"Der General muss weg!"
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"Der General muss weg!"

Siegfried Buback, die RAF und der Staat

  1. 404 Seiten
  2. German
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"Der General muss weg!"

Siegfried Buback, die RAF und der Staat

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Über dieses Buch

Am Gründonnerstag 1977 wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe ermordet, mit ihm sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Justizbeamte Georg Wurster. 2007 wird seinem Sohn Michael Buback zugetragen, dass für das Attentat die Falschen verurteilt wurden. 2008 fasst Michael Buback seine damaligen Rechercheergebnisse in dem Buch "Der zweite Tod meines Vaters" zusammen. Diese führen 2010 zum Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, in dem das frühere RAF-Mitglied Verena Becker wegen dreifachen Mordes angeklagt wird."Der General muss weg!" ist das akribische, erschütternde Protokoll der Verhandlungen vor dem OLG Stuttgart – aus der Feder von Michael Buback und seiner Ehefrau Elisabeth, beide Nebenkläger des Verfahrens. In diesem bestätigt sich, dass Verena Becker, die letztlich 2012 nur wegen Beihilfe verurteilt wird, geheime Informantin des Verfassungsschutzes gewesen ist. Mehr noch als das Ergebnis ist es der Verlauf der Verhandlungen, der die beklemmende Frage aufwirft: Wie weit geht der Staat in der Verteidigung seiner Interessen?

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Information

Der Prozess gegen Verena Becker
2010 bis 2012 –

Nach dem Attentat

Durch das Attentat war meine wissenschaftliche Arbeit ins Stocken geraten. An der Karlsruher Universität gab es zwar viel Verständnis für mich, aber meine Habilitation, die kurz vor dem Abschluss stand, musste ich allein voranbringen. Für Elisabeth ging es in der Schule sofort nach den Osterferien weiter. Meiner Mutter sagten wir, sie dürfe sich jetzt nicht ihrem Kummer hingeben, mit 57 Jahren könne sie noch vieles unternehmen. In 10 Jahren würde sie es bedauern, die ihr verbliebenen Möglichkeiten nicht genutzt zu haben. Ihr Los war mit Abstand das schwerste. Das zeigte sich schon am Tag der Ermordung meines Vaters. Nachdem ihr zwei Bundesanwälte die schreckliche Nachricht überbracht und sie wieder verlassen hatten, setzte sie sich auf ihr Fahrrad und fuhr zum Tatort. Die Leiche ihres Mannes war bereits abtransportiert. Niemand kümmerte sich um sie, offensichtlich wussten die Polizisten nicht, wie sie mit der Witwe umgehen sollten. Sie forderten meine Mutter auf, wieder heimzufahren, was sie auch tat. Wie verzweifelt und verlassen muss sich meine Mutter gefühlt haben! Noch heute erschüttert uns dieser Mangel an Sensibilität und Fürsorge.
In unserer Trauer fanden wir Trost in dem Gedanken, das Attentat habe nicht meinem Vater als Person, sondern seiner Funktion gegolten. Die »Erklärungen« der Attentäter besagten ja : »Buback war direkt verantwortlich für die Ermordung von Holger Meins, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof. Er hat in seiner Funktion als Generalbundesanwalt – als zentrale Schalt- und Koordinationsstelle zwischen Justiz und den westdeutschen Nachrichtendiensten in enger Kooperation mit der CIA und dem NATO-Security-Committee – ihre Ermordung inszeniert und geleitet.« Solche Texte, die es schon vor dem Attentat gegeben hatte, waren von Verbrechern verfasst worden, um Verbrecher für schwerste Straftaten zu motivieren. Mein Vater galt in der RAF als das personifizierte Böse, auch stand ihm wohl die Stasi feindlich gegenüber und vermutlich war er auch für einige Politiker unangenehm.
Wir erwarteten, dass die zuständigen Behörden die Mörder des ranghöchsten Staatsanwalts und seiner beiden Begleiter ermitteln würden. Unsere Aufgabe war das jedenfalls nicht. Wir nahmen, wenn überhaupt, nur am Rande wahr, dass Knut Folkerts im Jahre 1980 ohne Nennung eines konkreten Tatbeitrags als Mittäter bei dem dreifachen Karlsruher Mord in Tateinheit mit einem Vergehen der Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) zu »lebenslänglich« verurteilt wurde. Im Jahre 1985 erfolgte zum Karlsruher Attentat die Verurteilung von Brigitte Mohnhaupt (als Rädelsführerin) und von Christian Klar wegen dreier Morde, wobei sich neben Mord gemäß § 211 StGB wiederum § 129a StGB unter den vom Senat angewendeten Vorschriften befand.
Wie der damalige taktische Einsatzleiter Hofmeyer 2008 in einem SWR-Feature erklärte, galt Verena Becker am Tattag abends beim BKA als Tatverdächtige. Bereits am Folgetag wurde aber Folkerts von Ermittlerseite neben Klar und Sonnenberg als tatverdächtig bezeichnet. Verena Becker rückte erst in den Kreis der offiziellen Tatverdächtigen, nachdem sie und Sonnenberg Anfang Mai 1977 in Singen verhaftet worden waren und die Karlsruher Tatwaffe mit sich führten. Wegen zweifachen versuchten Mordes an Polizeibeamten bei ihrer Festnahme in Singen wurde Verena Becker am 28. Dezember 1977 unter Anwendung von § 211 StGB, jedoch ohne Einbeziehung von § 129a StGB, zu (zweimal) »lebenslänglich« verurteilt. Die gegen sie gerichteten Ermittlungen zum Karlsruher Attentat wurden am 31. März 1980 nach § 170 Abs 2 StPO eingestellt. Das bedeutet, es wurde kein genügender Anlass zur Erhebung der Anklage gesehen, sodass sie in Bezug auf das Karlsruher Verbrechen formal als unschuldig galt. Bei Sonnenberg, der auch »wegen Singen« zu »lebenslänglich« verurteilt worden war, erfolgte die Einstellung der Ermittlungen zum Karlsruher Verbrechen erst am 15. Januar 1982, aber nicht wie bei Verena Becker nach § 170 StPO, sondern nach § 154 StPO, der für mehrfache Täterschaft gilt. Somit wurde Sonnenberg zwar als schuldig in Bezug auf den Tatvorwurf der Karlsruher Mittäterschaft angesehen, der Generalbundesanwalt argumentierte aber, die zu erwartende Strafe würde angesichts der bereits rechtskräftigen Verurteilung zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe (wegen der Singener Verbrechen) nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Die Verurteilung »wegen Singen« verschonte Sonnenberg somit vor einer Anklage »wegen Karlsruhe«. Diese Entscheidung können wir nicht nachvollziehen, da die Justiz zur Aufklärung verpflichtet ist und der Prozess gegen eine als Täter geltende Person die Chance zur Klärung des Verbrechens geboten hätte.

Vorgeschichte des Prozesses

Mit Ungereimtheiten bei der Klärung wurden wir erstmals im Frühjahr 2007 konfrontiert. Peter-Jürgen Boock hatte im Radio gehört, wie ich zur Begnadigung von Christian Klar äußerte, dieser könne doch nun sagen, wer in Karlsruhe geschossen habe. Weder Klar noch die beiden anderen uns genannten Mittäter, Folkerts und Sonnenberg, hätten strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten. Boocks Versuche, mich telefonisch zu erreichen, scheiterten zunächst, da ich eine Gastprofessur in Neuseeland innehatte. Daher wandte er sich an den Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger, der die Bundesanwaltschaft davon informierte, Boock wolle mir Informationen zu den Karlsruher Tatbeteiligten geben. Die Behörde leitete diesen Hinweis nicht an mich weiter, als sie mich wegen eines kurzen Wortbeitrags bei der Karlsruher Gedenkfeier zum 30. Jahrestag des Attentats in Neuseeland anrief. Am Abend unserer Rückkehr erreichte mich Boock schließlich doch telefonisch und erklärte, Klar und Folkerts seien nicht unmittelbar tatbeteiligt gewesen, sondern Sonnenberg und Wisniewski. Diese Behauptung, wonach keiner der beiden einzigen »wegen Karlsruhe« verurteilten Männer, Klar und Folkerts, am Tatort gewesen sein sollte, erschien mir unglaublich. Von Brigitte Mohnhaupt, der dritten zu »lebenslänglich« verurteilten Person, wusste man, dass sie am Tattag nicht in Karlsruhe gewesen war. Trotz meiner Zweifel an Boocks Angaben gelang es mir nicht, sie zu ignorieren.
Da ich aus Anlass des 30. Jahrestages des Attentats mehrfach im Fernsehen auftrat und einige Zeitungsinterviews gab, wurde publik, dass wir die Täterschaft beim Karlsruher Attentat als nicht geklärt ansahen. Einige der Zeugen, die teils gleich nach dem Attentat ausgesagt hatten, meldeten sich bei mir, als ihnen – drei Jahrzehnte später – klar wurde, dass das, was sie damals beobachtet und der Polizei berichtet hatten, wohl nicht dem entsprach, was sich in den amtlichen Vermerken zu ihren Aussagen wiederfand. Ihnen fiel es leichter, sich an mich zu wenden als an die Bundesanwaltschaft. Ihre Informationen leitete ich an die Behörde weiter und gewann somit den Eindruck, als Informationsvermittler eine sinnvolle Funktion zu erfüllen. Von immer mehr Zeugen erfuhr ich, dass sie eine zierliche Frau hinten auf dem Tatmotorrad gesehen hatten.
Die vielen Hinweise finden sich in meinem Buch Der zweite Tod meines Vaters, auch das, was mir Volker F., der »Zeuge vom Vortag«, im April 2007 mitteilte. In der Nähe des späteren Tatorts habe er am 6. April 1977 fast einen Zusammenprall mit dem am Folgetag benutzten Tatmotorrad gehabt. Auf dem Soziussitz habe eine zierliche Person gesessen, zwischen einssechzig und einssiebzig groß. Nach seiner Überzeugung sei es eine Frau gewesen. Nichts davon steht in den amtlichen Vermerken.
Im April 2007 teilte der Spiegel mit, Verena Becker sei Informantin des Verfassungsschutzes gewesen. Sie habe dem Geheimdienst Anfang der 1980er Jahre mitgeteilt, Sonnenberg sei der Lenker des Tatmotorrads gewesen und Stefan Wisniewski habe die tödlichen Schüsse abgegeben. In der Spiegel-Titelgeschichte Das Geheimnis des dritten Mannes (17/2007) wurde noch mitgeteilt: »In einem Motorradhelm, den die Täter nach dem Mord an Buback zusammen mit der Suzuki und dem zweiten Helm in der Kammer eines Brückenpfeilers an der Autobahnbrücke bei Wolfartsweier versteckt hatten, fand sich, so das BKA, eine Haarspur Beckers«. Daran knüpfte der Spiegel die nahe liegende Frage, ob Verena Becker selbst auf der Suzuki gesessen habe. In der Folgezeit befassten sich die Artikel im Spiegel aber nicht mehr intensiv mit der Täterschaft. Für uns war diese Zurückhaltung in zweifacher Hinsicht nachteilig: Es fehlte die recherchierende Kraft des Spiegel und uns wurde bei dem, was wir in der Folgezeit herausfanden, entgegengehalten, so könne es doch gar nicht gewesen sein, da nichts davon im Spiegel stehe.
Peter-Jürgen Boock traf ich erstmals bei einer Fernsehdiskussion des NDR am 25. April 2007. Bei dieser Gelegenheit berichtete Stefan Aust, Generalbundesanwalt Rebmann habe schon lange gewusst, dass Stefan Wisniewski der Karlsruher Schütze gewesen sei. Der Verfassungsschutz habe den Generalbundesanwalt Anfang 1982 hiervon in Kenntnis gesetzt.
Was für eine Information! Der Generalbundesanwalt hätte demnach den Namen Wisniewski als Tatverdächtigen bei einem Dreifachmord erfahren und keine Ermittlungen aufgenommen. Warum? Nach meiner Überzeugung wäre das zwingend erforderlich gewesen! Er durfte doch einen RAF-Terroristen nicht vor Bestrafung schützen. Und warum hatte er die Information über den Karlsruher Schützen nicht in das spätere Verfahren gegen Mohnhaupt und Klar eingeführt?
Neben Wisniewski hatte der Verfassungsschutz 1982 aufgrund der Aussage seiner Quelle dem Generalbundesanwalt als weitere Tatbeteiligte Günter Sonnenberg (als Lenker des Motorrads) und Christian Klar (als Fahrer des Fluchtwagens) genannt. Diese Täterinformation ist auch im Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes enthalten, das in die Hauptverhandlung gegen Verena Becker eingeführt wurde. Der bereits 1980 als Karlsruher Mittäter verurteilte Knut Folkerts wird dagegen in der Akte des Verfassungsschutzes gar nicht als Karlsruher Täter erwähnt. Dabei hatte der Senat des OLG Stuttgart 1980 im Urteil gegen Folkerts als sicher festgestellt, dieser sei entweder eine der Personen auf dem Motorrad oder die im Fluchtwagen wartende Person gewesen.
In der Süddeutschen Zeitung vom 22. April 2007 gab Heribert Prantl einen aufregenden Hinweis: Als Verena Becker Anfang Mai 1977 in Singen verhaftet wurde, fand man bei ihr neben der Tatwaffe einen Schraubenzieher, der aus dem Bordset der schweren Suzuki stamme, von der aus mein Vater und seine Begleiter erschossen wurden. Eine Bestätigung dieser Information erhielt ich im November 2007 von zwei SWR-Mitarbeitern in Form einer Kopie des Haftbeschlusses des Ermittlungsrichters beim BGH, Horst Kuhn, gegen Verena Becker. Darin steht mit Datum vom 10. Mai 1977: »Bei der Festnahme der Beschuldigten Verena Becker wurde die [Karlsruher] Tatwaffe sowie ein Werkzeug sichergestellt, das zum Tatfahrzeug Suzuki gehört. Neben der Mitgliedschaft in der Bande, die den Mord am 7. April 1977 in Karlsruhe ausgeführt hat und ihrem Auftreten mit dem der Tat verdächtigen Günter Sonnenberg zeigen die Funde des zum Tatfahrzeug gehörenden Werkzeugs und der Tatwaffe, daß die Beschuldigte Verena Becker in die Ausführung des Attentats als Mittäterin einbezogen war.« Die Feststellung zum Schraubenzieher war in keinem der früheren Prozesse präsentiert und erörtert worden. Der Besitz dieses Schraubenziehers, den man nur im Bordset bei Suzuki-Vertragshändlern beschaffen konnte, ist für mich wie ein Kainsmal, das die Personen, die dieses Werkzeug mit sich führen, höchst verdächtig macht, auf dem Tatmotorrad gesessen zu haben. Bundesrichter Kuhn habe sich, so berichtete mir sein Sohn, sehr darüber erregt, dass Ermittlungsergebnisse mit Bezug auf Verena Becker verdreht wurden oder sogar verschwanden. Dieser Ärger könnte dazu beigetragen haben, dass er im Jahre 1991 Selbstmord beging. Möglicherweise besteht auch bei einem weiteren mit dem Karlsruher Attentat befassten Juristen ein Zusammenhang zwischen den Merkwürdigkeiten der Ermittlungen und seinem Selbstmord: Nach einem Medienbericht erschoss sich Ende Juli 1977 ein junger Staatsanwalt, der in der Bundesanwaltschaft gegen Sonnenberg ermittelte, mit seiner Dienstwaffe.
Wie in meinem Buch Der zweite Tod meines Vaters dargelegt, geben auch die Haarvergleiche bei Verena Becker Rätsel auf. Es existiert kein Gutachten über einen direkten Vergleich ihrer Haare mit tatrelevanten Haarspuren, obwohl ihr über 350 Haarproben entnommen wurden. Auch der Umgang der Ermittler mit Augenzeugen, die meinten, eine Frau habe hinten auf dem Tatmotorrad gesessen, war sehr ungewöhnlich: Gabriele W., die sich im Dezember 2008 an mich wandte, hatte das Attentat von ihrem Dienstzimmer aus ungefährdet und mit uneingeschränkter Sicht verfolgen können. Sie war am Tattag kurz vernommen, aber zu keinem der damaligen zwei Prozesse als Zeugin geladen worden. Als sie jetzt erstmals den amtlichen Vermerk zu ihrer Aussage am Tattag sehen konnte, sagte sie mir, sie habe beinahe lachen müssen, so falsch, verquer und wirr sei dieser Hinweis gewesen. Eine weitere Beobachtung dieser Zeugin wurde erst jetzt bekannt: Der Fahrer des Dienstwagens, Wolfgang Göbel, sei, nachdem die Täter weg waren, mit großer Mühe aus dem Auto gestiegen. Danach sei er zusammengebrochen. Der Dienstwagen sei in die Endposition weitergerollt. Nur so wird für mich verständlich, dass Wolfgang Göbel nach der Tat allein mitten auf der Kreuzung lag. Mir ist nur eine Erklärung eingefallen, weshalb diese Beobachtung nicht publik wurde. Sie ist nicht zu trennen von dem, was die Zeugin über die Täter sagte: Auf dem Soziussitz habe sehr wahrscheinlich eine Frau gesessen.
Ein weiterer Augenzeuge, der inzwischen verstorbene Georg Vogel, hatte – wie es die im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrten, im Jahre 2008 entdeckten Akten des Karlsruher Polizeipräsidiums belegen – bereits am Tattag der Polizei ausgesagt, mit 99-prozentiger Sicherheit habe ein Mädchen hinten auf dem Tatmotorrad gesessen. Dieser Hinweis vom Tattag ist verschwunden. Es existieren nur noch die Unterlagen zu Befragungen dieses Zeugen etwa fünf Jahre nach dem Attentat.
Ende Juni 2007 erhielt ich von Journalisten ein Stasi-Dokument, wonach ein Verwandter von Verena Becker einem Stasi-IM mitgeteilt habe, er wisse sicher, dass die Becker an der Aktion Buback aktiv beteiligt war. In diesem Sinne hatte sich auch der Ermittlungsführer des BKA beim Karlsruher Attentat, Rainer Hofmeyer, 2008 im SWR geäußert: »Dadurch, dass das Tatmotorrad angemietet war von Günter Sonnenberg und wir über den Mietvertrag für dieses Motorrad sofort auf ihn gekommen sind, und dann wussten wir natürlich auf Grund unserer Beobachtungen, die wir recht weit durchgeführt haben, wer die unmittelbaren Kontaktpersonen sind: Günter Sonnenberg, Verena Becker, Christian Klar.« Diese Namen seien alle im Zielspektrum des BKA gewesen, sagte er. So festigte sich bei mir der Verdacht, Verena Becker könnte meinen Vater erschossen haben. Im Januar 2008 trafen Elisabeth und ich in München Dr. Horst Herold, der 1977 BKA-Präsident war. Auch Wolfgang Kraushaar nahm an dem Treffen teil, das ohne ihn nicht zustande gekommen wäre. Herolds für mich wichtigste Aussage lautete, ich sei auf dem richtigen Weg. Mehr als 30 Jahre sei er davon ausgegangen, dass Verena Becker wegen ihrer Beteiligung am Karlsruher Attentat zu »lebenslänglich« verurteilt worden war. Er zeigte uns die damals beim BKA erstellte Beweismittelzusammenstellung zum Komplex Buback. Darin verzeichnet sind die bei Sonnenbergs und Beckers Verhaftung sichergestellte Karlsruher Tatwaffe und der Suzuki-Schraubendreher, aber auch der Eintrag: »Haarspur von Haarbürste V. Becker ident. m. Haarspur i. Motorradhelm«. Da ein BKA-Gutachten vom 13. Juni 1977 die gute Übereinstimmung der Haarspur in dieser Haarbürste mit Kopfhaaren von Verena Becker feststellt, verknüpft der Eintrag die Haarspur in einem der Täter-Motorradhelme mit Verena Beckers Kopfhaaren. Die Sachbeweise für Sonnenbergs und Beckers Täterschaft erschienen uns damit erdrückend: das Ausleihen des Tatmotorrads, die mitgeführte Tatwaffe, der Besitz des Suzuki-Schraubendrehers, die vielen Augenzeugen, die ein Pärchen, eine Frau und einen Mann, auf dem Tatmotorrad gesehen hatten und nun noch die Haarspur. Erst kürzlich habe ich auch in Dieter Schenks Buch Der Chef – Horst Herold und das BKA aus dem Jahre 1998 eine Abbildung gefunden, in der die bei der Verhaftung von Günter Sonnenberg und Verena Becker im Mai 1977 sichergestellten Gegenstände aufgelistet sind. Somit waren die in unseren Augen gravierenden Belege für einen hinreichenden, d. h. den Staatsanwalt zu einer Anklage verpflichtenden Tatverdacht bereits 1998 veröffentlicht. Daraufhin kam es aber zu keiner erkennbaren Ermittlungsaktivität gegen Verena Becker.
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Ausschnitt aus der Beweismittelzusammenstellung des BKA zur Verhaftung von Sonnenberg und Becker
Ende Mai 2008 erfuhr ich von dem Journalisten Thomas Moser, die Bundesanwaltschaft habe ein Ermittlungsverfahren gegen Verena Becker wegen Mittäterschaft beim Karlsruher Attentat aufgenommen. Damit hatten wir nicht mehr gerechnet, nachdem Elisabeth und ich mit unserem Verdacht gegen Verena Becker bei Treffen in der Bundesanwaltschaft jedes Mal auf erheblichen Widerspruch gestoßen waren, wir als Laien angesehen und auch so behandelt worden waren. Und jetzt das?
Von vielen Seiten wurde ich beglückwünscht, die aufgenommenen Ermittlungen seien ein großer Erfolg. Vielleicht habe ich für kurze Zeit sogar selbst geglaubt, die klaren und überzeugenden Erkenntnisse zum Karlsruher Attentat würden zu einer raschen juristischen Klärung führen. Eine 3sat-Kulturzeit-Moderatorin hatte wohl ein besseres Gespür. Sie telefonierte nach der Neuigkeit mit der Bundesanwaltschaft und berichtete anschließend in der Sendung: Wir »hatten doch den Eindruck, dass hier nicht ein Neustart der Ermittlungen versucht wird, sondern man weiterhin trotz anderer Hinweise Verena Becker aus dem Täterkreis ausschließen möchte. Warum nur?«
Am 7. April 2009 nahmen Elisabeth und ich an der Kranzniederlegung am Karlsruher Gedenkstein teil. Es war kein leichter Gang für uns. Die Treffen in der Bundesanwaltschaft waren ja, wie erwähnt, zuletzt immer belastender geworden. Warum war es nicht umgekehrt? Ich hatte erwartet, die Strafverfolger würden nach ihrer jahrzehntelangen Erfolglosigkeit froh über die vielen Hinweise sein, die ich an sie weitergeleitet hatte und die es ihnen vielleicht doch noch ermöglichen würden, das Verbrechen aufzuklären, dem drei Angehörige ihrer Behörde zum Opfer gefallen waren. Nach der Kranzniederlegung sprachen wir mit den Bundesanwälten Griesbaum und Hemberger. Auf zwei Powerpoint-Folien hatte ich meine Erkenntnisse zusammengestellt. Aus der zeitlichen Abfolge von juristischen Maßnahmen und Ermittlungshandlungen schloss ich auf eine »schützende Hand« für Verena Becker. Dies wiesen die Bundesanwälte vehement zurück. ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. Siegfried Buback
  8. Der Prozess gegen Verena Becker – 2010 bis 2012 –
  9. Nach dem mündlichen Urteil und Lehren aus dem Prozess
  10. Zeittafeln
  11. Dank
  12. Bildnachweis
  13. Personenverzeichnis