Verhaltenstherapie der Sucht
  1. 205 Seiten
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Über dieses Buch

Carrying out addiction treatment places high demands on therapists. This book provides practical solutions for therapeutic management of the typically ambivalent attitude of dependent individuals towards their own addictive behaviour and for ways of developing motivation for change. Evidence-based behavioural therapy interventions are clearly presented and combined with findings from effectiveness research to move towards a form of addiction therapy based on effect factors. The focus is also on the important aspect of quality of life and individualized life designs that meet their own needs for people who want to overcome their addiction.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783170336162

1          Einleitung

 
Die psychotherapeutische Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen gilt als sehr schwierig. Betroffene Patienten sind häufig hochgradig ambivalent hinsichtlich ihrer Therapieziele, was mit einer hohen Rate an Rückfällen einhergeht. Auf der einen Seite wünschen sie sich, endlich befreit zu sein von den Fesseln der Sucht, andererseits können sie nicht von ihrem Suchtverhalten lassen. Ein Grund dafür ist, dass bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Sucht im Unterschied zu anderen psychischen Störungen positive Emotionen beteiligt sind. Die Sucht folgt neben der Dynamik negativer Verstärkung dadurch auch positiv verstärkenden Prozessen. Andere psychische Störungen dagegen werden primär negativ verstärkt aufrechterhalten. Zum Beispiel sorgt bei Angststörungen die Vermeidung für Angstreduktion, bei Zwangsstörungen reduziert die Zwangshandlung Anspannungsgefühle. Der Substanzkonsum beinhaltet jedoch mit dem Rausch ein sehr intensives positives Erleben, das zudem auf einfache Weise hergestellt werden kann (Rauchen, Schlucken oder intranasale Applikation) und das im Gehirn nachhaltig repräsentiert wird. In späteren Verlaufsphasen der Sucht wird aufgrund von Toleranzentwicklung und Entzug bei Abstinenz zunehmend eine negative Verstärkung relevant. Zudem werden beim Konsum häufig nur noch Annäherungen an das ursprüngliche Rauschgefühl erlebt. Dennoch ist die Erinnerung an die ehemals intensiven Gefühle im Organismus gespeichert, und das Suchtverhalten wird im Sehnen nach diesen Gefühlen aufrechterhalten. Dagegen ist in der Therapie oft nur schwer anzukommen.
Eine moderne Perspektive der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), die klassische Prinzipien der Verstärkung und motivationsbasierte Interventionen integriert, erscheint zur Behandlung der Sucht besonders gut geeignet. Dies wurde im vorliegenden Therapiekonzept realisiert, welches störungsspezifische Ansätze mit störungsübergreifenden wirkfaktoren- und bedürfnisorientierten Ansätzen in einem stimmigen Gesamtkonzept vereint.
Bevor auf evidenzbasierte verhaltenstherapeutisch orientierte Strategien der Suchtbehandlung eingegangen wird, werden ätiologische Konzepte sowie relevante epidemiologische Daten präsentiert sowie allgemeine Überlegungen zum Konzept der Sucht vorgestellt und anhand ihrer historischen Entwicklung hergeleitet. Ebenso werden strukturelle Spezifika hinsichtlich ihrer jeweiligen Besonderheiten in Bezug auf die Suchttherapie besprochen (z. B. ambulantes versus stationäres Setting).
Aufgrund der motivationalen Schwierigkeiten von Suchtpatienten in der Psychotherapie bedarf es einer speziellen Atmosphäre, die zu weiten Teilen über die Beziehungsgestaltung vermittelt wird. Gestaltungsprinzipien für die therapeutische Beziehung werden aus unterschiedlichen evaluierten Ansätzen zusammengefasst und komprimiert. Insbesondere Konzepte wie das Motivational Interviewing oder die für Suchtprobleme modifizierte Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT-Sucht) propagieren die hohe Bedeutung einer humanistischen Grundhaltung des Therapeuten, um Patienten mit bedingungsloser Wertschätzung und Akzeptanz zu begegnen und Ressourcen zu mobilisieren.
Seitens der therapeutischen Techniken werden verschiedene Bausteine bzw. Module für die langfristige ambulante Verhaltenstherapie vorgestellt. Sie werden in drei Phasen unterteilt.
Phase 1 fokussiert auf den Beginn der Behandlung mit Vorschlägen für den Erstkontakt, Hinweise für die Diagnostik sowie die Psychoedukation und die Definition adäquater Therapieziele.
Phase 2 ist störungsorientiert ausgerichtet. Dazu zählen motivationsfördernde Interventionen, die sich u. a. am Konzept des Motivational Interviewing orientieren. Für einen funktionalen Umgang mit Suchtdruck-intensiven aversiven Affekten werden Elemente des Skillstrainings aus der DBT-Sucht vorgestellt. Denn erst wenn Patienten ihre Ambivalenz bewältigt haben, ausreichend änderungsmotiviert und zudem befähigt sind, Suchtdruck und starke Affekte ohne die Hilfe psychoaktiver Substanzen zu regulieren, sind die klassischen Komponenten einer Kognitiven Verhaltenstherapie indiziert. Dazu zählen die Exposition mit Suchtreizen (Cue-Exposure),Kontingenzmanagement und die Umstrukturierung suchtspezifischer Kognitionen. Schließlich werden emotionsaktivierende (z. B. imaginative und achtsamkeitsbasierte) Interventionen ergänzt, die in Kombination mit kognitiven Techniken wie ein Booster verstärkend wirken können, indem aktivierte affektive Schemata schneller auf kognitive Strategien respondieren.
Phase 3 stellt eine störungsübergreifende Perspektive vor. Denn die Reduktion suchtspezifischer Symptome ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus, um die subjektive Lebensqualität bzw. Lebenszufriedenheit zu erhöhen. Daher wird in Anlehnung an das Konzept der allgemeinen Psychotherapie nach Klaus Grawe ein Fokus auf Kongruenz im Sinne einer möglichst guten Passung zwischen Grundbedürfnissen von Patienten und ihrer realen Lebensführung gelegt. Inkongruenz ist nicht zuletzt ein Parameter, der mit dem Erleben von Stress assoziiert ist und dadurch als Risikofaktor für Substanzkonsum wirksam werden kann. Die Arbeit an einer bedürfnisbefriedigenden Lebensperspektive ist daher auch im Sinne einer Rückfallprävention der Sucht von Bedeutung.
In Anlehnung an die Diskussion um wirksame Prozesse in Psychotherapien werden anschließend Hinweise für eine sog. »wirkfaktorenorientierte Suchtbehandlung« formuliert. Dabei werden Überlegungen angestellt, inwiefern relevante therapeutische Wirkfaktoren eine besondere Bedeutung für Therapieprozesse mit Suchtpatienten haben können. Kenntnis über derartige Prozesse, welche die Effektivität von Suchttherapien erhöhen können, lassen sich problemlos in die einzelnen inhaltlichen Module des therapeutischen Konzepts integrieren.
Auch wenn dies nicht auf einer empirischen Datenbasis beruht, weist die klinische Praxis darauf hin, dass die Behandlung von Suchtpatienten typische schwierige Situationen generieren kann. Die Vorbereitung auf solche Situationen trägt mit Sicherheit zu einem konfliktreduzierten Ablauf der Behandlung bei. Daher werden entsprechende Erfahrungen, soweit dokumentiert, subsummiert.
Metaphern werden in Psychotherapien häufig und gerne genutzt. Denn sie verdeutlichen komplexe Sachverhalte in anschaulichen Bildern und sind daher leichter speicher- und abrufbar. Das gilt auch für die Therapie von Suchtpatienten. Einige typische Metaphern werden hier aufgeführt, in der Hoffnung, dass sich auch die Leser dieses Bands in ihren Therapien an die eindrücklichen Bilder erinnern und damit ihre Behandlungen ein wenig anreichern können.
Der vorliegende Band schließt mit einer Übersicht über die aktuelle Evidenzlage von Suchttherapie im Allgemeinen und, soweit verfügbar, von einzelnen Interventionen.
 
 
 

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Fallvignette

 
Thorsten ist 27 Jahre alt. Er ist bei seinen leiblichen Eltern in einer deutschen Großstadt aufgewachsen. An seine Kindheit hat er wenig schöne Erinnerungen. Oft hat er sich vernachlässigt und wertlos gefühlt. Seine Mutter war vermutlich depressiv, sein Vater war schwer alkoholabhängig und für Thorsten unberechenbar. Es wusste nie, wie er sich zu verhalten habe, um keine Schläge zu bekommen. Seine Mutter hat sich nicht eingemischt. Nach dem Abitur hat Thorsten ein Studium in Soziologie begonnen, nach drei Semestern ist er aber kaum noch zur Uni gegangen. Er hat einen Freundeskreis gefunden, in dem er sich sehr aufgehoben gefühlt hat. Mit seinen Freunden ist er jeden Abend herumgezogen, hat viel Alkohol getrunken und Cannabis geraucht. Auf Partys hat er zudem regelmäßig Kokain, Amphetamine und MDMA konsumiert. Da er sich diesen Lebensstil nicht finanzieren konnte, hat er angefangen, Drogen zu verkaufen. Als er 22 Jahre alt wurde, konsumierte Thorsten täglich Amphetamine und Kokain, abends rauchte er Cannabis, um einschlafen zu können. Eines Tages, nachdem er mehrere Tage nacheinander auf Partys verbracht hatte, hörte er plötzlich Stimmen und hatte das Gefühl, dass ihn andere Menschen, z. B. in der Straßenbahn, mit Blicken fixierten, als wollten sie etwas von ihm. Er fühlte sich bedroht und zog sich paranoid zu Hause zurück. Nach diversen Überredungsversuchen durch seine Freunde ging er in deren Begleitung zu einer psychiatrischen Klinik, in der eine substanzinduzierte Psychose und eine Suchterkrankung durch multiplen Substanzgebrauch diagnostiziert wurde. Er wurde auf eine offene Station aufgenommen. Die psychotische Symptomatik war schnell rückläufig, aber es fiel Thorsten derart schwer, keine Drogen zu konsumieren, dass er mehrmals aus der Klinik weglief, um Kokain und Cannabis zu besorgen. In der Klinik wurde er daher auf eine Suchtstation verlegt. Dort gelang es ihm, zwei Monate abstinent zu bleiben, sodass er in die Suchtambulanz entlassen wurde, wo er einmal pro Woche zu einer suchtspezifischen Psychotherapie gehen sollte. Dort stellte sich heraus, dass Thorsten ausgeprägte Probleme hatte, Stress und generell schwierige Situationen zu tolerieren. Er reagierte sofort mit starkem Suchtdruck, wenn es in seinem Leben schwierig wurde. In der Behandlung lernte er Strategien, um mit starken negativen Emotionen funktional umzugehen sowie Stress und Suchtdruck auszuhalten. Das Hauptproblem war aber eine quälende Langeweile, die er in nüchternem Zustand empfand. In seinem Kopf drehte sich alles nur um Kokain und Cannabis, solange, bis er dem Drang nachgab. Und einmal mit dem Konsumieren begonnen, verlor er die Kontrolle, indem er erst dann stoppen konnte, wenn nichts mehr zu konsumieren da war. Er brach die Therapie nach wenigen Monaten ab und wurde schwer rückfällig. In den folgenden drei Jahren gab es diverse Versuche, den Konsum zu reduzieren, doch das funktionierte zumeist nur unter der Woche. An Wochenenden verlor er regelmäßig die Kontrolle über seinen Konsum, begleitet von bagatellisierenden Kognitionen. Beispielsweise redete er sich immer wieder ein, er habe alles im Griff und brauche nur einen definitiven Zeitpunkt zum Beenden seines Drogenkonsums festlegen. Drei Jahre später, als er erneut mit einer drogeninduzierten Psychose in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde, beschloss er schließlich, mit Hilfe einer Psychotherapie engagierter an seiner Abstinenz zu arbeiten. Das erste Problem dabei war sein Bekanntenkreis. Er hatte sich im Laufe der Zeit von allen Freunden und Bekannten distanziert, die nichts mit Drogen zu tun hatten. Es war ihm niemand geblieben, mit dem er einen Tag verbringen konnte, ohne dass irgendwann Joints gedreht oder Stimulanzien konsumiert wurden. Der Versuch, als einziger in der Gruppe nüchtern zu bleiben, hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Erstens war dann der Suchtdruck zu stark und zweitens spürte er eine gewisse Distanz zu den anderen, nachdem sie Cannabis konsumiert hatten. Irgendwie konnte er dann nichts mehr mit ihnen anfangen. Das dritte Problem war die Abendplanung. Ihm wurde schnell klar, dass er es nüchtern nicht schaffen werde, drei Tage pausenlos zu tanzen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen beschloss er, sich ein neues Leben und einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Er setzte sein Studium fort und fing an, Ausdauersport zu treiben mit dem Ziel der Teilnahme an einem Halbmarathon. Dies passte zum einen nicht zum Konsum von Drogen, und darüber hinaus lernte er seinen mentalen Zustand nach dem Training schätzen. Er beschrieb diesen als tiefgreifend befriedigend. Sich Entspannung durch den Sport zu erarbeiten, fühlte sich authentischer an, als dem Körper die Entspannung durch Drogen aufzuzwingen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor war es, sich langfristige Ziele zu setzen und das aktuelle Leben daran auszurichten. Beim Sport war dies der Halbmarathontermin, der es nicht erlaubte, mit dem Training auszusetzen, um sich gehen zu lassen. Des Weiteren setzte er sich bei seinem Studium realistische Semesterziele, die es nicht erlaubten, zuhause Cannabis zu konsumieren, anstelle zur Vorlesung zu gehen. Und schließlich lernte er seine jetzige Freundin kennen. Sie konsumierte keine Drogen und hatte einen Freundeskreis, mit dem Thorsten gut klarkam. Diese Kombination aus beruflicher Perspektive, befriedigender Freizeitgestaltung und sozialer Einbindung kann als entscheidend für das erfolgreiche Überwinden von Thorstens Sucht verstanden werden. Sein Leben war nun im Gegensatz zu seiner vorigen ausschließlichen Lustorientierung/Unlustvermeidung auf allen relevanten Ebenen bedürfnisbefriedigend. Seine langfristigen Zielperspektiven befriedigten sein Bedürfnis, im Leben einen Sinn zu sehen. Dass er seine Ziele aus eigener Kraft erreichen konnte, befriedigte sein Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Gleichzeitig fehlte es ihm nicht an Lustgewinn, mit dem Unterschied, dass sein Lustgewinn nicht an den Konsum einer Substanz gebunden, sondern selbst erarbeitet war, was sein Selbstwirksamkeitserleben stärkte. Und schließlich erlebte er eine befriedigende soziale Einbindung, die nicht nur zum Zwecke des gemeinsamen Berauschens existierte. Psychotische Episoden sind übrigens bis heute keine mehr aufgetreten.

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Grundzüge der Verhaltenstherapie der Sucht

3.1 Historische Wurzeln der modernen Suchtbehandlung

Die weite Verbreitung von Alkoholproblemen erforderte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Lösungen. Vom sogenannten »Saufteufel Befallene« lebenslang wegzuschließen, was zuvor die gängige Praxis war, erschien nicht mehr praktikabel. Gleichzeitig hatte die Medizin die Sucht als »Krankheit des Willens« (Rush 1774) anerkannt und Behandlungen von Alkoholabhängigen entwickelt. Dennoch war damit die sozialrechtliche Anerkennung von Alkoholsucht als Krankheit noch nicht vollzogen. Im Jahr 1851 eröffnet schließlich die erste deutsche »Trinkerheilanstalt« bei Düsseldorf. Bereits ein halbes Jahrhundert später gab es in Deutschland 54 solcher Einrichtungen.
Mit den Trinkerheilanstalten war eine »moralische Behandlung« assoziiert (die »drei As«): »Abgeschiedenheit, Andacht und Arbeit« (Aßfalg 2003; Lindenmeyer 2004). Die Einrichtungen waren geografisch abgelegen, um jegliche Verführung zum Alkohol auszuschließen. Zentrale therapeutische Anliegen waren eine religiöse Sinnfindung und die ehrliche Auseinandersetzung der Betroffenen mit ihrer Abhängigkeit. Die Patienten mussten hart arbeiten, um so für die Kosten ihrer Behandlung aufzukommen.
Der damalige Umgang mit süchtigen Menschen in diesen Anstalten weist interessanterweise einige Charakteristika auf, die auch in modernen Konzepten der Suchttherapie von Relevanz sind (abgesehen vom damals ebenso vorherrschenden militärischen Drill): Wird Andacht mit Sinnfindung und innerer Achtsamkeit assoziiert, befindet man sich fast in Einklang mit aktuellen Prinzipien der modernen kognitiven Verhaltenstherapie. Genauso wird der Aspekt der Arbeit vor dem Hintergrund der beruflichen Integration verstärkt fokussiert, bzw. es wird moniert, dass die moderne Psychotherapie solche lebenspraktischen Aspekte zu sehr aus den Augen verloren hat. Abgeschiedenheit im Sinne einer bewussten Abkehr des süchtigen Individuums von Alltagsreizen, die das Suchtverhalten auslösen, wird noch heute praktiziert. Allerdings scheint die Abgeschiedenheit langfristig nicht erfolgversprechend zu sein. Denn selbst nach langer Abgeschiedenheit ist nach der Rückkehr in gewohnte Umwelten die Rückfallgefahr hoch. Betroffene müssen nach der Phase der Abkehr lernen, in der alltäglichen Konfrontation mit suchtassoziierten Reizen den auftretenden Suchtdruck auszuhalten, ohne ihm nachzugeben. Zusammenfassend empfehlen moderne Suchttherapeuten daher eher die Behandlung innerhalb des gewohnten Umfelds als in der Abgeschiedenheit.
Das Ende der »Trinkerheilanstalten« wurde im Jahre 1968 eingeleitet, nachdem Alkoholabhängigkeit in Deutschland sozialrechtlich anerkannt wurde. Die Einrichtungen wurden zu ersten Suchtfachkliniken umgewandelt, in denen Ärzte und speziell ausgebildete Suchttherapeuten arbeiteten. Die Behandlung von Alkoholabhängigen differenzierte seitdem wie heute zwischen einer körperlichen Akutphase (Entzugsbehandlung) und der langfristig angelegten Entwöhnungsbehandlung. Ziel der Therapie war unter der Bedingung strikter und dauerhafter Abstinenz das Wiedergewinnen bzw. Sichern der Erwerbsfähigkeit ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort der Reihenherausgeber
  5. Inhalt
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Fallvignette
  8. 3 Grundzüge der Verhaltenstherapie der Sucht
  9. 4 Moderne Therapieansätze und Programme
  10. 5 Empirische Evidenz der Suchtbehandlung
  11. 6 Klinische, bevölkerungsbezogene und gesundheitspolitische Relevanz
  12. 7 Abschlussbemerkungen
  13. Literatur
  14. Sachwortverzeichnis