Autismus: Frühe Diagnose, Beratung und Therapie
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Autismus: Frühe Diagnose, Beratung und Therapie

Das Praxisbuch

  1. 324 Seiten
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Autismus: Frühe Diagnose, Beratung und Therapie

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Über dieses Buch

Auf der Grundlage der aktuellen Forschung werden in diesem Praxisbuch die Methoden der Frühdiagnostik und Frühtherapie geschildert. Die Herausgeberinnen können dabei auf eine mehr als 30-jährige Praxiserfahrung zurückgreifen, die sowohl für interessierte Eltern als auch für Fachleute einen hohen Erkenntnisgewinn bietet. Gemeinsam mit weiteren Autoren, die alle erfahrene Experten sind, stellen sie neue Methoden der Frühintervention vor und helfen bei der Einordnung in Bezug auf Relevanz und Praktikabilität. Viele Fallbeispiele veranschaulichen die beschriebenen Vorgehensweisen detailliert und verständlich. Neben den Kernthemen "Frühdiagnostik und Frühtherapie" werden die Auseinandersetzung der Eltern mit der Diagnose und der Prognose, die Geschwisterproblematik, Kita-Betreuung sowie der Übergang in die Schule behandelt. Auch die Betroffenen selbst kommen zu Wort. Sie berichten rückblickend über ihre Erfahrungen und machen konstruktive Vorschläge für den Umgang mit autistischen Kindern.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170351653

Teil II Theorie für die Praxis

5 Ethische Überlegungen zu autismusspezifischen therapeutischen Frühinterventionen

Wolfgang Rickert-Bolg

5.1 Grundüberlegungen
5.2 Ethik und Methode
5.3 Ethische Grundprinzipien der Autismus-Therapiezentren des Bundesverbands Autismus-Deutschland
5.4 Zusammenfassung
Literatur

5.1 Grundüberlegungen

Im Bereich des Autismus stehen wir vor der Situation, dass es keine eindeutig umrissene spezifische Autismus-Therapie gibt. Eine Vielzahl unterschiedlicher therapeutischer Herangehensweisen sind möglich, meist wird nicht eine einzelne Methode ausschließlich angewandt, sondern Elemente verschiedener Methoden werden kombiniert. Gemeinsam ist allen therapeutischen Ansätzen nur die Überzeugung, dass die therapeutische Förderung bei Autismus so früh und intensiv wie möglich einsetzen sollte und dass das Umfeld notwendigerweise in die Therapie einbezogen werden muss.
Ebenso breit gefächert wie die Therapiemethoden sind die Ziele, die man verfolgen kann: Bei einem Kleinkind mit ausgeprägtem frühkindlichem Autismus23 welches keinerlei Kontakt zulässt und sich ausschließlich stereotyp beschäftigt, mag es etwa das Therapieziel sein, überhaupt in Kontakt zu kommen und dem Kind Sicherheit in Bezug auf die Annäherung zu anderen Menschen zu vermitteln. Bei einem anderen Kind mit ähnlicher Problematik, das demnächst in die Schule kommt, steht vielleicht das Lernen von grundlegenden schulischen Fähigkeiten im Vordergrund. Ein drittes Kind mit der Diagnose Asperger-Autismus, welches sich im Kindergarten immer nur mit sich selbst beschäftigt, soll vielleicht lernen, mit den anderen gemeinsam zu spielen. Ein anderes Kind zeigt vielleicht massive Verhaltensprobleme in Form von selbstverletzendem Verhalten, für das vordringlich eine Lösung gefunden werden muss. Diese Aufzählung kann nicht erschöpfend sein, denn die Symptomatik betroffener Kinder ist so vielfältig, dass unmittelbar einleuchtend sein dürfte, dass sowohl Ziele als auch Therapiemethoden spezifisch auf das einzelne Kind und sein Umfeld ausgewählt werden müssen (
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Kap. 15,
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Kap. 18).
Für den Laien, und das sind die meisten Eltern ja zumindest zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei ihrem Kind, ist es nicht leicht, sich in dieser verwirrenden Situation zurechtzufinden und darüber zu entscheiden, was mit ihrem Kind geschehen soll, welche Therapie- und Beratungsangebote in Anspruch genommen werden sollen. Das wird nicht eben leichter dadurch, dass es in der Vergangenheit und zum Teil auch jetzt noch immer wieder Heilsversprechen der Verfechter einzelner Verfahren gegeben hat bzw. gibt, die sogar bei den Fachleuten Streit und Diskussionen auslösen.
In dieser Situation ist es einerseits wichtig, die Wirkkomponenten von Therapie differenziert zu betrachten (vgl. dazu Döringer, 2014) und sich ausführlich mit den vorliegenden Forschungsergebnissen auseinanderzusetzen, als auch, sich andererseits mit den jeweiligen ethischen Standpunkten und den grundlegenden Zielen der Therapiemethoden zu befassen, was im Folgenden geschehen soll.

5.2 Ethik und Methode

Viele psychologische Theorien und therapeutische Methoden sind mit einem bestimmten Bild des Menschen und davon abgeleiteten grundlegenden Zielen verbunden. Die Methoden der Humanistischen Psychologie wie z. B. die Gesprächstherapie gehen davon aus, dass Menschen über die sogenannte Selbstaktualisierungstendenz verfügen, nämlich das grundlegende Motiv haben, sich weiterzuentwickeln und Selbstständigkeit zu erlangen.24 Daraus abgeleitet ist es die Aufgabe der Therapie, den Klienten durch möglichst wenig invasive Impulse in seiner Entwicklung zu unterstützen, indem Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt und begleitet werden.
Andere Theorien und therapeutische Methoden sind zunächst nicht mit einer bestimmten ethischen Haltung verknüpft. Sie sind per se weder gut noch schlecht, vergleichbar einem Teich, in dem ich schwimmen, aber auch ertrinken kann. Dazu gehören unter anderem die Lerntheorie und die daraus entwickelte Verhaltenstherapie.
Die Lerntheorie beschreibt das Verhalten von Lebewesen vom Aspekt des Lernens her. Sie verzichtet auf Interpretationen und Zuschreibungen (Mentalisierungen) und konzentriert sich dagegen auf das beobachtbare Verhalten. Die auf dem Modell der Lerntheorie basierenden Erkenntnisse haben einen großen Beitrag dazu geleistet, menschliches Verhalten objektiver zu beurteilen und zu erforschen. In vielen Lebensbereichen, zum Beispiel in der Pädagogik, ist es fatal, die eigenen Bewertungen und Zuschreibungen zum Verhalten eines anderen Menschen als Tatsache anzusehen, statt zwischen dem, was ich beobachten kann, und dem, was ich daraus schließe und was ich infolgedessen fühle, zu unterscheiden. Meine Gedanken und Gefühle dazu sind immer auch von dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen beeinflusst.
Auf der Lerntheorie basierende Methoden werden in der Therapie ebenso wie in der Werbung eingesetzt. Ich kann Menschen mit ihrer Hilfe dazu bringen, sich zu ihrem Wohl an soziale Regeln zu halten oder etwas Neues für sie Bedeutsames zu lernen – oder ich kann Menschen etwas verkaufen, was sie gar nicht brauchen – einen größeren Fernseher, ein schnelleres Auto … (vgl. Schramm, 2007).
Bei Methoden wie diesen entscheidet erst die ethische Haltung bei der Anwendung, ob daraus etwas Gutes oder etwas Schlechtes für den oder die Betroffenen entsteht. Eine differenzierte Betrachtung der Arbeitsweise verhaltenstherapeutischer Therapieanbieter ist deshalb notwendig und eine globale Verurteilung der Methodik aufgrund von Aspekten, die gar nicht zwangsläufig damit verbunden sind, ist wenig hilfreich (siehe dazu Werner et al., 2015).

5.3 Ethische Grundprinzipien der Autismus-Therapiezentren des Bundesverbands Autismus-Deutschland

Autismus-Deutschland ist der bundesweite Dachverband zahlreicher regionaler Elternvereine, die derzeit etwa 50 auf Autismus spezialisierte Therapiezentren in eigener oder professioneller Trägerschaft betreiben. Bereits in den 90er Jahren hatte der Bundesverband Leitlinien für die Arbeit in den Therapiezentren entwickelt und herausgegeben, die 2017 komplett überarbeitet wurden und Grundsätze der therapeutischen Arbeit in den Zentren definieren.
Nach dem Rekurs auf den Grundsatz »Die Würde des Menschen ist unantastbar« wird dort betont:
»Es ist uns wichtig, die Betroffenen sowohl mit ihren Stärken als auch mit ihren entwicklungsbedürftigen Seiten zu sehen. Nicht um jeden Preis soll ›Normalisierung‹ erreicht werden. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung machen uns immer wieder deutlich, dass ihre Sicht auf die Welt zwar eine besondere ist, aber nicht automatisch als defizitär bezeichnet werden sollte. Aus diesem Grund ist es wichtig, immer wieder gemeinsam abzuwägen, ob ein autistisches Symptom den Betroffenen in bedeutsamer Weise davon abhält, in seinem Alltag Lebenszufriedenheit zu erlangen. … Im Mittelpunkt unseres professionellen Denkens und Handelns stehen der Mensch mit Autismus-Spektrum-Störung, seine Familie bzw. Betreuer und das erweiterte Umfeld. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Chancengleichheit zu fördern und die soziale Inklusion voranzutreiben. Menschen mit Autismus soll ermöglicht werden, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sowie an umfassenden körperlichen, geistigen, sozialen und beruflichen Fähigkeiten zu erlangen und zu bewahren. Wichtige gemeinsam abzustimmende Ziele sind Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und Selbstständigkeit durch dem jeweiligen Alter und Entwicklungsstand angepasste individuelle Hilfen. … Unser Bestreben ist die Schaffung von Voraussetzungen für eine kontinuierlich hohe Entfaltung der individuellen Persönlichkeit sowie der bestmöglichen Lebenszufriedenheit und Lebensfreude für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung« (Bundesverband Autismus-Deutschland, 2017, S. 5 f.).
Die Autismus-Therapiezentren stellen damit Beziehung und Bindung in den Fokus ihrer therapeutischen Intervention und werden darin durch die Erkenntnisse der allgemeinen Therapieforschung bestätigt, die diese Elemente als wesentliche Wirkfaktoren von Entwicklungs- und Therapieprozessen herausgearbeitet haben (vgl. Grawe et al., 1994). Insbesondere bei der therapeutischen Arbeit mit jungen Kindern ist dieser Aspekt von herausragender Bedeutung (
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Kap. 8.7). Die einzelnen Autismus-Therapiezentren berufen sich dabei auf unterschiedliche therapeutische Schulen und wählen unterschiedliche Begrifflichkeiten. Auch verhaltenstherapeutische Methoden haben in den Autismus-Therapiezentren einen wichtigen Stellenwert (vgl. Rittmann, 2014). Gemeinsam ist in den Konzepten der Autismus-Therapiezentren das Bemühen um Intersubjektivität (Rickert-Bolg, 2011) bzw. Partizipation. Letztere wird als Umsetzung der entsprechenden UN-Konventionen (Bundesrepublik Deutschland 2008) im Bereich der Jugend- und Behindertenhilfe zunehmend in den Blick genommen (siehe z. B. Stadt Münster, 2013). Ein zentraler Aspekt dabei ist die Erkenntnis, dass Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit für die Motivation einer Person zur eigenen Weiterentwicklung und zum Lernen von größter Bedeutung sind.
Im Bereich der therapeutischen Arbeit mit Kindern, die von Autismus betroffen sind, bedeuten die Konzepte der Intersubjektivität bzw. Partizipation, von dem Grundsatz auszugehen: So viel äußere Strukturvorgabe wie nötig, so wenig wie möglich. Ein Maximum an Strukturvorgabe finden wir etwa bei intensiven verhaltenstherapeutischen Lernprogrammen. Den Gegenpol stellt ein eher spieltherapeutisches Setting dar, in welchem die Impulse des Kindes im Mittelpunkt stehen und die therapeutische Fachkraft diesen folgt. Das oben genannte Prinzip der Intersubjektivität kombiniert beide Vorgehensweisen: Die Vorgaben von außen werden nicht starr durchgezogen, sondern entsprechend der Reaktion und der Impulse des Kindes variiert, damit die Entwicklung in Gang bleibt und das Kind zugleich Spaß und Beziehung erlebt.
Eine solche Vorgehensweise hat im Bereich der Frühen Erziehung von Kindern mit Autismus nicht nur ethische Gründe, sondern führt nach unserer langjährigen Erfahrung im Therapiezentrum Osnabrück auch dazu, dass das neue Fähigkeiten und Fertigkeiten generalisiert, also auf andere Situationen übertragen und damit auch im Alltag angewandt werden können, und dass autistische Kinder ihr Problemverhalten, ihre Umgebung umfassend zu kontrollieren, eher aufgeben und sich auf Kompromisse einlassen können, wie ich an anderer Stelle in diesem Buch ausführlicher darlege(
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Kap. 24).
Neben dem Grundsatz der Partizipation, der die Orientierung auf die Ressourcen der Betroffenen einschließt, betonen die Autismus-Therapiezentren zudem den Blick auf die Körperlichkeit und die Emotionen und insbesondere auch den Einbezug des Lebensumfelds in die therapeutische Intervention. Letzteres beschränkt sich nicht allein auf die Mitarbeit von Eltern oder anderen Bezugspersonen bei der Förderung ihrer Kinder, sondern zielt auch auf ihre emotionale Verarbeitung der Behinderung des Kindes, die als wichtige Ressource im Bemühen um ein entwicklungsförderliches Umfeld für die Betroffenen gesehen wird (
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Kap. 21.3,
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Kap. 22.1,
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Kap. 23). Ein zentrales Ziel dieses Bemühens ist es, dass Eltern die Behinderung ihres Kindes akzeptieren können: Es ist eine schwierige Gratwanderung, das eigene Kind als Mensch mit seinen Einschränkungen anzunehmen und gleichzeitig alles Mögliche zu tun, damit die Auswirkungen der Behinderung zu einer möglichst geringen Beeinträchtigung der Entwicklung und der Lebensperspektive führen. Fördern und Fordern ist zugleich zwangsläufig immer mit der Aussage verbunden: »Du bist so, wie du bist, nicht in Ordnung.« Dieses Dilemma ist unabhängig von einer Behinderung jeder Kindererziehung immanent25 und lässt sich durch eine Basis von gegenseitiger Liebe, Vertrauen und Partizipation auflösen.
Dem Kind immer wieder zu vermitteln, dass es nicht nur aufgrund seiner Leistungen, seiner »Therapieerfolge«, sondern als um seiner selbst willen akzeptiert und geliebt wird, dass es bei problematischem Verhalten dennoch als Mensch akzeptiert wird, auch wenn sein Verhalten eine Sanktion erfährt, ist eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben aller Eltern.
Das kann nur geling...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  5. Geleitwort
  6. Inhalt
  7. Vorwort
  8. Teil I Frühe Diagnose – frühe Hilfe
  9. Teil II Theorie für die Praxis
  10. Teil III Grundlagen der Frühtherapie
  11. Teil IV Methodisches Vorgehen in der Frühtherapie beim Kind
  12. Teil V Eltern- und Familienorientierte Interventionen
  13. Teil VI Zusammenarbeit mit Kindergarten und Schule
  14. Teil VII Perspektivwechsel – Autismus aus Sicht von Menschen im Spektrum
  15. Anhang
  16. Stichwortverzeichnis