Finde einem Schwan ein Boot
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Finde einem Schwan ein Boot

  1. 212 Seiten
  2. German
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Finde einem Schwan ein Boot

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Eine ganz normale Siedlung in einer weit vom Meer entfernten Stadt, deren Hochöfen in der Ferne glühen. Nachbarn, wie sie jeder kennt: oben Herr Fleck, gegenüber Karla und Heinz mit ihrem Chinchilla, auch Briefträger Franz gehört dazu, ebenso wie Frau Richter, die sie alle scharf beobachtet. In Marias Café trifft sich die nachbarliche Zufallsgemeinschaft ab und an und hört die sogenannte Professorin über menschliches Verhalten referieren. In diesem Geflecht von Beziehungen finden sich Elisabeth und der Journalist Peter wieder. Er, der gerne Kartenhäuser baut und noch nie Fragen stellen konnte, ist froh über seine Anstellung im Politikressort einer neuen Zeitung. Doch als er beginnt, zu politischen Themen Stellung zu nehmen, wird er Elisabeth, die nachdenklich zu ergründen versucht, was ihr Zuhause ausmacht, zu einem Fremden. Diese so leise wie gewaltige Bewegung in einem vermeintlich stillstehenden Leben wird von Anna Weidenholzer unvergleichlich klar und urteilsfrei geschildert."Anna Weidenholzers Texte haben etwas Schwebend-Märchenhaftes, ohne die Bodenhaftung in der oft rauen Wirklichkeit zu verlieren." - Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung"Was Weidenholzer auszeichnet, sind ein enorm feiner Pinselstrich, ein exzellenter Blick für das Detail und die Gabe, scheinbar erratisch von ihrem Plot abzuschweifen, ohne dabei den Erzählfaden zu verlieren." - Christoph Schröder, die tageszeitung

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783957578181

1 : 18

Wir müssen das Trocknen von Wüsten auf später verschieben, mit diesem Satz liege ich neben dir. Ich schlage die Decke zurück, deine Hand auf deinem Brustkorb, als ob du schwören würdest.
Ich habe Sand gesehen, Sand, der das ganze Haus hier füllen könnte und das Nachbarhaus noch dazu, vom vierten Stockwerk bis ins Erdgeschoß, er würde nach unten rieseln, bis er oben angekommen ist. Woher ich weiß, wie viel Sand das war?
Du hast den Kopf zur Seite gedreht, ich sehe deine Augenlider nicht, deine Wimpern, deine Nase, deinen Mund. Aber ich kenne dich auf der anderen Seite des Bettes, ich weiß, welche Fragen du stellen würdest, und ich weiß, wie viel Sand es braucht, um das alles hier zuzuschütten. Die Wüste war groß genug, so groß, dass der Mensch darin kleiner als ein Streichholz wirkte.
Wir müssen das Trocknen von Wüsten auf später verschieben, sagte sie mit einem Fön in der Hand. Sie ging einen Schritt zurück und schaute in die Ferne.
Wüsten, wiederholte ich und schüttelte den Kopf: Aber wir haben doch gerade noch Wurst gemacht, wir waren dabei, den Darm zu füllen, es sollte die beste Wurst im Umkreis von hundertfünfundzwanzig Kilometern werden, erinnern Sie sich nicht?
Ich wollte meine Hände an der Schürze abwischen, die ich umgebunden hatte, aber da war kein weißer Stoff mehr, ich trug einen schönen Anzug und auch sie. Wir sehen aus wie die feinen Herren, dachte ich, das ist ein Aufzug, in dem man einer Präsidentin begegnet, aber keinem Darm.
Es muss mehr von uns geben, hörte ich mich sagen, es braucht einfach mehr von uns.
Sie schwieg, aber es war keine unangenehme Stille. Es war die Stille eines Nachmittags im Park, wo Hunde Bälle jagen und Krähen über die Wiese hüpfen und vielleicht auch weit oben ein Flugzeug fliegt, eine große Ruhe, die pausenlos in Bewegung ist. Sie stand dicht neben mir, sie nickte. Dann zog sie das Kabel aus dem Stecker, sie wickelte es um den Fön – Achtung, wollte ich noch sagen, manche Hersteller raten davon ab – und da sah ich es, ein weites Land, unheimlich viel Sand und am Horizont ein Gefühl von hier.
WAS DIESES ZUHAUSE IST: ES IST EIN RAUM VOLLER SÄTZE, DIE NICHT GEFALLEN SIND, UND ES SIND DREI BILDER, AUF DEM EINEN EINE EULE, AUF DEN ANDEREN WIR BEIDE. Vier Fenster in den Hof, wo an manchen Tagen Wäsche trocknet, aber nur, solange der Schatten des Nachbarhauses nicht auf die Leine trifft. Wir alle wissen: Richter ist schnell darin, ihre Wäsche abzunehmen, und sie ist die Einzige, die den Weg nach unten geht. Sobald der Schatten sich der Leine nähert, steht sie dort mit ihrem Korb, als ob sie die ganze Zeit am Fenster darauf gewartet hätte, dass es endlich dunkler wird. Weiße Wäsche, immer nur weiße, sie hofft, die Sonne brennt den Gelbstich heraus.
Es ist der Blick in den Hof, auf die Äste der Trauerweide, die manchmal Vögel tragen und nur selten Schnee. Es ist die Stadt, die noch nie das Meer gesehen hat und doch unablässig Wasser dorthin weiterschiebt, Wasser, das uns Tag für Tag vor Augen hält: Nur schnell weg von hier. Hier, wo aus den Hochöfen Rauch aufsteigt, wo abends Feuer in den Himmel geblasen wird, hier sind wir.
Über unserer Stadt erhebt sich ein Berg, der für manche wie ein Hügel wirken mag. Oben wurde eine Befestigungsanlage errichtet, vor fast zweihundert Jahren schon, darin ist unsere Stadt in Miniaturform nachgebaut. Wir können dort durch das Zentrum schlendern und fühlen uns plötzlich richtig groß, weil wir mühelos die Fenster im ersten Stockwerk öffnen könnten, an denen wir so oft vorbeigegangen sind, wir kennen sie, die Marktmenschen, die dort zu sehen sind. Gleich beim Eingang wartet eine kleine Frau geduldig neben einem Korb voller Pilze, auf ihrem Gesicht ein freundliches Lächeln, das erst bei genauerer Betrachtung gezwungen wirkt. Ein paar Schritte weiter hält ein ebenso kleiner Mann Würste in die Luft, als ob er sie gerade erst mit seiner Zange aus dem Kessel gefischt hätte, aber wir alle wissen, er macht das seit Jahrzehnten schon. Ein Großteil der Menschen hier hat die Würste einmal berührt, wir alle sind durch unsere Kindheitstage verbunden. In unserer Höhle werden wir zu Riesen, hier denken wir für einen kurzen Moment, wie klein das Draußen ist.
Elisabeth und Peter schlendern durch die Stadt, sie lassen sich Zeit. Peter trägt ein Hemd, zur Feier des Tages, wie er Jahre später sagen wird. Ein kariertes, blau und rot, wie der Mann mit den Würsten, sie ähneln einander in ihrer Kleidungswahl, nur dass der aus Kunststoff sein Hemd schon seit Jahrzehnten trägt und der andere es erst am Nachmittag übergestreift hat. Es ist Sommer, es ist heiß, es sind die wenigen Tage, an denen Peter zweimal täglich duscht, an diesem Tag vielleicht sogar ein drittes Mal. Elisabeth hat ihn hierhergebracht, Jahre danach wird er sagen, er wusste von Anfang an, es falle ihr schwer, ein Konzept für Romantik zu finden.
»Ich hatte das anders in Erinnerung«, sagt Peter zu ihr, »ich könnte schwören, dass der Mann mit den Würsten früher eine Frau gewesen ist.« »Du schwörst oft«, sagt Elisabeth und sieht sich schnell um, ehe sie die Würste berührt, die auf dem Verkaufsstand des kleinen Mannes hängen. Sie geht weiter, streicht über das Gitter, das die Brote und Gurken vor Kinderhänden schützt. Sie hört ihre Großmutter, spürt den festen Griff am Arm: »Das Essen anderer Leute fasst man nicht an, wisch deine Finger ab.« Das Stofftaschentuch ihrer Großmutter, das Taschentuch, das sie immer eingesteckt hatte und selten wusch, sie riecht es, fühlt es auf den Händen, auf ihrem Gesicht. Elisabeth wischt die Hände an der Hose ab und sieht zum kleinen Mann hinüber, der aus diesem Blickwinkel sehr freundlich wirkt, ihr als Kind aber stets Angst einjagte. Sie geht zurück, stellt sich direkt vor ihn hin. »Hallo Wurstmann, schau, wie groß ich bin, schau, was aus mir geworden ist.« Kleine Augen, ein Schnauzer, der nach unten hängt, er stützt sich auf den Verkaufswagen und sieht unendlich müde aus. Müde von all den Kindern, die seit Jahrzehnten versuchen, seine Würste zu stehlen, von all den Tagen, an denen kein Licht zu sehen ist.
Elisabeth dreht sich um, Peter steht hinter ihr, die Hände in den Hosentaschen. »Ich habe hier immer einen Mann gesehen, keine Frau«, sagt sie und tritt einen Schritt zurück, sie spürt Peters Wärme. »Es ist angenehm hier«, sagt er und verschränkt seine Arme vor ihrem Bauch. »Jetzt verstehe ich, warum du hierherkommen wolltest.«
Elisabeth und Peter verlassen die Grotte, draußen schlägt ihnen die schwüle Luft entgegen. »Ich möchte die Hirsche sehen«, sagt er, »ich hoffe, sie sind heute hier.« »Du magst Hirsche?«, fragt Elisabeth. Peter zuckt mit den Schultern. »Was ist dein Lieblingstier?«, fragt sie.
Es kommt ihr ewig vor, bis er antwortet, er wisse nicht, was ihres sei. »Du zuerst.« Sie gehen schweigend Arm in Arm den Graben entlang, in dem die Hirsche gehalten werden, zwischen ihnen eine Stille, die schwer einzuordnen ist. Sie findet die Stille unangenehm, sie denkt, das ist kein gutes Zeichen. »Hasen«, sagt sie nach einer Weile, er nickt.
Der Zaun ist höher als in ihrer Erinnerung, Peter steht dicht am Gitter und wendet seinen Blick nicht vom Graben ab. Sein Schuhband ist offen. Elisabeth überlegt, von ihrer Großmutter zu erzählen, die bei einer Wanderung an einem sonnigen Tag im Spätsommer über eine Wurzel stolperte und stürzte, wobei sie sich den Arm brach, den linken, der ihr bis zum Lebensende bei Wetterumbruch Schmerzen bereitete. Sie versucht den Gedanken zu verjagen, aber die Großmutter gehört hierher, in diese Umgebung, weil alles hier mit ihr verbunden ist. Elisabeth folgt Peters Blick in den Graben, es ist nicht der Tag, um über Unfälle zu sprechen. Sie hört ihre Freundin sagen, sie solle sich gut überlegen, welche Geschichten sie dieses Mal erzähle.
Elisabeth sagt: »Jetzt sind wir keine Riesen mehr.« Peter nickt, sie ist nicht sicher, ob er sie verstanden hat. Jetzt sind hier keine Wiesen mehr. Er würde genauso nicken, aber vielleicht denken, sie hänge zu sehr der Vergangenheit nach. Manchmal kommt es zu solchen Missverständnissen, manchmal hören Leute falsch und fragen nicht nach. Ich lebe hier, ich lege hier. Diese Momente, in denen man versäumt nachzufragen, denkt Elisabeth, und kurz darauf ist es zu spät, überhaupt noch etwas zu sagen. »Dein Schuhband ist offen.« Peter nickt und pfeift den Hirschen, es tut sich nichts, er greift in seine Hosentasche und holt einen Stein hervor, den er zwischen seinen Händen hin und her fallen lässt. Er pfeift erneut. Sie zieht ihre Tasche nach vorn, sucht etwas, nur was, Sonnencreme, sie geht ein paar Schritte zur Seite und öffnet die Tube, für Außenstehende könnte es so wirken, als ob sie nichts mit ihm zu tun hätte, zu viel Creme, wohin damit, da hört sie ihn lachen. »Schau«, sagt er und lässt den Stein in seiner Tasche verschwinden, »endlich.« Peter kommt zu ihr, sie lässt seine Umarmung zu und hält ihre Hände hoch, die immer noch voller Creme sind. »Brauchst du welche? Ich weiß nicht, wohin damit.« Jedes Mal wird Elisabeth diese Umarmung spüren, wenn sie an Hirsche denkt, verstärkt im Herbst, wenn viele Gasthäuser Wildwochen haben, und jedes Mal wird sie dieses Gefühl von Erleichterung spüren.
Elisabeth und Peter treten ans Geländer heran. Hinter dem ersten Hirsch tauchen drei kleinere auf, sie schnuppern am Boden, bis der größere sie anstößt, woraufhin sie weitergehen. Peter nickt zufrieden, er sieht den Tieren nur kurz zu, dann kniet er nieder, um sein Schuhband zu binden. Er richtet sich mühsam wieder auf. »Man kann nicht hier gewesen sein, ohne einen von ihnen getroffen zu haben.« Elisabeth sagt: »Lass uns zur Aussichtsplattform gehen.«
Eine Umarmung und eine Hitze, sie kennen sich an diesem Augusttag seit zwei Wochen, haben sich drei Mal gesehen und acht Mal telefoniert. Peter trägt eine helle Jeans zu seinem Hemd, er schwitzt und streicht sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht. Wenn sie nebeneinandergehen, halten sie sich an den Händen, trotz der Hitze. Lässt Peter sie für ein paar Sekunden los, wischt Elisabeth schnell ihre Hand auf dem Rücken ab, sie weiß nicht, ob er dasselbe macht.
Elisabeth hofft, dass er seine Hand nicht zurückzieht, wenn sie zu ihm hinübergreift. Sie mag seine Fingerkuppen, sein Nagelbett, den Mond. Sie spricht nicht von Nagelbetten und Monden, weil sie fürchtet, er könnte es falsch verstehen und die Hände in die Hosentaschen stecken. Was man an einem Mond falsch verstehen könne, warum einer bei solch einer Hitze – ich weiß, würde Elisabeth ihre Freundin unterbrechen, aber am Anfang bewegt man sich auf unsicherem Grund, am Anfang muss man um jeden Zentimeter bangen. Die Freundin würde die Augen verdrehen, sie neigt zu solchen Gesten. Elisabeth fährt mit dem Daumen über Peters Handrücken, langsam hinauf und wieder hinab, vier Striche bedeuten: Ich möchte bei dir bleiben. Peter drückt ihre Hand, und Elisabeth beginnt zu erzählen, von der Jagd und der Angst, wenn sie bei ihren Verwandten zu Besuch war und Schüsse hörte. Es ist eine gute Geschichte, Peter nickt und erzählt ebenfalls von Verwandtschaftsbesuchen, dass dort zwar keine Schüsse fielen, aber Hasen an der Stalltür hingen. Sie haben ein Thema gefunden, eine Herkunft, die einander ähnelt. Elisabeth lächelt.
Bei der Aussichtsplattform hat sich eine Gruppe älterer Menschen eingefunden, es dürften Reisende sein, sie haben einen Halbkreis um eine Frau gebildet, die viel mit ihren Händen spricht. Elisabeth und Peter verstehen nicht, was sie sagt, sie warten, bis die Gruppe verschwunden ist, dann treten sie nach vorn. Auch hier wirkt die Stadt klein, viel überschaubarer, als wenn man dazwischen steckt.
»Ich möchte fliegen können«, sagt Peter. Sie sehen den Fluss, die Brücke, die ihn überspannt, sie sehen Straßen, Häuser und in der Ferne die Fabrik. »Wie ein Vogel oder ein Flugzeug?« »Wie ein Drache.« Peter lacht, und Elisabeth setzt nach einer Weile ein, weil sie nicht weiß, was sie antworten soll. »Das ist ein guter Ort, um sich groß zu fühlen«, sagt sie schließlich, »ich bin zu lange nicht mehr hier gewesen.« Sie spürt die Wärme der niedrigen Mauer vor sich, sie überlegt, ob sie sich setzen und die Beine über die Stadt hängen lassen soll, aber da hat Peter schon auf der Bank Platz genommen. »Von hier hat man die beste Aussicht«, hört sie ihn sagen. Die Kirchenglocken läuten, Elisabeth zählt mit, bis Peter nach seinem Rucksack greift. Er zieht eine Flasche Weißwein heraus und stellt sie auf die Bank. »Ich habe zur Sicherheit auch Mineralwasser mit«, sagt er, bevor er den Wein öffnet und daran riecht, »aber er müsste in Ordnung sein.« Peter legt eine Zigarettenpackung neben die Flasche, er sucht Streichhölzer. Dann rückt er näher an Elisabeth heran. Sie sagt nicht, dass sie Wein nur in Ausnahmefällen trinkt, dass Bier viel besser schmeckt. Zwei Liebende, denkt sie, das werden wir sein.

1 : 30

Ich zünde ein Streichholz an, zwei Flammen, die sich spalten, wie lange, bis die erste den Finger verbrennt. Füße wie Eis, noch eine kalte Nacht, es sollte längst wärmer sein. Ein zweites, ich halte es dicht über meine Hand. Bei Feuer im Bett herrscht große Gefahr, du bewegst dich nicht. Nur eines noch. Im Fenster die Spiegelung der Flamme und dahinter kaum zu erkennen mein Gesicht. Dich sehe ich nicht. Es ist dunkel hier, nur eine Wohnung ist erleuchtet, dritter Stock, die ersten zwei Fenster von links: Küche und Wohnbereich. Karla lässt oft die Lichter an, und sie ist die Letzte, die hier schlafen geht. Karla und Heinz, ihr Mann, auch er wirkt, als ob er in den meisten Nächten keinen Schlaf finden könnte.
Da ist zu wenig Bewegung drin. Ich schlage die Decke zurück und trete ans Fenster heran, nur das Flackern des Fernsehers und davor eine Gestalt, es ist ein unaufgeregtes Spiel. Ich kenne eure Fenster, und ich kenne eure Sätze. Karla ist nicht zu sehen und Heinz sitzt schon wieder still, gut möglich, dass er eingeschlafen ist. Dreh dich, beweg dich doch. So ist es gut. Er hebt den Arm und legt ihn langsam wieder ab, den Kopf in Richtung Badezimmer gewandt. Spricht er mit ihr?
Nein, ich sehe Karla nicht. Niemand am Fenster, niemand, der herüberschaut, obwohl sie beide wissen, dass es dazu nicht viel bedarf. Den Kopf kurz heben, besser vorher noch einen Schritt an das Fensterbrett heran, die Hände locker darauf ablegen, man spürt die Wärme des Heizkörpers dann gleich. Karla, du weißt doch, wie es geht, lasst mich nicht allein in dieser Nacht.
Kalt ist es geworden in den letzten Tagen, kühler als vor ein paar Wochen noch. Karla wird wieder eingeheizt haben, obwohl es absolut nicht notwendig sei, wie Heinz betonen würde, sie wird sagen: Novak, schließ das Fenster, mich friert schon so. Wie damals, als wir zum ersten Mal auf Besuch gewesen sind, der Rauch stand in der Luft, aber sie sagte:
Lasst das Fenster zu, ich komme mit eurem Rauch gut zurecht.
Euer Rauch, sagte sie, obwohl sie selbst doch die ganze Zeit nichts anderes tat.
Heinz, beweg dich doch, hol Karla her. Als ob er den ganzen Abend die Wand anstarrte, ich weiß, sie haben den Fernseher dort angebracht, ich weiß, die Wohnung sieht jetzt anders aus. An unserem ersten gemeinsamen Abend war es noch ein Röhrengerät, es lief ohne Ton im Hintergrund. Karla und Heinz gingen in regelmäßigen Abständen zum Balkon und holten die Plastikflaschen mit vorab gemischtem Cola-Rot herein, es war Februar, sie kühlten draußen gut. Warum sie Getränke vorab mischen, ich verstehe es bis heute nicht. Auf mein Nachfragen antwortete Karla an jenem Abend:
Komme ich vom Einkaufen nach Hause, habe ich das lieber gleich erledigt, nachher fehlt mir die Kraft dazu.
Und ich lachte, weil Heinz lachte und Peter auch.
Die Kraft, um Rotwein mit Cola zu mischen, wiederholte er, aber Karla schaute nur zum Fernseher, wo eine Werbung für ein Fitnessgerät lief. Ein Mann stand auf einer Vibrationsplatte, er zwinkerte in die Kamera.
Ich trinke Wein auch gern ohne Cola, sagte ich, ihr müsst euch keine Umstände machen, doch Heinz, dieses Mal stand er auf und nicht Karla, Heinz hatte schon die Balkontür geöffnet und Peter starrte mit Karla auf den Mann im Fernseher, bis sie sagte, sie glaube das nicht.
Wir blieben lange an diesem Abend, wir tranken viel, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. 1 : 18
  5. 1 : 30
  6. 1 : 39
  7. 1 : 44
  8. 2 : 02
  9. 2 : 02
  10. 2 : 37
  11. 2 : 46
  12. 2 : 54
  13. 3 : 30
  14. 3 : 36
  15. 3 : 36
  16. 3 : 53
  17. 4 : 02
  18. 4 : 11
  19. 4 : 35
  20. 4 : 47
  21. 5 : 06
  22. 5 : 19
  23. 5 : 26
  24. 5 : 43
  25. 5 : 58
  26. Impressum