XXII.
Es war Großvaters Wille gewesen, dass Kees mit zur Beerdigung kam, und er hatte es getan. Wenn er gewollt hätte, hätte er trotzdem zu Hause bleiben können, denn seine Mutter hatte so seltsam geguckt, als Opa davon anf ing. Aber ihn plagte die Angst, ob er auch alles so machen würde, wie es zu sein hatte, und wegen dieser Angst schämte er sich und hatte auch keinen Versuch gewagt, sich der Angelegenheit zu entziehen.
Sie waren zu viert in der Trauerkutsche gefahren: Großvater, Onkel Dirk und Vetter Breman mit Seidenzylinder und schwarzen Handschuhen, und er, Kees, in seinen normalen Sachen, weil er ja noch ein Junge war.
Onkel Dirk hätte die Vorhänge gern offengelassen; Großvater war es gleich, aber Vetter Breman hatte sehr entschieden erklärt, dass das unmöglich sei; hin zum Friedhof müssten die Vorhänge herabgelassen sein, das gehöre sich nun mal so. Wie gut, dass Vetter Breman mit war, hatte Kees gedacht; der wusste zum Glück genau, wie Beerdigen ging . . .
Weiter hatten sie stumm in der Dunkelheit gesessen, nur Opa hatte ein bisschen geweint; die Kutsche fuhr langsam, ab und zu war sicher ein Loch in der Straße, denn dann wurden sie arg durchgerüttelt.
Auf dem Friedhof hatte es die ganze Zeit geregnet; außer dem Bestatter und den Sargträgern war sonst niemand da. Als sie den Sarg herabließen, nahmen alle den Hut ab; er, Kees, seine Mütze. Und er setzte die Mütze erst wieder auf, nachdem alle ihren Hut aufhatten; der Bestatter, der sich um alles kümmerte, sagte ein paar unverständliche Worte. Dann war unerwartet Nachbar Peters zwischen den Bäumen hervorgekommen und hatte auch noch zugeschaut. Er hatte Großvater und Onkel Dirk die Hand gedrückt, und das hatte sie beide zum Weinen gebracht, und ihn, Kees, auch.
Aber Vetter Breman war zum Glück tapfer gewesen und hatte sie weitergeschoben, dorthin, wo die Kutsche wartete. Durch die baumbestandenen Wege sahen sie die Sargträger schon unter ihren Regenschirmen davongehen; nur der Bestatter half ihnen noch in die Kutsche, und bevor er die Tür schloss, nahm er kurz seinen Hut ab.
Sie waren weggefahren.
»Zieh jetzt in Gottes Namen die Vorhänge hoch«, hatte Onkel Dirk gesagt.
Und dann war Vetter Breman einverstanden gewesen, und sie saßen wenigstens nicht mehr so im Dunkeln.
Die Kutsche fuhr jetzt schnell; sie holten erst den Bestatter ein, der nahm wieder seinen Hut ab, und Opa sagte laut: »Tschüs, Kruit«, gerade so, als ob der es hätte hören können.
Im Plantage-Viertel holten sie mehrmals einige der Sargträger ein, aber die taten so, als ob sie die Kutsche nicht sähen, und nicht einer von ihnen grüßte. Dachten sicher: Seht doch zu, wo ihr bleibt, ab jetzt haben wir nichts mehr mit euch zu schaffen.
Durch das Fahren auf dem Pf laster machte die Kutsche einen lebhaften Lärm, und die Türfenster klapperten arg; und Kees kam es vor, als würde er durch den ganzen Krach hindurch eine Drehorgel spielen hören.
Zuerst dachte er, dass es wirklich so war, dass da im Regen tatsächlich irgendwo noch eine Orgel stand und spielte; aber es blieb den ganzen Weg so, und das konnte nicht sein. Bei einem Stück hölzerner Fahrbahn hörte der Lärm plötzlich auf, hörte man nur das Traben der Pferde – dann kamen sie wieder auf das Steinpf laster und der Krach in der Kutsche f ing wieder an. Und abermals hörte Kees ganz deutlich hindurch eine fröhliche Drehorgel. Er fand das eigentlich schändlich von sich, dass er nach einer Beerdigung fast schon mitsummte, so deutlich hörte er die Musik. Er musterte seinen Großvater, der ihm gegenübersaß, mit merkwürdig starrem Blick; der alte Mann hatte seinen Hut auf dem Schoß und die Hände darum gelegt; als er Kees’ Blick bemerkte, schüttelte er den Kopf und betrachtete die Regenspritzer auf dem Türfenster.
Kees schaute zu Onkel Dirk. Der hatte seinen Zylinder noch auf und bot damit einen sehr eigentümlichen Anblick. Er hatte sein Taschentuch in der einen Hand, mit der anderen hielt er sich an einer schwarzen Schlaufe fest, die neben dem Türfenster hing.
Vetter Breman begann zu reden, etwas schreiend für so eine kleine Kabine, aber das war natürlich wegen des Lärms.
»Mit dieser Versicherung hat Bakels damals doch recht gehabt !«
Großvater nickte.
»Ich erinnere mich aber noch, dass du das für eine Verrücktheit hieltest !«
Großvater brummte irgendwas.
»Ich will ja nicht behaupten, dass es jetzt eine Lösung wäre, aber so ganz ohne hinterlässt er seinen Haushalt doch auch nicht !«
Großvater zuckte mit den Schultern und antwortete etwas, das Kees nicht verstehen konnte.
Und jetzt wurde es völlig verrückt: Es schien, halb übertönt von dem Fahrtenlärm, als würde Onkel Dirk vor sich hin summen. Konnte natürlich nicht sein, aber haargenau so schien es: Die Orgel spielte, und irgendwer summte mit ihr mit.
Jetzt musterte Kees Onkel Dirk. Und ganz zufällig schaute der Onkel ihn an und putzte sich anschließend fürchterlich laut die Nase; es war, als hätte er sich erschrocken.
Aha, dachte Kees, dann stimmt es vielleicht doch, dann hört er auch diese Drehorgelmusik in der Ferne und versucht, unbemerkt mitzusingen, und denkt: Durch den ganzen Lärm bekommen sie das ja doch nicht mit. Also, wenn das stimmt, dann ist es eine Schande. In einer Trauerkutsche, wenn man von einer Beerdigung kommt . . . Er würde ab jetzt gut aufpassen, um ihn zu erwischen – und wenn es so war, dann würde er Onkel Dirk auf ewig böse sein. »Nanu«, würde Mama fragen, »was bist du denn so steif gegenüber deinem Onkel, du behandelst ihn ja wie Luft, wieso eigentlich ?« »Der ?«, würde er sagen, »dieser Kerl ? Weißt du, was der fertiggebracht hat ? Auf dem Rückweg vom Beerdigen hat er in der Kutsche gesungen, ich habe es durch den Lärm hindurch deutlich gehört . . .«
Jetzt wurde es noch verrückter: Jetzt schien es gar, als würden sie alle vier brummend mit dieser Orgel mitsingen . . . er selbst auch, das erschreckte ihn. Er hatte sich doch nicht zeitweise vertan und wirklich bei dieser Musik mitgemacht ? Schaute Opa ihn nicht argwöhnisch an ? Er wurde rot; wie schändlich würden sie das wohl f inden ! Er musste etwas sagen, er musste reden, um ihnen zu beweisen, dass sie falsch gehört hatten, dass es ihre Einbildung gewesen war.
»Opa ?«, sagte er.
Aber Opa reagierte nicht; niemand schien ihn gehört zu haben.
Die Kutsche sauste um eine Ecke, der Lärm klang anders, sie fuhren jetzt auf einem anderen Pf laster. Kees schaute durch das Fenster; das war jetzt fast ganz blind vom Regen; trotzdem sah er, dass sie durch ihre eigene Straße fuhren.
Die Kutsche hielt an; sie waren da.
Sie kamen zu viert in das halbdunkle Geschäft.
»Muss jetzt gleich der Ladenvorhang auf ?«, fragte Opa, der zögernd stehen geblieben war.
»Nein«, sagte Onkel Dirk fast f lehend.
»Nun ja«, antwortete Vetter Breman. »Faktisch ginge es. Aber ich würde es nicht tun, ich würde den morgigen Tag abwarten und dann wie gewohnt öffnen. Aber zwingend ist es nicht.«
»Dann warten wir heute noch damit«, sagte Opa und ging nach hinten durch.
Die Stube wirkte fast fröhlich mit all den Leuten und dem mit Tellern und Tassen und einem Stapel belegter Brötchen beladenen Tisch; Fräulein Dubois und Oma und Tante Jeanne saßen nicht weit davon; Mama stand da und schaute hinaus in den Garten, Truus an sich gedrückt und Tom auf der anderen Seite an der Hand. Es sah aus wie ein normaler größerer Besuch – aber niemand sagte etwas.
Kees blieb ängstlich hinter den drei Männern und wartete. Wussten die auch nicht, wie man sich jetzt zu geben hatte, selbst Vetter Breman nicht ?
Fräulein Smit kam aus der Küche und fragte f lüsternd: »Soll ich eine Tasse Kaffee einschenken ?«
»Bitte, j...