nördlichen Eismeer in den Chroniken herrscht, so würden wir auch vergebens hoffen, in ihnen eine nähere Aufklärung der im dwinischen Kreise gangbaren Überlieferung zu finden: dass die Nowgoroder dereinst auf Nowaja Semlja Silber gewonnen haben. Diese Sage, welche zu Ende des vorigen Jahrhunderts durch Hrn. Krestinin bekannt wurde14, und welche dann noch in der neuesten Zeit eine Expedition veranlasste, die wir unten näher zu erwähnen haben, gründet sich aber weder auf irgendein echt historisches Denkmal noch auch vielleicht überhaupt auf einen reellen Beweisgrund. Die Wichtigkeit neu entdeckter Erzanbrüche musste in jenen Zeiten, wo man noch weit ärmer an edlen Metallen war, noch ungleich höher sein als jetzt. Sicher hätte die Nowgoroder Regierung an der Bearbeitung derselben teilgenommen, umso mehr da eine solche in jener unbewohnten und jenseits des Meeres gelegenen Gegend nicht ohne bedeutende Beschwerden und erheblichen Kostenaufwand gelingen konnte; es hätte einer großen Menge von Schiffen bedurft, und deren Absendung hätte allgemeines Aufsehen erregt; eine einmalige Unternehmung dieser Art hätte wohl auch zur Nachahmung aufgefordert und wäre jedenfalls mit vielen anderen bürgerlichen Angelegenheiten in sichtbare Verbindung getreten. Wie könnte man also erklären, da derselben weder in irgendeiner Chronik noch auch in irgendeiner Nowgoroder Befehls- oder Verordnungsschrift, oder von einem gleichzeitigen Historiker erwähnt wird15, dass keiner der Reisenden, welche Nowaja Semlja im 16. Jahrhundert besuchten, davon Kunde erhielt!! –
Auch auf Nowaja Semlja selbst sind keine diesbezüglichen Spuren hinterblieben. Herr Krestinin deutet an, dass unsere Seefahrer auch noch heutigentags die Stellen kennen, an denen Silber in Gestalt eines Anfluges an der Erdoberfläche sich zeige16, aber dass sie wegen gewisser Verbote dasselbe nicht ausbeuten. Man weiß aber nichts von solchem Verbote, und selbst wenn es wirklich dergleichen gäbe, die man geheim gehalten hätte, so würden Leute, welche für höchst mäßigen Gewinn ihr Leben stündlich aufs Spiel setzen, sich schwerlich durch die Furcht vor einem Prozesse von dem Streben nach bedeutenden Reichtümern zurückhalten lassen. Zur Bekräftigung der Sage führt man den Namen der Silberbucht an, aber es konnte ja ebenso wohl dieser durch jene entstehen, als umgekehrt. Auch sind unsere Seefahrer im Allgemeinen nicht sehr vorsichtig in der Wahl topographischer Benennungen: So gibt es an der lappländischen Küste eine Bucht, welche die Goldene genannt wird, weil sie von (gelben) Sandufern umgeben ist. Ein ähnlicher Umstand konnte auch der Silbernen Bucht ihren Namen verleihen. Die weiteren Sagen der redseligen Seeleute sind aber ebenso wenig überzeugend, denn immer wiederholen sie durchaus unkritisch alles Gehörte, es ist ihnen eigen, alles Glänzende für Gold zu nehmen; für das Geheimnisvolle und für Übertreibungen haben sie eine ausgezeichnete Leidenschaft, und gern erregen sie Bewunderung durch Erzählungen von den Reichtümern der besuchten Gegenden; weil ein ähnlicher Hang zu allen Zeiten und in allen Ländern gleichartige Sagen veranlasste, so sehen wir nun die amerikanische Fabel von dem Dorado auch auf unserem Nowaja Semlja sich wiederholen.
Obgleich also kein einziger direkter Beweis dafür spricht, dass Nowaja Semlja schon in den mittleren Jahrhunderten von unseren Landsleuten entdeckt war: so bleibt doch kein Zweifel über diesen Punkt, wenn man die Schriftsteller und Reisenden anderer Völker liest, und noch zu unserer Zeit geschieht es ja leider gar nicht selten, dass wir vaterländische Entdeckungen zuerst aus dem Ausland vernehmen!
Mauro Urbino, ein italienischer Schriftsteller aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, erzählt folgendermaßen: ›Nach der Versicherung von Wagries haben die Russen vor 107 Jahren von Bjarmaland aus eine bis dahin unbekannte Insel entdeckt, welche von einem slawischen Volk bewohnt wird. Nach dem Bericht von Philipp Kallimach an Papst Innozenz VIII. ist sie ewigem Frost unterworfen. Man nannte diese Insel Philopodia, sie übertrifft Zypern an Größe und wird auf den Karten unter dem Namen Nowaja Semlja angedeutet.‹17 Hier haben wir also eine direkte Aussage, dass Nowaja Semlja schon im Anfang des 16. Jahrhunderts nicht nur entdeckt, sondern auch durch Slawen bevölkert war. Man kann mit Recht sowohl an diesem letzteren Umstand zweifeln als auch daran, dass die Russen jemals Nowaja Semlja durch Philopodia bezeichnet haben. Beides möchte wohl für allmähliche Hinzufügungen durch spätere Überlieferer dieser Nachricht zu halten sein, jedenfalls aber sieht man, dass auch fremde Schriftsteller die Entdeckung von Nowaja Semlja den Russen zuschreiben. Noch andere positive Bestätigung der in Rede stehenden Tatsache habe ich nicht auffinden können. –
Die Reisen, welche in Europa die Kunde von Nowaja Semlja verbreiteten, hatten, wie schon oben angedeutet, die Auffindung eines näheren Seewegs nach Ostindien zum Hauptgegenstand.
Die wichtigen Entdeckungen, welche den Spaniern und Portugiesen zu Ende des 15. Jahrhunderts gelangen, die großen Reichtümer, die daraus erwuchsen und sich von Osten her über Portugal, von Westen aber über Spanien verbreiteten, erregten auch andere seefahrende und Handel treibende Nationen zum Wetteifer; um aber diesem zu genügen, schien die Auffindung eines neuen und näheren Weges nach China, Japan und den Gewürzinseln das einzige Mittel. Die Briten, welche sich zu allen Zeiten durch Unternehmungsgeist und Beharrlichkeit auszeichneten, erschienen zuerst auf dieser neuen Laufbahn. Nach einigen vergeblichen Versuchen im Nordwesten von Europa beschlossen sie, den gewünschten Weg im Nordosten zu suchen.

1553. WILLOUGHBY

Sebastian Cabot, der durch eigene Reisen und Entdeckungen bereits berühmt und zur Würde eines Großsteuermanns von England (grand pilo...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Zum Buch
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Inhalt
  7. Einführung von Claudia Weiss
  8. Vorwort des Übersetzers A. Erman
  9. ERSTES KAPITEL Einleitung
  10. ZWEITES KAPITEL Erste Reise der Brigg Nowaja Semlja, 1821
  11. DRITTES KAPITEL Zweite Fahrt der Brigg Nowaja Semlja im Jahr 1822
  12. VIERTES KAPITEL Dritte Fahrt der Brigg Nowaja Semlja im Jahr 1823
  13. FÜNFTES KAPITEL Vierte Fahrt der Brigg Nowaja Semlja im Jahr 1824
  14. Kontakt zum Verlag