Unerklärte Kriege gegen Israel
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Unerklärte Kriege gegen Israel

Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989

  1. 518 Seiten
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Unerklärte Kriege gegen Israel

Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989

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Über dieses Buch

Wenn Antizionismus und Antisemitismus aufeinandertreffen: Die DDR als inoffizieller Kriegsgegner Israels.Der US-amerikanische Historiker Jeffrey Herf untersucht das weite Spektrum der Feindseligkeiten seitens der DDR und der westdeutschen radikalen Linken gegenüber Israel: von Propaganda über Waffenlieferungen an arabische Staaten, die sich mit Israel im Kriegszustand befanden, bis hin zum demonstrativen Schulterschluss mit terroristischen Organisationen. Der untersuchte Zeitraum reicht vom Jahr 1967 bis 1989 und umfasst den Sechstage-Krieg (1967), den Jom-Kippur-Krieg und den Libanon-Krieg (1982) sowie die terroristischen Anschläge der PLO und anderer Organisationen.Herf leistet in seiner überfälligen Studie zweierlei: Er liefert neue Erkenntnisse über das Ausmaß der Kooperation der westdeutschen radikalen Linken mit terroristischen Organisationen, vor allem aber kann er überzeugend belegen, dass die DDR, und andere Ostblockstaaten, einen weit größeren Einfluss auf den Nahostkonflikt genommen hat, als bislang angenommen.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783835344174

1 EINLEITUNG

Gäbe es ein ungeschriebenes elftes Gebot der westdeutschen Geschichte nach dem Holocaust, so würde es lauten: Keine deutsche Regierung oder politische Gruppierung darf jemals Juden töten oder ihnen Schaden zufügen, noch darf sie jemandem dabei behilflich sein, Juden zu töten oder ihnen Schaden zuzufügen. Auf gar keinen Fall darf eine deutsche Regierung den Staat Israel angreifen oder dessen Gegner unterstützen. Das war der moralische Mindestanspruch, der mit der westdeutschen Politik der Vergangenheitsbewältigung assoziiert wurde, in erster Linie mit dem Massenmord an sechs Millionen Juden in Europa durch das NS-Regime. Diese Tradition ist jedoch eher für die finanzielle Wiedergutmachung als für eine angemessene Gerechtigkeit bekannt.[1] Doch das moralische Prinzip, Juden nie wieder Schaden zuzufügen, durchdrang die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender Bundeskanzler, darunter auch Konrad Adenauers Beschluss im Jahr 1952, den Überlebenden des Holocaust und dem Staat Israel eine finanzielle Wiedergutmachung anzubieten, sowie Ludwig Erhards Absicht, im Jahr 1965 diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Diese Tradition hatte auch nach der deutschen Wiedervereinigung Bestand: Im Jahr 2008 erklärte Kanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament, der Knesset, dass das Überleben Israels ein Anliegen der deutschen Staatsräson sei.
Seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 vertrat das kommunistische Regime jedoch eine ganz andere Sichtweise – eine Sichtweise, die der Idee des Zionismus und dem real existierenden Staat Israel feindselig gegenüberstand. Vor allem seit Juni 1967, während und nach dem Sechstagekrieg, wandte sich die westdeutsche radikale Linke ebenfalls gegen Israel und brachte kleine Gruppen von Terroristen hervor, die in den 1970er und 1980er Jahren mit palästinensischen Organisationen zusammenarbeiteten. Dieses Buch ist eine Geschichte der antiisraelischen Politik und Aktivität des ostdeutschen Staates und der westdeutschen linksextremen Organisationen. Es untersucht die Übertragung einer antizionistischen, bisweilen antisemitischen Ideologie in die politische Strategie, Krieg und Terrorakte zu unterstützen, die sich gegen den Staat Israel und seine Bürger richteten, sprich: in politische Maßnahmen, die Juden tatsächlich Schaden zufügten. Die Darstellung konzentriert sich auf die Jahre von 1967 bis 1989, insbesondere bis in die frühen 1980er Jahre. Um diese Zeit erreichte der Antagonismus sein stärkstes Ausmaß, damals unterstützten sowohl die DDR als auch die westdeutsche Linke die Bemühungen der arabischen Staaten und Palästinenserorganisationen, den Staat Israel mit Waffengewalt zu zerstören. Zu diesem Antagonismus zählten auch feindselige politische Machenschaften bei den Vereinten Nationen und wiederholte Behauptungen, dass Israel die alleinige Verantwortung an dem »Nahostkonflikt«, wie man ihn damals nannte, trage. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, vereinte diese feindselige Haltung diffamierende Erklärungen mit dem Angebot militärischer Ausbildung und Waffenlieferungen, darunter Tausende Kalaschnikow-Sturmgewehre, Panzerfäuste, Landminen, Sprengstoff und vereinzelt sogar Panzer und MiG-Kampfflugzeuge an die arabischen Staaten und Palästinenserorganisationen, die sich damals mit Israel im Krieg befanden. Auf indirekte Weise befanden sich somit sowohl die ostdeutsche Regierung als auch westdeutsche linksextreme Terrorgruppen im Krieg mit Israel. Auch wenn die kommunistischen Regime in Europa in den Jahren 1989/90 zusammenbrachen, und auch wenn ihre arabischen und palästinensischen Verbündeten mit ihren Anstrengungen, Israel mit Waffengewalt zu zerstören, scheiterten, hallen die Ideen jener Ära einer säkularen, linksextremen Feindseligkeit gegenüber Israel bis in die heutige Weltpolitik nach.
Die Terrorakte westdeutscher Gruppierungen waren in der öffentlichen Wahrnehmung damals sehr viel präsenter als das Militärbündnis zwischen den Ostblockstaaten und den arabischen Staaten und palästinensischen Terrorgruppen. Dabei hatte die ostdeutsche Regierung einen weit größeren Einfluss auf den Gang der Ereignisse im Nahen Osten als westdeutsche Terroristen. Wenn den Terrorgruppen eine große Aufmerksamkeit zuteilwurde, die ostdeutsche Regierung hingegen vergleichsweise vernachlässigt wurde, so stellt dies deren kausale Wirkung auf die damaligen Ereignisse im Nahen Osten geradezu auf den Kopf. Indem die Bedeutung der Ostblockstaaten, in deren Verbund die DDR agierte, in den Fokus gerückt wird, verleiht ihnen diese Studie die kausale Tragweite, die häufig bei dem Medienrummel um den westdeutschen Linksterrorismus außer Acht geriet. Darüber hinaus verknüpft sie diese Geschichte mit jener des global ausgetragenen Kalten Krieges. Damals schätzte die Central Intelligence Agency der USA, dass die Waffenlieferungen aus der DDR an die arabischen Staaten rund drei Prozent der gesamten Waffenlieferungen aus dem Ostblock ausmachten. Wie wir sehen werden, übertrafen diese drei Prozent bei weitem die viel bekannteren Arsenale, die bei westdeutschen Linksterroristen entdeckt wurden. Der enorme quantitative Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein Staat, der mit einer mächtigen militärischen Allianz verbündet war, über ganz andere Ressourcen als linke politische Bewegungen und Gruppierungen verfügte. Die Rote Armee Fraktion, die Bewegung 2. Juni und die Revolutionären Zellen positionierten sich erfolgreich in den Schlagzeilen, doch dem Regime in Ost-Berlin standen die gesamte Staatsmacht – Streitkräfte, Botschaften und ein diplomatisches Korps, ein effektiver Nachrichtendienst, militärische Ausbildungszentren und eine kontrollierte Presse – zur Verfügung, um das Kräfteverhältnis und die Ereignisse im Nahen Osten zu beeinflussen. Die vorliegende Arbeit stellt die bislang umfassendste Untersuchung des Einsatzes dieser Machtinstrumente dar.
Dieses Buch erforscht anhand der mittlerweile zugänglichen deutschen Archive die Geschichte dieser Phase eines deutschen antagonistischen Verhältnisses zu Israel. Es konzentriert sich auf die Ursachen, untersucht aber auch, stärker als frühere Darstellungen, die Konsequenzen dieser Politik in Form von politischer Kriegführung, feindlicher Propaganda und militärischer Unterstützung für Staaten und terroristische Organisationen, die gegen Israel Krieg führten. Es ist das erste Werk zu diesem Thema, das sich nicht nur auf die umfassenden Akten der ehemaligen ostdeutschen Diktatur stützt, sondern auch auf die relevanten Akten der Regierungen der Vereinigten Staaten und Westdeutschlands sowie auf die von der israelischen Regierung veröffentlichten Dokumente, insbesondere die von ihrer Delegation bei den Vereinten Nationen in New York vorgelegten; auf die Anschauungen führender Vertreter der jüdischen Gemeinde in Westdeutschland; und nicht zuletzt auf die beachtliche Dokumentation der Äußerungen westdeutscher Linker, arabischer Regierungen und palästinensischer Organisationen, die auf Deutsch und Englisch zugänglich sind. Es handelt sich um ein Kapitel deutscher Geschichte, das unmittelbaren Einfluss sowohl auf die Juden in Westdeutschland als auch auf die Bürger Israels hatte. Die Einbeziehung ihrer Stimmen zeichnet diese Arbeit aus.
Das Regime im Osten Deutschlands nach 1949 und die westdeutsche radikale Linke ab 1967 fühlten sich nicht an den oben erläuterten moralischen Kompass gebunden. In den Jahren zwischen dem Sechstagekrieg von 1967 und dem Libanonkrieg und dessen Nachspiel in den 1980er Jahren fügten die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und westdeutsche linksextreme Terrorgruppen jüdischen Bürgern weiterhin Schaden zu, insbesondere den in Israel lebenden; darüber hinaus unterstützten sie andere, die das Ziel verfolgten, ihnen zu schaden.
In gewisser Hinsicht ist das Buch eine Fortsetzung meiner früheren Studie über die ideologische Interpretation des Zionismus und der israelischen Staatsgründung durch den deutschen Staatskommunismus und die radikale Linke. Das entsprechende ideologische Fundament wurde in den »antikosmopolitischen Säuberungen« Anfang der 1950er Jahren in der Sowjetunion und Osteuropa gelegt. Damit endete die Unterstützung für den Zionismus und für Israel aus den Ostblockstaaten – eine Unterstützung, die in der Phase der Staatsgründung Israels außerordentlich wichtig gewesen war und zum Beistand für die Juden im Krieg von 1948 geführt hatte. Der Begriff »Zionismus« wurde fortan zu einem Schmähwort im kommunistischen Diskurs. Die anfänglich prozionistische Haltung war ein Produkt der besonderen Umstände des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Der Antizionismus und die Feindseligkeit gegen Israel hingegen standen in einem Zusammenhang mit einer umfassenderen Revision der marxistisch-leninistischen Lehre, die mit dem Beginn des Kalten Krieges einherging. In ganz elementarer Hinsicht widersprach die Idee eines jüdischen Staates sowohl dem universalistischen Anspruch des Kommunismus als auch, ungeachtet des Säkularismus der zionistischen Gründergeneration, der kommunistischen Anschauung, Religion sei »Opium für das Volk«. Für Kommunisten war die Sowjetunion, nicht das europäische Judentum, das Hauptopfer Hitlerdeutschlands gewesen. In den Säuberungen nach dem Krieg avancierte der Antizionismus, häufig gepaart mit antisemitischen Motiven wie etwa der unterstellten enormen jüdischen Macht und deren mutmaßlich engen Beziehungen zum Kapitalismus und Imperialismus, zum Standarddiskurs im Ostblock.
Zwar plädierte eine Minderheit im Osten Deutschlands dafür, dass die DDR[2] enge und freundschaftliche Beziehungen zu dem neuen jüdischen Staat pflegen solle, doch die orthodoxe Mehrheit wies die Vorstellung zurück, dass sie als deutsche Kommunisten gegenüber dem Staat Israel irgendwelche besonderen moralischen Verpflichtungen hätte. Im Gegenteil: Schon in den 1950er Jahren verunglimpften ostdeutsche Kommunisten Israel als Verbündeten des westlichen und amerikanischen Imperialismus und weigerten sich, dem jüdischen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung zu zahlen. Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt. Als die westdeutsche Linke 1967 zentrale Elemente des linken Antiimperialismus übernahm, ordnete sie Israel ebenfalls auf der ›falschen‹ Seite der in ihren Augen zentralen weltweiten Spaltung zwischen einem bösen und ausbeuterischen Imperialismus und einer tugendhaften, ausgebeuteten »Dritten Welt«, wie es damals hieß, ein. Der Nebeneffekt dieser Anschauung war die Unterstützung für die arabischen Staaten und sowohl in Ostdeutschland als auch in der westdeutschen radikalen Linken ein besonders leidenschaftlicher Einsatz für die Palästinensergruppen, die Israel bekämpften.
Die Sowjetunion war bei der Prägung der feindseligen Haltung des Warschauer Paktes gegenüber Israel die treibende Kraft und der zentrale Akteur. Anders als die maoistische Propaganda und die romantische Verklärung durch die Neue Linke und ihre Nachfolger im Westen hatte die Haltung der Sowjetunion wegen ihrer Radikalität und, ganz wichtig, ihrer materiellen Substanz bemerkenswerten Einfluss. Die Sowjetunion, nicht Maos großspuriges China, war für linke Guerilla-Bewegungen auf der ganzen Welt die Hauptquelle für Waffen und militärische Ausbildung. Ihr militärischer Beistand für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen war ebenso Teil der weltweiten Offensive gegen den »US-Imperialismus« wie auch ihrer Bemühungen, sich im strategisch wichtigen Nahen und Mittleren Osten Einfluss zu verschaffen. So klein der ostdeutsche Beitrag im Vergleich zur sowjetischen Supermacht auch war, Ost-Berlin folgte dem sowjetischen Beispiel keineswegs widerwillig. Im Gegenteil, um den ideologischen Eifer zu stärken und das nationale Interesse zu schützen, beteiligten sich ostdeutsche Führer eifrig an den Kampagnen gegen Israel. Im Nahen Osten unterstützte der Ostblock, einschließlich der DDR, die radikalen Kräfte, nicht die gemäßigten, und zwar mit Wort und Tat.
Die berüchtigten westdeutschen linken Terrorgruppen jener Jahre sowie die zahlenmäßig bedeutenderen legalen Organisationen innerhalb der radikalen Linken beschlossen aus freien Stücken, die arabischen Staaten sowie die verschiedenen Organisationen zu unterstützen, die das Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) bildeten, darunter die Fatah sowie die Volksfront für die Befreiung Palästinas und die Demokratische Volksfront für die Befreiung Palästinas – zwei Organisationen, deren Führer auf jeden Anschein einer Mäßigung oder auf eine nach außen bekundete Ambivalenz bezüglich der Unterstützung des Terrors verzichteten. Diese ambivalente Haltung wurde mit Arafats Mischung aus Gewalt und politischer Kriegführung assoziiert. Die Studie untersucht nicht zuletzt die Intensität, die Bereitwilligkeit und die Leidenschaft, mit der sich diese Deutschen gegen Israel wandten und auf die Seite seiner Feinde stellten. Ihr Antagonismus zu Israel und ihre Bereitschaft, nicht nur die Politik Israels, sondern auch die Legitimität und das Existenzrecht des jungen Staates infrage zu stellen, waren keineswegs einzigartig; beide waren seit den frühen 1950er Jahren zu Allgemeinplätzen der Linken weltweit geworden. Aber in keinem anderen Land brachte der antiisraelische Eifer freilich eine so erstaunliche Flucht vor der Last einer nationalen Vergangenheit mit sich wie in Deutschland. Gleichwohl verschaffte dieses Verdrängen der Vergangenheit dem ostdeutschen Staat und den westdeutschen linken Terrororganisationen viele Freunde auf der ganzen Welt.
In der wohl bittersten Ironie dieser Ära wendeten die Staatskommunisten und linken Bewegungen die Sprache des Antifaschismus, die die ganze Welt mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus assoziierte, zu einem rhetorischen Arsenal, das sie nun gegen den jüdischen Staat richteten. Sicher, es gab Kommunisten, jüdische wie nichtjüdische, die der Ansicht waren, der Antifaschismus des Zweiten Weltkrieges hätte zu einer Unterstützung für den Zionismus nach dem Krieg führen müssen. Die kurze Ära der sowjetischen Unterstützung Israels endete jedoch mit den antikosmopolitischen Säuberungen der frühen 1950er Jahre. Von 1949 an bis zum Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 flüchteten mehr als drei Millionen Ostdeutsche, rund 20 Prozent der gesamten Bevölkerung, von Ost nach West, darunter, so darf man vermuten, auch diejenigen, die vielleicht am ehesten bereit gewesen wären, sich der Politik des Regimes zu widersetzen. Somit tritt bereits im Jahr 1967, als sich der Antagonismus der DDR gegen Israel am stärksten in der Öffentlichkeit manifestierte, ein weiteres erstaunliches Merkmal in der ostdeutschen Geschichte zutage, nämlich das Fehlen eines öffentlichen Protestes gegen die Politik des SED-Regimes. Mit Hilfe von repressiven Maßnahmen, im Zusammenspiel mit dem Ventil der Emigration bis 1961, war die DDR zu einem Gemeinwesen und einer Gesellschaft praktisch ohne jede Opposition geworden, oder zumindest ohne eine Opposition, die imstande gewesen wäre, sich öffentlich zu äußern. In Polen zum Beispiel hatte der schwelende Unmut zu einer massiven Säuberung des polnischen, politischen und intellektuellen Lebens geführt, gefolgt von einem Exodus jener Dissidenten, die das Land verlassen konnten. In der DDR gab es keine derart massive Säuberung, weil im Jahr 1967 die Opposition entweder bereits unterdrückt war oder ihre Anführer noch vor dem Bau der Mauer geflüchtet waren.[3]
Damals wie heute gingen manche Beobachter davon aus, dass der unterschwellige, aber nachhaltige Einfluss des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft, der möglicherweise bei den ›einfachen Leuten‹ nachklang, verantwortlich war für den Antagonismus zu Israel und die Begeisterung für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen.[4] Journalisten, die in NS-Deutschland gearbeitet hatten und anschließend eine Beschäftigung in den Propagandaorganen der ostdeutschen Regierung fanden, mögen ebenfalls für eine gewisse Kontinuität gesorgt haben. Doch der ideologische Kern der antiisraelischen Wende lag im Marxismus-Leninismus und dem damit assoziierten linken Antiimperialismus der 1960er Jahre.[5] In der DDR fand die Begeisterung für die linken Revolutionen in der »Dritten Welt« einige äußerst wichtige Partner in den arabischen Staaten und in den Palästinenserorganisationen, die sich bereits im Krieg mit Israel befanden. Letztere entwickelten besonders enge Beziehungen zur westdeutschen radikalen Linken, sowohl zu den offen agierenden, marxistisch-leninistischen und maoistischen Sekten der 1970er Jahre als auch zu den ideologisch diffuseren Überresten des Denkens der Neuen Linken und den illegalen linksterroristischen Untergrundorganisationen wie der Roten Armee Fraktion, der Revolutionären Zellen und der Bewegung 2. Juni.
Im Jahr 1980 veröffentlichte ein Autorenkollektiv aus Forschern und Professoren, die am ostdeutschen Institut für internationale Beziehungen der Akademie für Rechts- und Politikwissenschaft in Berlin arbeiteten, ein Wörterbuch der Begriffe für Außenpolitik und Völkerrecht. Der Zionismus wird dort als eine »chauvinistische Ideologie« definiert, als »das weitverzweigte Organisationssystem und die rassistische, expansionistische politische Praxis der jüdischen Bourgeoisie, die einen Teil des internationalen Monopolkapitals bildet«.[6] Dessen Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert lagen demnach in einer »kleinbürgerlichen Reaktion auf den Antisemitismus«, die sich zu »einer reaktionären Konzeption von der jüdischen Gemeinschaft [entwickelte], die, um das jüdische Proletariat vom Klassenkampf abzulenken, die Klassenfrage ignorierte und die Lösung der sog. Judenfrage […] in der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates auf dem arabischen Territorium von Palästina sah. Mit dieser Konzeption ordnete sich der [Zionismus] von Anbeginn in die politischen, ökonomischen und strategischen Interessen des Weltimperialismus ein«, insbesondere in jene des »USA-Imperialismus im Nahen Osten«. Seit der Staatsgründung im Jahr 1948 behaupteten ostdeutsche Historiker, der Staat Israel stehe für nationalen Chauvinismus und Antikommunismus.[7] Er richte sich »gegen die arabische, nationale Befreiungsbewegung«. »Die aggressive Politik Israels führte, unterstützt von imperialistischen Staaten, insbesondere den USA, zu den militärischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum, zur Entwicklung des Nahostkonfliktes. Auf der XXX. UNO-Vollversammlung (1975) wurde mit der Resolution 3379 der [Zionismus] als eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung verurteilt.«[8] Mit anderen Worten, die zionistische Ideologie und der Staat, den sie hervorbrachte, hatten keinerlei moralische Legitimierung. Für diese Autoren war der Staat Israel von Anfang an und untrennbar mit dem amerikanischen Imperialismus und dessen Eindringen in »das Territorium Palästinas« verbunden.
Zu den prägenden Aspekten der ostdeutschen Außenpolitik zählte, was ich einen »rhetorischen Nebel scheinbarer Mäßigung« nennen möchte, mit einem Vokabular voller Verweise auf Frieden, Gerechtigkeit und »politische Lösungen« für den Nahostkonflikt, gepaart mit einer rückhaltlosen Unterstützung für unversöhnliche arabische Regierungen und radikale Palästinenserorganisationen. Die Politik der Sowjetunion und des Warschauer Paktes vereinte in diesen Jahrzehnten des Kalten Krieges die Sprache der Entspannung und die rationale Logik der atomaren Abschreckung mit einem unmissverständlichen Radikalismus bezüglich der Politik im Nahen Osten und allgemein in der »Dritten Welt«. Angewandt auf den Konflikt zwischen Israel, den arabischen Staaten und den Palästinenserorganisationen machte diese Haltung von Anfang an ausschließlich Israel für das verantwortlich, was die ostdeutschen Forscher im Jahr 1980 eine »durch imperialistisch-zionistische Kräfte herbeigeführte Konfliktsituation« nannten, »die sich vor allem in Aggressionsakten gegen die arabischen Völker und Staaten widerspiegelt«.[9] In der DDR bezeichnete man die Camp-David-Abkommen von 1978 zwischen Israel und Ägypten abschätzig als »Separatabkommen«, welche das Recht der Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung negierten und eine »Front der Standhaftigkeit« aus arabischen Staaten förderten, die die Abkommen zusammen mit den »friedliebenden Kräften in der ganzen Welt« ablehnten.[10] In diesen Jahren ließ die DDR-Regierung nicht nur Arafats Al-Fatah Unterstützung zukommen, sondern auch palästinensischen Terrororganisationen wie der Volksfront für die Befreiung Palästinas und der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas.
Kritiker der deutschen Antagonisten Israels haben schon damals und seither immer wieder argumentiert, der linke Antizionismus sei lediglich eine weitere Form des Antisemitismus, des Judenhasses. I...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Vorwort
  5. Vorwort zur deutschen Ausgabe
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Die DDR und der Sechstagekrieg, Juni 1967
  8. 3 Entstehung einer antiisraelischen Linken in Westdeutschland, Sommer 1967
  9. 4 Diplomatischer Durchbruch, 1969–1973
  10. 5 Palästinensischer Terror 1972: Flughafen Lod, Olympische Spiele und die Reaktionen
  11. 6 Offizielle Bündnisse mit der PLO und den arabischen Staaten, 1973
  12. 7 Politische Kriegführung in der UNO während des Jom-Kippur-Krieges, 1973
  13. 8 Palästinensische Terroranschläge auf Kirjat Schmona und Maalot, 1974
  14. 9 Die UN-Resolution »Zionismus ist Rassismus« vom 10. November 1975
  15. 10 Entebbe und die »Revolutionären Zellen«
  16. 11 Stärkung der Allianz: Die DDR, die arabischen Staaten und die PLO, 1978–1982
  17. 12 Terror aus dem Libanon und die Operation »Frieden für Galiläa«, 1977–1982
  18. 13 Der Krieg zwischen Israel und der PLO im Libanon, 1982
  19. 14 Loyale Freunde: 1983–1989 und danach
  20. 15 Schluss
  21. Dank
  22. Anhang
  23. Anmerkungen
  24. Impressum