Zerstörung
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Zerstörung

Roman

  1. 230 Seiten
  2. German
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Zerstörung

Roman

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Über dieses Buch

Über das Erinnern, das Vergessen und die Sorge davor, aus Fehlern der Geschichte nicht gelernt zu haben.Sie hatte ihr Leben dem Lesen und Schreiben gewidmet. Doch plötzlich zerbricht alles um sie herum, eine Diktatur breitet sich aus, das Schreiben wird unmöglich. Ihre einzige Ausdrucksmöglichkeit findet die Erzählerin in einem rätselhaft bleibenden "Soundblog". Mysteriöse, beängstigende und philosophische Gedanken beschäftigen sie: Die neue Macht zerstört nach und nach auf heimtückische Weise jede Erinnerung und versucht, alle Spuren der Geschichte zu löschen. Wann und wie hat dieser Umbruch stattgefunden? Gab es Warnsignale? Ist sie selbst schuld daran, dass die Dinge geschehen? Wollte sie sich nicht aus der Vergangenheit befreien?Cécile Wajsbrot beschreibt in ihrem sprachmächtigen Roman auf beeindruckende und erschreckende Weise die Angst vor einer Wiederholung der Geschichte. In einer innovativen ästhetischen Form beschäftigt sie sich mit der deutsch-französischen Erinnerungskultur.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783835344884

V
Die schwarze Woge

Über den langen Steg, der das 20. Jahrhundert mit dem 21. verbindet, war der zeitlose Schatten hinweggezogen, hatte die Sonne verdunkelt und bevor das Licht wiederkam, hatte er die gebannten, wenn auch manchmal gleichgültig scheinenden Zuschauer mit der althergebrachten Ordnung der Angst anknüpfen lassen. Manche beschwören heute diese Erinnerung, um darin die Hoffnung zu schöpfen, dass es nach dieser langen Nacht auch wieder Tag werden wird.

13

Seit ich Sie gesehen habe, schreibe ich nicht mehr. Ich hatte immer weniger geschrieben, und was ich schrieb, war seit einiger Zeit, wie ich Ihnen wohl schon sagte, nur mehr die bloße Transkription dessen, was ich Ihnen erzählte, aber jetzt öffne ich nicht einmal mehr die schwarzen Hefte, die ich im Voraus erwarb – ich hatte noch einen ganzen Vorrat davon, und jetzt, da die Schreibwarengeschäfte quasi verschwunden sind, sind sie nicht mehr erhältlich. Hefte, Papier, Stifte – sind aus dem Gebrauch, aus der Sprache, aus den Läden verschwunden. Schreiben tut man nur mehr auf dem Bildschirm, die Buchstaben kommen einer zum anderen wie die Noten eines Klaviers, die von den Händen auf der Tastatur angeschlagen werden, aber es sind die Noten eines Pianolas – das Korrekturprogramm ist am Werk und kann nicht ausgeschaltet werden, ebenso ist jeder Rückzieher unmöglich, wenn das Programm korrigiert hat. Ich hatte mein Material behalten, ich brauchte immer einen Vorrat an blauer Tinte und schwarzen Heften. Fortan liegen sie in der Schublade eines grauen Aktenschranks und warten, nein, sie warten noch nicht einmal mehr. Bücher, die älter sind als zehn Jahre, kann man noch finden, im Schnellverfahren gedruckt und über provisorische Internetvertriebe zu erwerben, die schnell wieder verschwinden, sobald sie aufgedeckt werden. Ständig wird Jagd darauf gemacht und manchmal gibt es ein Buch – oder vielmehr eine flüchtige Ansammlung entmaterialisierter Seiten – nur eine Stunde lang.
Die Leichtigkeit drohte das große Übel des Jahrhunderts zu werden, und plötzlich haben uns die Ereignisse in größten Ernst gestürzt. Wie in einer Pendelbewegung, durch einen merkwürdigen Ausgleichsmechanismus. Ich hatte begonnen, einen anderen Ton anzunehmen, eine Art Rekonversion war das oder vielmehr Konversion, ein neugewonnener Glaube an die Literatur – an diese Welt, in der die geschriebenen Dinge eine deutlichere Existenz haben als die wirklichen. In der die Wörter keine leeren, zufällig adressierten Worthülsen sind. Sondern Ideen enthalten, Gedanken.
Es geht darum, der Banalität der Sprache zu entgehen, hatte ich gedacht. Denn dort liegt der Ursprung unserer Übel. Ich denke das weiterhin. Seit einer Weile hatte ich bemerkt – ich spreche von der Zeit, die nun weit zurückzuliegen scheint, bevor sie kamen –, wie die Sprache verarmte. Das allmähliche Verschwinden von Bildern, die genaue Übereinstimmung zwischen Denken und Wort oder vielmehr die Wahl des kürzesten Wegs zwischen Ärmlichkeit der Ideen und Ärmlichkeit des Ausdrucks. Das Ende nicht der Umwege, aber der Nuancen, der Subtilität, der Reflexion. Kaum geschah etwas, war auch schon die Reaktion zu spüren. Ein Politiker äußerte sich, manchmal auf einem der höchsten Verantwortungsposten, und wusste sofort, worum es ging und wie für Abhilfe zu sorgen sei (gewöhnlich durch das Erlassen eines neuen Gesetzes). Und wenn die Reaktion ein wenig auf sich warten ließ, beklagte man dieses Schweigen, der Vorwurf der Inkompetenz wurde laut, so dass schließlich der Kommentar unmittelbar auf das Geschehen folgte, quasi gleichzeitig eintrat.
Ich glaube dennoch an die Worte, glaube immer noch daran, sogar in der tiefen Nacht, aus der ich zu Ihnen spreche – ich würde gerne unser Treffen vergessen, Ihr Gesicht schiebt sich fortan zwischen unsere Stimmen. Und das Warten auf den Termin am Opernplatz. Ich glaube an das, was sie enthalten, an ihre suggestive Kraft, wie es heißt, also an ihre Fähigkeit, Bilder und Träume hervorzurufen, uns auf Reisen mitzunehmen. Es ist schwer zu beschreiben, zu verstehen, warum aus gedruckten Buchstaben Formen und Farben entspringen, eine Art unscharfer Film, der sporadisch während der Lektüre abläuft und Eintritt schafft in ein Paralleluniversum, in dem sich Konturen abzeichnen, Silhouetten, die uns begleiten, nicht weniger wirklich als die Ihre – ich sehe, wie Sie sich mit schnellen Schritten entfernen und hinausgehen, zwischen den Passanten verschwinden. Aber ich schweife ab …
Die Nacht umgibt mich, ich sitze vor dem Tisch, an dem ich früher schrieb, die Tastatur meines Computers ist dieselbe, aber ich berühre sie nicht, ich spreche zu Ihnen, ohne zu wissen, wohin ich gehe.
– Es gab eine Phase, in der die Straßen nur noch große Baustellen waren. Allmählich sind neue Formen entstanden, die keine Ähnlichkeit hatten mit denen der Vergangenheit. Es werden keine Gebäude mehr gebaut, sondern lange spitze Fassaden, Fensterreihen, Wohnräume, die ausnahmslos auf die gleiche Seite hinausgehen – die übrigen Hausseiten sind bloß öde Mauern.
– Es gab eine Zeit, in der Gehen hieß, einen Nebel aus schwebenden Teilchen zu durchqueren – über Stöße von Metallstreben, ausgerissenen Holzplatten, Stofftapeten zu steigen, die darauf warteten, auf die Mülldeponie gebracht und nach ökologischen Richtlinien recycelt zu werden, sagten sie, während in Wirklichkeit (wie allmählich herauskam) alles in Verbrennungsanlagen landete, die in der Peripherie der Städte gebaut worden waren und alles zermalmten und beseitigten.
– Es gab eine Zeit, in der der Verkehr ganz neu geregelt war. Im Stadtzentrum waren Autos verboten, denn riesige, noch nicht eingesammelte Müllhaufen nahmen die ganze Straßenbreite ein. Form und Aussage der Verkehrsschilder hatte sich geändert – ein neues Alphabet war zu erlernen, von dem jeder Buchstabe Zerstörung bedeutete.
Ich bin versucht, Ihnen von der Vergangenheit zu erzählen, da diese nun per Verordnung nicht mehr existieren soll. Ich bin versucht, die Zeit zurückzugehen bis zu jener fast vergessenen Welt, in der ich gelebt habe und an die ich mich kaum noch erinnern kann. Was nicht weitergetragen wird, gibt es irgendwann nicht mehr. Die Erinnerung ist unscharf wie eine Fata Morgana, wie ein Bild in der Schwebe, das durch eine regenüberströmte Glasscheibe zu sehen ist.
Gleichzeitig strebe ich in die Zukunft. Auf dem Opernplatz haben noch nie Demonstrationen stattgefunden, so lange ich mich erinnern kann. Sammelpunkte für Demonstrationszüge waren Plätze mit symbolträchtigeren Namen, der Platz der Republik oder der Nation. Der Opernplatz dient hauptsächlich als Vorplatz für die Oper, er ermöglicht den nötigen Abstand, um die Architektur bewundern zu können. Die Leute treffen sich auf den Stufen. Manchmal spielten dort Musiker, und die Passanten hielten inne, wenn sie aus der Metrostation kamen. Dann entstand die Idee, den Platz zur Fußgängerzone zu machen, Gärten zu schaffen. Doch dann waren sie an der Macht, bevor noch eine Entscheidung gefallen war, und diese Idee ist mit allen anderen unfertigen Projekten, Skizzen und digitalen Entwürfen, die von einer die Wirklichkeit oft übertreffenden Fantasie und Kühnheit zeugen, in der Versenkung verschwunden.
– Die Zukunft hatte keinen Platz mehr in der Stadt.
– Die Gedenkveranstaltungen mehrten sich.
– Man vermied es, an die technologische Entwicklung zu denken.
– Oder vielmehr an ihre Auswirkungen.
– Man vermied es, darüber zu reden.
– Manchmal kamen ein paar Wörter an die Oberfläche.
– Transhumanismus, erweiterte Realität.
– Aber sie gerieten bald wieder in Vergessenheit, wurden verdeckt von weniger weit gefassten, unmittelbar verständlicheren Begriffen.
– Terrorismus, Anschläge.
– Oder von älteren.
– Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise.
– Das Begehen von Kriegen, von zu Siegen umgedeuteten Niederlagen, historische Tage, an denen voll Nostalgie ein einstiger Ruhm gefeiert wird.
– Statt uns leben zu lassen, ließ man uns wiedererleben.
– Deshalb.
– Als sie kamen, uns zu sagen: Lassen wir die Vergangenheit hinter uns.
– Schauen wir in die Zukunft.
– Und als sie uns sagten.
– Lasst uns jung sein, lasst uns keine Angst haben.
– Haben wir daran geglaubt.
– Zum ersten Mal öffnete sich unser Horizont.
– Zum ersten Mal sah man etwas heraufziehen.
– Anfangs schienen uns ihre Taten mit ihren Worten übereinzustimmen. Das war auch eine Veränderung.
– Erneuerung des Personals in den Machtpositionen, Abschaffung von Gedenkveranstaltungen, Abriss baufälliger Wohnanlagen, umfassende Bauarbeiten.
– Überall sprossen Baustellen, die die Zukunft symbolisierten.
– Neue Straßen, größere, höhere, ehrgeizigere Gebäude – Abbilder unserer künftigen Gesellschaft.
– Wir hatten Vertrauen. Wir haben daran geglaubt.
– Es hat nicht lange gedauert.
– Wir haben gemerkt.
– Dass die Zerstörung sich ausbreitete, neues Gelände erreichte.
Destruktion. Ich habe nachgeschaut. Das Wort ist im zwölften Jahrhundert entstanden, und das Wort Konstruktion im Jahr 1130. Sind sie gleichzeitig aufgetaucht? Brauchte die Konstruktion eine unerlässliche Konsequenz, um zu existieren? Oder ist die Destruktion der Konstruktion vorausgegangen? Und wie fing man es an, zu zerstören, aufzubauen, bevor es die Wörter dazu gab? Ich habe noch weiter nachgesehen. Destruktion hat 192 000 Suchergebnisse, während das Wort Konstruktion nur 165 000 hat. Ich dachte es mir schon, es wird mehr zerstört als aufgebaut. Es ist wie ein Baum, bei dem man sehen kann, wie die Äste sich verzweigen, sich zum Himmel strecken. Man glaubt, ihn umgrenzt zu haben, dabei weiß man noch nichts von dem unterirdischen Netz seiner Wurzeln, die sich vermehren, dichter werden, ein Motiv zeichnen, das dem Astwerk vielleicht nicht ähnelt, aber doch mind...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. I Auf dem Leuchtturm
  5. II Verschanzt in einer Burg
  6. III Wie eine Barke auf dem Fluss
  7. IV Eine verlassene Stadt
  8. V Die schwarze Woge
  9. Literaturnachweise
  10. Impressum