Welt als Körper
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Welt als Körper

Die Darstellung von Ganzheit bei Swift, Voltaire und Melville

  1. 256 Seiten
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Welt als Körper

Die Darstellung von Ganzheit bei Swift, Voltaire und Melville

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Über dieses Buch

Wie wird Totalität in der Literatur dargestellt? Um dieser Frage nachzugehen, muss man sich zunächst klar darüber werden, dass Wörter wie Welt, Erde und Globus im alltäglichen Sprechen sowie im Fachjargon heutiger Globalisierungsdebatten zwar allgegenwärtig sind, dass sich hinter ihnen aber häufig problematische Vorannahmen und unausgesprochene Vorstellungen von Ganzheit verbergen. Daher untersucht diese Studie die Verwendung solcher Figuren der Ganzheit (Welt, Erde etc.) in ausgewählten literarischen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts (Swifts Gullivers Travels, Voltaires Candide und Melvilles Moby-Dick). Vor dem Hintergrund dieser Phase, in der die Expansion des modernen Welt-Systems globale Ausmaße anzunehmen beginnt, wird aufgezeigt, dass die Literatur dieser Zeit nicht nur aktiv das Bewusstsein von der größer werdenden Totalität mitgestaltet, sondern darüber hinaus reflektiert, dass das zunehmende Eins-Sein der Welt keineswegs die harmonische Einheit eines globalen Zusammenhalts, sondern stattdessen eine in Kriege, Sklavenhandel und Kolonialismus verwickelte, asymmetrische Ganzheit hervorbringt. Darüber hinaus wird zum ersten Mal untersucht, wie die literarischen Texte in diesem Kontext Körper inszenieren, um die Vorstellungen von der Gestalt, dem Umfang und dem Zustand der Welt dieser Zeit zu verhandeln.

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1 Das expandierende Welt-System

1.1 Expansion, die endliche Erdoberfläche und Kompression

Um 1500 beginnt ein Prozess, der verschieden benannt und konzeptualisiert wurde: so ist in Texten und Theorien die Rede vom Beginn des „Zeitalter[s] der Entdeckungen“ (Dünne 11), der ‚Europäischen Expansion‘ oder der ‚Globalisierung‘ – vorausgesetzt man versteht unter Letzterer nicht ausschließlich Ereignisse und Prozesse des ausgehenden 20. Jahrhunderts.1 Achille Mbembe fasst das Geschehen wie folgt zusammen: „Au cours de la période atlantique […] cette petite province de la planète qu’est l’Europe s’installe progressivement dans une position de capitanat sur le reste du monde.“ (Mbembe 33) Wallerstein schreibt, von der ‚Welt‘ unserer Gegenwart ausgehend und deren Ursprung beschreibend:
The world in which we are now living, the modern world-system, had its origins in the sixteenth century. This world-system was then located in only a part of the globe, primarily in parts of Europe and the Americas. It expanded over time to cover the whole globe. It is and has always been a world-economy. It is and has always been a capitalist world-economy. (World-Systems 23)
‚Unsere Welt‘ ist laut Wallerstein also die eines „Welt-Systems“, dessen historischer Ursprung im 16. Jahrhundert anzusiedeln ist;2 bei diesem ‚Welt-System‘ handelt es sich weiter um einen ökonomischen Zusammenhang.3 Aus der Expansion dieses Welt-Systems („it expanded“) ergibt sich zunächst eine Vergrößerung des bekannten Raums (besonders prominent im Fall der zunehmenden Kolonialisierung Amerikas).4 Doch dieser Prozess der räumlichen Vergrößerung hat einen natürlichen Endpunkt, bedingt durch die Endlichkeit der Ausdehnung der Erdoberfläche. Hannah Arendt schreibt in diesem Zusammenhang von „the enlargement of the earth’s surface, which found its final limitation only in the limitations of the globe itself, but also the still apparently limitless economic accumulation process.“ (250) Sie beschreibt damit, dass die „enlargement of the earth’s surface“ erst ihr Ende findet, sobald die gesamte Extension5 der Erdoberfläche erfasst ist.
Aus dem Prozess dieser Vergrößerung geht parallel eine Verkleinerung der Ganzheit hervor, insofern sich die Zeiten, die für das Reisen zwischen weit entfernten Punkten auf der Erdoberfläche mit dem Fortschreiten der Expansion immer weiter verringern und sich in einem schneller werdenden Welt-Verkehr institutionalisieren; Sloterdijk spricht vom „Wesen des entdeckenden Verkehrs“ als der „Ent-Fernung der Welt“ (Sphären II 909). Die zunehmende Geschwindigkeit, mit der Distanzen überbrückt werden, wird metaphorisch als ‚Verkleinerung‘ oder ‚Kompression‘ des Erdraums gefasst. Der Prozess der Expansion kollabiert somit in sein – scheinbares – Gegenteil, wie Arendt beschreibt:
Precisely when the immensity of available space on earth was discovered, the famous shrinkage of the globe began, until eventually in our world (which, though the result of the modern age, is by no means identical with the modern age’s world) each man is as much inhabitant of the earth as he is inhabitant of his country. Men now live in an earth-wide continuous whole where even the notion of distance, still inherent in the most perfectly unbroken contiguity of parts, has yielded before the onslaught of speed. Speed has conquered space; and though this conquering process finds its limit at the unconquerable boundary of the simultaneous presence of one body at two different places, it has made distance meaningless, for no significant part of a human life–years, months, or even weeks–is any longer necessary to reach any point on the earth. (250)
Mit dieser Verkleinerung geht ein zunehmendes Bewusstsein von der Ganzheit als geschlossenem Zusammenhang einher, es kommt zu einer „compression of the world into ‘a single place’“ (Robertson, Globalization 6). Nur wenn die Folgen eines Ereignisses an einem Punkt der Erdoberfläche schnell an anderen Punkten auf der gleichen Oberfläche bemerkbar sind, werden diese Punkte deutlich als Teil des gleichen Zusammenhangs wahrgenommen. Es entsteht also das Bewusstsein, „daß jeder Ort auf einer umrundbaren Kugel auch aus der größten Ferne durch Transaktionen von Gegenspielern in Mitleidenschaft gezogen werden kann.“ (Sloterdijk, Sphären II 824)
Expansion und Kompression stellen somit zwei Aspekte (bzw. bis zu einem gewissen Grad konsekutive Abschnitte) des gleichen Prozesses dar;6 begründet liegt dies letztlich in der Begrenztheit der Oberfläche der Erde. Sobald dieser Raum in seiner Gänze erfasst ist, liegt die Grenze der Kompression durch die Geschwindigkeit letztlich nur noch in der von Arendt genannten physikalischen Unmöglichkeit für einen Körper, an zwei Stellen zugleich sein zu können; ausgerechnet der Körper ist hier also als letztes Hindernis anzusehen.
Doch spricht Arendt im weiter oben zitierten Ausschnitt auch vom „economic accumulation process“, der, anders als die Oberfläche der Erde, „still apparently limitless“ zu sein scheint. Die Expansion, die schließlich erdumfassend wird, und in ihrem Verlauf ein Komprimieren der Erde bewirkt, ist an den endlosen Prozess der Akkumulation von Kapital geknüpft, ein Umstand, den Wallersteins Konzept des kapitalistischen Welt-Systems mitbedenkt. Doch bevor dieses Konzept genauer beschrieben und analysiert wird, ist im nächsten Abschnitt allgemeiner auf FdG einzugehen, wobei der Fokus auf der FdG ‚Welt‘ liegen wird, mit der Wallerstein seine einflussreiche Wortschöpfung des ‚Welt-Systems‘ bildet. Festzuhalten bleibt hier, dass der Prozess der Expansion als dynamisch und vielschichtig zu verstehen ist, insofern er die Kompression als Konsequenz der Endlichkeit der Erdoberfläche mit einschließt, und an den unbegrenzten Prozess der Akkumulation von Kapital knüpft.

1.2 Die Ganzheit des Teils und die Ganzheit des Ganzen

In der großen Menge an kritischen Texten, welche sich der FdG ‚Welt‘ explizit widmen, insofern sie deren Gehalt zu fassen versuchen – ganz gleich ob sie diese dabei als Lemma, Begriff, Metapher oder Figur verstanden wissen wollen –, lassen sich zwei grundsätzliche Positionen unterscheiden. So behauptet die eine Seite, dass ‚Welt‘ sich nicht abschließend definieren lässt, und die andere, dass ‚Welt‘ in ihrem Gehalt sehr wohl eindeutig bestimmt werden kann. Es stehen sich also Behauptungen, man könne ‚Welt‘ nie abschließend definieren einerseits, und – mehr oder weniger konkrete – Definitionen von Welt andererseits, gegenüber.
Keine der beiden Positionen ist mehr im Recht als die andere. Weder ist es grundsätzlich falsch oder unmöglich ‚Welt‘ zu definieren, noch ist es abwegig, eine solche Definition nicht geben zu wollen. Doch lässt sich die Entscheidung, ob man eine Definition von ‚Welt‘ geben möchte oder nicht, auf Strukturen der FdG ‚Welt‘ zurückführen, die zur Bildung der verschiedenen Positionen in dieser Sache beitragen.
Zunächst sollen hier einige mögliche Definitionen von ‚Welt‘ wiedergegeben werden. Rémi Brague etwa schreibt, ‚monde‘ sei ein „mot susceptible de désigner l’ensemble de la réalité d’une façon unifiée“ (24), anstelle additiver Reihungen wie „ciel, terre, mer, monde souterrain, etc.“ (33). ‚Welt‘ fungiere so als „synthèse des deux premières catégories de la quantité, la pluralité et l’unité.“ (25) Auch lässt sich Jean-Luc Nancys denkbar kurze Definition von ‚monde‘ als „totalité de sens“ (34) nennen, oder Heideggers voraussetzungsreiche Definition von ‚Welt‘ als das „Seiende im Ganzen“ (89; zur genaueren Analyse von Heideggers Ansatz vgl. II.2.1).
Betrachtet man in diesem Kontext Hans Blumenbergs Ausführungen zu ‚Welt‘ in der Theorie der Unbegrifflichkeit,1 so stößt man auf die Anekdote, dass er nach einem Vortrag die Frage, wie er ‚Welt‘ definiere, nicht habe beantworten wollen: „In meiner Verzweiflung entschloß ich mich zu einer Parodie: ‚Die Welt ist der geometrische Ort aller Punkte‘“ (38). Als Grund für diese Weigerung gibt er explizit den Wunsch an, eine Diskussion von Wittgensteins Welt-Verständnis zu umgehen.2 Dieser Wunsch impliziert die Annahme, dass eine philosophische Diskussion nicht den Königsweg zu einem besseren Verständnis von ‚Welt‘ darstellt. Stattdessen hält er diese ernüchternde Erkenntnis fest: „‚Welt‘ ist ein Ausdruck, bei dem der Versuch, Wortersetzungsregeln zu finden, konstitutiv zum Scheitern verurteilt ist.“ (ebd.) Man kann sich ‚Welt‘ anscheinend nicht ohne weiteres annähern: Regeln zur Synonymbildung – fester Bestandteil jeder Definition – können laut Blumenberg nicht gelingen. Dennoch, so weiter die Pointe Blumenbergs, entkommt man dem Wort ‚Welt‘ nicht. Zur Illustration führt Blumenberg nahezu völlig sinnentleerte Verwendungen von ‚Welt‘ ins Feld, wie etwa in hohlen Aussagen „wie ‚Die Welt ist schlecht‘ oder ‚Die Welt steht vor dem Untergang‘“ (ebd.).3 Anhand dieser Beispiele macht er deutlich, dass ‚Welt‘ in ihrem Gehalt nahezu unmöglich einzugrenzen ist, und dennoch – oder sagt man treffender: deswegen? – sehr häufig gebraucht wird. Hayot beschreibt die von Blumenberg damit adressierte Problematik mit der Aussage, dass „non-tautological, precise statements about the world are harder to make than one might think.“ (39) Obwohl man gewissermaßen ständig nicht umhin kommt, ‚Welt‘ zu sagen, ist es unmöglich, den genauen Gehalt dieses Wortes zu definieren. Entsprechend will Blumenberg – im Scherz – ein Wort-Verbot nicht gänzlich ablehnen: „Selbst wenn ich zur Zustimmung geneigt wäre, man solle Sätze über ‚die Welt‘ fortan lieber überhaupt nicht mehr bilden oder gebrauchen, wäre ich doch sehr unsicher, ob diesem Verbot jemals Erfolg beschieden sein könnte.“ (38) Dabei ist jedoch explizit auf Blumenbergs Verständnis von ‚Begriff‘ einzugehen, als welchen er ‚Welt‘ v...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Danksagung
  6. I Einleitung: „The meaning of the figure is undecidable“
  7. II Theoretische Konzepte und Fragestellungen
  8. 1 Das expandierende Welt-System
  9. 2 Darstellung von Ganzheit
  10. III Lektüren
  11. 1 Präliminarien: „Die Welt, sage ich, ist eine Muschel“
  12. 2 Jonathan Swifts Gulliver’s Travels
  13. 3 Voltaires Candide ou l’Optimisme
  14. 4 Herman Melvilles Moby-Dick; Or, the Whale
  15. IV Schluss: „The Earth reeking with the Blood of its Inhabitants“
  16. Literaturverzeichnis
  17. Register
  18. Fußnoten