Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie
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Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie

Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes

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Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes

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Über dieses Buch

Der Gedanke der Anerkennung als Norm zwischenmenschlichen Verhaltens und Kriterium der Beurteilung von sozialen Lebensformen und Institutionen hat in den letzten Jahrzehnten weltweit eine bedeutende philosophische Karriere gehabt. Dabei hat die Rezeption des Deutschen Idealismus eine entscheidende Rolle gespielt. Das gilt auch für den amerikanischen Pragmatismus von Mead bis Taylor und Brandom oder den Existentialismus und die Phänomenologie in Frankreich von Kojève bis Ricoeur.Das Buch verfolgt die Entstehung von Hegels Philosophie des objektiven Geistes in der Jenaer Zeit, in der »Anerkennung« das organisierende Systemprinzip ist. Dabei werden zeitgenössische Theorien der Intersubjektivität (Sartre, Lacan) oder der gelungenen Sozialisation (Habermas, Dreitzel) als Maßstab sozialer Institutionen auf ihre Nähe zu Hegel hin untersucht. Besonderes Augenmerk liegt auf Hegels Methode, zum Verständnis und zur Kritik einer existierenden Gesellschaftsordnung auf die historische Genese von Normen und Institutionen zurückzugreifen. Ein solches genetisch-kritisches Verfahren scheint auch heute einem apriorisch-deduktiven überlegen (so auch M. Walzer oder R. Geuss). Hegel vermag das Potential seiner Theorie aber, wie auch anhand der Berliner Rechtsphilosophie gezeigt wird, aufgrund bestimmter metaphysischer Prämissen nur unvollkommen auszuschöpfen.Mit der internationalen Entwicklung der Anerkennungstheorie seit 1979 setzt sich die Einleitung dieser Neubearbeitung auseinander.

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Information

Einleitung (1979)

Die praktische Philosophie ist heute von zwei Tendenzen geprägt: Zum einen versucht sie, Grundprinzipien oder »Grundnormen«1 aufzustellen mit denen individuelles und soziales Handeln sowohl erklärt wie beurteilt werden kann. Zum anderen bemüht sie sich um eine Methode für die Analyse historisch gewordener Institutionen und Moralsysteme. Das wird an verschiedenartigsten Positionen der deutschen, nordamerikanischen und – für den zweiten Punkt – auch der französischen2 Philosophie deutlich.
Die Schwierigkeiten mit dem ersten Punkt liegen darin, daß traditionelle Unterscheidungen der Philosophie und der Wissenschaften vom Handeln überwunden werden müssen: die Prinzipien der »herrschaftsfreien Kommunikation« (Habermas), der »Gerechtigkeit als Fairneß« (Rawls), der »vernünftigen Beratung« (Lorenzen) oder der »kommunikativen Freiheit« (Theunissen)3 sollen sowohl für individuelles wie für soziales Handeln gelten – ohne das eine gänzlich auf das andere zu reduzieren – und sie sollen sowohl normativ-kritische wie deskriptiv-erklärende4 Funktion haben. Um für letzteres zwei sicher weit auseinanderliegende Beispiele zu geben: die (frühe) kritische Theorie beanspruchte, die Kritik eines gesellschaftlichen Systems bereits durch dessen Darstellung zu leisten – weshalb auch Grundbegriffe der Darstellung (z. B. »Aufklärung« »Identität«, »Tauschgesellschaft«) sowohl erklärenden wie normativen Charakter hatten. Ähnlich will John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit (1975) mittels des Verfahrens der ursprünglichen (Entscheidungs-)Position und der in ihr gewählten Grundsätze die moralischen Urteile und die gesellschaftlichen Institutionen der konstitutionellen Demokratie sowohl erklären wie beurteilen (rechtfertigen und/oder kritisieren).5
Diese Doppelfunktion der Prinzipien ist unerläßlich, wenn die praktische Philosophie ihre zweite genannte Aufgabe erfüllen will: die Institutionen6 einer Gesellschaft oder einer Epoche im Zusammenhang darzustellen und ihre historische Genese begreifbar zu machen. Wenn die Prinzipien zugleich die Grundlage einer solchen »Theorie der Institutionen« sein sollen, dann müssen sie in einem zweifachen Sinn auf diese Institutionen beziehbar sein: einmal muß sichtbar werden, was die Entwicklung und Veränderung des sich in Institutionen »niederschlagenden« moralischen Bewußtseins (im weiten, rechtliche, religiöse und andere normative Vorstellungen umfassenden Sinn des Wortes) für diese Prinzipien selber bedeutet. Und zum anderen müssen die Prinzipien eine differenzierte Beurteilung konkreter Institutionen ermöglichen – sie dürfen ihnen nicht als unerfüllbare Sollensforderungen eines Ideals jenseits der Geschichte entgegentreten.7
Gerade diese Aufgabe, solche Prinzipien zur Grundlage einer Theorie der Institutionen – und ihrer historischen Genese – zu machen, ist in der gegenwärtigen praktischen Philosophie aber noch nicht zufriedenstellend gelöst worden. Auf der einen Seite, weil die Prinzipien wieder den Status apriorischer Vernunftbegriffe erhielten – wie die (quasi-)transzendentalen Prinzipien Apels und Habermas’ oder die Vernunft- und Moralprinzipien des Konstruktivismus.8 Ein solcher Status setzt nämlich das Studium der historischen Entwicklung der Moralsysteme entweder zu einer »strategischen« Untersuchung der Chancen für die Verwirklichung einer zeitlosen Vernunft herab, oder zu einer nachträglichen Rechtfertigung (bzw. Verurteilung) historischer Entwicklungen und Entscheidungen vor dem »Richterstuhl« einer ebenfalls geschichtsunabhängigen moralischen Vernunft.
Auf der anderen Seite hat sich der Versuch von John Rawls, die wohlüberlegten Urteile und die Institutionen einer bestimmten moralisch-politischen Kultur als Resultate einer Entscheidungssituation von Personen darzustellen, die kein Wissen über die Geschichte besitzen, als Zirkelargument erwiesen: diese »Ableitung« gelingt nur, wenn das »reine« Bewußtsein der wählenden Personen bereits durch die Erfahrungen und Präferenzen von Mitgliedern der europäisch-amerikanischen Kultur nach Aufklärung (religiösweltanschaulicher Pluralismus) und demokratischer Revolution (Vorrang individueller Freiheitsrechte) geprägt ist.9
Ich sehe einen doppelten Grund für diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung der gegenwärtigen praktischen Philosophie: der eine ist, daß Prinzipien allgemein als formale Verfahren verstanden werden (Diskurs, Beratung, Vertrag, Entscheidungsverfahren), denen konkrete Normen, Werte, Institutionen etc. zur Prüfung unterzogen oder mittels derer sie sogar abgeleitet werden sollen. Der zweite ist darin zu sehen, daß die Prinzipien, nach denen alle Bereiche des Handelns und ihre Regeln und Institutionen dem Verstehen und Beurteilen zugänglich gemacht werden sollen, Idealisierungen oder Formalisierungen eines Typs von sozialem Handeln sind: der sprachlichen Kommunikation (Apel, Habermas, Konstruktivismus) oder des Austauschs von Zustimmungen (Vertragstheoretiker)10 oder Besitzansprüchen (Nozick)11. Auch Dialog, Liebe, Arbeit sind Beziehungen und Handlungsformen, die bestimmte Bereiche, aber nicht das Ganze des geregelten Zusammenlebens und -handelns der Menschen bestimmen. Formale Strukturen, die aus besonderen Handlungsweisen »abstrahiert« sind, können keine Prinzipien für eine praktische Philosophie sein, die eine umfassende, prinzipiengeleitete Theorie der sozialen Institutionen sein will. Die These dieses Buches ist, daß die praktische Philosophie Hegels in Jena ebenfalls mittels eines zugleich normativen und erklärenden Prinzips ein System von Institutionen darzustellen sucht. Ihr Prinzip, das Prinzip12 »Anerkennung«, scheint mir den Grundprinzipien und Grundnormen der gegenwärtigen praktischen Philosophie überlegen zu sein. Und zwar eben darum, weil Hegel die beiden genannten »Fehler« vermeidet. Prinzipien der praktischen Philosophie sind für Hegel keine formalen Verfahren bzw. Regeln, die man völlig unabhängig von der Darstellung der Institutionen und ihrer historischen Genese aufstellen könnte. Prinzipien sind für ihn vielmehr selber »Genesen«, nämlich Prozesse der Bedeutungsentwicklung. Diese Prozesse sind der Entwicklung und Veränderung der Institutionen, die Prinzipien verkörpern bzw. von ihnen bestimmt werden, immanent. Insofern sind Prinzipien in einem bestimmten Sinne selber »historische Genesen«13: Genesen ihrer eigenen Bedeutung. Was das heißt, wird die Untersuchung zeigen müssen.
Mit dem Prinzip »Anerkennung« hat Hegel ferner nicht die Struktur eines besonderen Typs des Handelns oder der sozialen Beziehungen verallgemeinern wollen, sondern die Struktur eines Bildungsprozesses von einzelnem und gemeinsamem Bewußtsein anzugeben versucht, der die verschiedenen Interaktionsformen und sozialen Beziehungen von Sprache, Arbeit, Liebe, Vertrag, Tausch, Recht usw. auf jeweils spezifische Art bestimmt. Die Weise, wie sich die Momente dieser Struktur in solchen Beziehungen »konkretisieren«, macht die Darstellung eines Systems der Institutionen und ihrer historischen Genese möglich.
Es ist immer wieder bezweifelt worden, daß Hegel überhaupt über eine praktische Philosophie verfügt. Es gebe bei ihm, so wird behauptet, keine kritische Reflexion über die Normen des Handelns, sondern nur eine auf vergangenes Handeln bezogene Geschichtsphilosophie, deren Kategorien zudem durch die spekulative Logik festgelegt seien.14 Ich werde zu zeigen versuchen, daß dies für die Jenaer Epoche des Hegelschen Denkens jedenfalls nicht gilt. Im Gegenteil: in ihr wird die praktische Philosophie in der Weite und Grundsätzlichkeit der aristotelischen Tradition erneuert, gegen ihre transzendentalphilosophische Kritik bei Kant und Fichte »rehabilitiert« und zugleich mit dem Kriterium dieser Kritik, dem transzendentalen Freiheitsbegriff, zu »versöhnen« gesucht. Gerade für diesen Versuch ist das Prinzip der Anerkennung von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. unten Kap. II). Durch dieses Prinzip will Hegel den »modernen« Freiheitsbegriff mit den Grundzügen der Polissittlichkeit zusammendenken.
Auf die Bedeutung der Anerkennung für die Jenaer Geistphilosophie Hegels haben in den 1960er Jahren Jürgen Habermas und Manfred Riedel hingewiesen.15 Habermas hat sich auch bei seinen eigenen Versuchen, Grundnormen einer kritischen Gesellschaftstheorie zu bestimmen, wiederholt auf dieses Prinzip Hegels bezogen.16 Indessen kann erst nach vielen Jahren gründlicher Forschung über Hegels Jenaer Schriften,17 die volle Bedeutung der Theorie (Vgl. Anm. 12) der Anerkennung für die Jenaer Geistphilosophie und für die praktische Philosophie der Gegenwart erkannt werden. Habermas etwa ging noch davon aus, daß für die Entstehung des Hegelschen Geistbegriffes zwei verschiedene Konzeptionen maßgeblich seien, die noch in der Geistphilosophie von 1805/1806 nebeneinander bestünden: des Geistes als »Zusammenhang der drei dialektischen Grundmuster« von Arbeit, Sprache und »Handeln auf Gegenseitigkeit« auf der einen Seite – und des Geistes als »monologische(r)« Selbstreflexion auf der anderen Seite (1968, 37 ff.). Diese zweite Konzeption des Geistes, die an der »Erfahrung der Selbstreflexion des Bewußtseins« orientiert sei, setzt sich nach Habermas in den späteren »identitätsphilosophischen« Schriften Hegels endgültig durch (40). Dagegen läßt sich zeigen, daß Hegels Theorie des »Handelns auf Gegenseitigkeit« bereits seit 1803 ein bewußtseinstheoretisches Fundament hat. »Bewußtseinstheorie« ist aber bei Hegel von vornherein keine Theorie »reiner« Selbstreflexion im Sinne Fichtes, sondern Theorie eines Prozesses der Bildung des Bewußtseins in Interaktionsformen und Institutionen. Die Einheit – mit Hegel: Totalität – der »Grundmuster« dieses Prozesses ist das »Prinzip« Anerkennung.
Um das zu sehen, muß man verfolgen, wie Hegel den Gedanken der Anerkennung in der Analyse von »konkreten« Handlungs- und Bewußtseinsweisen (Liebe, Kampf, Rede und Arbeit usw.) einerseits und in der Auseinandersetzung mit seinem Ursprung in der Bewußtseinstheorie Fichtes andererseits entwickelt. Nur eine solche Betrachtungsweise ist imstande, die Einheit von Bewußtseinstheorie und praktischer Philosophie in Hegels Jenaer Zeit adäquat darzustellen: der notwendige Zusammenhang dieses Systems gründet sich auf einen Prozeß der zunehmenden Verwirklichung von Anerkennung, der zugleich eine Folge von Selbstreflexionen bzw. »Erfahrungen« des Bewußtseins ist.
Die Untersuchung der system-konstitutiven Bedeutung des Anerkennungsprinzips wird allerdings durch den Umstand erschwert, daß weder Hegels praktische Philosophie noch seine Theorie der Anerkennung in irgendeinem Text der Jenaer Zeit »fertig« vorliegt. Ganz abgesehen davon, daß die meisten Jenaer Texte nur Fragmente sind, entfaltet Hegel die Elemente einer auf das Prinzip der Anerkennung und auf die »Methode«18 der Erfahrung des Bewußtseins gegründeten praktischen Philosophie nicht nur nacheinander und mit verschiedener Akzentuierung, sondern auch so, daß in keinem Werk das ganze »Programm« ausgeführt erscheint. Das System der Sittlichkeit von 1802 zeigt bereits Anerkennung als gemeinsame Struktur verschiedener Handlungsweisen und Institutionen.19 Aber erst der Systementwurf von 1803/1804 verbindet den Prozeß der Anerkennung mit der Entwicklung des Bewußtseins zum Geist und entfaltet die ersten Ansätze einer Methode der Erfahrung des Bewußtseins als einer Folge von – durch Selbstprüfungen ausgelösten – Reflexionen. Die Geistphilosophie von 1805/1806 bringt Anerkennung als teleologischen Prozeß zur Darstellung. Erst dadurch wird sie eigentlich zum Prinzip – und zugleich zum Maßstab der Kritik – eines Systems der Institutionen. Die Methode der Erfahrung des Bewußtseins – die in einem bestimmten, später zu erörternden Sinne (s. u. S. 228 ff.) ebenfalls auf dem Prinzip der Anerkennung beruht – wird in diesem Text zwar weiterentwickelt, aber noch nicht vollständig durchgeführt. Dies geschieht erst in der Phänomenologie des Geistes (1806/1807). In der späteren Theorie des objektiven Geistes in der Enzyklopädie und der Rechtsphilosophie ist diese Konzeption aber nicht durchgeführt. Für unser Thema sind diese Texte daher von geringerer Bedeutung. Das heißt nicht, daß in dieser Theorie die Bewegung der Anerkennung keine Rolle mehr spielt. Sowohl in der Enzyklopädie wie in der Rechtsphilosophie kommt der Begriff der Anerkennung vor und bestimmt weiterhin das »vernünftige« Verhältnis selbstbewußter Individuen zueinander und zur Gemeinschaft.20 Dennoch ist die systematische Bedeutung der Anerkennung für die praktische Philosophie nicht mehr dieselbe.21
Der Grund dafür ist, daß der Bildungsprozeß des Bewußtseins, die »Erfahrung« seiner Identität mit dem Geist – als der Einheit von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein – nicht mehr Thema der Philosophie des objektiven Geistes ist. Die Entstehung des »allgemeinen Selbstbewußtseins« gehört nach der Konzeption der Enzyklopädie in die Phänomenologie, die es aber ihrerseits nicht mehr mit Formen des objektiven Geistes zu tun hat.22 Die Darstellung des objektiven Geistes setzt die Phänomenologie – die »Rest-Phänomenologie« des Kapitels »subjektiver Geist« – voraus. Sie geht daher von der Einheit des einzelnen und allgemeinen Bewußtseins aus – auch wenn sie den objektiven Geist zunächst in seiner Unmittelbarkeit als einzelnen Willen bzw. als Person erörtert (vgl. Enz §§ 487 ff.).23 Die Einteilung der Philosophie des objektiven Geistes folgt, wie Geist- und Naturphilosophie überhaupt, der im ersten Teil des Systems dargestellten spekulativen Logik. Der Maßstab, der die systematische »Funktion« bzw. Stelle der Institutionen im System des objektiven Geistes bestimmt, liegt daher im Grunde in der Folge der logischen Kategorien. Das heißt nicht, daß Anerkennung für den späten Hegel nicht mehr Kriterium zur Beurteilung »vernünftiger« Institutionen sein könnte. Im Maße wie der Gedanke der Bildungsgeschichte des Bewußtseins – als Erfahrungsprozeß – in Hegels Geistphilosophie durch das Primat der spekulativen Logik – und der ihr zugeordneten Philosophie der Weltgeschichte – zurückgedrängt wird, verliert aber »Anerkennung« ihre zentrale Bedeutung für Hegels praktische Philosophie – und verliert diese an »Nähe« zur praktischen Philosophie der Gegenwart.
Das Prinzip der Anerkennung ist in die Philosophie des Deutschen Idealismus von Fichte eingeführt worden. In Fichtes »Grundlage des Naturrechts« war Anerkennung die dem »Rechtsverhältnis« zugrunde liegende »Wechselwirkung« von Individuen.24 Im wechselseitigen Auffordern zu freiem Handeln und im Begrenzen der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen bildet sich sowohl individuelles wie gemeinsames Bewußtsein – eines nicht ohne das andere. Damit hat Fichte ein Prinzip gefunden, das über die gesamte Tradition der Rechts- und Staatsphilosophie insofern hinausgeht, als es weder das »fertige« Individuum als absolut voraussetzt und seinen Zwecken alle sozialen Beziehungen einschließlich des Staates unterordnet – noch den Staat oder ein wie immer geartetes »Allgemeines«, demgegenüber die Individuen unselbständige »Momente« sind, verabsolutiert. Das eigentliche Prinzip ist vielmehr der Prozeß der gegenseitigen Konstitution von individuellem und allgemeinem Bewußtsein. Aber zum einen beschränkt Fichte Anerkennung auf einen apriorischen Vernunftbegriff – zum anderen ist seine Rechtsund Staatsphilosophie keine konsequente Anwendung dieses Grundgedankens (vgl. u. Kap. I, 1). Hegel übernimmt den Begriff der Anerkennung und die »Struktur« der wechselseitigen Konstitution von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein in der Jenaer Zeit (I, 3) zur Bestimmung von Formen gegenseitigen Handelns, die er schon in seinen Frankfurter Schriften analysiert hatte (I, 2). Anders als Fichte bestimmt er aber nicht Anerkennung als ein »reines« Prinzip unabhängig von der Darstellung der Formen und Institutionen des Handelns und des gemeinsamen Bewußtseins, sondern entwickelt sie als deren gemeinsames »Wesen«. Die »Formen des Praktischen« in der Familie, dem »System von Eigenthum und Recht«25 und dem Staat werden in den Jenaer Schriften zunehmend als Stufen eines teleologischen Prozesses durchsichtig, in dem sich die Momente der Anerkennung schrittweise entfalten – bis zur vollständigen Realisierung in den Institutionen der absoluten Sittlichkeit. Bei dieser zunehmenden Realisierung spielt auch die Sprache – vor allem als Rede – eine wichtige Rolle. Aber Hegel ist weit davon entfernt, sie als die Grundlage der Anerkennungsbeziehungen zu betrachten (s. u. S. 155157 f.).
Gemessen an dem Grundzug der Wechselseitigkeit, der nach Fichte und auch nach Hegels erklärter Absicht26 für das Anerkennungsverhältnis wesentlich ist, kann man allerdings die höchsten Stufen dieses Prozesses nicht mehr als »Realisierung« des Prinzips akzeptieren. Statt einer völligen Wechselseitigkeit von einzelnem und allgemeinem Selbst zeigen die Institutionen des Staates schließlich doch ein »Primat« der Allgemeinheit. Der Staat wird höchster Zweck für das Handeln des einzelnen, der sich im Wollen der Allgemeinheit und seiner Institutionen versittlicht. Die im Prinzip der Anerkennung angelegte Überwindung der Verabsolutierung sowohl des Staates wie des Individuums ist damit nicht vollzogen. Insofern scheint mir eine immanente Kritik der Hegelschen Anerkennungslehre möglich (I. 4 u. V). Trotz dieses »Scheiterns« der Hegelschen Anerkennungslehre ist die praktische Philosophie der Jenaer Zeit und ihr Prinzip für die gegenwärtige praktische Philosophie von großem Interesse,27 weil sie ähnliche Probleme zu lösen sucht wie diese: die Wiederherstellung der Einheit von Ethik, Rechts- und Staatsphilosophie (Kap. II), die Darstellung eines systematischen Zusammenhangs »gegebener« Institutionen zusammen mit der Bewertung ihrer »Vernünftigkeit« (IV. 1) am Leitfaden des durch sie ermöglichten Bildungsprozesses des Bewußtseins (IV. 2), der einer Sequenz historischer »Erfahrungen« entspricht (IV. 3). Interessant ist diese »Parallelität« zum einen, weil Hegel in einigen Fragen weitergekommen ist als die gegenwärtigen Versuche – vor allem in der Institutionentheorie und -genese –, zum anderen aber auch, weil sichtbar wird, welche Grundannahmen ihn von der Gegenwartsphilosophie trennen. Das wird in einer Reihe von gegenwärtigen Versuchen übersehen, die an Hegel anknüpfen oder ihn »rekonstruieren« wollen. So läßt sich Hegels Idee der Bildungsgeschichte zwar – in einer ihrer Bedeutungen – als Vorwegnahme des Versuches verstehen, Erkenntnisse über die Bedingungen vernünftiger persönlicher und sozialer »Identität« zum Maßstab der praktischen Philosophie zu machen (Habermas 1974). Aber es geht ihm dabei nicht um die Anerkennung der »vollständigen Individuierung«, sondern gerade um die Freiheit des Selbstbewußtseins von allen Bestimmtheiten.28 Eine Freiheit allerdings, die nicht abstrakt bleibt, sondern sich in bestimmten Lebensformen einer Gemeinschaft, deren Regeln und Institutionen sie »anerkennt«, erfüllt. Auch Hegels Idee einer historischen Institutionen- und ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorbemerkung
  6. Anerkennung und praktische Philosophie heute.
  7. Einleitung (1979)
  8. Anmerkungen
  9. Literaturverzeichnis
  10. Zeittafel
  11. Personenregister
  12. Sachregister