Theologische Fakultät
Franz Finke
geboren 23.4.1907 in Bochum-Werne
gestorben 3.7.1942 im KZ Sachsenhausen
Die so genannten „Devisenprozesse“ waren eine der ersten Maßnahmen der Politik der „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“, die 1935 im Deutschen Reich eingeleitet wurden. Betroffen waren die Angehörigen verschiedener Orden, die internationale Kontakte unterhielten und denen vorgeworfen wurde, die komplizierten deutschen Devisenbestimmungen in krimineller Absicht umgangen zu haben. Insgesamt handelte es sich um annähernd vierzig Prozesse, die propagandistisch ausgeschlachtet wurden, in vielen Fällen mangels eines Nachweises konkreter Tatabsicht schlussendlich jedoch eingestellt werden mussten. Eine zweite Welle an Prozessen 1936 und 1937 betraf in der Hauptsache Priester und katholische Laienbrüder, denen Vergehen der Unzucht nach §174 RStGB und §175 RStGB zur Last gelegt wurden.1 Unabhängig vom Wahrheitsgehalt einzelner Anschuldigungen verliefen die etwa 250 Prozesse abseits aller rechtstaatlichen Normen. Prozessunterlagen wurden an jede interessierte Parteistelle gesandt und gelangten in die Presse, die sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in allen Einzelheiten in der Schilderung der klösterlichen „Brutstätten des Lasters“ erging. Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne mit einer Rede von Propagandaminister Joseph Goebbels in der Berliner Deutschlandhalle am 28. Mai 1937, in der der „allgemeine Sittenverfall, wie er in diesem erschreckenden und empörenden Ausmaß kaum noch einmal in der gesamten Kulturgeschichte der Menschheit festzustellen sei“ mit drastischen Worten angeprangert wurde. Die Kirche habe die „planmäßige sittliche Vernichtung Tausender von Kindern“ nicht nur gedeckt. Es handle sich vielmehr um ein systemimmanentes Übel, das die Kirche für alle Zeiten in Fragen der Jugendarbeit und Kindererziehung disqualifiziere und die Loyalität der Gläubigen grundlegend in Frage stellen müsse.2 Im Sommer 1936 wurden die Prozesse auf Anweisung Hitlers wegen der Olympischen Spiele in Berlin unterbrochen, 1937 zunächst fortgeführt, dann jedoch fast zur Gänze eingestellt: Die endgültige Auseinandersetzung mit den Kirchen war nach Kriegsbeginn bis auf weiteres aufgeschoben. Der Vorwurf „sittlicher Verfehlungen“ und finanzieller Unregelmäßigkeiten blieb allerdings eine bis 1945 häufig angewandte Methode der Diffamierung und Verfolgung. Sie leistete auch in Tirol nützliche Dienste im Zuge der Aufhebung mehrerer Klöster.3 So konnten die Leserinnen und Leser der Innsbrucker Nachrichten am 4. November 1938 einer Bekanntmachung des Presseamtes von Reichskommissar Gauleiter Josef Bürckel entnehmen, dass staatspolizeiliche Untersuchungen im Servitenkloster „sittenwidrige Zustände“ ans Tageslicht gebracht hätten, die der Öffentlichkeit gar nicht zuzumuten seien.4
Der Tatvorwurf der „widernatürlichen Unzucht“ traf auch Konviktpräses Franz Finke. Finke hatte nach dem Besuch des Gymnasiums Theodorianum in Paderborn 1927 das Studium der Theologie an der dortigen Universität begonnen und in Innsbruck fortgesetzt. Die Priesterweihe fand am 1. April 1933 im Hohen Dom zu Paderborn statt. Finke fand Anstellung als Vikar in einer Pfarre in Castrop-Rauxel, übernahm aber nach wenigen Monaten eine Stelle als Präfekt am Erzbischöflichen Knabenseminar in Werl, dessen Leitung ihm 1934 übertragen wurde. Der Beitritt zur HJ war den Internatsschülern strikt untersagt, ein Verbot, an dem Finke auch nach Interventionen von Parteistellen und staatlicher Schulaufsicht festhielt. Ob seine Verhaftung am 17. August 1939 den Versuch darstellte, den missliebigen Priester in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren oder Finke tatsächlich sexuelle Kontakte zu zwei Schülern unterhalten hatte, muss offen bleiben. Im Prozess vor dem Landgericht Arnsberg am 30. April 1940 bekannte sich Finke schuldig, betonte aber, dass es sich im Fall des ehemaligen Schülers um eine längere und enge freundschaftliche Beziehung gehandelt habe5 und der zweite (einmalige) Kontakt unter Alkoholeinfluss zustande gekommen sei. Eine Verurteilung war unumgänglich, die Persönlichkeit Finkes ließ jedoch nach Ansicht des Gerichts die Berücksichtigung mildernder Umstände als gerechtfertigt erscheinen:
„Die Kammer nimmt nach den Erklärungen des Angeklagten und den Bekundungen der Zeugen […] an, dass der Angeklagte seinen Beruf besonders nach der seelsorgerischen Seite ernst genommen hat und eifrig bemüht gewesen ist, seinen Amtspflichten mit aller Treue nachzukommen. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend zu Gunsten des Angeklagten, dass (die Zeugen) übereinstimmend bekunden, der Angeklagte habe im Konvikt eine allgemein geachtete Stellung eingenommen und sei auch beliebt gewesen.“6
Auf seine Entlassung nach Verbüßung der zweijährigen Gefängnisstrafe hoffte Finke vergeblich.7 Die Gestapo veranlasste im Dezember 1941 seine Einweisung in das KZ Sachsenhausen, wo er dem berüchtigten „Schuhläufer-Kommando“ und später einer Ziegelei zugeteilt wurde.8 Diese Arbeitseinsätze überlebte er nur wenige Monate.
Abb. 41: Eintragung im Totenbuch (Standesamt Oranienburg)
Dem Sterbebucheintrag des Standesamts Oranienburg zufolge starb Franz Finke am 3. Juli 1942 an einer „doppelseitigen Lungenentzündung“.9
Quellen und Literatur:
Erzbistumsarchiv Paderborn, 4 KLs 7-40 (Urteil).
Möhring Peter: Konviktpräses Franz Finke, in: Moll, Helmut (Hg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Bd.1, 42006, 480–482.
Sternweiler, Andreas (Hg.): Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000.
Stuttgarter Zeitung, 26.2.2011, Online https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/presse/Bilderservice/26_2_2011_sudrow_rezension.pdf.
Hanns-Georg Heintschel-Heinegg
geboren 5.9.1919 in Kněžice/Knieschitz
gestorben 5.12.1944 in Wien
Heintschel-Heinegg kam auf dem Gut seiner Familie im südlichen Böhmen zur Welt, verbrachte aber Kindheit und Jugend ab 1925 in Wien. Seine Gymnasialzeit im Theresianum förderte vielfältige Begabungen und Interessen. Die mit Mitschülern geteilte Begeisterung für die Gedichte Rainer Maria Rilkes, Stefan Georges und Nikolaus Lenaus regte zu eigenen Gedichten an. Nach Ablegung der Reifeprüfung 1937 unternahm der Maturant eine ausgedehnte Reise nach Frankreich und Oberitalien. Sein Wunsch, Priester zu werden, stand zu dieser Zeit bereits fest und im Oktober 1937 begann er sein Theologiestudium in Innsbruck. Der Grund für eine vorübergehende Inhaftierung durch die Gestapo in den Monaten nach dem „Anschluss“ ist unklar, wenn man von der in der späteren Anklageschrift vermerkten Mitgliedschaft Heintschel-Heineggs im „Verband legitimistischer Studenten“ in Wien zwischen 1934 und 1938 absieht.10 Die Erinnerungen eines engen Freundes aus der Schulzeit, der ihn auch in Innsbruck öfter besuchte, vermitteln wenig Konkretes:
Abb. 42: Hanns-Georg Heintschel-Heinegg
„Es ist klar, daß es für ihn keinen Zweifel gibt. Der Nationalsozialismus und alle Gedankengänge, die mit ihm zusammenhängen, sind den Lebensströmen, aus denen seine Kraft stammt, zu entgegengesetzt. Er nimmt den Kampf auf, den Kampf gegen die Mächte der Unterwelt, die hier mit harter Gewalt in sein Leben getreten sind. Er wirkt zunächst im kleinen Kreis für seine Ideale, für die Würde und Freiheit des Menschen, die das Canisianum ihm vermittelt hatte.“11
Neben ersten Kontakten mit dem NS-Regime war das Erlebnis der Gebirgslandschaft in den zwei Jahren seines Aufenthalts in Tirol prägend. Schwärmerische Gedichte aus der langen Zeit seiner Haft im Zuchthaus Anrath am Niederrhein rufen Spaziergänge in Innsbruck und seiner Umgebung wach:
„Blick von der Hungerburg
Über der Stadt die Lichter,
Siehst du sie flimmern?
Tief unten die Schattengesichter,
Dazwischen sie schimmern – ?
Dunkel rauschen die Wälder
Ringsum am Hange –
Nacht kommt nun immer bälder.
Und sie macht bange.
Doch dort die Glocken, und wieder,
Künden vom Tale
Frieden und menschliche Lieder
Von Mal zu Male.“
Nur vereinzelt finden sich Hinweise auf die Auswirkungen der veränderten politischen Verhältnisse, wie hier in einem Gedicht über das Stift Wilten, dessen Abt am 26. August 1939 von mehreren Gestapobeamten in Gegenwart eines Notars gezwungen wurde, das gesamte Stift dem Land zu verkaufen:
„Kalt sind die Lebenden, die rohen Knechte,
Von deren Stiefel jetzt der Marmor dröhnt.
Die ahnen nichts vom ewigen Geschlechte,
Das noch von Ferne in den Quadern tönt.“12
Zu dieser Zeit hielt sich Heintschel-Heinegg allerdings nicht mehr in Innsbruck auf. Die Theologische Fakultät war bereits am 20. Juli 1938 geschlossen worden und auch die Weiterführung „in versteckter Form“ im Gebäude des Canisianums wurde durch die erzwungene Vermietung des Gebäudes a...