Narzissmus
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Narzissmus

Grundlagen - Formen - Interventionen

  1. 175 Seiten
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Narzissmus

Grundlagen - Formen - Interventionen

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Über dieses Buch

Narcissistic phenomena have long been of considerable scientific and social interest. Some authors regard narcissism as a fad, while others see it as an increasingly frequent type of comorbidity or as a fundamental phenomenon representing a social megatrend. This volume traces narcissism from its normal forms of expression to severe narcissistic disorders. The book focuses on the remarkable changes that the concept of narcissism has undergone and continues to undergo. On the one hand, these changes involve the alterations that have been seen in the clinical diagnosis and classification of the condition, from the first theoretical descriptions of it up to the current empirical research findings. On the other hand, they also involve narcissistic phenomena in society, as well as changes in interventions and therapies. It is striking that narcissism is predominantly regarded as a phenomenon frequently affecting men between the ages of 20 and 50. By contrast, the present volume expands the perspective to include little-discussed aspects such as individual development over a person=s lifetime, as well as gender and transcultural aspects, and examines both positive and negative sides of narcissism. This fundamental and practice-oriented work thus depicts the broad range of narcissistic phenomena and disorders in a more nuanced and also more comprehensive manner.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170342163

1

Einleitung

Warum dieses Buch über »Narzissmus«?

Narzissmus ist aktueller denn je in der Wissenschaft, in der Umgangssprache und in den Medien. Es gibt schon viele ausgezeichnete Bücher über Narzissmus, dennoch bleiben viele Fragezeichen für behandelnde Psychiater und Psychotherapeuten bestehen.
Das Konzept vom pathologischen Narzissmus scheint den meisten Klinikern nicht immer klar zu sein. Was beinhaltet eine narzisstische Störung, welche Ausprägungen kann diese haben, und wo ist der Übergang vom gesunden zum pathologischen Narzissmus zu verorten? Beschreiben die diagnostischen Kriterien der aktuellen Klassifikationssysteme das klinische Phänomen ausreichend gut, so dass auf dieser Grundlage die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung valide gestellt werden kann? Kliniker und Wissenschaftler betonen zunächst gleichermaßen die Schwierigkeit, den normalen Narzissmus vom pathologischen Narzissmus abzugrenzen und die narzisstischen Störungen diagnostizieren zu können. Um narzisstische Störungen klarer fassen zu können, braucht es Theorie und Empirie der Narzissmus-Forschung.
Schon der Begriff Narzissmus wird nicht einheitlich verwendet. Umgangssprachlich wird Narzissmus häufig mit Selbstverliebtheit gleichgesetzt. Dabei ist eine gewisse Eigenliebe nicht nur normal, sondern wünschenswert. Ein gesunder Narzissmus ist wahrscheinlich notwendig für ein gesundes Selbstwertgefühl (Kohut 1968). Trotzdem ist der Begriff »narzisstisch« umgangssprachlich mehrheitlich negativ besetzt und wird in der Regel für unliebsame Menschen verwendet. Betrachten wir die Tatsache, dass wir vermutlich alle etwas narzisstisch sind, ist der Ausdruck gegenüber anderen ggf. sogar heuchlerisch. Er verweist mehr auf die eigenen narzisstischen Persönlichkeitsanteile, wenn beispielsweise Erfolge anderen nicht gegönnt werden und diese Personen als narzisstisch bezeichnet werden (Gabbard 2010).
Auf die Medien bezogen scheint eine noch größere Konfusion beim Thema Narzissmus zu herrschen. Hier sind alle mehr oder weniger narzisstisch – ein Präsident genauso wie ein Massenmörder, wie kann das sein?
Diese Fragen sind vertieft anzugehen. Nur wenn Begriff und Phänomenologie des Narzissmus ausreichend klar sind, können narzisstische Störungen diagnostiziert und entsprechende Therapien entwickelt und erfolgreich durchgeführt werden.

Wie hat sich die psychiatrische Klassifikation narzisstischer Störungen entwickelt?

Die relativ neue Entwicklung von einem allgegenwärtigen Narzissmus schien so nicht absehbar zu sein. Anfangs des neuen Jahrtausends sollte die »narzisstische Persönlichkeitsstörung« (DSM-IV) zunächst nicht mehr als Persönlichkeitsstörung in das Klassifikationssystem DSM-5 der American Psychiatric Association (APA) aufgenommen werden. Zu wenig war in den vergangenen Jahren zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung geforscht worden (Widiger et al. 2006). Offensichtlich gab es zu dieser Zeit wenig Interesse an der wissenschaftlichen Untersuchung zur Diagnostik und Behandlung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Nachdem die »narzisstische Neurose« (Battegay 1977) als Begriff aus der Psychiatrie verschwunden war, spiegelte diese unklare Situation zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung das Problem des Narzissmus-Konzeptes wider. Das Phänomen Narzissmus erwies sich als komplex, empirisch schwer zugänglich, mit fließendem Übergang vom gesunden zum pathologischen Narzissmus.
Allein der Entscheid der American Psychiatric Association, die narzisstische Persönlichkeitsstörung im DSM-5 doch zu berücksichtigen und (vorerst) das kategoriale Klassifikationssystem der Persönlichkeitsstörungen zu erhalten, führte wieder zu einer intensiveren Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Narzissmus und den narzisstischen Störungen (APA 2013).
In der ICD-11 der WHO verschwindet der Begriff »Narzissmus« mit dem Wegfall des kategorialen Systems zugunsten eines dimensionalen Modells der Persönlichkeitsstörung. Es gibt in der ICD-11 nur noch eine Persönlichkeitsstörung unterschiedlichen Schweregrades. Die Schwere der Persönlichkeitsstörung wird anhand der Funktionsbeeinträchtigung und der Selbst- und Fremdgefährdung eingeschätzt und durch verschiedene Persönlichkeitsdomänen ergänzt. Die entsprechenden (narzisstischen) Domänen »negative Affektivität« und »Dissozialität« werden voraussichtlich einerseits eine Aufwertung der vulnerablen narzisstischen Symptomatik (Selbstwertprobleme) zur Folge haben und anderseits den Fokus wie bisher auch auf die grandiose und mehr antisoziale Seite (Empathiemangel) des pathologischen Narzissmus legen.

Wann ist eine Person »narzisstisch« und ab wann wird dies zu einem psychischen Problem?

Wir scheinen also alle ein bisschen narzisstisch zu sein. Wir haben es mit einem Begriff zu tun, der von einem normalen Narzissmus bis zu einem pathologischen Narzissmus reicht, aber wo ist diese Grenze genau anzusiedeln?
Eine naheliegende Vermutung wäre, dass den »Narzissmus« das gleiche fachliche Schicksal ereilen wird wie die »Hysterie«. Spezifische Psychopathologie geht im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung in ein mehr oder weniger negativ gefärbtes aber noch toleriertes Normalverhalten in der Allgemeinbevölkerung über. Der Begriff wird dann im Laufe der Zeit unverständlicher und ungenauer, bis schließlich einzelne wichtige charakterisierende Merkmale nur noch umgangssprachlich verwendet werden. »Hysterisch« heißt (primär bei Frauen) vielleicht emotional und dramatisierend, »narzisstisch« bedeutet (primär bei Männern) wohl selbstverliebt und egoistisch.
Narzissmus sollte deshalb zuerst klar definiert werden und als Begriff von der pathologischen Form des Narzissmus – der narzisstischen Persönlichkeitsstörung abgegrenzt werden.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung war seit Freud und der frühen Psychoanalyse und vor allem seit der Konzeption von Kohut und von Kernberg ein fester Bestandteil der Psychiatrie und Psychotherapie und eine etablierte Diagnose als Persönlichkeitsstörung in den psychiatrischen kategorialen Klassifikationssystemen (DSM-5, ICD-10).
Aber wo beginnt die narzisstische Störung, die anhand strukturierter Interviews valide zu diagnostizieren und durch moderne Psychotherapieverfahren zu behandeln ist?
Auch wenn die empirische Wissenschaft überschaubare Ergebnisse zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung hervorgebracht hat, ist das Wissen seit Freud vor allem mit Kernberg in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen. Es gibt eine gut fundierte und mehrfach replizierte Theorie zur Ätiologie und Psychopathologie der narzisstischen Störungen.
Durch Traumatisierungen (Kohut) und narzisstischen Missbrauch der Eltern bei entsprechender Konstitution (Kernberg) wird das Kind im Verlauf der Entwicklung kein stabiles Selbstwertgefühl aufbauen können. Das Besondere an der Entwicklung ist der psychoanalytischen Theorie zufolge, dass aus dieser Not heraus und durch Aggressionen der Wert der eigenen Person geschützt und gesichert wird. Dies geht auf Kosten der Beziehungen zu anderen Menschen, die ausgegrenzt und bildlich gesprochen zerstört werden. Kontrolle und die Unabhängigkeit von anderen sichert das fragile narzisstische Gleichgewicht. Je mehr das Kind in seinem Erleben beeinträchtigt ist, desto stärker sind diese Schutzmechanismen am Werk.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Unsicherheiten und Ängste sowie unsichere Beziehungen zu anderen Menschen eine leichte narzisstische Beeinträchtigung bedeuten, und dass ein Mangel an prosozialer Empathie und antisoziales Verhalten im Allgemeinen eine stärkere Abschottung von anderen Menschen fördern und dies mit einer schweren narzisstischen Beeinträchtigung einhergeht. Damit wird auch verständlich, warum die antisoziale Persönlichkeitsstörung narzisstisch schwerer beeinträchtigt ist als die narzisstische Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne – beide aber zu den narzisstischen Störungen gezählt werden.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne wird aktuellen empirischen Studien zufolge hauptsächlich in zwei Idealtypen aufgeteilt – in einen vulnerabel narzisstischen Typus und in einen grandios narzisstischen Typus. Während der vulnerable Typus zunächst gar nicht als narzisstische Persönlichkeitsstörung in Erscheinung tritt, und andere Merkmale wie Unsicherheiten und Ängstlichkeit im zwischenmenschlichen Kontakt im Vordergrund stehen, oder auch die psychiatrische Komorbidität, wie beispielsweise die einer Depression oder die einer Computerspielsucht, ist der grandiose Typus derjenige, der alle psychopathologischen Merkmale einer narzisstischen Störung auf den ersten Blick erfüllt und deshalb in der Regel auch diagnostiziert werden kann. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist allgemein durch ein Muster von Großartigkeit, durch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Bewunderung durch andere Menschen und durch einen Mangel an Einfühlungsvermögen gekennzeichnet. Diesen Merkmalen liegt das zentrale Problem des Selbstwertes zugrunde, das als Kind angelegt in der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter als narzisstische Persönlichkeitsstörung zum Ausdruck kommt.
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung wird auch zu den narzisstischen Störungen gezählt. Allerdings wird die Selbstwertproblematik hier nicht vordergründig zu entdecken sein. Auffällig ist bei den betroffenen Personen ein antisoziales Verhalten, in dem sie lügen und betrügen und kein Mitgefühl für andere Menschen aufbringen können. Je schwerer die Störung ausgeprägt ist, desto stärker sind der Mangel an Empathie und die Beziehungsstörung ausgeprägt. Häufig werden sie kriminell. Die Antisozialität steht zwar im Vordergrund und ist deshalb wegweisend für das Störungsbild der antisozialen Persönlichkeitsstörung – eine schwere narzisstische Störung ist aber die Grundlage. Es kann daher ein narzisstisches Kontinuum angenommen werden, das von einem normalen Narzissmus über die narzisstische Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne bis zur schweren antisozialen Persönlichkeitsstörung reicht. Die schwere antisoziale Persönlichkeit wird von einigen Autoren (Hare, Sevecke) auch als psychopathische Persönlichkeit bezeichnet. Das charakteristische Muster des pathologischen Narzissmus – von Großartigkeit und dem Bedürfnis nach ständiger Bewunderung – wird von der narzisstisch akzentuierten Persönlichkeit bis zur antisozialen Persönlichkeitsstörung immer deutlicher ausgeprägt. Zudem nehmen offene Aggressivität, antisoziales Verhalten und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, von der narzisstischen Persönlichkeitsstörung bis zur antisozialen Persönlichkeitsstörung, auch weiter zu. Aus diesem Grund ist der Mangel an prosozialer Empathie gegenüber anderen Menschen neben dem antisozialen Verhalten ein deutliches Kriterium, um die Schwere der jeweiligen narzisstischen Psychopathologie einschätzen zu können.

Wie zeigt sich ein pathologischer Narzissmus in der Gesellschaft?

Obwohl schon bei den Sumeren (3. Jahrtausend v. Chr.) und in sokratischen Dialogen (Sokrates 469–399 v. Chr.) über die Eitelkeit der Jugend oder deren moralischen Verfall gesprochen und teilweise lamentiert wurde, mehren sich in den letzten 20 Jahren die empirischen sozialpsychologischen Befunde, dass Kränkbarkeit, Irritabilität und ein stärkerer Selbstbezug zunehmen (Twenge und Campbell 2010, Twenge 2017). Während diese Phänomene für manche Autoren (Lukianoff und Haidt 2018) als Verweichlichung der anglo-amerikanisch geprägten Gesellschaften (»Coddling of the American Society«) gelten, sind nach Ansicht der selben Autoren stärker kollektive oder kooperativ-organisierte Gesellschaften (Skandinavien, Australien, Schweiz, viele asiatische Länder) vor einem überzogenen gesellschaftlichen Narzissmus geschützt.
Entscheidend bei der Gesamtüberlegung ist der Unterschied zwischen pathologischen und destruktiven Verhaltensweisen Einzelner, die am einen Ende des narzisstischen Spektrums auftauchen und gesamtgesellschaftlichen Basisprozessen. Eine erhöhte Selbstbezogenheit, Selbstverliebtheit und Individuumsorientierung wurde und wird in diesem Kontext stark durch die Medien vermittelt. Die permanente Selbstbewertung durch »likes und dislikes« in bestimmten sozialen Medien, die teilweise bereits in frühester Kindheit und Jugend beginnen, tragen sicherlich einen Teil dazu bei, dass der eigene Selbstwert stark durch die (unmittelbare und direkte) Rückmeldung anderer mitdefiniert wird.
Diese Phänomene wurden naturgemäß durch die früheren Autoren wie Kohut oder Kernberg, die sich stärker auf familiäre und dyadische Prozesse konzentrierten, nicht entsprechend konzeptualisiert und integriert. Insbesondere im Jugendalter dürften die unmittelbar responsiven Rückkopplungsschleifen der sozialen Medien aber eine Bedeutung haben.
Ob diese medialen Phänomene allerdings kausal einen Großteil der narzisstischen Problematik erklären, bleibt offen, auch wenn von der deutschen Gesellschaft bereits als einer »kränkbaren Gesellschaft« gesprochen wird (Strohschein 2015). Hiermit ist aber auch das Phänomen der permanenten leichten Empörung über angebliche gesellschaftliche Missstände und eine Erregungskultur gemeint, die unter psychodynamischem Aspekt vielleicht eher den hysterischen Zuständen zuzuordnen sind als einem Narzissmus.
Ein erziehungs- und familiäres Rückmeldungsverhalten, das Kindern dauernd regelhaft und bei kleinsten »Leistungen« hochgradige direkte positive Rückmeldung und damit Belohnung liefert, dürfte sicherlich das ihrige dazu beitragen, eine grundsätzliche Überbewertung der eigenen Leistungen und des eigenen Selbstwertgefühls vorzubereiten.
Es sind dann Kindergarten, Schule und weiterführende Ausbildungseinrichtungen sowie Sportvereine und andere Institutionen, die dem heranreifenden Kind und Jugendlichen und seinem Selbstwertgefühl realistisch-kritische und heutzutage sicher auch wertschätzende Rückmeldungen geben sollten. Bleibt das Kind und der Jugendliche in einer »Filterblase« von ungerechtfertigten nur positiven Rückmeldungen für Trivialleistungen, so wird es manchmal ganz am Ende einer Schulausbildung nötig, die notwendige Realität einzublenden. Dass dieser Zeitpunkt zu spät im Lebenslauf sein kann, betont der Beitrag eines amerikanischen College-Direktors, der den jungen Berufs-, Ausbildungs- und Studieneinsteigern einen kritischen Spiegel vorhält (»Ihr seid nichts Besonderes«, McCullough 2014).
Aus Sicht der Autoren dieses Buches über Narzissmus gestalten gesellschaftliche und mediale Rahmenbedingungen im Kontext der familiären Erziehung sowie der individuellen genetischen Disposition ein komplexes Wechselspiel, das einerseits eine erhöhte Kränkbarkeit und einzelne narzisstische Persönlichkeitszüge, andererseits aber auch einen schweren pathologischen Narzissmus mit Antisozialität hervorbringen kann.

Wie entsteht eine narzisstische Störung und wie häufig tritt diese auf?

Zur Ätiologie der narzisstischen Störungen gibt es wenig empirische Literatur. Es ist anzunehmen, dass, wie auch bei den anderen Persönlichkeitsstörungen, eine narzisstische Störung weniger durch Genetik als vielmehr durch pathologische Umwelteinflüsse i. S. der Epigenetik entstehen, die auf eine bestimmte angeborene Konstitution der Person treffen. Traumatisierungen und daraus entstehende Bindungs- und Mentalisierungsstörungen haben wahrscheinlich den größten Anteil an der Entwicklung einer narzisstischen Störung. Vermutlich hat die antisoziale Persönlichkeitsstörung mit ca. 40 % die größte genetisch erklärbare Varianz von allen Persönlichkeitsstörungen. Neurobiologische Befunde zeigen vor allem für die antisoziale und psychopathische Persönlichkeitsstörung eine eingeschränkte emotionale Reagibilität und Defizite im Hirnvolumen, die früh in der Entwicklung nachweisbar sind und die antisoziale Psychopathologie teilweise erklären können.
Die Angaben zu Epidemiologie der narzisstischen Störungen schwanken stark, je nachdem welche Stichprobe untersucht worden ist. In der Allgemeinbevölkerung scheint die narzisstische Persönlichkeitsstörung in 1 % bis 6 %, die antisoziale Persönlichkeitsstörung in 1 % bis 3 % der Menschen aufzutreten. Männer sind von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung fast doppelt so häufig, von einer antisozialen Persönlichkeitsstörung drei- bis fünfmal häufiger betroffen als Frauen, was auch an Diagnose-Gepflogenheiten liegen kann. Mit zunehmendem Alter scheinen beide Persönlichkeitsstörungen teilweise zu remittieren. Für die antisoziale Persönlichkeitsstörung ist dieser Befund gut abgesichert.

Wie ist eine narzisstische Störung festzustellen und zu diagnostizieren?

Die klinischen Phänomene des Narzissmus sind vielfältig, teilweise theoretisch komplex und nicht immer einfach zu verstehen. Es gibt durchaus Probleme, bestimmte narzisstische Phänomene festzustellen. In den letzten Jahren wurden in der Literatur verschiedene narzisstische Typen beschrieben. Besonders betont wurde dabei, dass neben einem grandiosen Typus auch ein vulnerabler narzisstischer Typus von klinischer Relevanz ist. Leider foku...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort
  5. Geleitwort
  6. Inhalt
  7. Vorwort
  8. 1 Einleitung
  9. 2 Der Narzissmus-Begriff
  10. 3 Gesellschaftliche Relevanz des Narzissmus
  11. 4 Ätiologie des Narzissmus
  12. 5 Epidemiologie des Narzissmus
  13. 6 Klinische Phänomene des Narzissmus
  14. 7 Narzissmus über die Lebensphasen
  15. 8 Therapie des Narzissmus
  16. 9 Ausblick
  17. Literatur
  18. Stichwortverzeichnis