Hetzjagd durch die Zeit
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Hetzjagd durch die Zeit

Reportagen

  1. 328 Seiten
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Reportagen

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Fassung in aktueller RechtschreibungEgon Erwin Kisch gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus. Nach dem Titel eines seiner Reportagebände wurde er auch als "der rasende Reporter" bekannt. "Schreib das auf, Kisch!" wurde zum geflügelten Wort in den 1920ern.Lesen Sie hier 30 seiner gelungensten Reportagen und Essays."Reportage ist eine sehr ernste, sehr schwierige, ungemein anstrengende Arbeit, die einen ganzen Kerl erfordert. Kisch ist so einer." [Kurt Tucholsky]Mit 153 FußnotenNull Papier Verlag

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783962817138

Im Wigwam1 Old Shatterhands

Der Grund für den Sturm mo­ra­li­scher Ent­rüs­tung, der sich in der Ge­richts­saal­ru­brik er­ho­ben hat­te und von dort un­auf­halt­sam durch Feuil­le­ton und Leit­ar­ti­kel feg­te, war dem Ken­ner jour­na­lis­ti­scher Ge­pflo­gen­heit er­sicht­lich. Karl May war ohne Mit­wir­kung der Kri­tik, ohne Zei­tungs­re­kla­me Haupt ei­ner viel­tau­send­köp­fi­gen Le­ser­ge­mein­de, zu ih­rem He­ros und zu ei­ner po­pu­lä­ren und all­ge­mein in­ter­essan­ten Per­sön­lich­keit ge­wor­den, und je­der ak­tu­el­le An­lass zur Stel­lung­nah­me muss­te ge­grüßt sein. Hät­te er einen Li­te­ra­tur­preis be­kom­men, so wä­ren per­sön­li­che Re­mi­nis­zen­zen, Bio­gra­fi­en, Be­weih­räu­che­run­gen er­schie­nen, da er im Ge­richts­saal eine Schlap­pe er­litt, wur­de eben Em­pö­rung ge­bo­ten, umso leich­ter zu mo­ti­vie­ren, als Karl May ja, weiß Gott, kei­ne li­te­ra­risch ernst zu neh­men­de Ge­stalt dar­stell­te. Da­bei schi­en es klar, dass von den ge­gen ihn er­ho­be­nen Be­schul­di­gun­gen die meis­ten nichts als ge­schickt pro­pa­gier­te Ma­che be­deu­te­ten und über­dies ver­jähr­te De­lik­te be­han­del­ten.
Ers­tens: Karl May habe nie­mals die be­schrie­be­nen Län­der ge­se­hen, und alle sei­ne Er­leb­nis­se sei­en er­fun­den! – Be­reits als vier­zehn­jäh­ri­ge Karl-May-Fa­na­ti­ker hat­ten wir nicht eine Mi­nu­te ge­glaubt, dass Old Shat­ter­hand wirk­lich jahr­zehn­te­lang in den Prä­ri­en des Ar­kan­sas, in den Schluch­ten des Bal­kan, am Rio de la Pla­ta, im Rei­che des Sil­ber­nen Lö­wen und so wei­ter und so wei­ter sich her­um­ge­trie­ben, Bä­ren, Lö­wen, Ti­ger, Ele­fan­ten und Büf­fel ge­jagt, Län­der ent­deckt, In­dia­ner­stäm­me ge­fan­gen, durch den Hieb sei­ner Schmet­ter­hand Men­schen be­täubt, die wil­des­ten Hengs­te zu­ge­rit­ten. Tau­sen­de über­mensch­li­cher Aben­teu­er sieg­reich be­stan­den und nach­her noch Zeit ge­fun­den habe, vier­zig dick­lei­bi­ge Bän­de, ab­ge­se­hen von den Ro­ma­nen im »Gu­ten Ka­me­ra­den«, zu schrei­ben.
Zwei­tens: Mays Dok­to­rat sei er­schwin­delt. – Auch das war uns schon kna­ben­weis im­mer ganz selbst­ver­ständ­lich ge­we­sen: dass er sich die­sen Ti­tel eben­so bei­le­ge wie den des Kara ben Nem­si oder des Old Shat­ter­hand. So­gar noch selbst­ver­ständ­li­cher, denn über sei­ne Hoch­schul­zeit hat­te er in sei­nen Bü­chern nie­mals et­was aus­ge­sagt.
Drit­tens: Er habe sei­ne Frau ohne Un­ter­stüt­zung ge­las­sen. – Das war eine Pri­vat­an­ge­le­gen­heit, die das Pub­li­kum nichts an­ging, ob­wohl man zu­ge­ben muss, die­se Be­schul­di­gung hät­te uns in der Ju­gend am meis­ten ver­blüfft, da »Em­meh« in den Ro­ma­nen als das Ide­al ei­ner ge­lieb­ten Frau ge­schil­dert war.
Vier­tens: In sei­nen Erst­lings­bü­chern sei­en fri­vo­le Stel­len ent­hal­ten. – Die­se Ro­ma­ne, ver­schol­len, ste­hen nicht in Zu­sam­men­hang mit dem Er­folg Mays, den hat­ten die Feh­sen­feld­schen Bän­de er­zeugt, und die­se strot­zen so sehr von mo­ra­li­schem Ge­sal­ba­der und Fröm­mig­keit, dass selbst all­fäl­li­ge wüs­tes­te Por­no­gra­fie von Ju­gend­wer­ken da­durch reich­lich wett­ge­macht ist.
Fünf­tens: Er sei ein Pla­gia­tor. – Eine voll­kom­men un­halt­ba­re Be­haup­tung. Denn im Grund war über­haupt kei­ne Hand­lung in die­sen di­cken, atem­lo­sen Bü­chern, ihre Span­nung wur­de, bil­lig ge­nug, durch die Mas­se der Geg­ner, die Schnel­lig­keit von Flucht und Ver­fol­gung, die Un­be­sieg­bar­keit des Hel­den und durch den Zau­ber exo­ti­scher Na­men (»Fan­ta­sie«) er­regt, und die­se Ele­men­te wie­der­hol­ten sich un­un­ter­bro­chen, so­dass May nur ein Pla­gia­tor sei­ner selbst sein konn­te. Die Par­al­le­li­tät ei­ner klei­nen No­vel­le Ger­stäckers (ein Fluch, der sich er­füllt) mit ei­ner Mays war üb­ri­gens den Ma­ya­nern be­kannt, ohne dass wir die­ser Tat­sa­che Be­deu­tung bei­ge­legt hät­ten.
Sechs­tens: Karl May sei ein be­rüch­tig­ter Räu­ber­haupt­mann, Zucht­häus­ler, Ge­walt­tä­ter und Er­pres­ser. – Das war zu ab­surd, um er­fun­den zu sein, aber da May doch als ei­ner der pro­duk­tivs­ten Schrift­stel­ler we­der Geld­not noch Zeit zu Ver­bre­chen ha­ben konn­te, muss­ten die De­lik­te min­des­tens vier­zig Jah­re zu­rück­lie­gen (umso nie­der­träch­ti­ger der Vor­wurf) und schie­nen über­trie­ben cha­rak­te­ri­siert zu sein.
Das wa­ren sie al­ler­dings nicht. Das Ma­te­ri­al, das mir für große Sum­men – die Karl-May-Kam­pa­gne war eine In­dus­trie ge­wor­den – zum Ab­druck an­ge­bo­ten wur­de, gab dar­über Aus­kunft. Ich kauf­te es umso we­ni­ger, als ich mich be­reits auf die Sei­te Mays ge­stellt und ihm mei­ne pu­bli­zis­ti­sche Hil­fe an­ge­bo­ten hat­te, die er mit Freu­de an­nahm. Den­noch kann nicht ge­leug­net wer­den, dass die Ge­richts­ak­ten als Bei­trag zur Psy­cho­lo­gie des schrift­stel­le­ri­schen Schaf­fens be­deut­sam, ja sen­sa­tio­nell sind. Für den Fall Karl May be­wei­sen sie: Er ver­dank­te den au­ßer­or­dent­li­chen Er­folg sei­ner Bü­cher ei­ner so au­ßer­or­dent­li­chen Hem­mungs­lo­sig­keit, dass sie im bür­ger­li­chen Le­ben nur als kri­mi­nell ge­wer­tet wer­den konn­te, und er war kein ge­wöhn­li­cher Bra­mar­bas, son­dern wirk­lich ein Mann des Aben­teu­ers, das aus dem Tät­li­chen ins Ver­ba­le ver­drängt, also in­ner­lich echt war. Wie sehr die den heid­nischen und mo­ham­me­da­ni­schen Mi­lieus auf­ge­setz­ten Pre­dig­ten von Moral und Ehre dazu dienten, eine ver­krümm­te Le­bens­li­nie ge­ra­de­zu­bie­gen, in­dem sie auf die an­de­re Sei­te ge­neigt wur­de, liegt klar zu­ta­ge. May führt die­se Über­kom­pen­sa­ti­on auf sitt­li­che Läu­te­rung zu­rück, die ein ka­tho­li­scher An­stalts­ka­te­chet bei ihm, dem Luthe­ra­ner, be­wirkt hat, doch wird die Tat­sa­che, dass die er­fun­de­nen Aben­teu­er das ge­naue Kom­ple­ment der er­leb­ten sind, aus den Ak­ten er­sicht­lich. Ei­ni­ge Pro­ben dar­aus kön­nen ver­öf­fent­licht wer­den, ohne dass je­mand es wa­gen wird, sie zu ei­ner Her­ab­set­zung Mays zu ver­wen­den, der nach die­sen Ta­ten mehr als vier­zig Jah­re lang an sei­nem schrift­stel­le­ri­schen Œu­vre ge­ar­bei­tet hat, so gut er konn­te.
Fasz.-Nr. 80 463
Kgl. Po­li­zei­amt Leip­zig.
20. März 1865.
Mit heu­ti­gem Tage zeigt Herr Her­mann Hen­nig, im Ge­schäft sei­ner Mut­ter, der Wit­frau2 Jo­han­na Hen­nig, Es­sig­fa­bri­kan­tin, Tho­mas­kirch­hof 12, an: Nach­mit­tags ge­gen drei Uhr sei zu sei­ner Mut­ter ein jun­ger Mann ge­kom­men, cir­ca 25 Jah­re alt, blas­ses Ge­sicht, blon­des halb­lan­ges Haar, ohne Bart, cir­ca 73 Zoll groß und von schlan­ker Sta­tur, be­klei­det mit brau­ner Tucht­wi­ne, grau­en Ho­sen und ei­ner De­ckel­müt­ze, und habe sich mit Frau Hen­nig so­fort über ein Zim­mer, das die­sel­be zu ver­mie­ten und heu­te im Ta­ge­blatt an­non­ciert hat­te, ge­ei­nigt. Kurz dar­auf habe der jun­ge Mann, der sich »No­ten- und For­men­ste­cher Her­min« nann­te, eine Geld­ta­sche in den Klei­der­schrank ge­han­gen und sich ent­fernt. Cir­ca drei­vier­tel­fünf Uhr sei der an­geb­li­che Her­min wie­der nach Hau­se ge­kom­men, und kurz dar­auf habe ein Kür­sch­ner­bur­sche einen Bi­ber­pelz ge­bracht. Der Kür­sch­ner­bur­sche sei in die von Her­min ge­mie­te­te Stu­be ge­gan­gen. Nach un­ge­fähr ei­ner hal­b­en Stun­de kam der Kür­sch­ner­bur­sche ins Ne­ben­zim­mer und frag­te, wo der Käu­fer des Pel­zes sich auf­hiel­te, er las­se ihn schon so lan­ge war­ten. Man habe nun den Her­min ge­sucht, den­sel­ben je­doch nicht ge­fun­den, au­gen­schein­lich sei der­sel­be mit dem Pelz, den er sei­nen Wirts­leu­ten zu zei­gen an­ge­ge­ben, so­fort die Trep­pe hin­un­ter­ge­lau­fen, und habe auch die Stu­be nur zu dem Zwe­cke ge­mie­tet, um den Be­trug aus­füh­ren zu kön­nen.
Der gleich­zei­tig mit­er­schie­ne­ne Kür­sch­ner­ge­hil­fe Otto Er­ler hat den an­geb­li­chen Her­min ge­nau so, wie oben be­merkt, be­schrie­ben und dazu be­merkt: Der­sel­be sei heu­te nach­mit­tags in das Ge­schäfts­lo­kal, wo nur Er­lers Mut­ter an­we­send ge­we­sen, Brühl Nr. 73, ge­kom­men, habe einen Bi­ber­pelz mit Bi­ber­fut­ter und des­glei­chen Auf­schlag und schwar­zem Tuch­über­zug für 72 Ta­ler ge­kauft und den Auf­trag ge­ge­ben, den Pelz in sei­ne Woh­nung bei Frau Hen­nig zu tra­gen. Dies habe Er­ler ju­ni­or auch ge­tan, habe den an­geb­li­chen Her­min an­ge­trof­fen, dem­sel­ben den Pelz über­ge­ben und nun auf die Zah­lung ge­war­tet. Her­min sei da­mit zur Stu­be hin­aus­ge­gan­gen, um den Pelz sei­nen Wirts­leu­ten zu zei­gen, je­doch nicht wie­der­ge­kom­men.
Die Geld­ta­sche, die der Frem­de in den Klei­der­schrank der Frau Hen­nig ge­han­gen, hat der­sel­be, auf wel­che Wei­se, ist un­be­kannt, wie­der an sich und mit fort­ge­nom­men. – Die Po­li­zei hat das Leih­haus und die Pfand­lei­hen be­nach­rich­tigt und er­sucht, den Pelz ge­ge­be­nen­falls fest­zu­hal­ten.
Kgl. Po­li­zei­amt Leip­zig,
21. März 1865.
Früh nach acht Uhr ist vom Leih­hau­se ge­mel­det, dass ein Bi­ber­pelz von Frau Bey­er, Hal­le­sche Stra­ße 5, zum Ver­satz ge­bracht und letz­te­re an­ge­hal­ten ist. Auf Vor­le­gen hat Herr Kür­sch­ner­meis­ter Er­ler den Pelz als den­je­ni­gen an­er­kannt, den ges­tern nach­mit­tags sei­ne Ehe­frau an den be­schrie­be­nen jun­gen Mann ver­kauft habe. Frau Bey­er hat, be­fragt, an­ge­ge­ben, dass ges­tern nach­mit­tags nach fünf Uhr ein jun­ger Mann, ei­ni­ge zwan­zig Jah­re alt, schlank, ohne Bart, mit blas­sem Ge­sicht, be­klei­det mit schwar­zem Rock und schwarz­sei­de­ner Müt­ze, der im Hals­tuch zwei Steck­na­deln ge­tra­gen, zu ihr ge­kom­men sei, ihr den frag­li­chen Pelz zum Ver­satz im Leih­hau­se über­bracht und, da sie ihm ge­sagt, dass sie den Ver­satz erst am nächs­ten Tag vor­neh­men kön­ne, vor­läu­fig Zah­lung von zehn Ta­lern ver­langt habe. Die­se Sum­me habe sie dem Frem­den, der sich »Fried­rich« ge­nannt, nach Rück­spra­che mit ih­rem Ehe­mann auch ge­ge­ben, wor­auf sich der an­geb­li­che Fried­rich ent­fernt und am fol­gen­den Tag das üb­ri­ge Geld vor­mit­tags um neun Uhr ab­ho­len zu wol­len er­klärt habe.
Der Wacht­meis­ter Lind­ner hat sich so­fort mit Po­li­zei­die­ner Krug in die Woh­nung der Bey­er ver­fügt, um den Frem­den, wenn er sich ein­fin­den wür­de, in Be­schlag zu neh­men. Der Frem­de hat sich je­doch we­der um neun Uhr noch spä­ter bei Frau Bey­er wie­der se­hen las­sen.
27. März 1865.
Ges­tern Nach­mit­tag um drei Uhr hat Frau Bey­er, Hal­le­sche Stra­ße 5, hier mel­den las­sen, dass ein Pack­trä­ger so­eben un­ter Über­rei­chung des Zet­tels (folgt Sub 1 bei) Zah­lung des­je­ni­gen Be­tra­ges ver­langt hat, wel­chen sie nach Ge­wäh­rung der zehn Ta­ler von dem beim Leih­haus ver­lang­ten Pfand­be­trag für den Pelz noch üb­rig habe, so­wie dass der Pack­trä­ger (Karl Hein­rich Mül­ler, Tho­mas­kirch­hof 10) in ih­rer Woh­nung war­te. Die so­fort da­hin ab­ge­gan­ge­nen Po­li­zei­die­ner Bent­ner und Wolff ha­ben den Pack­trä­ger in der Beyer­schen Woh­nung nicht mehr an­ge­trof­fen und von Frau Bey­er er­fah­ren, dass ihr Mann mit dem­sel­ben in das Ro­sen­tal ge­gan­gen sei, um den­je­ni­gen, der dem Pack­trä­ger den Auf­trag zur Ab­ho­lung des Gel­des ge­ge­ben habe und an ge­dach­tem Platz auf Rück­kunft sei­nes Bo­ten habe war­ten wol­len, fest­zu­hal­ten.
Die Die­ner Bent­ner und Wolff ha­ben sich nun ei­ligst in das Ro­sen­tal be­ge­ben, sind dort kurz nach dem Pack­trä­ger und Herrn Bey­er ein­ge­trof­fen und ha­ben einen frem­den Mann, mit dem der Pack­trä­ger, nach­dem er von je­nem zur Ab­ga­be des Gel­des in das Ge­büsch ge­ru­fen wor­den ist, ge­run­gen hat, er­grif­fen und nach­her mit­tels ei­nes Fia­kers hier­her­trans­por­tiert. Bei dem Rin­gen mit dem Pack­trä­ger, der an­fäng­lich sich ge­stellt hat, als ob er das Geld brin­ge, und so dem Frem­den ganz nahe ge­kom­men ist und ihn nun ge­packt hat, ist dem Frem­den ein Beil (folgt Sub 2 bei), wel­ches der­sel­be bei sich ge­führt hat, un­ter dem Ro­cke vor­ge­glit­ten. Der Ar­re­tier­te ist an­fäng­lich ganz re­gungs­los und an­schei­nend leb­los ge­we­sen und hat auch, nach­dem der Po­li­zei­arzt her­zu­ge­ru­fen wur­de, nicht ge­spro­chen und erst spä­ter an­ge­ge­ben, dass er Karl Fried­rich May hei­ße, in Ernst­thal hei­mat­be­rech­tigt und dort Leh­rer ge­we­sen sei und seit dem 28. Fe­bru­ar die­ses Jah­res in Goh­lis, an­fäng­lich bei Haus­be­sit­zer Wil­helm Damm, Mö­ckern­sche Stra­ße 28b, dann aber bei dem Stahl­ste­cher Schu­le, in dem näm­li­chen Hau­se wohn­haft, ge­wohnt habe.
Das Beil ist Ei­gen­tum des ge­dach­ten Schu­le, im Be­sitz Mays ge­we­sen und von dem­sel­ben ges­tern mit zur Stadt ge­bracht wor­den. Bei ei­ner Vi­si­ta­ti­on in der Woh­nung Mays hat man die Um­hän­ge­ta­sche des­sel­ben (folgt Sub 3 bei), den Hei­mat- und Ver­halt­schein (Sub 4/5), einen Ver­halt­schein des Orts­ge­rich­tes zu Naus­litz (Sub 6) auf­ge­fun­den.
May ist ges­tern Nach­mit­tag auf­ge­ho­ben wor­den. Er hat die Schrift­stücke Sub 7-13 samt da­zu­ge­hö­ri­gen Ku­verts, einen Pfand­schein des Pfand­lei­hers Bit­ter­lich (Sub 14), zwei Zet­tel­chen, Adres­sen von hier und Dres­den ent­hal­tend (Sub 15 und 16), ein Por­te­mon­naie mit 20 Pf., drei Mün­zen und ei­nem un­ech­ten Ring (Sub 17), ein Ra­sier­mes­ser (Sub 18) und ei­ni­ge Toi­let­te­ge­gen­stän­de, Blei­stift pp. (Sub 19) bei sich ge­habt.
Heu­te früh ist May so­wohl Herrn Her­mann Hen­nig als Frau Frie­de­ri­ke Er­ler, geb. Krum­bach, vor­ge­stellt und von bei­den als der Er­mie­ter des Lo­gis bei Frau Hen­nig bzw. der Käu­fer des Bi­ber­pel­zes an­er­kannt wor­den. May hat auch ein­ge­räumt, dass er sich auf die Fol. 1 an­ge­ge­be­ne Wei­se den Pelz des Herrn Er­ler zu er­schwin­deln ge­wusst habe. Fer­ner ist der­sel­be auf Vor­halt, dass er der im Gen­dar­me­rieblatt Band X, Stück 50, Sei­te 291, Nr. 19, auf­ge­führ­te Un­be­kann­te sei, wel­cher sich in Chem­nitz auf be­trü­ge­ri­sche Wei­se zwei Pel­ze von Bi­sam und zwei Frau­en­pelz­kra­gen im De­zem­ber vo­ri­gen Jah­res er­schwin­delt habe, nicht in Ab­re­de zu stel­len im­stan­de ge­we­sen, dass er in Wahr­heit der dort auf­ge­tauch­te Se­mi­nar­leh­rer, wel­cher sich Fer­di­nand Loh­se ge­nannt habe, sei. Die betr. Re­qui­si­ti­on wird bei­ge­legt.
May ist nicht über Leip­zig ge­kom­men, hat viel­mehr sei­ner An­ga­be zu­fol­ge die bei­den Pelz­pe­le­ri­nen an ein ihm un­be­kann­tes Frau­en­zim­mer für sechs Ta­ler in Frei­berg, den neu­en Pelz für zwan­zig Ta­ler an den Guts­be­sit­zer Fick­ler in Naus­litz bei Dres­den ver­kauft und den äl­te­ren Pelz für fünf­zehn Ta­ler in Dres­den ver­setzt, an­geb­lich auf dem Sub 14 bei­ge­füg­ten Pfand­schein.
Fer­ner hat May auf Vor­halt auch ein­ge­räumt, dass er der im Gen­dar­me­rieblatt Band X, Stück 7, Sei­te 42, Nr. 22, Sei­te 92, Nr. 17, und Sei­te 123, Nr. 23, ge­such­te, in Pe­nig auf­ge­tauch­te Be­trü­ger, der sich med. Hei­lig ge­nannt hat, sei.
Sei­ner An­ga­be zu­fol­ge hat er den er­schwin­del­ten Win­ter­über­zie­her und die Wes­te noch (die Be­schrei­bung passt ge­nau auf die­se bei­den Klei­dungs­stücke) und will den an­de­ren Rock und die bei­den Paar Bein­klei­der, nach­dem er die­se Klei­dungs­stücke ei­ni­ge Zeit ge­tra­gen, an einen ihm dem Na­men nach nicht be­kann­ten Tröd­ler in Chem­nitz für fünf Ta­ler ver­kauft ha­ben.
Das Beil will May des­halb bei sich ge­führt ha­ben, um es in Leip­zig schär­fen zu las­sen. (Sonn­tags!)
Schließ­lich wird noch er­wähnt, dass der frü­he­re Lo­gis­wirt Mays, Herr Damm, an­ge­zeigt hat, dass ihm aus sei­nem un­ver­schlos­se­nen Kas­ten, der in der Schlaf­kam­mer Mays ge­stan­den, zwei Stück Shir­ting, 6/4 El­len breit und je 6 bis 8 El­len lang, ver­schwun­den sei­en. Die­sen Dieb­stahl stellt May be­harr­lich in Ab­re­de.
Für die­se De­lik­te wur­de Karl May vom Be­zirksamt Leip­zig zu Ar­beits­haus in der Dau­er von vier Jah­ren und ei­nem Mo­nat ver­ur­teilt, wel­che Stra­fe er am 14. Juni 1865 an­trat; nach er­folg­ter Be­gna­di­gung wur­de er am 2. No­vem­ber 1868 ent­las­sen. Kaum an­dert­halb Jah­re spä­ter wird er in Tet­schen an der Elbe von Neu­em fest­ge­nom­men – er hat­te un­ter dem Na­men Al­win Wa­den­bach aus Orby in den böh­mi­schen Wäl­dern des Erz­ge­bir­ges (wo er schon frü­her mit dem Ban­di­ten­haupt­mann Na­po­le­on Krü­ger ein Räu­ber­le­ben ge­führt hat) ver­schie­de­ne De­lik­te ver­übt, war ver­haf­tet wor­den, ist aber ent­sprun­gen. Am 13. April 1870 er­geht vom Kgl. Be­zirks­ge­richt Mitt­wei­da (Abtg. II, Nr. 771) fol­gen­des Ur­teil:
In der Un­ter­su­chung wi­der Karl Fried­rich May er­kennt auf Grund der heu­te statt­ge­fun­de­nen öf­fent­lich-münd­li­chen Ver­hand­lung das Kö­nig­li­che Be­zirks­ge­richt zu Mitt­wei­da für Recht: dass Karl Fried­rich May
we­gen ein­fa­chen Dieb­stahls,
aus­ge­zeich­ne­ten Dieb­stahls,
Be­tru­ges, und
Be­tru­ges un­ter er­schwe­ren­den Um­stän­den,
Wi­der­set­zung ge­gen er­laub­te Selbst­hil­fe, und
Fäl­schung, bzw. mit Rück­sicht auf sei­ne Rück­fäl­lig­keit
nach Ar­ti­kel 272, 2762, 2783, Straf­best. 284, 285, 2b und 3 in Ver­bin­dung mit Art. 276 und 277, 299 Abs. 1 sub. 3 und Abs. 2, 3 Art. 2763, 143 in Ver­bin­dung mit Art. 142, 311, 78, 82 fol­gen­de ff. 300 Abs. 1 des re­vid. Straf­ge­setz­buchs mit Zucht­haus­stra­fe in der Dau­er von vier Jah­ren zu be­le­gen, auch die auf­ge­lau­fe­nen Un­ter­su­chungs­kos­ten ab­zu­stat­ten schul­dig ist.
Das Kö­nigl. Be­zirks­ge­richt
(gez.) Wir­th­gen, Lin­cke, Leon­hardt.
Ent­schei­dungs­grün­de
Der An­ge­klag­te Karl Fried­rich May, geb. Fe­bru­ar 1842 in Ernst­thal, Sohn ei­nes dor­ti­gen noch am Le­ben be­find­li­chen We­bers, hat, wie von ihm selbst an­ge­ge­ben wur­de, eine nicht ge­wöhn­li­che Er­zie­hung ge­nos­sen und ist auf den Se­mi­na­ri­en zu Wal­den­burg und spä­ter zu Plau­en zum Leh­rer ge­wor­den. Nach be­en­dig­tem Kur­sus und nach be­en­dig­ter Prü­fung zum Schul­amts­kan­di­dat ist der An­ge­klag­te ge­gen Ende des Jah­res 1861 als Hilfs­leh­rer in Glauch­au und bald dar­auf als Leh­rer an der Fa­brik­schu­le zu Alt-Chem­nitz an­ge­stellt wor­den. Be­reits im Jah­re 1862 hat in­des May den Ver­lust die­ser Stel­lung da­durch ver­schul­det, dass er einen ge­mei­nen Dieb­stahl ver­üb­te und eine bei dem Ge­richt­samt Chem­nitz ihm zu­er­kann­te sechs­wö­chi­ge Ge­fäng­niss­tra­fe vom 6. Sep­tem­ber bis 20. Ok­to­ber 1862 ver­büßt hat. Glei­cher Ge­stalt ist er im Jah­re 1865 we­gen ge­mei­nen Be­tru­ges vom Be­zirksamt Leip­zig zu vier Jah­ren ei­nem Mo­nat Ar­beits­haus ver­ur­teilt wor­den, hat je­doch die­se Stra­fe in­fol­ge ein­ge­tre­te­ner Be­gna­di­gung nur bis zum 2. Nov. 1868 ver­büßt. Kaum aus der Straf­an­stalt zu­rück­ge­kehrt, hat der An­ge­klag­te sei­ne ver­bre­che­ri­sche Tä­tig­keit aufs neue be­gon­nen.
Ad 1) Am 29. März 1869 vor­mit­tags hat der An­ge­klag­te bei dem Krä­mer Karl Rei­mann in Wie­derau sich ein­ge­fun­den und un­ter dem Vor­ge­ben, er sei der Po­li­zei­leut­nant von Wol­f­rams­dorf aus Leip­zig und be­auf­tragt, nach Falsch­mün­zern, mit de­nen Rei­mann seit Jah­ren in Ver­bin­dung ste­hen sol­le, zu re­cher­chie­ren, ge­nann­ten Rei­mann an­geb­lich zu Pro­to­koll ver­nom­men und ihn auf­ge­for­dert, die etwa vor­han­de­nen Kas­sen­schei­ne zur Prü­fung ihm vor­zu­le­gen. Rei­mann hat einen Zehn­ta­ler­schein her­bei­ge­holt, der An­ge­klag­te aber sol­chen, nach an­schei­nend ge­nau­er Un­ter­su­chung, als falsch er­klärt. Eben­so hat er Rei­manns Ta­schen­uhr mit dem Be­mer­ken, dass er sie als ge­stoh­len er­ken­ne, zu sich ge­nom­men und Rei­mann auf­ge­for­dert, be­hufs wei­te­rer Er­ör­te­rung mit ihm nach Claus­nitz zu ge­hen, wo sich die Gen­dar­me­rie be­fin­de. Dort an­ge­kom­men, ist Rei­mann von dem An­ge­klag­ten einst­wei­len, bis er wer­de ge­ru­fen wer­den, in den Gast­hof ge­wie­sen wor­den. Der An­ge­klag­te selbst mit Geld und Uhr hat sich schleu­nigst von Claus­nitz fort­ge­macht, die Uhr, die einen Schätz­wert von acht Ta­lern be­saß, ver­kauft und den Er­lös eben­so wie den Zehn­ta­ler­schein für sich ver­wen­det.
Ad 2) In ganz ähn­li­cher­wei­se, näm­lich un­ter dem Vor­ge­ben, er sei Mit­glied der Ge­hei­men Po­li­zei und ab­ge­ord­net, we­gen Aus­ga­be falschen Gel­des zu re­cher­chie­ren, ist der An­ge­klag­te am 10. April 1869 bei dem Sei­ler­meis­ter Krau­se in Po­nitz ein­ge­tre­ten, hat den­sel­ben un­ter vier Au­gen zu spre­chen ver­langt, ihn dann auf­ge­for­dert, die vor­han­de­ne Bar­schaft vor­zu­zei­gen, und von dem von Krau­se her­vor­ge­brach­ten, aus 23 Ta­lern Ku­rant­bil­let­t...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Schollenjagd und Haifischfang
  6. Eilige Balkanfahrt
  7. Im Wigwam Old Shatterhands
  8. »Monna Vanna« auf der Hochzeitsreise
  9. Verbrechen in den Hochalpen
  10. Il Equilibrista
  11. Werften und Docks
  12. Es spukt im Mozarthaus
  13. Gässchen der Unterröcke
  14. Die Befreiung Orsovas
  15. Was die Wöchnerinnen singen
  16. Wilde Musikantenbörse
  17. Mysterien des Hydrografischen Instituts
  18. Erste und letzte Ausfahrt der Flotte
  19. Der Naturschutzpark der Geistigkeit
  20. Besuch beim Prager Schinken
  21. Die Festung Bouillon
  22. Prag – Wysotschan – Paris
  23. Der Herr der Waggonvilla
  24. Pistyaner Schwefel
  25. Die Dame in Trouville
  26. »Handeln mit alte Kleider …«
  27. Zürcher Zuchthaus
  28. Die Giftschränke der Deutschen Bücherei
  29. Polizeiakten des Baumgartens
  30. Sonntagsfahrt durch Nordseeland
  31. Raubtiere fressen
  32. Böhmisches Dorf in Berlin
  33. Lenins möbliertes Zimmer
  34. Die Geheimnisse des Salons Goldschmied
  35. Das weitere Verlagsprogramm