»Sein und Zeit« neu verhandelt
eBook - ePub

»Sein und Zeit« neu verhandelt

Untersuchungen zu Heideggers Hauptwerk

  1. 467 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

»Sein und Zeit« neu verhandelt

Untersuchungen zu Heideggers Hauptwerk

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die sog. »Schwarzen Hefte« haben umfassender und deutlicher als je zuvor die Verbindungen zwischen Philosophie und Politik bei Heidegger sichtbar werden lassen und damit eine neue Debatte über den Rang dieses Denkens entfacht. Denn die dort enthaltenen Texte demonstrieren, dass Philosophie, Metapolitik und Politik bei Heideggereine Einheit bilden, zu der die Befürwortung des Nationalsozialismus und der Antisemitismus gehören. Ins Zentrum der kritischen Revision rückt das erste Hauptwerk von 1927, »Sein und Zeit«, das nahezu unangefochten als epochaler Beitrag zur Philosophie des 20. Jahrhunderts gilt. Die »Schwarzen Hefte« fordern eine »Destruktion« dieses Werks auch insofern heraus, als die dort präsentierten Selbstinterpretationen das philosophische Profil dieses Denkens schärfen und neue Gesichtspunkte für die Diskussion seiner Substanz im philosophischen und ideologischen Kontext des 20. Jahrhunderts eröffnen. 90 Jahre nach seinem Erscheinen stellt sich der philosophischen Forschungdie kritische Auseinandersetzung mit »Sein und Zeit« als unabweisbare Aufgabe. Im Vordergrund stehen hierbei zwei Fragen: Wie ist das Unternehmen einer in der »Fundamentalontologie« des Daseins begründeten temporalen Ontologie der systematischen Intention und Durchführung fachphilosophisch zu beurteilen? Beinhalten die ausgearbeiteten Teile bereits gedankliche Präfigurationen oder Grundlagen für Heideggers Antisemitismus und Nationalsozialismus? Der Band behandelt diese Problemstellungen aus unterschiedlichen philosophischen, aber auch disziplinären Perspektiven; er enthält Beiträge von Charles Bambach, William Blattner, Christoph Demmerling, Emmanuel Faye, Anton M. Fischer, Johannes Fritsche, Hassan Givsan, Marion Heinz, Christoph Jamme, Sidonie Kellerer, Rainer Marten, Daniel Meyer, Livia Profeti, Tom Rockmore und Dieter Thomä.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu »Sein und Zeit« neu verhandelt von Marion Heinz,Tobias Bender im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophy & History & Theory of Philosophy. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2019
ISBN
9783787336876

II.

Geschichtlichkeit, Volk, Judentum

Marion Heinz

Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit. Zur Kritik von Sein und Zeit im Anschluss an Julius Kraft und Eberhard Grisebach

»Distanz ist nötig. Um zu beurteilen, was er [Heidegger] meint, kann man sich nicht weit genug von ihm entfernen«1 – diese von Günter Anders in den 50er Jahren formulierte Maxime verdient in Anbetracht der außerordentlichen Wirkungsgeschichte Heideggers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beachtet zu werden. Ein gutes Mittel, um Abstand zu gewinnen und den – nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte verstärkt auftretenden – apologetischen Tendenzen entgegenzuwirken, anstelle von philosophischen Verhandlungen über die Sache den überragenden Einfluss Heideggers auf die Philosophie seiner Zeit und die der Gegenwart zum Beweis für die Größe und Bedeutung seines Denkens anzuführen, besteht darin, seine zeitgenössischen Kritiker in den Blick zu nehmen. Mit Manfred Brelage ist daran zu erinnern, dass »in der ersten Periode der Deutung der Heideggerschen Philosophie um 1930« diese noch als »Fortführung und Konkretisierung der Phänomenologie Husserls und Schelers aufgefaßt« wurde, während schon in der zweiten Phase der Rezeption seit 1935 unter dem Einfluss Heideggers und seines Kreises ein neues Interpretations-Schema etabliert wurde. »Nicht weniger als die Geschichte der gesamten abendländischen Philosophie von ihren Ursprüngen in der Vorsokratik an wird nun vorausgesetzt, um eine angemessene Auslegung der Bedeutung dieser Philosophie zu ermöglichen.«2 Julius Kraft und Eberhard Grisebach gehören der ersten Periode an; ihre kritischen Analysen zu würdigen, erscheint daher aussichtsreich, wenn es erneut darum geht, die philosophische Leistung von Sein und Zeit kritisch zu bedenken.3 In dieser Absicht ist es nicht nebensächlich zu bemerken, dass in jenen frühen zeitgenössischen Abhandlungen, die sich auf die bis 1929 vorliegenden Veröffentlichungen Heideggers beziehen,4 von einer Kehre, einem Bruch oder Neuansatz in den Jahren unmittelbar nach Sein und Zeit noch keine Rede ist – die später verbreitete Strategie der Abschirmung dieses Werks gegenüber Einwänden, die aufgrund späterer Texte formuliert werden, also noch nicht im Umlauf war.
Julius Kraft und Eberhard Grisebach5 zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie die programmatisch und begründungstheoretisch entscheidenden Theoreme von Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit ins Zentrum ihrer Kritik stellen, sie haben vielmehr schon vor 1933 den politischen Charakter dieses Denkens bedacht und vor seinen Folgen gewarnt. Sie reflektieren es im Horizont des Krisenbewusstseins nach dem Ende des ersten Weltkriegs und begreifen es als dessen Ausdruck.6 In ihrer von der europäischen Aufklärung bestimmten Sicht ist es der von weiten Teilen der Kulturkritik vertretene Irrationalismus, der eine auf autoritäre Strukturen setzende Politik gedanklich vorbereitet, indem an die Stelle der Kritik fähiger Begründung von Erkennen und Handeln Autorität und Glauben als Instanzen treten müssen. Dass Heidegger der Prophet des Irrationalen ist, dessen Geschichtsphilosophie zur Verschärfung der Krise führen wird, erkennen sie vor Löwith und vor dem Einsatz Heideggers für den Nationalsozialismus.7
Am 2. Juli 1938 schreibt Heidegger an seinen Bruder Fritz anlässlich eines negativen Artikels über ihn in der Tageszeitung Der Alemanne, die im Untertitel »Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens« hieß: »Das besonders ›Witzige‹ an dem ›Bericht‹ liegt darin, daß das Zitat des ›Fachgenossen‹, womit ich erledigt werden soll, aus einer Schmähschrift des jüdischen Emigranten Kraft […] stammt, die 1931 unter dem Titel ›Von Husserl bis Heidegger‹ (das ›von‹…›bis‹ natürlich im Sinne des Absturzes) erschienen ist.«8 In Wahrheit handelt es sich nicht um eine Schmähschrift, sondern um eine solide philosophische Kritik der phänomenologischen Philosophie, wie der Untertitel dieser Studie heißt.9 Der kritische Grundgedanke lautet: Die Kants Einsichten zuwiderlaufende Restitution einer nichtsinnlichen, kategorialen Anschauung durch Husserl ist der Ansatzpunkt für ein »monistische[s] Streben«,10 das dazu verleitet, die Trennlinie zwischen Apriorischem und Empirischem zu negieren. Damit werde der Weg geebnet, auf dem schließlich die Standards empirischer und apriorischer Erkenntnis gleichermaßen unterminiert werden, sodass Mystik und Mythenbildung an die Stelle von Wissenschaft und Erkenntnis träten.11 Dies sei in Bezug auf Scheler zu konstatieren, in dessen Denken »Logik, Metaphysik und Erfahrung […] trotz ihrer unaufhebbaren Schranken disziplinlos durcheinandergeworfen [würden] und [sich] an Stelle der Gedanken […] ein undurchdringlicher Wortnebel aus[breite]«.12 Dieser Vorwurf trifft Heidegger aber noch deutlich verschärft, der Philosophie als das in Langeweile und Angst fundierte Geschehen des Daseins verstehen wolle und sich einer »philosophischen Methodik«13 befleißige, die an die Stelle einer nach den »Regeln der Logik fortschreitenden Begründung«14 die von Kraft »Bewortung« genannte »Kunst der ›Belehnung‹ mit Worten«15 setze. Ein philosophisches Denken, in dem elementare Formen von Rationalität abgedankt haben, befördere antidemokratische, autoritäre Verhältnisse16 und produziere anstelle philosophischer Doktrinen Mythologeme. Für Kraft ist Heideggers »Mythologie der Zeitlichkeit und der Sorge« das fragwürdigste Stück von Sein und Zeit, das »in den Dienst einer an Dilthey anknüpfenden Philosophie der Geschichte [gestellt wird], die […] in einen Schicksalsglauben ausläuft, der den Blick für die historische Wirklichkeit, für die Erforschungsmethoden und für die Lenkbarkeit der historischen Naturprozesse versperrt.«17
Eberhard Grisebach, der an den Davoser Gesprächen zwischen Heidegger und Cassirer teilgenommen hatte,18 hebt in seiner Rezension von Heideggers Kant-Buch im Jahr 1930 – wie Kraft auf einer durch Kant bestimmten philosophischen Grundlage argumentierend – auf Heideggers »ontologische[…] Geschichtsmetaphysik«19 ab und ordnet die Fundamentalontologie dem »metaphysischen Historismus«20 als dessen Höhepunkt zu. Es handle sich um eine »letzte Überspitzung auf dem Gipfel des historischen Bewußtseins«, die nur noch einen »ästhetischen Genuß im kosmischen Gefühl der Angst verschaffen, bei der Jugend vielleicht Träume von einer Diktatur wecken, deren Autorität philosophisch-kritisch niemals begründet werden« könne. Das historische Bewusstsein habe »den Mythos der Alten ersetzt. Diesem Rausch wird die Ernüchterung dann folgen, wenn wir zum kritischen Verständnis auch dieses mythischen Denkens gelangt sind.«21
Mit diesen Urteilen über eine Mythologie der Zeitlichkeit im Dienste einer an Dilthey anknüpfenden Geschichtsphilosophie (Kraft) und über eine ontologische Geschichtsmetaphysik als Gipfelpunkt des metaphysischen Historismus (Grisebach) ist eine Aussage über den systematischen Kern von Sein und Zeit verknüpft, die einem der wirkmächtigsten Rezeptionsstränge, zu dem – freilich ohne Differenzierungen zu berücksichtigen – u. a. Habermas, Schmitz, Thomä und Tugendhat zu rechnen sind, widerstreitet: Sie begreifen Sein und Zeit als Fortführung der in der klassischen deutschen Philosophie entwickelten Subjektivitätstheorien und heben Detranszendentalisierung und Dezentrierung des Subjekts im Verein mit der – von Pragmatismus und Kierkegaard inspirierten – neuen Idee konkreter und situierter Subjektivität als den von Heidegger erreichten Fortschritt hervor. Das Fundament der Zeitlichkeitskonzeption kann dabei marginalisiert oder sogar – wie von Tugendhat – als unsinnig, aber zugleich als verzichtbares Beiwerk eingeschätzt werden.22 Nimmt man hingegen den frühen Kritikern folgend diese Lehrstücke von Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit in ihrer systematischen Bedeutung ernst, treten mit den zeitlichen Umdeutungen der Subjektivität zugleich die Umrisse einer historistischen Metaphysik der Zeit hervor, womit sich das Verhältnis von Sein und Zeit zu den »seinsgeschichtlichen« Arbeiten der 1930er Jahre prägnanter konfigurieren lässt. In dieser Absicht, eingeschliffene Muster der Interpretation in Frage zu stellen und damit die Debatte um Sein und Zeit neu anzustoßen, wird die Kritik von Heideggers Zeitgenossen hier vorgestellt. Unabhängig von ihnen erarbeitete, werkimmanente Rekonstruktionen der kritisierten Lehrstücke dienen nicht nur dazu, den verhandelten Gegenstand v...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. I. Sein, Dasein, Menschsein
  7. II. Geschichtlichkeit, Volk, Judentum
  8. Zu den Autorinnen und Autoren