Hegels Philosophie
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  1. 431 Seiten
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Über dieses Buch

Walter Jaeschke ist einer der profiliertesten deutschen Hegel-Forscher und besitzt als Herausgeber der Akademieausgabe der »Gesammelten Werke« (GW) Hegels, langjĂ€hriger Direktor des Hegel-Archivs an der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum und erfahrener Editor einen wohl einzigartigen Überblick ĂŒber Hegels Schriften. In den letzten 15 Jahren hat er eine Reihe von BeitrĂ€gen zu beinahe allen zentralen Themen der Hegelschen Philosophie verfasst, die zum Teil an entlegenen Orten erschienen und nun in Auswahl in diesem Buch zusammengestellt sind. Sensationell ist der Editionsbericht zu GW 2, mit dem der Band eröffnet wird: Mit Hilfe neuer Schrift- und Papieranalysen, die eine verĂ€nderte Datierung der Frankfurter Schriften ermöglichen, kann Jaeschke zeigen, dass das Bild, nach dem Hegel sich als junger Mann vor allem mit Theologie beschĂ€ftigt habe, eine Erfindung seiner Nachlassverwalter war, die nach seinem Tod nachgelassene Texte selektiv vernichteten, um den inzwischen als Pantheisten verketzerten Hegel als Theologen zu kanonisieren. Die thematische Spannweite der AufsĂ€tze und VortrĂ€ge des Bandes reicht vom FrĂŒhwerk ĂŒber die PhĂ€nomenologie des Geistes (»Die Erfahrung des Bewusstseins«, »Das Selbstbewusstsein des Bewusstseins« und »Das absolute Wissen«) und die Wissenschaft der Logik bis zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts, berĂŒhrt die Hegelsche Verfassungsschrift (»Machtstaat und Kulturstaat«), metaphysisches bzw. vielmehr metaphysik-kritisches Denken bei Hegel, die Begriffe Person/Persönlichkeit und Anerkennung, das VerhĂ€ltnis zwischen dem Geist und den Wissenschaften sowie Hegels Anthropologie. Weitere BeitrĂ€ge beschĂ€ftigen sich mit Hegels – oftmals simplifizierend aufgefasster – Geschichtsphilosophie, seinem VerhĂ€ltnis zur antiken griechischen Kultur, seiner Ästhetik und Religionsphilosophie sowie der Kritik an der Romantik. Das abschließende Kapitel beleuchtet die FragwĂŒrdigkeit des Epochenbegriffs »Deutscher Idealismus«.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783787337651

Wer denkt metaphysisch? oder: Über das
doppelte Ende der Metaphysik

Denken? Metaphysisch? „Sauve qui peut! Rette sich wer kann! – So höre ich schon einen“ Vertreter der schönen Welt der Gegenwartsphilosophie „ausruffen, der diesen“ Vortrag „dafĂŒr ausschreyt, daß hier“ von Hegel, also „von Metaphysik die Rede seyn werde. Denn Metaphysik ist das Wort, wie Abstract und beynahe auch Denken ist das Wort, vor dem, jeder, mehr oder minder, wie vor einem mit der Pest behaffteten davon laĂŒfft.“ Und wegen dieses Verstoßes gegen die guten Sitten der philosophischen „schönen Welt“ fĂŒge ich fĂŒr diejenigen, die seine Abhandlung „Wer denkt abstract?“ nicht kennen, meiner kleinen Hegel-Allusion noch den bei ihm folgenden, hoffentlich tröstlichen und beschwichtigenden (wiederum leicht modifizierten) Satz hinzu: „Es ist aber nicht so bös gemeynt, daß, was“ Metaphysik „sey, hier erklĂ€rt werden sollte.“ (GW 5.381). Ich werde nĂ€mlich die Argumentationsfigur aus Hegels Aufsatz hier nicht in dem Sinne adaptieren, daß ich das von der feinen Welt als metaphysisch Perhorreszierte als das in Wahrheit Empirische und das als empirisch HochgeschĂ€tzte als in Wahrheit metaphysisch erweisen werde.
Die Metaphysik soll hier also nicht in ihre ehemaligen Ämter und WĂŒrden eingesetzt und auch das Ende der Metaphysik soll nicht widerrufen werden – doch soll darĂŒber nachgedacht werden. Jedoch: Ist dies ĂŒberhaupt ein Thema, ĂŒber das zu reden oder gar nachzudenken sich noch lohnt? Hier scheint die Lage anders zu sein als beim „Ende der Kunst“, ĂŒber das zumindest zu reden (wenn auch nicht unbedingt nachzudenken) inzwischen so sehr zum Gemeingut der feinen Welt der Ästhetiker geworden ist, daß in ihr nun beinahe ĂŒber nichts anderes mehr geredet wird. Hinsichtlich des „Endes der Metaphysik“ lĂ€ĂŸt sich dies kĂŒrzer abtun. Denn wenn es eine Frage gibt, ĂŒber deren Beantwortung sich die zerstrittenen Philosophen beiderlei Geschlechts unserer Tage einig sind, so ist es fraglos dieses: daß es mit der Metaphysik zu Ende sei – und daß es auch keinerlei Grund gebe, ihr Ende zu beklagen und ihr eine TrĂ€ne nachzuweinen. Auch wer nichts von Metaphysik weiß, weiß doch so viel von ihr, daß es mit ihr vorbei sei, unwiderruflich und auch völlig zu Recht. Eben deshalb darf dieses Wissen sich selbstgenĂŒgsam geben: Von dem, was da vorbei und restlos vorbei ist, braucht man auch nicht mehr als eben dies zu wissen. Wer jedoch ĂŒber dieses Basiswissen hinaus ĂŒber etwas historische Orientierung verfĂŒgt, vermag dieses unbestreitbare Faktum auch noch geschichtlich einzuordnen: Das – gerechte! – Ende der metaphysischen Hybris sei herbeigekommen, als beim „Zusammenbruch des deutschen Idealismus“ im VormĂ€rz die Phantasiebauten der philosophischen Systeme wie KartenhĂ€user lautlos in sich zusammengefallen seien. Und der rauhe Wind der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit habe ein ĂŒbriges getan und die luftigen Wahngebilde der metaphysischen Systemschmiede alsbald hinweggefegt.
Angesichts der uneingeschrĂ€nkten Lufthoheit dieser Interpretation ist es nicht leicht, in den mĂŒhsamen Schritten philosophiegeschichtlicher Bodenoperationen solchen Ansichten, die von ihr abweichen, auch nur Gehör, geschweige denn Geltung zu verschaffen. Doch andererseits ist ein Faktum – auch wenn es nicht ĂŒberall begrĂŒĂŸt wird – doch schwer zu bestreiten: daß philosophische AnsĂ€tze aus der Zeit vor dieser – als epochal betrachteten – ZĂ€sur zwischen Klassischer deutscher Philosophie und VormĂ€rz sich nach wie vor grĂ¶ĂŸter Aufmerksamkeit erfreuen – und zwar weltweit, nicht etwa nur bei denjenigen, die auf einem angeblichen deutschen Sonderweg des Denkens in die Irre gegangen sind und deren Herzen deshalb mit ebenso unbegreiflicher wie verderblicher Sehnsucht nach den metaphysischen Gefilden erfĂŒllt sind. FĂŒr diejenigen EntwĂŒrfe hingegen, die fĂŒr das vorherrschende Bewußtsein diese ZĂ€sur entweder selbst markieren oder in die Zeit nach ihr fallen, lĂ€ĂŸt sich dies nicht in gleicher Weise behaupten. Schon dieser merkwĂŒrdige Kontrast berechtigt zum Zweifel an der eingangs skizzierten Deutung – ja er nötigt dazu, ihr begriffliches Instrumentarium und ihre historische Konstruktion zu ĂŒberdenken: ihren Begriff der Metaphysik, ihre Sicht der geschichtlichen Rolle, die die Metaphysik zur fraglichen Zeit gespielt hat. Eines sei allerdings vorweg eingerĂ€umt: Ob und wie man vom ‚Ende der Metaphysik‘ spricht, hĂ€ngt natĂŒrlich vom jeweiligen Metaphysikbegriff ab. Wenn man den Metaphysikbegriff so weit faßte, wie Hegel es in den einleitenden Partien zu „Wer denkt abstract?“ parodistisch anprangert, daß letztlich das Denken ĂŒberhaupt schon mit Metaphysik gleichgesetzt wĂŒrde und die Frage „Wer denkt metaphysisch?“ gleichbedeutend wĂŒrde mit der Frage „Wer denkt denn ĂŒberhaupt noch?“, so wĂ€re es – glĂŒcklicherweise! – derzeit noch etwas verfrĂŒht, vom „Ende der Metaphysik“ zu sprechen. Es gibt aber auch gute GrĂŒnde, sich einem solchen Pan-Metaphysiokritizismus zu verweigern, fĂŒr den alles Metaphysik und deshalb vom Bösen ist, was sich ĂŒber Empirie oder Sprachanalyse erhebt, und vielmehr auf dem Unterschied eines seine Möglichkeiten ausschöpfenden und eines seine Grenzen ĂŒberschreitenden Denkens zu beharren.

I. Das Ende der Metaphysik als Ereignis der Philosophiegeschichte

(1) „Auch denen, welche sich sonst noch an das Aeltere halten, ist die Metaphysik zugrunde gegangen wie der JuristenfakultĂ€t das deutsche Staatsrecht.“ „Es ist diß ein Factum, daß das Interesse theils am Inhalte, theils an der Form der vormaligen Metaphysik, theils an beyden zugleich verlohren ist.“ – Diese beiden Zitate konstatieren das Ende der Metaphysik als ein „Factum“. Zugleich bieten sie eine Diagnose fĂŒr sein Eintreten: Das Interesse an der vormaligen Metaphysik habe sich verloren. Damit meine – auf begriffliche und historische KlĂ€rung und nicht auf Restitution gerichtete – Intention nicht mißverstanden werde, beeile ich mich hinzufĂŒgen: Abgesehen von etlichen ephemeren Reanimationsversuchen hat sich dieses verlorene Interesse bis heute nicht wieder eingefunden – und es ist kein Wagnis zu prognostizieren, daß es sich auch kĂŒnftig nicht wieder einfinden werde.
Die eben zitierte Diagnose des Endes der Metaphysik scheint das SelbstverstĂ€ndnis des VormĂ€rz prĂ€gnant zu artikulieren – der Zeit nach dem Ende des Hegelschen Systems und der „Systemphilosophie“ ĂŒberhaupt, nach dem sogenannten „revolutionĂ€ren Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts“.1 Doch steht dieser so plausibel erscheinenden Deutung sowohl die Chronologie als auch das Urheberrecht entgegen: Die zitierte Diagnose des Endes der Metaphysik stammt nicht etwa von Ludwig Feuerbach oder einem sonstigen Kritiker der Klassischen deutschen Philosophie und vornehmlich der Hegelschen; sie stammt von keinem anderen als von Hegel selber: aus seinem Hauptwerk, der Wissenschaft der Logik, und aus einem ostensiblen Brief aus dem Jahre 1816 – also aus den entscheidenden Jahren der Ausbildung seines Systems.2 Und seine Rede vom „Ende der Metaphysik“ ist keineswegs nur kokettierend gemeint: Hegels SelbstverstĂ€ndnis zu Folge setzt seine Philosophie das „Ende der Metaphysik“ als ein Ereignis der Philosophiegeschichte voraus.
Allerdings wĂ€re es zu kurz gegriffen, als Ursache fĂŒr das „Ende der Metaphysik“ lediglich einen Interessenschwund zu konstatieren. Noch kurz zuvor gelten die Themen der Metaphysik ja als die höchsten GegenstĂ€nde des Denkens. Das Interesse an solchen GegenstĂ€nden verliert sich nicht wie eine MĂŒnze, und sein Dahinschwinden ist auch kein Naturereignis. Der Interessenschwund ist nicht die Ursache, sondern die Folge und die Erscheinungsform des „Endes der Metaphysik“. Und das Ende, von dem hier die Rede ist, kann prĂ€gnant gefaßt werden als das Ende derjenigen Gestalt, die die Metaphysik in der rationalistischen Schulphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts gefunden hat – oder, um das zweite Eingangszitat fortzusetzen: Was vor Kants Kritik der reinen Vernunft „Metaphysik hieß, ist, so zu sagen, mit Stumpf und Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden.“ – Am Rande sei vermerkt, daß all denen, die diesen Satz nicht in der historisch-kritischen, sondern in der meistzitierten Hegel-Ausgabe unserer Tage lesen, das ironische Wortspiel Hegels entgeht: Er schreibt nĂ€mlich keineswegs, wie es dort heißt, die Metaphysik sei „mit Stumpf und Stiel“ ausgerottet worden (TWA 5.13), sondern, sie sei „mit Stumpf und Styl“ ausgerottet worden – also: Sie habe ihr Ende durch eine, sit venia verbo, ‚stilvolle Ausrottung‘ gefunden.
Auch diese drastischen Wendungen gehören also nicht erst dem VormĂ€rz an: Die Metaphysik ist nicht allein „zu Ende gegangen“, als wĂ€re sie eines natĂŒrlichen Todes gestorben, vielmehr ist sie – stilvoll – ausgerottet worden und deshalb aus der Reihe der philosophischen Wissenschaften verschwunden. Wer vom „Ende der Metaphysik“ reden will, darf diese mit ebenso großem geschichtlichen Recht wie mit Emphase vorgetragene Diagnose nicht ignorieren – er muß vielmehr von ihr ausgehen. Ich schließe mich ihr ausdrĂŒcklich an: Als ein Ereignis der Philosophiegeschichte ist die Ausrottung der Metaphysik das Resultat nicht des VormĂ€rz, sondern der AufklĂ€rung – nĂ€mlich der Metaphysikkritik Kants. Dies ist eine adĂ€quate EinschĂ€tzung ihres faktischen Resultats und ihrer Wirkungsgeschichte – auch wenn Kants Intention damit fraglos nicht vollstĂ€ndig erfaßt ist. Die Kritik der reinen Vernunft ist die definitive Kritik der traditionellen Metaphysik in ihrem gesamten Umfang. Unbarmherzig destruiert sie die rationale Psychologie mit ihrer Lehre von der Einfachheit und – daraus folgend – der Unsterblichkeit der Seelensubstanz, ebenso die rationale Kosmologie mit ihren antinomischen Aussagen ĂŒber den Weltbegriff und schließlich die rationale Theologie wegen ihres illegitimen Übergangs vom höchsten Gedanken zur Existenz eines diesem Gedanken entsprechenden Wesens. Diese Kritik verbannt die metaphysica specialis aus dem Kreise der philosophischen Wissenschaften, und an die Stelle der metaphysica generalis, der frĂŒheren Ontologie, als einer rationalen Erkenntnis Ă€ußerer GegenstĂ€nde, setzt Kant die transzendentale Logik, als Erkenntnis nicht etwa transzendenter GegenstĂ€nde, sondern der internen Verfassung der Vernunft.
In der Retrospektive der Philosophiegeschichte stehen die beiden Jahrzehnte nach dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft – negativ gesehen – im Zeichen der Metaphysikkritik, positiv gesehen im Zeichen der Transzendentalphilosophie. Dies ist nicht als ‚statistische‘ Aussage in dem Sinne zu nehmen, daß die meisten der damaligen Philosophen sich zu ihr bekannt hĂ€tten – denn dies ist fraglos nicht der Fall; die traditionelle Schul- und die Popularphilosophie sind zahlenmĂ€ĂŸig noch stark vertreten. Doch die Weiterentwicklung des Denkens vollzieht sich damals in dem von Kants Transzendentalphilosophie vorgegebenen Denkraum, und selbst die Rezeption von philosophischen AnsĂ€tzen vergleichbaren Gewichts – wie der Lehre Spinozas – erfolgt in Relation zur Transzendentalphilosophie, ja sie steht in ihrem Bann. Ihre Dominanz beruht auf ihrer durchschlagenden Kritik der Metaphysik als eines Systems „reeller durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse“. In dieser Entgegensetzung gegen die Metaphysik sieht auch Fichte das Proprium der Transzendentalphilosophie. Übereinstimmend mit Kant leugne er „die Möglichkeit der Metaphysik gĂ€nzlich“; Kant rĂŒhme sich – zu Recht! –, die Metaphysik in diesem Sinne „mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verstĂ€ndiges und verstĂ€ndliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben“.3 Sowohl Fichte als auch Hegel greifen also hier – unabhĂ€ngig voneinander – zu dem harten Wort „ausrotten“. Von den beiden von Descartes ausgehenden Linien – der BegrĂŒndung der Metaphysik auf den ontologischen Gottesbeweis und der Fundierung der Philosophie in der Selbstgewißheit des Ich – hat damit die letztere, die subjektivitĂ€tstheoretische, den Sieg ĂŒber die ontologische davongetragen.
(2) Doch wie kommt es zu diesem durchschlagenden Erfolg? Geistige Prozesse von epochalem Rang lassen sich selten an eine einzelne Person binden und auf einen Zeitpunkt fixieren. Auch wenn sie sich geradezu auf ein Jahr datieren lassen – auf das Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft –, so sind sie doch stets lĂ€nger vorbereitet. Dies gilt fraglos auch fĂŒr Kants Metaphysikkritik: Mehrere seiner Formulierungen lassen erkennen, daß sein vernunftkritisches Werk im gedanklichen Umkreis einer breiten vernunftkritischen Tradition steht. Das „Ende der Metaphysik“ als ein Faktum der Philosophiegeschichte der AufklĂ€rung ist eingebettet in diesen grĂ¶ĂŸeren Zusammenhang der neueren Bewußtseinsgeschichte, die durch zwei epochale Entwicklungen charakterisiert ist: durch das Zerbrechen der Einheit von Vernunft und Glaube und durch das Zerbrechen der Einheit von Denken und Sein.
Ohne mich allzusehr ins Detail zu verlieren, möchte ich diese Aussage durch zwei knappe Hinweise illustrieren, um das „Ende der Metaphysik“ in den grĂ¶ĂŸeren Rahmen zu stellen, in dem es sich ereignet hat. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stellt Leibniz seiner Theodizee die „Einleitende Abhandlung ĂŒber die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft“ voran – denn diese Übereinstimmung ist ein Konstituens der neuzeitlichen Metaphysik. Sie bildet gleichsam den Schlußstein, der ihr Gewölbe stabilisiert. Aber schon zu Leibniz’ Zeiten ist diese Übereinstimmung keineswegs allgemein akzeptiert. Seine Abhandlung verfolgt ja eine ausgesprochen apologetische Absicht: Sie sucht die fideistische Skepsis Pierre Bayles zu widerlegen, die im Interesse des Glaubens auf die Zerstörung der Einheit von Vernunft und Glauben zielt. Damit weist die Intention seiner Vernunftkritik – bei aller Differenz in der Methode wie im Inhalt! – eine Analogie zu derjenigen Kants auf: Bayle sucht WidersprĂŒche in der Vernunft aufzuzeigen, um deren Geltung zu begrenzen, allerdings – anders als Kant! – auch generell zu untergraben. Und sosehr Leibniz die deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts geprĂ€gt hat – an dessen Ende steht der Sieg der Diagnose Bayles ĂŒber Leibniz: die Annahme der Unvereinbarkeit von Glaube und Vernunft. Sie wird nirgends deutlicher als in Kants Lehre, daß die Vernunft sich in ihrem theoretischen Gebrauche in WidersprĂŒche verstricke, die ihren Geltungsanspruch zwar nicht schlechthin aufheben, jedoch ihren Geltungsbereich begrenzen. Der höchste Gedanke, den die Vernunft denkt, ist nicht gleichzusetzen mit dem Gott, den der Glaube bekennt. Und der Versuch der Metaphysik, diesem höchsten Gedanken der Vernunft das Dasein zu unterschieben, wird als bloße Subreption gebrandmarkt.
Insoweit bildet das von Kant herbeigefĂŒhrte „Ende der Metaphysik“ die philosophiegeschichtlich prĂ€gnante Entscheidung eines Streites, der bereits ein Jahrhundert lang die Bewußtseinsgeschichte durchzieht. Und mit seiner Entscheidung ist zugleich die zweite Frage – nach dem VerhĂ€ltnis von Denken und Wirklichkeit – entschieden. „Einheit von Denken und Sein“: In der Bestimmung dieses VerhĂ€ltnisses liegt das Fundamentalproblem der abendlĂ€ndischen Metaphysik – seit ihrem Beginn. Auch Hegel sieht hierin in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen gleichsam den roten Faden, der die philosophischen EntwĂŒrfe seit der Antike durchzieht und miteinander verknĂŒpft.4 Die Behauptung der Einheit von Denken und Sein ist natĂŒrlich niemals so zu verstehen, als ob zwischen beiden nicht auch zu unterscheiden sei – dies ist trivial. Doch auf die Bestimmung des Unterschieds kommt es an. Unter dem Titel „Erste Stellung des Gedankens zur ObjektivitĂ€t“ skizziert Hegel in seiner EnzyklopĂ€die die Tradition einer „unbefangenen Metaphysik“, der die Differenz zwischen Denken und Sein nicht wirklich zum Problem geworden sei.
Im Empirismus und im Kritizismus des 18. Jahrhunderts sieht er diese „Einheit von Denken und Sein“ jedoch in doppelter Weise zerbrechen: Das Wirkliche ist nicht im Gedanken selbst, sondern in der Erfahrung zu suchen; es kann vom Denken nicht einfach gesetzt oder ergriffen, sondern es muß ihm gegeben werden. Mit der Bildung des Begriffs des Unendlichen ist nicht schon die Wirklichkeit des Unendlichen als eines quasi-GegenstĂ€ndlichen gegeben, und mit der Bildung des Begriffs des Unbedingten nicht schon das Unbedingte. Und das Sein ist nicht eine der im Begriff vereinigten RealitĂ€ten, sondern etwas prinzipiell anderes als das Denken: Es ist (fĂŒr Kant) die „absolute Position“ des im Begriff Gedachten. Doch auch wenn Hegel hier vom „Zerbrechen“ der Einheit von Denken und Sein spricht und dieses Wort fraglos pejora...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Inhalt
  3. Titelei
  4. Vorwort
  5. Hegels Frankfurter Schriften. Zum jĂŒngst erschienenen Band 2 der Gesammelten Werke Hegels
  6. Die Erfahrung des Bewußtseins
  7. Das Selbstbewußtsein des Bewußtseins
  8. Das absolute Wissen
  9. Die Prinzipien des Denkens und des Seins. Hegels System der reinen Vernunft
  10. Wer denkt metaphysisch? oder: Über das doppelte Ende der Metaphysik
  11. Der Geist und seine Wissenschaften
  12. Anthropologie zwischen Natur und Tat. Bemerkungen ĂŒber eine gut gemeinte Mesalliance
  13. Person und Persönlichkeit. Anmerkungen zur Klassischen Deutschen Philosophie
  14. Genealogie des Rechts
  15. Machtstaat und Kulturstaat
  16. Anerkennung als Prinzip staatlicher und zwischenstaatlicher Ordnung
  17. Staat und Religion
  18. Zur Geschichtsphilosophie Hegels
  19. Das Fremde und die Bildung. Hegel ĂŒber die Entwicklung des griechischen Bewußtseins
  20. Die gedoppelte Schönheit. Idee des Schönen oder Selbstbewußtsein des Geistes?
  21. Hegels Kritik an der Romantik
  22. Über die Bedingungen einer Religionsphilosophie nach der AufklĂ€rung
  23. ‚Zeugnis des Geistes‘ oder: Vom Bedeutungswandel traditioneller Formeln
  24. Zur Genealogie des Deutschen Idealismus. Konstitutionsgeschichtliche Bemerkungen in methodologischer Absicht
  25. Literaturverzeichnis