Der begegnungsorientierte Ansatz bei Menschen mit Demenz
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Der begegnungsorientierte Ansatz bei Menschen mit Demenz

Wahrnehmen, erkennen, begegnen

  1. 197 Seiten
  2. German
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Der begegnungsorientierte Ansatz bei Menschen mit Demenz

Wahrnehmen, erkennen, begegnen

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Situative Verkennungen von Menschen mit Demenz, in deren Folge es zu "herausfordernden Verhaltensweisen" kommt, ereignen sich oftmals in pflegerischen Situationen, in denen die Bedürfnisse und Begegnungsangebote von Menschen mit Demenz nicht erkannt, fehlgedeutet oder übergangen werden. Der begegnungsorientierte Ansatz geht davon aus, dass Verhaltensäußerungen von Menschen mit Demenz immer einen Sinn haben, auch wenn dieser sich nicht immer sogleich situativ erschließt. Das Buch möchte Pflegende und Betreuende dazu ermutigen, Möglichkeiten der gemeinsamen Interaktion und Begegnung auch dort zu erschließen, wo eine sprachliche Verständigung nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich ist.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783170369795
Auflage
1
Thema
Medizin

Der begegnungsorientierte Ansatz

Wenn wir unsere Wahrnehmung der Demenz nicht mehr vorrangig auf die Aspekte von Defiziten und von Abweichungen von unseren eigenen Verhaltensweisen und Normen fokussieren, wird sich gleichzeitig auch unsere eigene Perspektive in der Interaktion und Arbeit mit Menschen mit Demenz verändern, und mit ihr unsere konkrete soziale Praxis. Dabei kann und soll es weder darum gehen, die Veränderungen von Wahrnehmung und Kognition, von Verhalten und Erleben im Verlauf einer dementiellen Entwicklung zu leugnen, noch darum, diese möglicherweise zu idealisieren.
Stattdessen sollen Veränderungs- und Entwicklungsprozess in ihrem jeweiligen individuell ausgeprägten Verlauf sehr viel eingehender und genauer wahrgenommen werden, als dies unter einer defizitorientierten und allein auf die kognitiven Verluste von Menschen mit Demenz fokussierten Perspektive der Fall war und ist.
Ein Leben mit Demenz innerhalb unserer eigenen Betrachtungsweise auf Krankheit, Leiden und den Verlust von Identität zu reduzieren, kann uns in unserer Arbeit mit Menschen mit Demenz nicht nur dazu verleiten, unsere Wahrnehmung auf die Defizite des anderen zu konzentrieren und Bedürfnisse und Begegnungsangebote des Anderen in der Interaktion zu übersehen oder aber auch zu verkennen.
Eine solche Wahrnehmung kann dazu verleiten, für und über den Anderen hinweg zu planen, zu entscheiden und zu handeln, obwohl dafür vielleicht weder Anlass, noch Notwendigkeit bestehen mag. Auf diese Weise aber werden wir den Verlust von erfahrbarer Identität und das Wenigerwerden von Autonomie, von Selbständigkeit und »Personsein« von Menschen mit Demenz selbst beschleunigen.
Das Übergehen der vorhandenen Selbstsorgepotentiale ist kennzeichnend für eine in den Pflegeeinrichtungen nach wie vor häufig anzutreffende entmündigende Praxis, in deren Folge Menschen mit Demenz ohne zwingenden Grund Alltagskompetenzen abgenommen werden.
Ursachen dafür sind neben möglichen individuellen Aspekten wie dem oftmals bei Pflegenden zu beobachtenden Impuls, dem Anderen etwas abnehmen zu wollen, nicht zuletzt häufig strukturelle Probleme, wie der Mangel an Personal und der daraus resultierende Zeitdruck.
Überlastung und Arbeitsdruck aber führen dazu, dass Menschen mit Demenz von den Pflegenden, etwa bei der Körperpflege oder aber bei der Nahrungsaufnahme, vollständig »versorgt« werden, da dies mitunter schneller geht, als sie in ihrer Selbstsorge zu unterstützen und schrittweise anzuleiten und zu begleiten.
So ist die häufig anzutreffende »Überversorgung« von Menschen mit Demenz in den Pflegeeinrichtungen oder der ambulanten und teilstationären Pflege letztlich Ausdruck und Teil ihrer strukturell bedingten und verursachten Unterversorgung.
Wenn wir uns aus der früheren defizit- und problemorientierten Betrachtungsweise der Demenz zu lösen beginnen, werden wir zu einem sehr viel komplexeren und differenzierteren Bild der Lebenswelten und der Alltagsnormalität von Menschen mit Demenz gelangen.
Menschen mit Demenz wirken in ihren Alltagshandlungen und in ihren Reaktionen auf von außerhalb an sie herangetragene Informationen und Impulse zeitlich oftmals »verlangsamt«. Auf der anderen Seite werden Emotionen und Bedürfnisse von ihnen häufig ungefilterter und damit auch schneller, impulsiver und direkter zum Ausdruck gebracht, als dies bei uns der Fall ist.
Stimmungen und Gefühlsregungen werden uns gegenüber offener gezeigt, als wir selbst es aus dem sozialen Umgang mit anderen gewohnt sind. Zuneigung und Freude werden dabei unbeschränkter und authentischer ausgelebt, gleiches gilt für Verärgerung, Zorn und Wut.
So erleben wir Menschen mit Demenz im gleichen Moment als langsamer und spontaner, als zurückgezogener und in Ausdruck, Gestik und Mimik reduzierter und in anderen Situationen als extrovertierter und als ausdrucksvoller als wir selbst es sind. Ihr Verhalten mag auf uns manchmal rätselhaft, unverständlich und verstörend wirken und in anderen Momenten auf verblüffende Weise folgerichtig, einfach, klar und direkt.
Eine missverstandene und in ihrem Verlauf eskalierende Interaktion zwischen einer Person mit Demenz und uns weist uns selbst auf eine vorausgegangene Verkennung der Situation und der jeweiligen Handlungen, Absichten und Begegnungsangebote hin. In der situativen Verkennung werden Mitteilungen und Intentionen, Körpersprache und Worte und die darin zum Ausdruck kommenden Emotionen und Bedürfnisse des Anderen nicht wahrgenommen, oder aber auch nicht verstanden.
Ausgangspunkt des begegnungsorientierten Ansatzes war zunächst einmal die Frage, wie sich drohende eskalierende Situationsverläufe schon im Vorfeld erkennen und vermeiden lassen können. Dabei zeigte sich in der späteren Analyse von Interaktionen, dass die situative Verkennung oftmals wechselseitig ausgelöst und bedingt gewesen war.
Handlungsdruck und das starre Festhalten an den eigenen Begegnungsangeboten und pflegerischen Zielsetzungen und Intentionen hatten dabei auch auf Seiten der Pflegenden dazu geführt, dass die Mitteilungen und die darin zum Ausdruck kommenden Willensäußerungen, Emotionen und Bedürfnisse des Gegenübers in der Interaktion übersehen oder aber auch bewusst übergangen worden waren.
Dies war insbesondere in Situationen geschehen, in denen es um die Ablehnung von Pflegemaßnahmen ging, deren Durchführung aus Sicht der Pflegenden notwendig und unumgänglich gewesen war, oder aber im Verlauf von Interaktionen, in denen ein »inadäquat« erscheinendes situatives Verhalten und die damit verbunden Handlungsweisen, Äußerungen und Reaktionen des Anderen ignoriert und missachtet wurden.
Ein von uns nicht verstandenes Verhalten von Menschen mit Demenz als grundlos oder sinnlos zu betrachten, aber bildet letztlich den Ursprung und Ausgangspunkt einer situativen Verkennung unsererseits.
Wenn wir die Ursachen für das Entstehen situativer Verkennungen von vorneherein nicht in der Situation selbst, in der wechselseitigen Begegnung und der situativen Umgebung suchen, sondern ausschließlich im Verhalten des Anderen, werden wir auch die Lösungen für den Umgang mit sogenannten »herausfordernden« Verhaltensweisen von Menschen nicht dort suchen, wo sie aufgetreten sind, nämlich in der Interaktion selbst, sondern stattdessen vielleicht in verhaltensmodifizierenden Maßnahmen.
Statt nach anderen Mitteilungsformen und Begegnungsangeboten in der wechselseitigen Interaktion zu suchen, wird die Frage nach dem möglichen Umgang, der Begegnung miteinander, zur bloßen Frage nach der richtigen Medikation.
Die Bewertung eines abwehrenden situativ verkennenden Verhaltens des Anderen als fremdaggressiv, führt dabei zu einer Interpretation situationsgebundener Verhaltensweisen als Ausdruck immanenter Verhaltensmerkmale des Anderen, in der situationsgebundene Auslöser und umgebungsabhängige Faktoren, wie vorhandene strukturelle Mängel innerhalb einer Pflegeeinrichtung unberücksichtigt bleiben (
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Abb.1;
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Abb. 2).
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Abb. 1: Abwehrende Reaktionen von Menschen mit Demenz werden immer noch häufig als »fremdaggressives« Verhalten gewertet, beruhen aber oftmals auf situativen Verkennungen. Psychopharmakagaben können dabei zu einer weiteren Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten führen. Sie können eine negative Entwicklungsspirale auslösen und sollten stets kritisch hinterfragt werden.
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Abb. 2 Der Einsatz von Psychopharmaka mit sedierender Wirkung kann zu einer Verschlechterung der Kognition und zu einem erhöhten Sturzrisiko bei Menschen mit Demenz führen. Im Einzelfall können auch paradoxe Wirkungen auftreten.
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Fallbeispiel
Frau N. kommt als Neuaufnahme aus einem geschlossenen gerontopsychiatrischen Klinikbereich zu uns auf den Wohnbereich. Bis zu ihrer Einweisung in die Klinik hat Frau N. noch in ihrer eigenen Wohnung gelebt.
In der Häuslichkeit wurde sie dabei von einer Pflegeperson, die gleichzeitig auch bei ihr wohnte, über vierundzwanzig Stunden am Tag durchgehend betreut und versorgt.
Aus den Krankenhausunterlagen geht hervor, dass die Einweisung und anschließende stationäre Aufnahme erfolgte, nachdem Frau N. gegenüber der Pflegenden ein »fremdaggressives« Verhalten gezeigt und dieser Kratzwunden und Hämatome zugefügt habe. Ihrer Tochter gegenüber habe Frau N. mehrfach erklärt, dass sie keine Lust mehr habe, zu leben.
Über den konkreten Verlauf der Situation, die zur Einweisung von Frau N. führte oder den ihr vorausgegangenen Auslöser, finden sich dabei keinerlei Angaben. Später erfahren wir von der Tochter, die selbst in einer anderen Stadt lebt und ihre Mutter nur von Zeit zu Zeit besucht hat, dass Frau N. als sie noch in der eigenen Wohnung lebte mehrmals zu ihr gesagt habe, dass sie von dort weggehen wolle und dass sie keine Lust mehr habe, so weiter zu leben.
Es sei hin und wieder zu Spannungen zwischen Frau N. und der bei ihr lebenden Pflegenden gekommen, die aber zuvor niemals eskaliert seien.
Frau N. kommt mit einer bei ihr diagnostizierten Demenz vom Alzheimer-Typ zu uns. In der Klinik erhielt sie mehrmals täglich ein atypisches Neuroleptikum, das im gerontopsychiatrischen Bereich häufig in Zusammenhang mit sogenannten »herausfordernden« oder »fremdaggressiven« Verhaltensweisen verordnet wird. Diese Medikation soll laut Krankenhausanordnung beibehalten werden.
Bei ihrer Aufnahme und Ankunft auf dem Wohnbereich ist eine verbale Verständigung mit Frau N. nur stark eingeschränkt möglich. Sie wirkt schläfrig und in ihren Reaktionen deutlich verlangsamt. Auf die Fragen der Pflegenden hin, wie es ihr gehe und ob sie etwas möchte und brauche, zuckt sie mit den Achseln und lächelt müde. Es ist unklar, inwieweit sie uns in der Situation als Pflegende wahrnimmt und erkennt.
Beim Sitzen an der Bettkannte kann Frau N. sich nur mühsam aufrechthalten. Aufgrund ihrer Gangunsicherheit müssen wir sie beim Laufen begleiten. Blutdruck und Puls sind bei ihr dabei unauffällig.
Wir fragen Frau N., ob sie sich erstmal ausruhen wolle, sie bejaht. Als wir eine halbe Stunde später nach ihr schauen, ist sie in ihrem Zimmer gestürzt und liegt dort auf dem Fußboden.
Am nächsten Morgen erfahre ich bei der Übergabe, dass Frau N. weiterhin nur m...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Einleitung
  7. In Begegnungen lernen
  8. Der begegnungsorientierte Ansatz
  9. Leitbild und Soziale Praxis
  10. Nachwort
  11. Literatur/Quellenabgaben