Wer denkt metaphysisch? oder: Ăber das
doppelte Ende der Metaphysik
Denken? Metaphysisch? âSauve qui peut! Rette sich wer kann! â So höre ich schon einenâ Vertreter der schönen Welt der Gegenwartsphilosophie âausruffen, der diesenâ Vortrag âdafĂŒr ausschreyt, daĂ hierâ von Hegel, also âvon Metaphysik die Rede seyn werde. Denn Metaphysik ist das Wort, wie Abstract und beynahe auch Denken ist das Wort, vor dem, jeder, mehr oder minder, wie vor einem mit der Pest behaffteten davon laĂŒfft.â Und wegen dieses VerstoĂes gegen die guten Sitten der philosophischen âschönen Weltâ fĂŒge ich fĂŒr diejenigen, die seine Abhandlung âWer denkt abstract?â nicht kennen, meiner kleinen Hegel-Allusion noch den bei ihm folgenden, hoffentlich tröstlichen und beschwichtigenden (wiederum leicht modifizierten) Satz hinzu: âEs ist aber nicht so bös gemeynt, daĂ, wasâ Metaphysik âsey, hier erklĂ€rt werden sollte.â (GW 5.381). Ich werde nĂ€mlich die Argumentationsfigur aus Hegels Aufsatz hier nicht in dem Sinne adaptieren, daĂ ich das von der feinen Welt als metaphysisch Perhorreszierte als das in Wahrheit Empirische und das als empirisch HochgeschĂ€tzte als in Wahrheit metaphysisch erweisen werde.
Die Metaphysik soll hier also nicht in ihre ehemaligen Ămter und WĂŒrden eingesetzt und auch das Ende der Metaphysik soll nicht widerrufen werden â doch soll darĂŒber nachgedacht werden. Jedoch: Ist dies ĂŒberhaupt ein Thema, ĂŒber das zu reden oder gar nachzudenken sich noch lohnt? Hier scheint die Lage anders zu sein als beim âEnde der Kunstâ, ĂŒber das zumindest zu reden (wenn auch nicht unbedingt nachzudenken) inzwischen so sehr zum Gemeingut der feinen Welt der Ăsthetiker geworden ist, daĂ in ihr nun beinahe ĂŒber nichts anderes mehr geredet wird. Hinsichtlich des âEndes der Metaphysikâ lĂ€Ăt sich dies kĂŒrzer abtun. Denn wenn es eine Frage gibt, ĂŒber deren Beantwortung sich die zerstrittenen Philosophen beiderlei Geschlechts unserer Tage einig sind, so ist es fraglos dieses: daĂ es mit der Metaphysik zu Ende sei â und daĂ es auch keinerlei Grund gebe, ihr Ende zu beklagen und ihr eine TrĂ€ne nachzuweinen. Auch wer nichts von Metaphysik weiĂ, weiĂ doch so viel von ihr, daĂ es mit ihr vorbei sei, unwiderruflich und auch völlig zu Recht. Eben deshalb darf dieses Wissen sich selbstgenĂŒgsam geben: Von dem, was da vorbei und restlos vorbei ist, braucht man auch nicht mehr als eben dies zu wissen. Wer jedoch ĂŒber dieses Basiswissen hinaus ĂŒber etwas historische Orientierung verfĂŒgt, vermag dieses unbestreitbare Faktum auch noch geschichtlich einzuordnen: Das â gerechte! â Ende der metaphysischen Hybris sei herbeigekommen, als beim âZusammenbruch des deutschen Idealismusâ im VormĂ€rz die Phantasiebauten der philosophischen Systeme wie KartenhĂ€user lautlos in sich zusammengefallen seien. Und der rauhe Wind der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit habe ein ĂŒbriges getan und die luftigen Wahngebilde der metaphysischen Systemschmiede alsbald hinweggefegt.
Angesichts der uneingeschrĂ€nkten Lufthoheit dieser Interpretation ist es nicht leicht, in den mĂŒhsamen Schritten philosophiegeschichtlicher Bodenoperationen solchen Ansichten, die von ihr abweichen, auch nur Gehör, geschweige denn Geltung zu verschaffen. Doch andererseits ist ein Faktum â auch wenn es nicht ĂŒberall begrĂŒĂt wird â doch schwer zu bestreiten: daĂ philosophische AnsĂ€tze aus der Zeit vor dieser â als epochal betrachteten â ZĂ€sur zwischen Klassischer deutscher Philosophie und VormĂ€rz sich nach wie vor gröĂter Aufmerksamkeit erfreuen â und zwar weltweit, nicht etwa nur bei denjenigen, die auf einem angeblichen deutschen Sonderweg des Denkens in die Irre gegangen sind und deren Herzen deshalb mit ebenso unbegreiflicher wie verderblicher Sehnsucht nach den metaphysischen Gefilden erfĂŒllt sind. FĂŒr diejenigen EntwĂŒrfe hingegen, die fĂŒr das vorherrschende BewuĂtsein diese ZĂ€sur entweder selbst markieren oder in die Zeit nach ihr fallen, lĂ€Ăt sich dies nicht in gleicher Weise behaupten. Schon dieser merkwĂŒrdige Kontrast berechtigt zum Zweifel an der eingangs skizzierten Deutung â ja er nötigt dazu, ihr begriffliches Instrumentarium und ihre historische Konstruktion zu ĂŒberdenken: ihren Begriff der Metaphysik, ihre Sicht der geschichtlichen Rolle, die die Metaphysik zur fraglichen Zeit gespielt hat. Eines sei allerdings vorweg eingerĂ€umt: Ob und wie man vom âEnde der Metaphysikâ spricht, hĂ€ngt natĂŒrlich vom jeweiligen Metaphysikbegriff ab. Wenn man den Metaphysikbegriff so weit faĂte, wie Hegel es in den einleitenden Partien zu âWer denkt abstract?â parodistisch anprangert, daĂ letztlich das Denken ĂŒberhaupt schon mit Metaphysik gleichgesetzt wĂŒrde und die Frage âWer denkt metaphysisch?â gleichbedeutend wĂŒrde mit der Frage âWer denkt denn ĂŒberhaupt noch?â, so wĂ€re es â glĂŒcklicherweise! â derzeit noch etwas verfrĂŒht, vom âEnde der Metaphysikâ zu sprechen. Es gibt aber auch gute GrĂŒnde, sich einem solchen Pan-Metaphysiokritizismus zu verweigern, fĂŒr den alles Metaphysik und deshalb vom Bösen ist, was sich ĂŒber Empirie oder Sprachanalyse erhebt, und vielmehr auf dem Unterschied eines seine Möglichkeiten ausschöpfenden und eines seine Grenzen ĂŒberschreitenden Denkens zu beharren.
I. Das Ende der Metaphysik als Ereignis der Philosophiegeschichte
(1) âAuch denen, welche sich sonst noch an das Aeltere halten, ist die Metaphysik zugrunde gegangen wie der JuristenfakultĂ€t das deutsche Staatsrecht.â âEs ist diĂ ein Factum, daĂ das Interesse theils am Inhalte, theils an der Form der vormaligen Metaphysik, theils an beyden zugleich verlohren ist.â â Diese beiden Zitate konstatieren das Ende der Metaphysik als ein âFactumâ. Zugleich bieten sie eine Diagnose fĂŒr sein Eintreten: Das Interesse an der vormaligen Metaphysik habe sich verloren. Damit meine â auf begriffliche und historische KlĂ€rung und nicht auf Restitution gerichtete â Intention nicht miĂverstanden werde, beeile ich mich hinzufĂŒgen: Abgesehen von etlichen ephemeren Reanimationsversuchen hat sich dieses verlorene Interesse bis heute nicht wieder eingefunden â und es ist kein Wagnis zu prognostizieren, daĂ es sich auch kĂŒnftig nicht wieder einfinden werde.
Die eben zitierte Diagnose des Endes der Metaphysik scheint das SelbstverstĂ€ndnis des VormĂ€rz prĂ€gnant zu artikulieren â der Zeit nach dem Ende des Hegelschen Systems und der âSystemphilosophieâ ĂŒberhaupt, nach dem sogenannten ârevolutionĂ€ren Bruch im Denken des 19. Jahrhundertsâ.1 Doch steht dieser so plausibel erscheinenden Deutung sowohl die Chronologie als auch das Urheberrecht entgegen: Die zitierte Diagnose des Endes der Metaphysik stammt nicht etwa von Ludwig Feuerbach oder einem sonstigen Kritiker der Klassischen deutschen Philosophie und vornehmlich der Hegelschen; sie stammt von keinem anderen als von Hegel selber: aus seinem Hauptwerk, der Wissenschaft der Logik, und aus einem ostensiblen Brief aus dem Jahre 1816 â also aus den entscheidenden Jahren der Ausbildung seines Systems.2 Und seine Rede vom âEnde der Metaphysikâ ist keineswegs nur kokettierend gemeint: Hegels SelbstverstĂ€ndnis zu Folge setzt seine Philosophie das âEnde der Metaphysikâ als ein Ereignis der Philosophiegeschichte voraus.
Allerdings wĂ€re es zu kurz gegriffen, als Ursache fĂŒr das âEnde der Metaphysikâ lediglich einen Interessenschwund zu konstatieren. Noch kurz zuvor gelten die Themen der Metaphysik ja als die höchsten GegenstĂ€nde des Denkens. Das Interesse an solchen GegenstĂ€nden verliert sich nicht wie eine MĂŒnze, und sein Dahinschwinden ist auch kein Naturereignis. Der Interessenschwund ist nicht die Ursache, sondern die Folge und die Erscheinungsform des âEndes der Metaphysikâ. Und das Ende, von dem hier die Rede ist, kann prĂ€gnant gefaĂt werden als das Ende derjenigen Gestalt, die die Metaphysik in der rationalistischen Schulphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts gefunden hat â oder, um das zweite Eingangszitat fortzusetzen: Was vor Kants Kritik der reinen Vernunft âMetaphysik hieĂ, ist, so zu sagen, mit Stumpf und Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden.â â Am Rande sei vermerkt, daĂ all denen, die diesen Satz nicht in der historisch-kritischen, sondern in der meistzitierten Hegel-Ausgabe unserer Tage lesen, das ironische Wortspiel Hegels entgeht: Er schreibt nĂ€mlich keineswegs, wie es dort heiĂt, die Metaphysik sei âmit Stumpf und Stielâ ausgerottet worden (TWA 5.13), sondern, sie sei âmit Stumpf und Stylâ ausgerottet worden â also: Sie habe ihr Ende durch eine, sit venia verbo, âstilvolle Ausrottungâ gefunden.
Auch diese drastischen Wendungen gehören also nicht erst dem VormĂ€rz an: Die Metaphysik ist nicht allein âzu Ende gegangenâ, als wĂ€re sie eines natĂŒrlichen Todes gestorben, vielmehr ist sie â stilvoll â ausgerottet worden und deshalb aus der Reihe der philosophischen Wissenschaften verschwunden. Wer vom âEnde der Metaphysikâ reden will, darf diese mit ebenso groĂem geschichtlichen Recht wie mit Emphase vorgetragene Diagnose nicht ignorieren â er muĂ vielmehr von ihr ausgehen. Ich schlieĂe mich ihr ausdrĂŒcklich an: Als ein Ereignis der Philosophiegeschichte ist die Ausrottung der Metaphysik das Resultat nicht des VormĂ€rz, sondern der AufklĂ€rung â nĂ€mlich der Metaphysikkritik Kants. Dies ist eine adĂ€quate EinschĂ€tzung ihres faktischen Resultats und ihrer Wirkungsgeschichte â auch wenn Kants Intention damit fraglos nicht vollstĂ€ndig erfaĂt ist. Die Kritik der reinen Vernunft ist die definitive Kritik der traditionellen Metaphysik in ihrem gesamten Umfang. Unbarmherzig destruiert sie die rationale Psychologie mit ihrer Lehre von der Einfachheit und â daraus folgend â der Unsterblichkeit der Seelensubstanz, ebenso die rationale Kosmologie mit ihren antinomischen Aussagen ĂŒber den Weltbegriff und schlieĂlich die rationale Theologie wegen ihres illegitimen Ăbergangs vom höchsten Gedanken zur Existenz eines diesem Gedanken entsprechenden Wesens. Diese Kritik verbannt die metaphysica specialis aus dem Kreise der philosophischen Wissenschaften, und an die Stelle der metaphysica generalis, der frĂŒheren Ontologie, als einer rationalen Erkenntnis Ă€uĂerer GegenstĂ€nde, setzt Kant die transzendentale Logik, als Erkenntnis nicht etwa transzendenter GegenstĂ€nde, sondern der internen Verfassung der Vernunft.
In der Retrospektive der Philosophiegeschichte stehen die beiden Jahrzehnte nach dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft â negativ gesehen â im Zeichen der Metaphysikkritik, positiv gesehen im Zeichen der Transzendentalphilosophie. Dies ist nicht als âstatistischeâ Aussage in dem Sinne zu nehmen, daĂ die meisten der damaligen Philosophen sich zu ihr bekannt hĂ€tten â denn dies ist fraglos nicht der Fall; die traditionelle Schul- und die Popularphilosophie sind zahlenmĂ€Ăig noch stark vertreten. Doch die Weiterentwicklung des Denkens vollzieht sich damals in dem von Kants Transzendentalphilosophie vorgegebenen Denkraum, und selbst die Rezeption von philosophischen AnsĂ€tzen vergleichbaren Gewichts â wie der Lehre Spinozas â erfolgt in Relation zur Transzendentalphilosophie, ja sie steht in ihrem Bann. Ihre Dominanz beruht auf ihrer durchschlagenden Kritik der Metaphysik als eines Systems âreeller durch das bloĂe Denken hervorgebrachter Erkenntnisseâ. In dieser Entgegensetzung gegen die Metaphysik sieht auch Fichte das Proprium der Transzendentalphilosophie. Ăbereinstimmend mit Kant leugne er âdie Möglichkeit der Metaphysik gĂ€nzlichâ; Kant rĂŒhme sich â zu Recht! â, die Metaphysik in diesem Sinne âmit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verstĂ€ndiges und verstĂ€ndliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden habenâ.3 Sowohl Fichte als auch Hegel greifen also hier â unabhĂ€ngig voneinander â zu dem harten Wort âausrottenâ. Von den beiden von Descartes ausgehenden Linien â der BegrĂŒndung der Metaphysik auf den ontologischen Gottesbeweis und der Fundierung der Philosophie in der SelbstgewiĂheit des Ich â hat damit die letztere, die subjektivitĂ€tstheoretische, den Sieg ĂŒber die ontologische davongetragen.
(2) Doch wie kommt es zu diesem durchschlagenden Erfolg? Geistige Prozesse von epochalem Rang lassen sich selten an eine einzelne Person binden und auf einen Zeitpunkt fixieren. Auch wenn sie sich geradezu auf ein Jahr datieren lassen â auf das Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft â, so sind sie doch stets lĂ€nger vorbereitet. Dies gilt fraglos auch fĂŒr Kants Metaphysikkritik: Mehrere seiner Formulierungen lassen erkennen, daĂ sein vernunftkritisches Werk im gedanklichen Umkreis einer breiten vernunftkritischen Tradition steht. Das âEnde der Metaphysikâ als ein Faktum der Philosophiegeschichte der AufklĂ€rung ist eingebettet in diesen gröĂeren Zusammenhang der neueren BewuĂtseinsgeschichte, die durch zwei epochale Entwicklungen charakterisiert ist: durch das Zerbrechen der Einheit von Vernunft und Glaube und durch das Zerbrechen der Einheit von Denken und Sein.
Ohne mich allzusehr ins Detail zu verlieren, möchte ich diese Aussage durch zwei knappe Hinweise illustrieren, um das âEnde der Metaphysikâ in den gröĂeren Rahmen zu stellen, in dem es sich ereignet hat. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stellt Leibniz seiner Theodizee die âEinleitende Abhandlung ĂŒber die Ăbereinstimmung des Glaubens mit der Vernunftâ voran â denn diese Ăbereinstimmung ist ein Konstituens der neuzeitlichen Metaphysik. Sie bildet gleichsam den SchluĂstein, der ihr Gewölbe stabilisiert. Aber schon zu Leibnizâ Zeiten ist diese Ăbereinstimmung keineswegs allgemein akzeptiert. Seine Abhandlung verfolgt ja eine ausgesprochen apologetische Absicht: Sie sucht die fideistische Skepsis Pierre Bayles zu widerlegen, die im Interesse des Glaubens auf die Zerstörung der Einheit von Vernunft und Glauben zielt. Damit weist die Intention seiner Vernunftkritik â bei aller Differenz in der Methode wie im Inhalt! â eine Analogie zu derjenigen Kants auf: Bayle sucht WidersprĂŒche in der Vernunft aufzuzeigen, um deren Geltung zu begrenzen, allerdings â anders als Kant! â auch generell zu untergraben. Und sosehr Leibniz die deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts geprĂ€gt hat â an dessen Ende steht der Sieg der Diagnose Bayles ĂŒber Leibniz: die Annahme der Unvereinbarkeit von Glaube und Vernunft. Sie wird nirgends deutlicher als in Kants Lehre, daĂ die Vernunft sich in ihrem theoretischen Gebrauche in WidersprĂŒche verstricke, die ihren Geltungsanspruch zwar nicht schlechthin aufheben, jedoch ihren Geltungsbereich begrenzen. Der höchste Gedanke, den die Vernunft denkt, ist nicht gleichzusetzen mit dem Gott, den der Glaube bekennt. Und der Versuch der Metaphysik, diesem höchsten Gedanken der Vernunft das Dasein zu unterschieben, wird als bloĂe Subreption gebrandmarkt.
Insoweit bildet das von Kant herbeigefĂŒhrte âEnde der Metaphysikâ die philosophiegeschichtlich prĂ€gnante Entscheidung eines Streites, der bereits ein Jahrhundert lang die BewuĂtseinsgeschichte durchzieht. Und mit seiner Entscheidung ist zugleich die zweite Frage â nach dem VerhĂ€ltnis von Denken und Wirklichkeit â entschieden. âEinheit von Denken und Seinâ: In der Bestimmung dieses VerhĂ€ltnisses liegt das Fundamentalproblem der abendlĂ€ndischen Metaphysik â seit ihrem Beginn. Auch Hegel sieht hierin in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen gleichsam den roten Faden, der die philosophischen EntwĂŒrfe seit der Antike durchzieht und miteinander verknĂŒpft.4 Die Behauptung der Einheit von Denken und Sein ist natĂŒrlich niemals so zu verstehen, als ob zwischen beiden nicht auch zu unterscheiden sei â dies ist trivial. Doch auf die Bestimmung des Unterschieds kommt es an. Unter dem Titel âErste Stellung des Gedankens zur ObjektivitĂ€tâ skizziert Hegel in seiner EnzyklopĂ€die die Tradition einer âunbefangenen Metaphysikâ, der die Differenz zwischen Denken und Sein nicht wirklich zum Problem geworden sei.
Im Empirismus und im Kritizismus des 18. Jahrhunderts sieht er diese âEinheit von Denken und Seinâ jedoch in doppelter Weise zerbrechen: Das Wirkliche ist nicht im Gedanken selbst, sondern in der Erfahrung zu suchen; es kann vom Denken nicht einfach gesetzt oder ergriffen, sondern es muĂ ihm gegeben werden. Mit der Bildung des Begriffs des Unendlichen ist nicht schon die Wirklichkeit des Unendlichen als eines quasi-GegenstĂ€ndlichen gegeben, und mit der Bildung des Begriffs des Unbedingten nicht schon das Unbedingte. Und das Sein ist nicht eine der im Begriff vereinigten RealitĂ€ten, sondern etwas prinzipiell anderes als das Denken: Es ist (fĂŒr Kant) die âabsolute Positionâ des im Begriff Gedachten. Doch auch wenn Hegel hier vom âZerbrechenâ der Einheit von Denken und Sein spricht und dieses Wort fraglos pejora...