Ergotherapie bei Autismus
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Ergotherapie bei Autismus

Förderung durch Sensorische Integrationstherapie

  1. 139 Seiten
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Ergotherapie bei Autismus

Förderung durch Sensorische Integrationstherapie

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen leiden häufig unter Veränderungen der Wahrnehmung, die sie in ihrer Teilhabe einschränken. Durch Ergotherapie können Strategien erlernt werden, mit denen es diesen Menschen gelingt, im Alltag gezielt z. B. auf Wahrnehmungsüber- oder -unterempfindlichkeit und Reizüberflutung einzuwirken, wodurch sich ihre Lebensqualität deutlich steigern lässt. Dieses Buch bietet Menschen mit Autismus, Angehörigen und Fachleuten Wissen und praxisnahe Anregungen, wie Stress reduziert werden kann, um ausgeglichener und leistungsfähiger zu werden.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170346994

1          Einleitung

 
 
 
»Die Autismus-Spektrum-Störung wird heute als ein bestimmtes Cluster an Persönlichkeitseigenschaften angesehen, das mit Stärken und Schwächen einhergeht« (Schildbach, 2019, S. N1).
Wenn Menschen mit Autismus lernen, kompetent mit ihren Wahrnehmungsbesonderheiten umzugehen, gelingt es ihnen oft erstmals, ihre Potenziale auszuschöpfen. Sie entdecken ihre Stärken und können sie selbstbewusst den Schwächen entgegensetzen.
Die Sensorische Integrationstherapie (SI-Therapie) wird zunehmend bei Autismus-Spektrum-Störungen eingesetzt.
Liegen Wahrnehmungsveränderungen vor, verbessert SI-Therapie bei positivem Verlauf:
•  Motorische Koordination,
•  Auge-Hand-Koordination,
•  Aktivierungsniveau,
•  Konzentrationsfähigkeit,
•  Handlungsplanung,
•  Lernschwierigkeiten,
•  sprachliche und kommunikative Fähigkeiten,
•  Verhaltensprobleme,
•  Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Die amerikanische Psychologin und Ergotherapeutin Dr. A. Jean Ayres entwickelte in den 1970er-Jahren den therapeutischen Ansatz »Sensorische Integrationstherapie«. Nachdem sie in den 1950er-Jahren als Teil einer Forschungsgruppe Kinder mit Lernschwierigkeiten untersuchte, kam sie zu dem Schluss, dass neuronale Dysfunktionen die Ursache ihrer Schwierigkeiten waren. Ihre Idee war es, »hirnfunktionale Störungen durch gezielte Nachentwicklung zu verbessern« (Schaefgen, 2007, S. 5).
»Die Sensorische Integration ist ein normaler neurologischer Prozess, bei dem das Gehirn eingehende Sinnesreize aus der Umwelt ordnet, und dem Menschen ermöglicht, sich in seiner Umwelt angemessen zu verhalten. Die Sinnesreize werden organisiert und verarbeitet, verknüpft und interpretiert. Auf diese Art und Weise werden die Sinnesinformationen für den Menschen bedeutsam und nutzbar. Diese Nutzung kann in einer Wahrnehmung oder Erfassung des Körpers oder der Umwelt bestehen, aber auch in einem angepassten Verhalten oder einem Lernprozess. Durch die Sensorische Integration wird erreicht, dass alle Abschnitte des Zentralnervensystems, die erforderlich sind, damit ein Mensch sich sinnvoll und emotional zufrieden mit seiner Umgebung auseinandersetzen kann, aufeinander abgestimmt werden.« (Definition der Gesellschaft für Sensorische Integration Deutschland e. V. – GSID).
SI-Therapie findet in spielerischer Umgebung statt, meist in Räumen mit Klettermöglichkeiten, aufgehängten Spielgeräten, Matten, Trampolinen, Hängematten und teilweise unebenem Boden. »Das wichtigste Therapiemittel ist aber der Körper des Kindes« (Ayres, 2016, S. 197). In spielerischer Atmosphäre beobachtet der Therapeut genau, »wie die Sinnessysteme aktiviert werden, und ob bestimmte Verhaltensweisen auftreten oder nicht« (ebd.). Die Bewegungsaktivitäten werden dabei eingesetzt, um eine Verbesserung der Hirnfunktion zu erreichen (vgl. ebd., S. 196). »Eins der Behandlungsziele ist es, die Selbststeuerung des Kindes zu stärken, damit es selbstbestimmter leben kann.« (ebd., S. 198).
Hauptsächlich wird die SI-Therapie bei Kindern angewendet, mittlerweile aber auch bei erwachsenen Klienten mit Körperwahrnehmungsstörungen (z. B. aus der Neurologie, Psychiatrie und Gerontologie).
Lorna J. King – ihres Zeichens Pionierin der SI – beziffert die Zahl »aller Kinder mit Autismus, die zusätzlich Defizite in der Verarbeitung von Sinnesreizen aufweisen« auf »etwa 85 bis 90 Prozent« (King, 1996, S. 5). SI bietet sich also explizit bei Autismus an.
Roseann Schaaf, stellvertretende Direktorin an der Thomas Jefferson University in Philadephia, erklärt die »Entstehung typisch autistischer Verhaltensweisen, die bei 80 Prozent der Menschen mit Autismus auftreten, durch Schwierigkeiten mit der sensorischen Modulation« (Schaaf, Toth-Cohen, Johnson, Outten & Benevides, 2011, S. 374).
Zu diesen typischen Verhaltensweisen zählen:
•  Selbststimulation (z. B. Wippen mit dem Oberkörper, Flattern mit den Händen, sich drehen),
•  Vermeidungsverhalten (z. B. sich bei Zimmerlautstärke die Ohren zuhalten),
•  sensorische Reizsuche (z. B. Nesteln an Kleidung, Kauen an den Lippen),
•  Nicht-Wahrnehmung von Reizen (z. B. fehlende Reaktion auf Ansprache).
Die SI-Therapie setzt an Wahrnehmungsbesonderheiten an. Über- und unterempfindliche Kinder erreichen in der Therapie einen Erregungszustand, in dem sie Reize aus der Umwelt adäquat verarbeiten können und somit auch adäquate Reaktionen zeigen. Das Verhalten ist angemessen.
Dies funktioniert auch bei Autismus: In einer amerikanischen Pilotstudie wurden bei der Behandlung von autistischen Kindern mit SI-Therapie deutlich positive Veränderungen in typisch autistischem Verhalten wie Stereotypien oder stark eingegrenzten Interessen festgestellt (vgl. Pfeiffer, Koenig, Kinnealey & Sheppard, 2011).
Eine weitere randomisierte und kontrollierte Studie über die Wirksamkeit von SI-Therapie bei Autismus, wird derzeit an 180 Kindern mit Autismus unter der Leitung von Roseann Schaaf (2018) in New York durchgeführt. Mit den Ergebnissen ist 2020 zu rechnen.
In der ergotherapeutischen Praxis werden neben der Sensorischen Integrationstherapie sensorisch-basierte Interventionen für die Klienten genutzt. Als handlungsorientierte Therapieform ist der Fokus immer auf die Aktivitäten des täglichen Lebens (AdtL’s) und die Teilhabe ausgerichtet. So können Strategien aus der Therapie im täglichen Leben genutzt werden.
Während in Literatur und Studien das Augenmerk vor allem auf der Arbeit mit Kindern liegt, können auch erwachsene Menschen mit Autismus durch das Verständnis der Wahrnehmungszusammenhänge ihre Lebensqualität verbessern. Wer versteht, warum er in bestimmten Situationen einer Reizüberflutung erliegt, kann frühzeitig dagegen ansteuern. Er erlebt sich als selbstwirksam.

2 Wahrnehmung und Autismus

Um die wahrnehmungsspezifischen Probleme von Menschen mit Autismus zu verstehen, ist es hilfreich, den Prozess der Wahrnehmung im Allgemeinen zu betrachten. So werden die veränderten Reaktionen auf einen Reiz nachvollziehbar.
Definition der Wahrnehmung
Wahrnehmung ist der Prozess und das Ergebnis der Informationsgewinnung und verarbeitung von Reizen aus der Umwelt und dem Körperinneren eines Lebewesens. Die Informationen werden gefiltert und Teil-Informationen zusammengeführt, so dass subjektiv sinnvolle Gesamteindrücke entstehen. Diese werden laufend mit gespeicherten Vorstellungen abgeglichen.

2.1 Wahrnehmung als Prozess

Im Prozess der Wahrnehmung (
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Abb. 2.1) werden Reize über die Sinnesorgane aus dem Körperinneren (Nahsinne) oder der Umwelt (Fernsinne) aufgenommen. Über Nervenfasern gelangen die Informationen ins Gehirn, wo sie verarbeitet und mit Reizen aus anderen Sinnessystemen verschaltet werden. Die Reize werden gefiltert, so dass nur »wichtige« Informationen ins Bewusstsein gelangen. Es erfolgt ein Abgleich mit gespeicherten Informationen. Der Reiz wird als »gefährlich« oder »angenehm« bewertet, woraufhin eine entsprechende Reaktion erfolgt (Kampf, Flucht, Erstarrung oder Hingabe). Die Reaktion, die mit Bewegung oder veränderten Tonusverhältnissen der Muskulatur einhergeht, bewirkt eine neue Reizaufnahme. Der Wahrnehmungsprozess nimmt seinen Lauf.
Images
Abb. 2.1: Die Wahrnehmung als Prozess
Im Autismus arbeiten die Filtersysteme nicht adäquat, was eine Über- bzw. Unterempfindlichkeit für spezifische Reize zur Folge hat und zu einer veränderten Bewertung führt. Reize, die objektiv unbedeutend sind, werden z. B. als »Angriff« bewertet. Die subjektiv passende Reaktion ist Verteidigung; objektiv wirkt sie unangemessen.
Eine adäquate Wahrnehmung ist zunächst davon abhängig, dass unsere acht Sinnessysteme einwandfrei funktionieren:
Fernsinne
• auditive Wahrnehmung (Hören)
• visuelle Wahrnehmung (Sehen)
• gustatorische Wahrnehmung (Schmecken)
• olfaktorische Wahrnehmung (Riechen)
• taktile Wahrnehmung (Fühlen/ Tasten)
Nahsinne
• propriozeptive Wahrnehmung (Körperwahrnehmung: z. B. Ausmaße, Gelenkstellung, Muskeltonus)
• vestibuläre Wahrnehmung (Gleichgewichtsempfinden)
• viszerale Wahrnehmung (Wahrnehmung der inneren Organe: z. B. Blase, Darm, beschleunigter Herzschlag)
• taktile Wahrnehmung (Hitze- und Kälteempfinden, Wahrnehmung von Schmerz und unspezifischer Berührung)
Unsere Sinnessysteme nehmen Reize aus dem Körper und der Umwelt auf. Im Gehirn werden die Eindrücke der verschiedenen Sinne miteinander verschaltet und mit bereits Erlebtem abgeglichen, so können Reize eindeutig identifiziert und adäquat bewertet werden, worauf die passende Reaktion erfolgt.
Nehmen wir beispielsweise ein tiefes Grollen wahr (auditive Wahrnehmung) und fühlen zugleich Wind auf der Haut (taktile Wahrnehmung), während sich über uns der Himmel verdunkelt (visuelle Wahrnehmung), so erkennen wir Donner als Ursache des Geräuschs. Wir gehen ins Haus (adäquate Reaktion), da wir wissen (Gedächtnisabgleich), dass es gefährlich ist, sich während eines Gewitters draußen aufzuhalten.
Die adäquate Reaktion auf einen Reiz ist abhängig von der adäquaten Wahrnehmung, der Verschaltung, der verschiedenen Wahrnehmungsmodalitäten und der Bewertung.

2.2 Wahrnehmung bei Autismus (Diskrimination und Modulation)

Bereits in den 1980er-Jahren wurden bei autistischen Kindern und Erwachsenen außergewöhnliche Reaktionen auf sensorische Reize beschrieben. Autistische Kinder reagierten entweder zu stark, zu schwach oder gar nicht auf sensorische Stimuli (vgl. Fisher, Murray & Bundy 2001, S. 597; siehe auch Allen 1988; Ayres & Tickle, 1980; Baumann & Kemper, 1985).
Wahrnehmungsschwierigkeiten können im Bereich der Diskrimination oder in der Modulation auftreten. Häufig bestehen in beiden Bereichen gleicherma...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Abkürzungs- und Fachwortverzeichnis
  5. Geleitwort
  6. Inhalt
  7. Vorwort
  8. Danksagung
  9. 1 Einleitung
  10. 2 Wahrnehmung und Autismus
  11. 3 Lebenspraktische Hilfe – die therapeutische Perspektive
  12. 4 Strategien und Methoden bei Wahrnehmungsveränderungen
  13. 5 Die Aktivitäten des täglichen Lebens (AdtL)
  14. 6 Autismus in der Ergotherapie – Fallbericht einer Mutter zweier Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung
  15. 7 Übersicht: Typische Anzeichen und Hilfsmaßnahmen
  16. Literaturverzeichnis
  17. Register