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Der Aufdecker der amerikanischen Nation

  1. 432 Seiten
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Der Aufdecker der amerikanischen Nation

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Über dieses Buch

Der Aufdecker der US-Nation ruft zum UngehorsamSind die goldenen Zeiten des Journalismus vorüber? Zeitungsreporter konkurrieren mit den Rund-um-die-Uhr-Nachrichten der Kabelsender, Berichte werden nur oberflächlich recherchiert und vorschnell veröffentlicht, weil die Zeit fehlt, an einer sich entwickelnden Story zu arbeiten. Niemand will sich mit investigativem Journalismus die Finger verbrennen: zu teuer, zu zeitintensiv, zu unsicher die Ergebnisse – und zu anfällig für Klagen. »Ich war immer der Ansicht, einer Zeitung ginge es darum, die Wahrheit herauszufinden, und nicht lediglich über die Diskussionen darüber zu berichten.«Seymour M. Hersh gilt als DER Enthüllungsjournalist in den USA. Nun erscheint eine Sammlung seiner wichtigsten Reportagen – aus heutiger Sicht von ihm selbst kommentiert. Ein Credo für unbestechlichen, mutigen Journalismus und ein Aufruf an die junge Generation von Reportern, sich in der heutigen Zeitungswelt zu behaupten. Qualitäts-Journalismus im Kampf gegen Fake News und Populismus Schwierige Stories, unangenehme Wahrheiten und kritische Fragen sind das Spezialgebiet von Seymour M. Hersh. Wie kein anderer Journalist verkörpert er den Inbegriff der »Vierten Macht im Staate«.In seinem Buch »Reporter« erzählt er, wie er arbeitet und gibt tiefe Einblicke in seine großen Reportagen: über Kissinger, die Mafia-Connections der Kennedys bis zu den Hintergründen der Massaker von Vietnam.- Persönliche Einblicke in Leben und Arbeit des berühmten Investigativ-Journalisten- Spannende Hintergrundinformationen und pointierte Anekdoten- Glühendes Bekenntnis zur Pressefreiheit- Pflichtlektüre für alle Journalismus-Studenten und angehende Reporter»Es gab noch nie einen Präsidenten, der mich leiden konnte. Ich nehme das als Kompliment.« Seymour M. Hersh blickt zurück auf eine bewegte Karriere und nimmt die heutige chaotische und unstrukturierte Welt des Journalismus kritisch in den Blick.Unbestechlich, wachsam und unbequem – ein Appell an die Medienwelt und alle, die sie gestalten.

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Information

KAPITEL NEUNZEHN

AMERIKAS KRIEG GEGEN DEN TERROR

Am Morgen des 11. September 2001 war ich zu Hause, von denselben Ängsten und Sorgen erfüllt wie meine Landsleute, nachdem der erste Turm getroffen worden war. Der Anruf, den ich zu diesem Zeitpunkt bereits erwartete, kam noch vor dem Fall des zweiten Turmes. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, aber die Aussage von David war eindeutig: »Sie sind nun dauerhaft auf die wichtigste Berichterstattung Ihrer Karriere angesetzt.« Es ging dabei nicht um die Reaktionen der Stadt New York auf die Anschläge – darum würde es in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift gehen –, er wollte vielmehr, dass ich den klassischen Fragen nachging: Wer? Was? Und vor allem: Warum?
Es packten mich unangenehme Erinnerungen an jenen Moment Ende des Jahres 1972, als Abe Rosenthal darauf bestanden hatte, dass ich aufhörte, über das zu berichten, womit ich mich auskannte, den Vietnamkrieg, um mich stattdessen der Watergate-Affäre zu widmen. Abe hatte damals genauso Vertrauen in mich gehabt wie jetzt David, aber dieser Auftrag war wesentlich anspruchsvoller. Watergate hatte sich auf Washington beschränkt, und ich wusste, dass ich zu einigen Akteuren direkten Zugang haben würde. Das war im Falle der Anschläge in New York viel schwieriger: Ich hatte nie direkt über islamistischen Terror berichtet und war auch nie in Afghanistan gewesen, wo Osama Bin Laden sich versteckt hielt. Andererseits hatte ich für den New Yorker über Pakistan berichtet und wusste, dass der pakistanische Geheimdienst ISI eine wichtige, wenn auch rätselhafte Rolle in Afghanistan spielte.
Es war mir bewusst, dass der 11. September eine einmalige Gelegenheit sein würde und ich dafür ganz neue Kontakte in Washington und dem Nahen Osten auftun müsste. Das war mir schon oft gelungen, und so überraschte es mich nicht, dass bei der New York Times Stimmen laut wurden, unter anderem die von Tom Friedman, mich sofort wieder einzustellen. Ein Chefredakteur, dem offensichtlich nicht ganz wohl dabei war, sich wieder mit mir auseinandersetzen zu müssen, hinterließ mir eine Nachricht, aber ich rief nie zurück. Ich hörte nichts weiter von der Zeitung, aber das war mir egal, denn ich gehörte ganz Remnick.
Ich begann damit, innerhalb weniger Wochen, so viel ich konnte über die Region zu lesen und mit denjenigen Bekannten im Außenministerium und den Geheimdiensten zu sprechen, die in Südasien gearbeitet hatten; ich wollte mir ein Grundverständnis von Afghanistan, Pakistan und dem internationalen Terrorismus aneignen. Ich machte die Bekanntschaft der wenigen Gelehrten in den USA, die die Taliban und ihr Volk der Paschtunen, der größten ethnischen Gruppe Afghanistans, wirklich verstanden. Es war besorgniserregend zu erfahren, dass Rache in der Kultur der Paschtunen nicht sofort ausgeübt wurde, sondern erst Monate oder Jahre nach einem gewalttätigen Angriff auf ein Familienmitglied stattfinden konnte. Ich war der Überzeugung, dass George W. Bush und Dick Cheney in Afghanistan nicht nur gegen bin Laden, sondern auch gegen seine Gastgeber, die Taliban, gewaltvoll vorgehen würden, ohne sich darüber im Klaren zu sein, welche Langzeitfolgen sich daraus ergeben würden.
Meine Berichterstattungen über Jonathan Pollard und den Angriff auf die pharmazeutische Fabrik in Khartum im Jahr 1998 hatten mich mit einigen hochrangigen FBI-Beamten in Kontakt gebracht, und ich wagte es, einen von ihnen wenige Tage nach dem 11. September zu Hause anzurufen. Ich hatte mich immer bemüht, hochrangigen Geheimdienstlern gegenüber so offen und ehrlich zu sein wie möglich, und die guten – es gab viele gute unter ihnen, vor denen ich großen Respekt habe – waren normalerweise ebenso hilfsbereit. Natürlich herrsche Hektik, bestätigte mein Kontakt, aber eines sei offensichtlich: Die 19 Selbstmordattentäter, ob sie nun bin Laden unterstanden oder nicht, gehörten keinesfalls zu den neuen Wilden, von denen man anfangs eine Welle des brutalen Terrors auf amerikanischem Boden befürchtet hatte. Sie wären eher so etwas wie Sonntagsfußballer, die sich irgendwie zur Weltmeisterschaft gekickt hatten. Die Geheimdienste würden vielleicht nie alles über die Anschläge herausfinden, aber er wäre davon überzeugt, dass die Terroristen stark davon profitiert hatten, wie wenig die verschiedenen Geheimdienste miteinander kooperiert hatten.
Ich wandte mich an jene CIA-Mitarbeiter und auch Außenstehende, die mir seit dem Vietnamkrieg immer wieder geholfen hatten; ehemalige Agenten schafften es immer, durch ihre damaligen Kollegen an wertvolle Informationen zu gelangen. Ich wurde in ein chinesisches Restaurant in einer Kleinstadt in Virginia eingeladen, wo sich mehrere Agenten zu einer Besprechung über 9/11 trafen. Es herrschte eine deutliche Missstimmung, und von allen Seiten hagelte es Beschwerden über die zurückhaltende und unbeugsame Bürokratie der CIA, die anscheinend immer schlimmer wurde, sowie die geringe Handlungsfreiheit und fehlende finanzielle Unterstützung. Man war der Meinung, dass das Versagen der CIA, die Anschlagspläne aufzudecken, nicht den Mitarbeitern, sondern der unschlüssigen Führungsriege der Agentur zur Last zu legen wäre. Schließlich ging es auch um die Überzeugung innerhalb der CIA, dass die eigenen Agenten besser als die Mitarbeiter anderer Geheimdienste wären. Ich wandte mich an einen alten Bekannten, der im Nahen Osten stationiert gewesen war und mehr über Terrorismus wusste als ich, und fragte ihn, warum selbst nach 9/11 das FBI noch dermaßen geringschätzig behandelt wurde. Seine Antwort verblüffte mich. »Verstehst du das nicht, Sy? Das FBI fängt Bankräuber. Und wir rauben Banken aus.« Er fügte hinzu: »Und die NSA? Soll ich mich wirklich mit Strebern mit Winkelmessern in der Tasche abgeben, die den Blick nicht von ihren braunen Schuhen wenden können?« Ich war schockiert und irritiert von solchem Zynismus, musste aber über seine Bemerkung über die braunen Schuhe der NSA lachen.
Nach jenem Mittagessen war ich überzeugt davon, dass sich die Geheimdienste niemals einigen und Informationen austauschen würden – nicht einmal nach dem 11. September. Die 19 Selbstmordattentäter hatten vielleicht nur deswegen Erfolg gehabt, weil innerhalb der Geheimdienste ein Kulturkampf tobte.
Der New Yorker wollte unbedingt einen Artikel, der mit 9/11 zu tun hatte, und ich wollte einen detaillierten Bericht über die Dinge schreiben, die falsch gelaufen waren – wie den USA die 19 Flugzeugentführer entgangen waren, die in ihren Vorbereitungen alles andere als vorsichtig zu Werke gegangen waren, wie wir täglich aufs Neue erfuhren. Ich war auf der Suche nach so vielen Insiderinformationen und Geheimdienstberichten wie nur möglich: Ich wollte die Insider wissen lassen, dass sie mir auch die geheimsten Informationen anvertrauen konnten, ohne dass ich die Informanten kompromittieren würde. Während meiner Arbeit für AP und die Times hatte diese Methode Erfolg gehabt, denn Insider mit gegensätzlichen Standpunkten zum Vietnamkrieg oder den Methoden der CIA hatten mich als Sprachrohr betrachtet, mit dem sie kein Risiko eingingen. Und so gelang es mir, innerhalb der ersten Monate nach dem 11. September über Erkenntnisse der NSA zu berichten, die von verbitterten Machtkämpfen innerhalb der saudischen Königsfamilie zum Thema Finanzen zeugten20, neue Erkenntnisse zum Atomwaffenarsenal Pakistans und dem anhaltenden Streit mit Indien aufzudecken, und auf die Furcht der USA einzugehen, dass die schiitische Führung des Iran ein Atomprogramm entwickeln würde, um auf die pakistanische Bedrohung zu reagieren. Meine Berichte hatten nicht direkt mit den Ereignissen des 11. September zu tun, aber sie behandelten andere Risiken, denen sich Amerika in der Region ausgesetzt sah. Meine Artikel in jenen Tagen wurden zu Tode kontrolliert; Remnick sorgte dafür, dass die obsessivsten der obsessiven Dokumentationsjournalisten des New Yorker sich mit ihnen beschäftigten.
Bush und Cheney zogen wie erwartet Anfang Oktober in Afghanistan in den Krieg. Wenige Wochen später enthüllte ich in einem Artikel, dass zwölf Mitglieder der geheimen Delta Force-Einheit aufgrund einer dummen Entscheidung von General Tommy Franks, dem Oberbefehlshaber im Krieg, verletzt worden waren, teilweise schwer. Die Spezialeinsatztruppen, die nur nachts unterwegs waren und tagsüber in Erdlöchern schliefen, sollten einen wichtigen Talibanführer gefangen nehmen oder töten. Sie waren bereits in der Nähe seines Hauses angelangt, als Franks die Army Rangers und Helikopter zur Unterstützung heranbeorderte. Eine solche Ansammlung von Militär warnte die Taliban vor einem kurz bevorstehenden Angriff, und die Delta Force-Truppen wurden entdeckt und angegriffen. Es war, wie mir ein Mitglied des Spezialeinheitenkommandos der Teilstreitkräfte erzählte, »ein großer Haufen Ziegenscheiße«. Die Story war leicht nachzuvollziehen und erregte große Aufmerksamkeit in der Presse, und natürlich leugneten in den sonntäglichen Talkshows General Franks, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Condoleezza Rice, die Nationale Sicherheitsberaterin, die Tatsache, dass zu den Verletzten einige der allerbesten Soldaten der Armee gehörten. An jenem Nachmittag rief mich ein Viersterneoffizier auf meiner Privatnummer an und bot mir Zugriff auf ein hoch geheimes Satellitenfoto, auf dem der Stiefel und ein Teil des abgetrennten Beines eines der Verwundeten zu sehen wären. Ich lehnte sein Angebot ab, versicherte ihm aber, dass ich genau wie viele meiner Kollegen wusste, wie ungeeignet General Franks als Verantwortlicher für Spezialeinsätze war. Später kontaktierte mich ein zweiter Beamter mit Verbindungen zum Sondereinsatzkommando, der sich über die ständigen Lügen der Bush-Regierung aufregte. Zu beiden Männern sollte ich über die nächsten 15 Jahre den Kontakt wahren.
Es beunruhigte mich noch immer, dass die Massenmedien meinen Berichten, bei denen es oft um missbräuchliche Verwendung von Geheimdiensterkenntnissen ging, im Verlauf des sich verstärkenden amerikanischen Kriegs gegen den Terror keine große Beachtung schenkten. Nach dem Erscheinen eines solchen Artikels rief mich James Risen, einer der besten Investigativreporter der Times, zu Hause an und gratulierte mir zu meiner Berichterstattung. Er sagte, man hätte ihn und ein paar Kollegen in die Redaktion bestellt, wo sie den Auftrag bekommen hatten, es mir gleichzutun. In der Bush-Regierung hatten sie niemanden gefunden, der bereit oder fähig gewesen wäre, ihnen dabei zu helfen, sagte Risen lachend, und man hätte sie nach Hause geschickt. In der Times würde am nächsten Morgen nichts über meinen New Yorker-Bericht zu lesen sein. »Wir konnten nichts weiter darüber herausfinden«, so Risen, »also ignorieren wir die Geschichte einfach.« Diese Denkweise war mir völlig unverständlich. Während der Watergate-Affäre hatten Bob Woodward und ich, im Wissen um die Bedeutung der Geschehnisse, die weit über Konkurrenzgehabe hinausging, bereitwillig von den Erkenntnissen des jeweils anderen Gebrauch gemacht, genau wie mit denen der Los Angeles Times und anderer, und wir hatten uns bemüht, der Geschichte immer weitere Informationen hinzuzufügen.
Ironischerweise veröffentlichte die Times, die meine Arbeit weiter zu ignorieren schien, Ende 2001 einen Sonderbericht über eine angeblich wiederaufkeimende Rivalität zwischen Bob Woodward und mir, die mit Watergate begonnen hatte. »Einige der aufregendsten und schockierendsten Erkenntnisse über die Krise erschienen unter ihren Namen«, schrieb die Zeitung und fügte hinzu, drei Jahrzehnte »nachdem sie während der Aufklärung des Watergate-Skandals gegeneinander angetreten waren … geht es wieder los.« Woodward wurde als »glatt, geschmeidig, förmlich« beschrieben. Ich war »lotterig, rauflustig, stur, laut … Sein Charme besteht darin, dass er keinen hat.« Ein Mangel an Charme und ungepflegtes Aussehen schienen es zu sein, die zu meinem Erfolg in Washington beitrugen – viel zu lesen, viele Interviews zu führen und mutige Informanten zu haben zählte wohl nicht.
Anfang 2002 war es mir schließlich gelungen, Informationen direkt aus dem Weißen Haus und aus einer der großen Militärführungen zu beziehen, und es wurde schwieriger, meine Informanten zu schützen, während Cheney immer größeren Einfluss gewann. Wie üblich erfuhr ich Dinge, über die ich nicht schreiben konnte, weil sonst der Informant, sosehr ich mir auch Mühe geben mochte, intern auffliegen konnte. Ich wusste zum Beispiel, dass Ende 2001 die Entscheidung getroffen worden war – forciert von neokonservativen Republikanern innerhalb und außerhalb der Regierung –, viele Spezialeinheiten aus Afghanistan und von der Jagd auf bin Laden abzuziehen, um eine Invasion des Irak vorzubereiten. Als Begründung wurde angegeben, dass Saddam Hussein eine weit größere Bedrohung wäre, weil er die Mittel hätte, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Das war völliger Blödsinn. Dank meiner früheren Berichte über die Sonderkommission der Vereinten Nationen UNSCOM, die genau das unterbinden sollte, wusste ich, dass die US-Angriffe im Golfkrieg von 1991 die irakische Infrastruktur für Nuklearwaffen zerstört hatte und sie nicht wiederaufgebaut worden war. In den darauffolgenden 15 Monaten – bis die USA im März 2003 den Zweiten Golfkrieg begannen – schrieb ich wiederholt über die Verzerrung von Geheimdienstinformationen und offizielle Lügen über Massenvernichtungswaffen im Irak, die den Weg für den Krieg ebneten.
Ich fand langsam heraus, dass acht oder neun Neokonservative, die unter Clinton nicht zur Regierung gehört hatten, im Wesentlichen die Regierung gestürzt hatten – und das völlig ohne Probleme. Es überraschte mich festzustellen, wie anfällig unsere Verfassung war. Die intellektuellen Anführer der Gruppierung – Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Richard Perle – hatten mit ihrer Ideologie und ihrem Glauben an die Macht der Exekutive nicht hinter dem Berg gehalten, sich in der Öffentlichkeit allerdings völlig ruhig und selbstbewusst verhalten, sodass ihr Radikalismus verborgen blieb. Nach 9/11 hatte ich mich ausführlich mit Perle unterhalten, sodass ich wusste, was bevorstand. (Perle und ich hatten uns seit den 1980er-Jahren immer wieder über Politik unterhalten, aber 1993 hatte er den Kontakt abgebrochen, als ich ihn, einen eifrigen Unterstützer Israels, in einem Artikel für den New Yorker mit einer Reihe von Treffen mit saudischen Geschäftsmännern in Verbindung gebracht hatte, die zu einem Multimillionen-Vertrag mit Saudi-Arabien führen sollten. Perle reagierte mit einer öffentlichen Klageandrohung und nannte mich einen Zeitungsterroristen. Zur Klage kam es nie.)
Unterdessen hatte sich Cheney zum Anführer der Neokonservativen aufgeschwungen. Nach dem 11. September 2001 tat er sein Möglichstes, die Aufsichtsfunktion des Kongresses zu untergraben. Ich erfuhr eine Menge über seine Vormachtstellung im Weißen Haus, konnte aber auch darüber nicht viel schreiben, weil ich meine Informanten nicht verraten wollte. Die Verantwortung lastete schwer auf mir. Nach 9/11 war es schwieriger für mich, mit meinen Informanten im Weißen Haus zu kommunizieren, die Zugriff auf Geheimdokumente hatten und sich trauten, über Einsätze (und nur diese Einsätze) zu sprechen, die den amerikanischen Werten widersprachen, oder dem, was von ihnen übrig geblieben war. Ich erfuhr, dass Cheney es sich zum Ziel gesetzt hatte, seine militärischen und geheimdienstlichen Einsätze so auszuführen, dass der Kongress möglichst wenig davon wusste oder dagegen tun konnte. Es war faszinierend und wichtig für mich, so viel über Cheneys kontinuierliche Anhäufung von Macht und Autorität auf dem Posten des Vizepräsidenten zu erfahren, aber es war mir fast unmöglich, die Informationen abzugleichen, ohne dass Cheney von meinen Befragungen erfuhr und sich vorstellen konnte, woher ich all das wusste.
Ich erfuhr so viel über jene unglaublich zynischen und vielleicht sogar verfassungswidrigen Unternehmungen im Weißen Haus, aber ich konnte niemandem davon erzählen. Vielleicht würde ich später einmal ein Buch darüber schreiben, dachte ich. Aber zu jener Zeit sorgte das, was man mir erzählt hatte, und was ich glaubte, dafür, dass sich mir ein düsteres Bild der Bush/Cheney-Regierung bot und ich wie während der Watergate-Affäre überzeugt davon war, dass es noch weitaus schlimmer werden würde.
In den Monaten vor der Invasion des Irak kam es zwischen Remnick und mir zu Streitigkeiten. David betrachtete die angedrohte amerikanische Invasion als eine Chance für die Bush-Regierung, nachdrücklich »für Frieden und politische Reform im Nahen Osten einzutreten«, wie er sich in seiner Zeitschrift ausdrückte. Ich war der Überzeugung, dass er sich etwas vormachte; die Chancen auf einen zukünftigen Frieden oder politische Reformen im Irak waren gleich null, wenn man bedachte, wie extrem die politischen Ansichten derjenigen waren, die für den Krieg verantwortlich waren. Ich bin mir sicher, dass David ebenso nichts von meiner Skepsis hielt, wenn es um die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak ging. Man muss ihm zugestehen, dass er mich nicht davon abhielt, über das zu berichten, was meine Informanten mir mitgeteilt hatten – dass die Regierung dahin gehende Geheimdienstinformationen schlichtweg erfunden hatte –, aber David bestand darauf, dass ich in jedem Artikel erwähnte, dass es möglich wäre, dass Saddam tatsächlich Massenvernichtungswaffen besaß.
Der Krieg lief nicht gut, genau wie es jene Insider, mit denen ich gesprochen hatte, bereits vorausgesehen hatten – es hatte damit zu tun, dass Amerika die Machtstrukturen im Irak nicht verstand –, und innerhalb weniger Monate war der so schnell und leicht scheinende amerikanische Sieg zu einem hart umkämpften Unterfangen geworden, dem täglich mehr entgegengesetzt wurde. Amerika reagierte mit größerer Gewalt, und Mordanschläge; Einkerkerungen und Folter gehörten zum Repertoire. Insider, die nicht genannt werden wollten, versicherten mir in den Anfangstagen des Krieges immer wieder, es wäre Usus, Folteropfer nicht zu begraben, sondern ihre Leichen in Säure aufzulösen oder anderweitig zu vernichten, damit man sie nicht würde exhumieren können. Erst Jahre später wagte ich es, darüber zu schreiben, denn Cheney hätte auf der Suche nach meinen Informanten wahrscheinlich eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet.
Im Lauf der Zeit erregte Cheneys Geringschätzung für die Überwachung durch den Kongress die Aufmerksamkeit einiger altgedienter Politiker der Demokraten, die im Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses tätig waren. Dazu gehörten David Obey aus Wisconsin, der Ausschussvorsitzende, und John Murtha aus Pennsylvania, ein langjähriges Ausschussmitglied, der als ehemaliger Marinesoldat Beziehungen zur Militärführung im Pentagon hatte. Obey und Murtha gehörten zu einem vierköpfigen Geheimdienst-Unterausschuss – die beiden anderen Mitglieder waren Republikaner, die gemeinhin das taten, was Cheney von ihnen verlangte –, der über sämtliche verdeckte CIA-Operationen informiert werden sollte. Die beiden Demokraten mochten sich nicht, und sie sprachen nicht oft miteinander. Ich beschloss, mit Murtha über das zu reden, was ich über Cheneys Alleingänge wusste, und ich merkte, dass er darüber noch viel besser Bescheid wusste als ich und ebenso besorgt war. Obey merkte, dass ich mich öfter mit Murtha unterhielt, und ich hielt es für nötig, ihn in einige der Insiderinformationen von Murtha einzuweihen. Der wortkarge Obey entwickelte Vertrauen zu mir. Später, erzählte mir Obey, sei er zu Cheney und David Addington, dem Rechtsberater des Vizepräsidenten, gegangen und hätte ihnen gesagt, dass sie mit ihren geheimen Operationen verfassungswidrig handeln würden, weil sie keinerlei Autorisierung und Finanzierung vom Kongress erhalten hatten. Die Antwort lautete mehr oder weniger, dass Präsident Bush in Kriegszeiten tun könnte, was immer er für nötig erachtete. Obey meinte, was die beiden Männer ihm eigentlich sagen wollten, war: »Wenn Ihnen nicht gefällt, was wir machen, dann verklagen Sie uns doch.«
Es waren vertrauliche Informationen, die ich mit niemanden teilen und nicht in der Zeitschrift veröffentlichen konnte, weil man darauf hätte schließen können (ob es nun stimmte oder nicht), woher ich einen Teil meiner Informationen über geheime CIA-Aktionen bekommen hatte. (Murtha starb 2010, und Obey trat 2011 nach über vierzig Jahren im Kongress in den Ruhestand.)
Wenige Monate nach der Invasion des Irak hielt ich im Ausl...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. INHALT
  5. Einleitung
  6. Kapitel eins: Anfänge
  7. Kapitel zwei: City News
  8. Kapitel drei: Zwischenspiele
  9. Kapitel vier: Chicago und AP
  10. Kapitel fünf: Endlich in Washington
  11. Kapitel sechs: Keime und ein Buch
  12. Kapitel sieben: Wahlkampf
  13. Kapitel acht: Auf der Jagd nach Biowaffen
  14. Kapitel neun: Auf der Suche nach Calley
  15. Kapitel zehn: Eine nationale Schmach
  16. Kapitel elf: The New Yorker
  17. Kapitel zwölf: Endlich angekommen
  18. Kapitel dreizehn: Watergate und vieles mehr
  19. Kapitel vierzehn: Henry und ich
  20. Kapitel fünfzehn: Der ganz große Wurf
  21. Kapitel sechzehn: Auf nach New York
  22. Kapitel siebzehn: Noch einmal Kissinger, und darüber hinaus
  23. Kapitel achtzehn: Rückkehr zum New Yorker
  24. Kapitel neunzehn: Amerikas Krieg gegen den Terror
  25. Danksagung
  26. Anmerkungen