1 Teiletherapie-Konzepte
Allen Teiletherapie-Konzepten liegt die Idee der »Multiplizität« zugrunde.
Die wesentlichen und bekanntesten Therapieschulen sind:
•die hypnosystemische Therapie (Gunther Schmidt),
•die Systemische Therapie mit der Inneren Familie (IFS) (Richard Schwartz),
•die Ego-State-Therapie (John und Helen Watkins),
•die Transaktionsanalyse (Erik Berne) und
•die Schematherapie (Jeffrey Young).
Daneben finden sich Anklänge an das Teilemodell bei Vertretern der Palo-Alto-Gruppe, wie der Familientherapeutin Virginia Satir, dem Gestalttherapeuten Fritz Perls und den Neurolinguisten Richard Bandler und John Grinder.
Das von Sigmund Freud entwickelte Instanzenmodell der Psyche mit Es, Ich und Über-Ich ist, wenn man so will, auch ein erstes modernes Konzept innerer Anteile. Die theoretische Weiterentwicklung der Psychoanalyse zur Objektbeziehungstheorie durch die sog. »britische Schule« in der Mitte des letzten Jahrhunderts beschäftigte sich mit der Introjektion und Identifikation von Erfahrungen mit äußeren Objekten und beschrieb diese Form der Verinnerlichung als prägend für internale Strukturen eines Menschen (= Objektrepräsentanzen oder innere Objekte). Wenn wir Muster bzw. »inneren Anteil« definieren als biografisch entstandene, neuronal verankerte Reaktionsbereitschaft, dann wurden mit den oben erwähnten unterschiedlichsten Therapieansätzen in den letzten Jahrzehnten ähnliche Konzepte entwickelt: Fühl-Denk-Verhaltensprogramme von Luc Ciompi (1982; 1988), Ego-States (Watkins u. Watkins 2003), Schemamodi (Young 2005), Seiten/Anteile (Schmidt 2004) oder die jeweils typischen Konstellationen von Selbstrepräsentanz, Objektrepräsentanz und Affekt, den sog. S-A-O-Units in der Objektbeziehungstheorie nach Otto Kernberg (1978). Der wesentliche Unterschied bei aller Ähnlichkeit dieser Konzepte besteht in der beschriebenen Komplexität der einzelnen »Zustände« oder Anteile. »Während in der Konzeptualisierung Kernbergs die Triade aus gerade aktualisiertem Selbst- und Objektbild und zugehörigem Affekt das jeweils aktuelle psychische Erleben bestimmt (ähnlich übrigens wie die Fühl-Denk-Verhaltens-Programme bei Ciompi), nehmen in anderen Theorien diese States eher den Charakter von Teilpersönlichkeiten an« (Wagner u. Russinger 2016, S. 69).
Deissler und Gergen (2004, S. 11) bezeichnen die »innere Vielstimmigkeit« als eine Prämisse postmoderner Beratung und Therapie: »Damit ist die Auffassung gemeint, dass ein Mensch kein einheitliches (monolithisches) Selbst hat, sondern sich aus vielen Selbsten bzw. eigenständigen Anteilen des Selbst zusammensetzt, die sich in unterschiedlichen Kontexten zeigen (…). Diese unterschiedlichen Selbste können in unterschiedlicher Qualität miteinander im Gespräch sein.«
Aus den therapiespezifischen unterscheidbaren Auffassungen von »Teiletherapie«, die heute auf dem Markt sind, lassen sich dennoch idealtypische Interventionsschritte ableiten, auch wenn jede »Teiletherapie« andere Schwerpunkte setzt. Die Schritte im Einzelnen sind:
1)Identifikation eines oder mehrerer Anteile im psychischen Innenraum: In der Regel fokussiert der Klient auf »Problem-« oder »Ressourcenanteile«.
2)Externalisierung: Benennung, Symbolisierung, Personifikation durch den Klienten
3)Interaktion mit dem Anteil: Wahrnehmung, Befragung, Begegnung
4)Reframing: »Würdigung« der positiven Absicht
5)System: Förderung der Interaktion zwischen den Teilen
6)Integration: Corporate Identity, Synergie
7)Metaebene: Reflexion auf der bewussten Ebene
Aus konstruktivistischer Sicht geht es mir in diesem Buch nicht um eine etwaige empirische Nachweisbarkeit des Konzepts von inneren Teilen oder Seiten eines Klienten, sondern um dessen Viabilität für beraterische und psychotherapeutische Ziele. Das Teilekonzept ist aus meiner Sicht wie jede Psychotherapie ein Mittel zum Zweck – und der wohlgemeinte Zweck ist die Ermöglichung und Steigerung von Wahlfreiheit beim Denken und Handeln im Klientensystem. Wenn ich im Sinne von Maturana und Varela (2009) ganz konstruktivistisch nach der Möglichkeit der strukturellen Koppelung frage, also danach, ob das »Teiledenken« nahtloser und hilfreicher an die Sprachwelt des Klienten andockt als z. B. psychoanalytisches Denken, dann würde ich das nach meiner langjährigen Erfahrung unbedingt bejahen. Umgangssprachliche Metaphern wie »Zwei Herzen schlagen in meiner Brust« (Hamlet), »Ich bin manchmal gar nicht meiner Meinung« (Woody Allen) oder »Mein inneres Hin und Her« lassen sich gut nutzen, um dem Klienten psychoedukativ das Denken in Teilen nahezubringen. Wenn beim Klienten erst mal die Angst verflogen ist, dass er deswegen gleich als verrückt erklärt werden könnte, eröffnet das Teilemodell einen kreativen Spielraum für beide – den Patienten und den Therapeuten.
2 Was ist hypnosystemisch an der Hypnosystemik?
»Den Begriff ›hypnosystemisch‹ habe ich um das Jahr 1980 vorgeschlagen, um ein Modell zu charakterisieren, das versucht, systemische Ansätze für Psychotherapie und Beratung (Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) mit den Modellen der kompetenzaktivierenden ericksonschen Hypno- und Psychotherapie zu einem konsistenten Integrationskonzept auszubauen (welches auch hilfreiche Aspekte aus anderen Ansätzen mit einbezieht, die mit diesen Konzepten kompatibel sind und sie bereichern, z. B. aus Psychodrama, Körpertherapien u. a.)« (Schmidt 2005, S. 7).
Da beide Therapieansätze laut Schmidt von teilweise identischen Grundannahmen ausgehen, sprach für ihn vieles dafür, die beiden Modelle seelischen Erlebens in der »hypnosystemischen Therapie« zusammenzuführen. Für uns Psychotherapeuten war es Ende des letzten Jahrhunderts sehr befruchtend, dass sich durch das innovative Denken des US-amerikanischen Psychiaters und Hypnotherapeuten Milton Erickson (1901–1980) zwei neue Perspektiven eröffneten: Die bis dato geltende psychoanalytische Tradition wurde infrage gestellt (z. B. die Bewertung der Dissoziation und die Rolle des Unbewussten), und das althergebrachte Verständnis von »Hypnose« wurde modernisiert und dadurch radikal verändert. Für Milton Erickson verfügt das Unbewusste über einen unendlichen Schatz an Kreativität und Ressourcen, der Zugang zu diesem kreativen Unbewussten ist aber durch unseren analytischen Verstand verschüttet. Daher galt es, Wege zu finden, die vorherrschende Position des Verstandes in den Hintergrund zu stellen – z. B. durch Tranceinduktion. Dies passt zur modernen Hirnforschung, die von Neuroplastizität spricht.
Nach Schmidt stehen drei gemeinsame identische Grundannahmen der zwei Modelle im Vordergrund:
•In der systemischen wie in der Hypnotheorie Milton Ericksons werden alle Lebensprozesse als Ausdruck von regelhaften Mustern beschrieben. »Unter ›Muster‹ wird dabei verstanden die Verkoppelung, Assoziation, Vernetzung von diversen sogenannten Elementen des Erlebens. Damit sind z. B. gemeint Kognitionen, Verhaltensbeiträge, die Art der Kommunikation, emotionale Reaktionen, aber auch physiologische Reaktionen wie Atmung, Körperhaltung etc., ebenso Faktoren wie Ort, Zeit, Beteiligte einer Situation etc.« (Schmidt 2005, S. 7–8).
•Beide Modelle verstehen lebende Systeme als sich selbst autonom organisierend: Autopoiese.
•In beiden Therapiemodellen gibt es ein fast gleichlautendes Verständnis davon, wie Veränderung im Therapieprozess geschieht. Vereinfacht gesagt: durch das Einführen von Unterschieden in den Mustern der Klienten. Damit wirksame Veränderungen angeregt werden, muss dann auch nicht ein ganzes Muster verändert werden, sondern es genüge meist, Unterschiede in einem oder mehreren Elementen, oder in den Verknüpfungsstellen in ihm einzuführen (ebd., S. 8).
Hypnosystemische Psychotherapie ist demnach eine Arbeit sowohl mit interaktionellen (systemisches Modell) als auch internalen und intrapsychischen Mustern (Hypnotherapie). Veränderung geschieht in der hypnosystemischen Arbeit durch Unterschiedsbildung in den Mustern, und somit durch die Neuausrichtung der Aufmerksamkeit auf ein anderes, d. h. zielführenderes Erleben, Fühlen oder Verhalten des Klienten.
Wir finden aber auch Unterschiede, die sich vor allem in der Praxis bei den Therapieinterventionen auswirken können:
•Trance ist das Vorherrschen von unwillkürlichem Erleben.
–Hypnotherapeutisch gesehen bedeutet das aber etwas ganz Umfassendes, nämlich die Fokussierung der Arbeit auf die unwillkürlichen Prozesse.
–In Erweiterung dazu heißt hypnosystemisches Arbeiten: Erkunden, wie die unwillkürlichen Prozesse in eine optimale Koordination mit willkürlichen Prozessen kommen können.
Ich will nun das Letztere weiterdenken, denn es hat eine massive Auswirkung auf die Frage, wie nun in der Hypnosystemik »Veränderung« im Klienten entsteht? Die Schritte sind hierbei: Annehmen der unwillkürlichen Prozesse, mitgehen mit ihnen und sie dann so behandeln, dass sie in eine optimale Kooperation mit den willentlich bewussten Prozessen kommen können – sodass das System mehr integriert und die Synergie zwischen Teilkräften der Person zur Weiterentwicklung zur Verfügung steht. Das heißt, es reicht nicht aus, nur mit den unwillkürlichen Prozessen zu arbeiten, sondern man muss diese auch mit den willkürlichen verbinden. Ich bitte Sie, das im Gedächtnis zu behalten, denn es wird ein entscheidender Punkt werden, wenn ich Ihnen meine Konzepte einer hypnosystemischen Teiletherapie vorstelle.
Wenn wir nun unsere Teiletherapie nach diesen Grundmustern der Hypnosystemik ausrichten wollen, sollten wir prüfen, wie wir die oben gemachten Grundaussagen in die Praxis umsetzen können, um so Vorbilder zu generieren, die wir bei einer hypnosystemischen Teiletherapie nutzen können. Und immer wieder erkunden wir die Möglichkeiten, wie die unwillkürlichen Prozesse in eine optimale Koordination mit willkürlichen Prozessen kommen können, wir orientieren uns nicht nur an den in der Trance generierten Mustern (Bilder, Gefühle, Körperempfindungen), sondern stärken eine bewusste Steuerung dieser Prozesse durch die höheren Bewusstseinsebenen des präfrontalen Kortex, dem bewussten Ich des Klienten. In diesem Sinne arbeitet die Hypnosystemik auf zwei Ebenen:
•die Kreativität des Unbewussten fördern, die Intuition der Weisheit des Organismus (bottom-up) nutzen und
•diese Prozesse durch bewusstseinsfähige Regulationszentren (top-down) steuern und eingrenzen.
Aber davon später mehr.
2.1 Die Praxologie der hypnosystemischen Therapie
Hypnosystemische Praxis ist einer Reihe von Grundüberzeugungen verpflichtet, die ich im Folgenden kurz aufführen möchte.2
1)Im Mittelpunkt steht die Kooperation zwischen Patient und Therapeut. Durch Aufmerksamkeitslenkung (Tranceübungen) gibt der Therapeut dem Klienten Hilfestellungen bei der Selbstentdeckung seiner einzigartigen und persönlichen Realitätskonstruktionen. »Ich zeige dir, wie der Weitsprung geht, aber springen musst du selbst.« Ziel ist ein Verständnis der eigenen Psycho-Logik und Selbst- sowie Weltkonstruktion.
2)Die durchgehende Grundhaltung des Therapeuten ist Wertschätzung auf Augenhöhe. Wenn ich nicht schlauer, klüger und wertvoller bin als der andere, sondern nur anders, dann kann ich auch nicht wissen, was dem Patienten guttut, was er braucht, um zu genesen. Alles, was ich tun kann, ist, Angebote zu machen...