Hexen
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Hexen

Die unbesiegte Macht der Frauen

Mona Chollet, Birgit Althaler

  1. 288 Seiten
  2. German
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Hexen

Die unbesiegte Macht der Frauen

Mona Chollet, Birgit Althaler

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Über dieses Buch

Die Hexenverfolgungen waren ein Krieg gegen Frauen, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. Frauen, die unabhängig lebten, keine Kinder hatten oder einfach alt geworden waren, liefen zur Zeit der Renaissance Gefahr, verfolgt und verbrannt zu werden. Unser Bild von Frauen ist noch heute von negativen Stereotypen geprägt – entstanden in einer Geschichte, die ohne und gegen sie geschrieben wurde. Mona Chollet macht die Hexerei zu einer großen feministischen Metapher und die Hexe zu einem begeisternden Vorbild selbstbestimmter Weiblichkeit. Mit über 200.000 verkauften Exemplaren wurde das Buch in Frankreich zum Bestseller.

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1. Ein eigenständiges Leben
Die Geißel weiblicher Unabhängigkeit

»Guten Tag, Gloria, ich bin glücklich, endlich die Gelegenheit zu haben, mit Ihnen zu sprechen …«
An diesem Tag im März 1990 ist Gloria Steinem, feministische Kultfigur in den USA, auf CNN zu Gast bei Larry King. Aus Cleveland, Ohio, wird eine Zuschauerin zugeschaltet. Die Stimme ist sanft und lässt einen vermuten, dass es sich um eine Bewunderin handelt. Schnell wird aber klar, dass das ein Irrtum ist. »Ich glaube, Ihre Bewegung ist komplett gescheitert«, betont die sanfte Stimme. »Ich glaube, Sie sind eine der Hauptursachen für den Untergang unserer schönen amerikanischen Familie und unserer schönen amerikanischen Gesellschaft. Einige Fragen: Ich möchte wissen: Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?« Die Eingeladene bleibt ruhig und antwortet zweimal zackig: »Nein.« Unterbrochen vom Moderator, der ihre Worte diplomatisch zusammenzufassen versucht, schließt die anonyme Rächerin mit dem Einwurf: »Ich finde, Gloria Steinem sollte in der Hölle schmoren!«76
Die 1934 geborene Gloria Steinem, eine Journalistin, die sich seit Anfang der 1970er Jahre sehr für Frauenrechte eingesetzt hat, machte ihren Gegnerinnen schon immer zu schaffen. Erstens widerlegten ihre Schönheit und ihre vielen Liebhaber die klassische Behauptung, die feministischen Forderungen übertünchten nur die Verbitterung und den Frust hässlicher Entlein, denen kein Mann je die Ehre erweise, ein Auge auf sie zu werfen. Das reiche, intensive Leben, das sie geführt hat und weiterhin führt, mit zahlreichen Reisen und Entdeckungen, Aktivismus und Schreibtätigkeit, Liebesbeziehungen und Freundschaften, erschwert all jenen, für die das Leben einer Frau nur in der Paarbeziehung und Mutterschaft Sinn gibt, die Aufgabe zusätzlich. Als ein Journalist Steinem fragte, warum sie nicht heirate, gab sie diese unvergesslich gebliebene Antwort: »In Gefangenschaft kann ich mich nicht paaren.«
Als 66-Jährige wich sie von dieser Linie ab, damit ihr damaliger Partner, ein Südafrikaner, eine Green Card erhalten und in den Vereinigten Staaten bleiben konnte. Sie heiratete ihn in Oklahoma, bei ihrer Freundin Wilma Mankiller, einer Führerin der Cherokee Nation, in einer traditionellen Zeremonie, gefolgt von einem »tollen Frühstück«, für das sie sich extra in ihre »schönsten Jeans« geworfen hatte. Ihr Mann starb drei Jahre später an Krebs. »Manche glauben, er wäre die Liebe meines Lebens und ich die seine gewesen, weil wir rechtlich verheiratet waren«, verriet Steinem Jahre später der Journalistin Rebecca Traister, die die Geschichte der Ehelosigkeit von Frauen in den USA untersuchte. »Vom menschlichen Verhalten haben sie nichts verstanden. Er war vorher schon zweimal verheiratet und hatte wunderbare erwachsene Kinder. Ich hatte verschiedene glückliche Geschichten mit Männern, mit denen ich nach wie vor befreundet bin und die zu meiner Wahlfamilie gehören. Manche Menschen haben ihr Leben lang nur einen Partner, aber für die meisten von uns gilt das nicht. Und jede unserer Lieben ist wesentlich und einzigartig.«77
Bis Ende der 1960er Jahre, daran erinnert uns Traister, dominierte im US-amerikanischen Feminismus die Richtung um Betty Friedan, die Verfasserin von Der Weiblichkeitswahn oder die Mystifizierung der Frau, einer aufsehenerregenden Kritik des Ideals der Hausfrau. Friedan verteidigte »jene, die Gleichheit wollen, ihren Mann und ihre Kinder deshalb aber nicht minder lieben«. Die Kritik an der Ehe an sich kam in der Bewegung erst dank des Kampfs um die Rechte der Homosexuellen und der größeren Sichtbarkeit von Lesben auf. Doch selbst dann schien es vielen Aktivistinnen noch undenkbar, dass man heterosexuell sein und nicht heiraten wollen könnte; »zumindest bis Gloria auf den Plan trat«.78 Ihr und einigen anderen ist zu verdanken, dass das Magazin Newsweek 1973 erkannte, dass es »endlich möglich ist, unverheiratet und zugleich ganz zu sein«. Ende des Jahrzehnts war die Scheidungsrate sprunghaft auf fast 50 Prozent angestiegen.79

Unterstützte, Betrügerinnen und Freigeister

Allerdings gilt es klarzustellen, dass die weißen amerikanischen Feministinnen einmal mehr nicht besonders originell waren. Einerseits hatte das von Betty Friedan kritisierte Ideal der Hausfrau für schwarze Frauen, die Nachkommen der Sklaven, nie gegolten. Sie beriefen sich stolz auf ihren Status als Arbeiterinnen, entsprechend der Theorie, die die Juristin Sadie Alexander 1930 aufstellte, die 1921 als erste afroamerikanische Frau in Wirtschaftswissenschaften promoviert hatte.80 Darüber hinaus gab es bei ihnen eine lange Tradition politischen und gesellschaftlichen Engagements. So hätte es beispielsweise auch die beeindruckende Annette Richter, die gleich alt ist wie Gloria Steinem und wie diese im Wesentlichen als alleinstehende Frau ohne Kinder gelebt hat, verdient, ebenso berühmt zu werden. Nach einem brillanten Studium hatte sie ihr Leben lang für die Regierung in Washington gearbeitet und daneben eine geheime Selbsthilfeorganisation für schwarze Frauen geleitet, die ihre Ururgroßmutter 1867 gegründet hatte, als diese noch eine Sklavin war.81 Außerdem hatten sehr viele Afroamerikanerinnen aufgrund der Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr geheiratet und lange vor den weißen Frauen außerehelich Kinder zur Welt gebracht. Dafür wurden sie bereits 1965 von Daniel Patrick Moynihan, Unterstaatssekretär für Arbeit, gerügt, der ihnen vorwarf, die »patriarchale Struktur der amerikanischen Gesellschaft«82 zu gefährden.
Ab der Präsidentschaft von Ronald Reagan in den 1980er Jahren schuf der Diskurs der Konservativen die verpönte Figur der Welfare Queen, der »Königin der Sozialhilfe«, die wahlweise eine schwarze oder eine weiße Frau sein konnte, wobei sich bei Ersterer noch ein rassistischer Unterton hineinmischte. Der Präsident kolportierte selbst über zehn Jahre lang die – erlogene – Geschichte von einer dieser »Königinnen«, die, wie er schamlos behauptete, »achtzig Namen, dreißig Adressen und zwölf Sozialversicherungsausweise« benutzt habe, was ihr ein Nettoeinkommen von »über 150 000 Dollar«83 verschafft habe. Eine auch hierzulande nur allzu vertraute Denunziation von »Hartzern« und »Betrügern«, nur in der weiblichen Form … Jeb Bush ließ in seinem Wahlkampf um das Gouverneursamt in Florida 1994 verlauten, Sozialhilfeempfängerinnen sollten lieber »ihr Leben in die Hand nehmen und sich einen Ehemann suchen«. Im Roman We were witches von Ariel Gore, der Anfang der 1990er Jahre in Kalifornien spielt, begeht die Heldin, eine junge unverheiratete (weiße) Frau, den Fehler, ihrer neuen Nachbarin in dem Vorort, wo sie gerade hingezogen ist, zu gestehen, dass sie dank Lebensmittelmarken überlebt. Als der Ehemann der Nachbarin davon erfährt, brüllt er vor ihrem Fenster Beleidigungen und stiehlt ihr einen Scheck aus dem Briefkasten. Die junge Frau zieht an dem Tag überstürzt wieder weg, als sie mit ihrer Tochter beim Heimkommen eine an die Tür ihres Hauses genagelte Puppe vorfindet sowie die mit roter Farbe gepinselte Drohung: »Krepiere, Sozialhilfehure (welfare slut)«.84 Im Jahr 2017 ließ ein Gericht in Michigan die Vaterschaft eines achtjährigen Kindes ermitteln, das bei einer Vergewaltigung gezeugt worden war. Ohne sich mit irgendwem zu beraten, sprach es beiden Eltern das Sorgerecht und dem Vergewaltiger das Besuchsrecht zu, ergänzte den Namen des Vaters in der Geburtsurkunde und gab ihm die Adresse des Opfers weiter. Der Kommentar der jungen Frau: »Ich bezog Lebensmittelmarken und Sozialversicherungszahlungen für meinen Sohn. Ich vermute, dass es ihnen darum ging, hier Einsparungen zu machen.«85 Eine Frau muss einen Gebieter haben, und sei es der Mann, der sie entführt und eingesperrt hat, als sie zwölf war.
Einer der Architekten der unter Bill Clinton 1996 umgesetzten katastrophalen Reform der Sozialhilfe, die ein ohnehin schon sehr löchriges Sicherheitsnetz zerstörte,86 sprach noch 2012 von der Ehe als der »besten Waffe der Armutsbekämpfung«. Was, wie Rebecca Traister argumentiert, das Pferd von hinten aufzäumt: »Wenn die Politiker sich über die sinkenden Heiratsraten sorgen, sollten sie die Sozialhilfe erhöhen« – denn man heiratet eher, wenn man ein Minimum an wirtschaftlicher Stabilität genießt. »Und wenn sie sich Sorgen um die Armut machen, sollten sie die Sozialhilfe erhöhen. So einfach ist das.« Was wäre im Übrigen, fragt sie weiter, so skandalös daran, wenn unverheiratete Frauen den Staat als Versorger beanspruchen würden, wo doch weiße Männer, insbesondere reiche verheiratete weiße Männer, lange von der Fürsorglichkeit eines Staates profitiert haben, der sie mit Subventionen, Darlehen und Steuererleichterungen in ihrer Unabhängigkeit unterstützt hat?87 Doch die Vorstellung, dass Frauen souveräne Persönlichkeiten sind und nicht einfach ein Anhängsel, ein Gespann, das auf sein Zugpferd wartet, setzt sich in den Köpfen noch immer nur schwer durch – nicht nur bei konservativen Politikern.
1971 gründete Gloria Steinem mit anderen die feministische Monatszeitschrift Ms. Magazine. »Ms.« (als »Mizz« ausgesprochen) ist weder »Miss« (was für eine unverheiratete Frau steht) noch »Mrs.« (was für eine Ehefrau steht), sondern das genaue weibliche Pendant zu »Mr.«, »Herr«: eine Bezeichnung, die nichts über den Zivilstand der bezeichneten Person aussagt. Es wurde 1961 von der Bürgerrechtsaktivistin Sheila Michaels erfunden. Die Idee hatte sie, als sie in einem Brief an ihre Mitarbeiterin einen Tippfehler entdeckte. Sie selbst war nie der »Besitz eines Vaters« gewesen, da ihre Eltern nicht geheiratet hatten; sie wollte nicht zum Besitz eines Ehemannes werden und suchte einen Begriff, der das zum Ausdruck bringt. Damals heirateten viele junge Frauen mit 18, und Michaels war bereits 22: Eine »Miss« zu sein bedeutete, eine »nicht verkaufte Ware« zu sein. Zehn Jahre lang stellte sie sich als »Ms.« vor und nahm dafür Lacher und Anzüglichkeiten in Kauf. Eine Freundin von Gloria Steinem, die von der Geschichte gehört hatte, steckte sie der Gründerin der Zeitschrift, die auf Titelsuche war. Durch die Übernahme von »Ms.« verhalf sie dem Begriff zu Bekanntheit, und er wurde ein großer Erfolg. Im selben Jahr brachte Bella Abzug, Abgeordnete des Staates New York, ein Gesetz durch, das seine Verwendung in staatlichen Dokumenten erlaubte. Richard Nixon antwortete, als er 1972 in einer Fernsehsendung darauf angesprochen wurde, etwas betreten lächelnd, er sei zweifellos ein wenig »altmodisch«, aber er bevorzuge es, bei »Miss« oder »Mrs.« zu bleiben. In einer geheimen Aufzeichnung aus dem Weißen Haus ist Henry Kissinger zu hören, wie er nach der Sendung sagt: »Aber Scheiße nochmal, wie viele Leute haben Gloria Steinem tatsächlich gelesen und kümmern sich einen Dreck darum?«88 An die Geschichte dieses Wortes erinnernd, erzählt die Guardian-Journalistin Eve Kay, wie stolz sie selbst an dem Tag war, als sie ihr erstes Bankkonto eröffnete und als Anrede »Ms« eintrug (in Großbritannien ist der Titel auch ohne Punkt gebräuchlich): »Ich war eine unabhängige Person mit einer unabhängigen Identität, und ›Ms‹ brachte das perfekt zum Ausdruck. Es war ein kleiner symbolischer Schritt – ich wusste, dass das nicht bedeutete, dass die Frauen den Männern gleichgestellt wären –, doch was zählte, war, zumindest darauf hinzuweisen, dass ich beabsichtigte, frei zu sein.« Sie ermunterte die Leserinnen, es ihr gleichzutun: »Wählen Sie ›Miss‹, und Sie sind zu einer kindlichen Unreife verurteilt. Wählen Sie ›Mrs‹, und Sie sind verurteilt, der bewegliche Besitz eines Typen zu sein. Wählen Sie ›Ms‹, und Sie werden eine für ihr Leben voll verantwortliche erwachsene Frau.«89
Als vierzig lange Jahre später in Frankreich die Initiativen Osez le féminisme! (»Den Feminismus wagen!«) und Chiennes de garde (»Wachhündinnen«) das Thema mit ihrer Kampagne »›Mademoiselle‹, das überflüssige Kästchen« aufbrachten, die forderte, diese Option aus Behördenformularen zu streichen, wurde das als x-te Laune gelangweilter Feministinnen wahrgenommen. Die Reaktionen schwankten zwischen nostalgischen Seufzern, aufgeregten Warnungen, diese Weibsbilder machten der französischen Galanterie den Garaus, und gekränkten Mahnrufen, sich doch »mit wichtigeren Themen« zu befassen. »Zuerst hielten wir das für einen Scherz«, spottete Alix Girod de l’Ain in einem Editorial der Zeitschrift Elle. Sie erinnerte an einen eher unbedeutenden, bewundernd gemeinten Gebrauch von »Mademoiselle« (Fräulein) für berühmte Schauspielerinnen, die sich nie dauerhaft an einen Mann gebunden haben: »Man muss ›Mademoiselle‹ verteidigen, wegen Mademoiselle Jeanne Moreau, Mademoiselle Catherine Deneuve und Mademoiselle Isabelle Adjani.« Etwas unaufrichtig behauptete sie, die allgemeine Verwendung von »Madame« – auf Französisch wurde kein dritter Begriff erfunden – wäre gleichbedeutend damit, alle Frauen als verheiratet zu behandeln: »Bedeutet das für diese Feministinnen also, dass es besser, respektabler wäre, offiziell verheiratet zu sein?« – was natürlich nicht das Anliegen der betreffenden Vereinigungen war. Schnell wurde aber deutlich, dass ihr Bedauern eigentlich dem in »Mademoiselle« mitschwingenden Bild von Jugendlichkeit galt. »Man muss ›Mademoiselle‹ verteidigen, denn wenn mich der Gemüsehändler der Rue Cadet so nennt, weiß ich, ohne mir etwas vorzumachen, dass er mir das Basilikum schenken wird.« (Dabei übersah sie, dass die Kanonenboote der feministischen Diktatur nur auf Behördenformulare abzielten und ihr Gratis-Basilikum nicht unbedingt infrage stellten.) Sie schloss mit der Forderung, lieber solle ein Kästchen mit »Pcsse« ergänzt werden, »um unser unveräußerliches Recht, Prinzessinnen (princesses) zu sein«, zu verteidigen …90 So betrüblich die Äußerungen auch waren, verrieten sie doch, wie sehr Frauen konditioniert sind, ihre Infantilisierung zu lieben und ihren Wert daraus zu beziehen, zum Objekt gemacht zu werden – zumindest französische Frauen, denn gleichzeitig versicherte die Zeitschrift Marie Claire, dass in Québec »dieser Begriff von einem derart altmodischen Denken zeugt, dass man sich eine Ohrfeige einhandelt, wenn man eine Frau mit ›Mademoiselle‹ anspricht.«91

Das verbotene Vorbild der Abenteurerin

Die unverheiratete Frau verkörpert, wenn auch nicht exklusiv, am sichtbarsten und offenkundigsten die weibliche Unabhängigkeit. Das macht sie für Reaktionäre zu einer Hassfigur, auf viele andere Frauen wirkt sie aber ebenfalls einschüchternd. Auch das Modell der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, dem wir nach wie vor verhaftet sind, hat eine wichtige psychologische Wirkung. Nichts an der Art, wie die meisten Mädchen erzogen werden, ermutigt sie dazu, an ihre eigene Kraft, ihre eigenen Mittel zu glauben und ihre Selbständigkeit zu pflegen und zu schätzen. Sie werden dazu angehalten, nicht nur Ehe und Familie als wesentliche Bestandteile ihrer persönlichen Entwicklung zu betrachten, sondern sich als schwach und schutzbedürftig zu verstehen und um jeden Preis emotionale Sicherheit zu suchen, so dass ihre Bewunderung für furchtlose Abenteurerinnen bloß Theorie bleibt, ohne Einfluss auf ihr eigenes Leben. Auf einer amerikanischen Presse-Website veröffentlichte 2017 eine Leserin folgenden Appell: »Sagt mir, dass ich nicht heiraten soll!« Sie war 22 und hatte zweieinhalb Jahre zuvor ihre Mutter verloren. Ihr Vater wollte sich demnächst wiederverheiraten und das Haus der Familie verkaufen, und ihre zwei Schwestern waren bereits verheiratet – eine hatte bereits Kinder und die andere plante welche. Bei ihrem nächsten Aufenthalt in ihrer Geburtsstadt würde sie das Zimmer mit der neunjährigen Tochter ihrer Stiefmutter teilen müssen, und diese Aussicht deprimierte sie. Sie hatte keinen Freund, und obwohl sie wusste, dass sie in ihrer aktuellen Lage Gefahr lief, eine schlechte Entscheidung zu treffen, war sie besessen von dem Wunsch, auch zu heiraten. In ihrer Antwort wies die Journalistin darauf hin, wie sehr junge Frauen aufgrund ihrer Sozialisierung gehandicapt sind, wenn es darum geht, sich den Umbrüchen zu stellen, die das Erwachsensein mit sich bringt: »Junge Männer werden ermutigt, ihre zukünftige Laufbahn möglichst abenteuerlich anzupacken. Allein die Welt zu erobern ist das romantischste Schicksal, das sie sich vorstellen können, in der Hoffnung, dass nicht eine Frau daherkommt, die alles verdirbt und sie in Besc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Dank
  7. Die Erbinnen. Einleitung
  8. 1. Ein eigenständiges Leben. Die Geißel weiblicher Unabhängigkeit
  9. 2. Der Wunsch nach Unfruchtbarkeit. Kinderlosigkeit als Option
  10. 3. Gipfelrausch. Das Bild der »schrumpligen Alten« zerstören
  11. 4. Die Welt auf den Kopf stellen. Krieg der Natur, Krieg den Frauen
  12. Anmerkungen