Zwei Seiten der Erfahrung
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Zwei Seiten der Erfahrung

Wie Organisationen intelligenter werden können

  1. 128 Seiten
  2. German
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Zwei Seiten der Erfahrung

Wie Organisationen intelligenter werden können

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Wird man aus Erfahrung klug? Das ist die scheinbar einfache Frage, mit der sich dieses Buch befasst. Der Autor geht der Frage nach, welche Rolle die Erfahrung bei der Schaffung von "Intelligenz", insbesondere in Organisationen, spielt oder spielen sollte.Organisationen und Einzelne streben nach Intelligenz, die definiert wird als das Bemühen um eine bessere Anpassung an die Umwelt und um Sinnstiftung. Trotz der allgemeinen Begeisterung für die "lernende Organisation" ist die Nachweislage nicht eindeutig: Der Autor erörtert die Mechanismen, die Möglichkeiten und die Grenzen des Erfahrungslernens. March sieht die Vorteile dieser Form des Lernens, zeigt aber auch, warum die Folgerungen, die Organisationen und Einzelne aus ihren Erfahrungsdaten ziehen, häufig irreführend sind. Darauf aufbauenend legt March dar, in welchem Verhältnis das Erfahrungslernen zur Generierung von Neuem steht und entwickelt Elemente einer Innovationstheorie.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783849780432
Auflage
1
1 Das Streben nach Intelligenz
Organisationen streben nach Intelligenz. Das ist kein banales Ziel. Seine Realisierung ist unvollkommen und das Streben endlos. Jeden Tag gibt es Misserfolge, die alle Erfolge infrage stellen. Dennoch ist das Streben häufig beglückend. Es weist auf subtile Grundlagen des Überlebens hin und erhebt die Bewältigung alltäglicher Aufgaben zur geschichtsträchtigen Kunst. Das vorliegende Buch befasst sich mit einem einzelnen Aspekt des Strebens nach Intelligenz – mit dem Bemühen, Lehren aus den sich entfaltenden Episoden des Lebens zu ziehen. Organisationen und die einzelnen Menschen in ihnen bemühen sich um Verbesserungen, indem sie über ihre Erfahrungen nachdenken und darauf reagieren.
Die Volksweisheit preist die große Bedeutung der Erfahrung und warnt zugleich vor ihren Unzulänglichkeiten. Einerseits wird Erfahrung als die beste Lehrmeisterin beschrieben. Andererseits wird sie als Lehrmeisterin von Dummköpfen dargestellt, die unfähig oder nicht bereit sind, aus dem angesammelten Wissen oder aus den Lehren von Experten zu lernen. In der Gegensätzlichkeit der Sprichwortweisheiten spiegeln sich grundsätzliche Fragen über das menschliche Streben nach Intelligenz und über das Lernen aus Erfahrung wider, mit denen sich Philosophen und Sozialwissenschaftler seit langem beschäftigen.
Trotz der großen Begeisterung sind die Prima-facie-Beweise für eine aus dem Erfahrungslernen resultierende Organisationsverbesserung gemischt. Aktuelle Organisationen unterscheiden sich in ihren eingesetzten Praktiken, angewendeten Verfahrensweisen und Formen sicherlich deutlich von jenen, die vor hundert Jahren typisch für Organisationen waren. Nach den meisten Produktivitätskriterien sind heutige Organisationen effizienter als ihre Vorgänger. Gleichzeitig sind Erfahrungen häufig mehrdeutig, es ist unklar, welche Lehren daraus abzuleiten sind, und man kann nur schwer ermitteln, welchen Beitrag das Erfahrungslernen zu langfristigen Verbesserungen in Organisationen leistet. Die Ambiguität der Geschichte macht die Anpassung von Überzeugungen und Handlungen an die Erfahrung sowohl kompliziert als auch anfällig für Irreführungen (March a. Olsen 1975; 1995, Kap. 6).
Es gibt gut belegte Beispielfälle dafür, dass Organisationen bei der Anpassung an ihre Umwelt offenbar gescheitert sind. Die gescheiterten Versuche von Wirtschaftsunternehmen, erfolgreiche Praktiken von anderen Firmen nachzuahmen, sind ein wiederkehrendes Thema in der Organisationsforschung. Kriege liefern zahlreiche Beispiele für ein Phänomen, das mit der Schärfe eines nachträglichen Blicks nach organisationaler Blindheit aufseiten der Armeen aussieht. Die ungeheuer erfolgreichen amerikanischen Stahl- und Autobranchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in der zweiten Hälfte verkümmert. Das staatliche Schulsystem, einst der ganze Stolz der USA und weltweit beneidet, hat sich in eine Peinlichkeit verwandelt. Dem politischen System in den USA ist es schwergefallen, sich an den Rückgang des Wohlstands und der Macht zu Beginn des 21. Jahrhunderts anzupassen.
In diesem Buch wird der große Einfluss des Erfahrungslernens und die umfangreiche Nutzung von Erfahrung als Grundlage der Anpassung und für den Aufbau von historischen Geschichten und Modellen durchaus anerkannt, aber es befasst sich insbesondere mit den Problemen, die mit dieser Art des Lernens verbunden sind. Die Essays argumentieren, dass, obgleich Individuen und Organisationen eifrig bemüht sind, durch Erfahrung an Intelligenz zu gewinnen, die Schlussfolgerungen, die auf diesem Eifer beruhen, häufig fehlgeleitet sind. Die Probleme hängen zum Teil mit korrigierbaren Fehlern menschlichen Schlussfolgerns zusammen, aber mehr noch mit Eigenschaften der Erfahrung, die das Lernen daraus erschweren (March 2008, Kap. 5). Von daher ist das Buch ein bisschen zurückhaltender als einige andere, was die Möglichkeiten des Erfahrungslernens betrifft (Kolb 1984; Sternberg a. Wagner 1986; Kayes 2002). Es ermittelt einige Mehrdeutigkeiten und Fehlerquellen, die der Erfahrung innewohnen.
Prolegomenon
Die Ideen, denen ich in diesem Buch nachgehe, spiegeln drei ziemlich unterschiedliche wissenschaftliche Traditionen wider. Die erste ist die Tradition der wissenschaftlichen Organisationsforschung. Diese Tradition stützt sich insbesondere auf die Wirtschaftswissenschaft, Psychologie, Managementforschung, Soziologie, Politikwissenschaft, Verwaltungslehre und künstliche Intelligenz. Die Vertreter dieser Schule sind zum überwiegenden Teil kartesianisch, naturwissenschaftlich und analytisch ausgerichtet. Sie legen großes Gewicht auf die formale Analyse von Daten und das Überprüfen von Hypothesen, die Anwendung von Modellen und den Beweis von Theoremen. Sie neigen zu deduktiver Cleverness in Form von relativ begrenzten, aber provokativen Ideen, was sich in ihrer Begeisterung für solche Dinge wie Spieltheorie, kognitive Dissonanz, strukturelle Äquivalenz, Absorptionsfähigkeit und Mülltonnen-Theorien widerspiegelt. Sie wenden einen Analysestil an, der sich auf relativ einfache Beziehungen zwischen einzelnen Variablen bezieht. Sie sprechen größtenteils aus der Perspektive des sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Establishments. Und sie gehen von einer historischen Entwicklung aus, die sich zögernd auf größeres Wissen und intellektuellen Fortschritt zubewegt.
Die zweite Tradition ist die der wissenschaftlichen Arbeiten zum Storytelling, Narrativ und Mythos. Diese Wissenschaftstraditionen stützen sich insbesondere auf Literatur- und Geschichtswissenschaften, Anthropologie, Linguistik, Rechtswissenschaft und Religion. Die Vertreter dieser Richtung betonen Sprache, Metaphern und die Ausarbeitung von Bedeutung. Wie Dario Fo, der die Narren des Mittelalters nachahmt, greifen sie die Autorität an und glorifizieren die Würde der Unterdrückten, viele von ihnen beziehen Positionen in Opposition zum Establishment. Sie neigen zu ausgedehnten Spekulationen in Form von weitreichenden Verallgemeinerungen à la Freud, Marx oder Foucault, erforschen den menschlichen Zustand mitunter allerdings auch lustvoll bis ins kleinste Detail. Sie praktizieren einen Wissenschaftsstil, der die Nuancen von Sprache herausarbeitet, um besondere Bedeutungen zu generieren. Im Allgemeinen scheuen sie den Fortschrittsglauben zugunsten von Ideen der historischen Eingebundenheit sowie der sozialen und kulturellen Konstruiertheit.
Die dritte Tradition ist die der wissenschaftlichen Erforschung von Anpassungsprozessen. Obwohl die Arbeit eng mit empirischen Studien des Wandels verknüpft ist, ist sie stark theoretisch ausgerichtet. Sie betont die Merkmale von Anpassungsmechanismen in Organismen, Spezies, Technologien, Organisationen, Wirtschaftsbranchen und Gesellschaften. Die Forschungstraditionen zur Anpassung stützen sich stark auf die Evolutionsbiologie und psychologische Ideen über das menschliche Lernen. Sie versuchen, das Verständnis zu erweitern, indem sie Anpassungsprozesse ermitteln und deren Folgen in komplexen Ökologien multipler adaptiver Akteure untersuchen. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dem Potenzial von Anpassungsprozessen zur Realisierung von Ergebnissen, die als Verbesserungen oder gar als Optimum betrachtet werden können. Sie gehen im Allgemeinen von einem historischen Prozess aus, der stark von der Entwicklung multipler instabiler Gleichgewichtszustände abhängt, unterstellen aber einen intellektuellen Prozess, der mehr zulässt als rein zufällige Fortentwicklung.
Die Kapitel dieses Buches schöpfen in ausgiebigem, wenn auch unzureichendem Maße aus allen drei Traditionen, aber sie konzentrieren sich auf ein relativ eng begrenztes Thema: Wann und wie lernen Organisationen auf intelligente Weise aus ihren Erfahrungen? Welche Möglichkeiten und Probleme sind damit verbunden? Die Kapitel greifen diese Fragen auf, in der gegebenen Kürze mit allen damit verbundenen Einschränkungen, ohne abschließende Antworten liefern zu können.
Diese Einschränkungen führen dazu, dass in den Kapiteln organisationsinterne Faktoren beim organisationalen Erfahrungslernen den mehrdeutigen Merkmalen von Erfahrung, den strukturellen Merkmalen adaptiver Prozesse und den Intelligenzmerkmalen menschlicher Anpassung untergeordnet sind. Organisationsinterne Faktoren werden gelegentlich angesprochen, aber es wird nicht der Versuch unternommen, sie erschöpfend zu behandeln. Diese Unterordnung geschieht der Einfachheit halber und nicht, weil diese Faktoren unwichtig wären. Organisationen prägen die Art, wie Erfahrungen sich entfalten, und die Art, wie sie beobachtet und verstanden werden. Sie definieren die Netzwerke, in denen die Informationen fließen, und verstärken oder verringern konfliktbedingte Spaltungen. Sie erzeugen und bewahren Ziele und Erwartungen, an denen die Bestrebungen ausgerichtet werden. Organisationen bestehen aus Regeln, Gewohnheiten, Fähigkeiten und Identitäten, die sich den Lehren der Erfahrung widersetzen und sie zugleich festhalten. Dies alles zu ignorieren, birgt ein gewisses Risiko.
Außerdem spielen drei wichtige Eigenschaften organisationaler Anpassung, die unabdingbar für ein umfassendes Verständnis sind, keine signifikante Rolle in den Ausführungen. Erstens: Organisationen sind Koalitionen von widerstreitenden Interessen (March 1988, Kap. 5; Hoffman 1999; Rao, Morrill a. Zald 2000). Wer den Fokus auf Koalitionen legt, weist auf die Unvollständigkeit von Theorien konfliktfreier Anpassung hin und zeigt insbesondere, wie schwer es ist, Erfolg (oder Misserfolg) einer Organisation allein am Ergebnis oder der Art der Informationsbündelung festzumachen. (Cyert a. March 1963; Augier a. March 2001). Interessenkonflikte sind auffällige Faktoren in allen Organisationen und beeinflussen nicht nur das Streben nach Intelligenz, sondern auch deren Definition (Greenwood, Suddaby a. Hinings 2002; Olsen 2009).
Zweitens: Organisationale Anpassung umfasst die gleichzeitige, in Wechselwirkung stehende Anpassung mehrerer verschachtelter Ebenen (March 1994, Kap. 2,6; Friedland a. Alfor 1991). Organisationspopulationen entwickeln sich zur selben Zeit wie einzelne Organisationen innerhalb der Populationen, und Organisationen entwickeln sich zur selben Zeit wie die Individuen innerhalb der Organisationen. Diese verschachtelten Anpassungssysteme beeinflussen sich wechselseitig, wobei die Anpassung auf einer Ebene manchmal als Ersatz für die Anpassung auf einer anderen dient, und sie manchmal auch beeinträchtigt.
Drittens: Die Umwelt von Organisationen besteht – zum Teil – aus anderen sich anpassenden Organisationen; und die Elemente der Co-Evolution, die durch ihre gemeinsamen Anpassungen erzeugt werden, sind ein wesentliches Merkmal der Anpassungsgeschichte (Hannan a. Freeman 1989; Kauffman a. Johnson 1992; Levinthal a. Myatt 1994). Dass man die Umwelt als etwas Exogenes behandelt, wie es in der Literatur über das Organisationslernen und – in erheblichem Ausmaß – in diesem Buch die Regel ist, stellt eine signifikante Vereinfachung dar.
Zwei Bestandteile der Intelligenz
Intelligenz umfasst normalerweise zwei miteinander verbundene, aber irgendwie unterschiedliche Elemente. Zum ersten gehört die erfolgreiche Anpassung an eine Umwelt. Um sich erfolgreich anzupassen, brauchen Organisationen Ressourcen, Fähigkeiten für deren kompetente Nutzung, Kenntnisse über die Welten, in denen sie existieren, Glück und gute Entscheidungen. Sie stehen in der Regel im Wettbewerb um Ressourcen und stoßen auf Ungewissheiten, was die Zukunft betrifft. Viele, wenn auch möglicherweise nicht alle der Faktoren, die über ihr Schicksal bestimmen, liegen außerhalb ihrer Kontrolle. Organisationspopulationen und einzelne Organisationen überleben wahrscheinlich zum Teil, weil sie über adaptive Intelligenz verfügen, doch ihr Überleben ist keineswegs sicher. Auch wenn einige wenige Organisationen, insbesondere die römisch-katholische Kirche und ältere europäische Universitäten, schon sehr lange bestehen, halten sich die allermeisten Organisationen nur für relativ kurze Zeit. Daran gemessen ist die adaptive Intelligenz von Organisationen nichts Garantiertes. Sie ist nicht einmal typisch.
Der zweite Bestandteil der Intelligenz betrifft die Eleganz der Interpretationen von Lebenserfahrungen. Diese Interpretationen umfassen sowohl Theorien über den historischen Prozess als auch Sinnphilosophien, aber sie gehen noch darüber hinaus, um auch die schmutzigen Details des Alltagsdaseins zu erfassen. Die Sehnsucht des Menschen, seiner Erfahrung Sinn zu verleihen, durchdringt einen Großteil der Wissenschaft. Sie durchdringt auch weite Bereiche des Lebens. Interpretationen von Erfahrung sind Verzierungen von zwanglosen Gesprächen und von Theorien über psychologische, ökonomische, politische, kulturelle und soziale Systeme. Die Eleganz der Interpretation ist eine Bestätigung für den Status des Menschen und eine Grundlage für die soziale Rangordnung von Einzelpersonen und Institutionen. Interpretationen schmücken die menschliche Existenz. Sie erheben Anspruch auf Bedeutung, unabhängig von ihrem Beitrag zu einem erfolgreichen Handeln. Raymond Fischesser, ehemaliger Leiter der L’Ecole des Mines de Paris, definierte Intelligenz als »la préoccupation efficace de l’essentiel« (Riveline 2008,7). Diese Intelligenz glorifiziert die Betrachtung, das Begreifen und die Würdigung des Lebens, nicht nur seine Kontrolle.
Erfahrungslernen
Die Werkzeuge, die beim Streben nach Intelligenz zum Einsatz kommen, spiegeln die Wissenstechnologien ihrer jeweiligen Zeit und ihres jeweiligen Ortes wider. In einer nicht allzu fernen Vergangenheit und Örtlichkeit umfasste die Suche nach Intelligenz den umfangreichen Gebrauch von Zaubertränken, Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln ebenso wie die Weissagungen und Mehrdeutigkeiten von Orakeln und anderen Hütern übermenschlicher Fähigkeiten. In einem frühen chinesischen, ägyptischen, griechischen oder römischen Unternehmen hätte sich kein Manager, der etwas auf sich hielt, den Unwägbarkeiten des Lebens bereitwillig gestellt, ohne einen angemessenen Draht zu den Göttern zu haben, die die Geschicke der Welt und ihrer Organisationen lenkten.
Obwohl verschiedene Formen gottgleicher Offenbarung weiterhin Anhänger finden (Eisenstadt 2006), sind die Bemühungen um einen Zugang zu den Geheimnissen der Götter in der heutigen Welt größtenteils durch Bemühungen zur Aufdeckung profanerer Wissensgeheimnisse ersetzt worden. Was derzeitige Empfindlichkeiten betrifft, sind wenige Ideen so sakrosankt wie die Vorstellung, dass der Mensch sein Leben in den Griff bekommt, indem er aus seinen Erfahrungen lernt. Einzelne und Organisationen versuchen, ihre Chancen zu verbessern, indem sie ihre Erfahrungen beobachten und darauf reagieren, zum Teil durch elementare Bemühungen, erfolgsträchtige Handlungsweisen zu wiederholen, zum Teil durch besser ausgearbeitete Bemühungen, die Ereignisse ihrer Entwicklungsgeschichte in akzeptable Kausalzusammenhänge zu bringen. Erfahrung wird verehrt; Erfahrung wird gesucht; Erfahrung wird gedeutet.
Lernen aus Erfahrung ist selbstverständlich keineswegs der einzige Mechanismus des Lernens. Tatsächlich wird der Großteil des individuellen und organisationalen Wissens nicht durch Lehren erworben, die aus dem normalen Ablauf von Leben und Arbeit gezogen werden. Es wird von Experten durch systematische Beobachtung und Analyse erzeugt, durch Autoritäten (z. B. in Büchern, durch Webbrowser, durch Lehrer) vermittelt und von den Empfängern akzeptiert (oder abgelehnt), ohne dass es durch direkte Erfahrungen bestätigt wird. Es spiegelt in einem allgemeinen Sinn eher Theoriewissen als Erfahrungswissen wider (March 2004).
Trotzdem wird das Erfahrungslernen in der zeitgenössischen Literatur über Organisationen weiterhin als eine der wichtigeren Quellen der Adaptation beim menschlichen Handeln betrachtet, als ein Mechanismus, durch den sich die Handlungen von Einzelnen oder von Organisationen besser an die äußeren Bedingungen, denen sie begegnen, anpassen lassen (Argyris a. Schön 1978; Levitt a. March 1988; Huber 1991; Payne, Bettman a. Johnson 1993; Cohen a. Sprouli 1996; Argote 1999; Nooteboom 2000; Starbuck a. Hedberg 2001; Greve 2003). Bewundernswerte Organisationen werden als »lernende Organisationen« bezeichnet; es gibt zahlreiche Berater, die Methoden für ein besseres und differenzierteres Lernen empfehlen (Argyris a. Schön 1978; Senge 1990); und bei vielen neueren Vorschlägen für die Verbesserung von Organisationen wird das Erfahrungslernen betont (Senge 1990; Olsen a. Peters 1996; Dierkes et al. 2001; Zollo a. Winter 2002).
Lernen aus Erfahrung gilt als relevant für Theorien rationalen Handelns (Arrow 1992; Coleman 1990; Milgrom a. Roberts 1992), wie in der Spieltheorie (von Neumann a. Morgenstern 1944; Luce a. Raiffa 1957; Kreps 1990b) und in der Entscheidungstheorie (Raiffa 1968; Machina 1987; Anand 1993; Augier a. March 2002). Es gilt auch als relevant für Theorien über regelbasiertes Handeln (March a. Olsen 1989, Kap. 2; March 1994, Kap. 2), wie bei Vorstellungen über individuelle Identität, Institutionen und soziale Rollen. In rationalen Theorien ist die angenommene fundamentale Grundlage intelligenten Handelns eine Logik der Konsequenzen (March und Olsen 1989, Kap. 1; March 1994, Kap. 1); bei der Regelbefolgung resultiert das Handeln aus Systemen von Regeln, Identitäten und Rollen (Scott a. Meyer 1983; Ashforth a. Mael 1989; North 1990; Becker 2004; Brandstätter, Gigerenzer a. Hertwig 2006), und als fundamentale mentale Basis wird eine Logik der Angemessenheit angenommen (Günther 1993; March a. Olsen 2006b). Innerhalb beider Perspektiven wird das Wissen aus Erfahrung als notwendiger Bestandteil menschlicher Ansprüche auf Intelligenz betrachtet. Beim rationalen Handeln besteht die Auffassung, dass Organisationen vorausschauen, indem sie zurückschauen (Gavetti a. Leinthal 2000; Zollo a. Winter 2002; Gibbons a. Roberts 2008). Beim regelbasierten Handeln besteht die Auffassung, dass Organisationsregeln sich durch Erfahrung entwickeln (Alchian 1950; Nelson a. Winter 1982; March, Schulz a. Zhou 2000; Akerlof a. Kranton 2005; March a. Olsen 2006a).
Von daher hat man erhebliche Anstrengungen darauf verwandt, die Wirksamkeit von Intelligenz in Organisationen zu erhöhen, indem man sich aufhistorische Nachweise stützt. Man hat ausgeklügelte Instrumente für die Bewertung, Modellierung und strategische Planung geschaffen und implementiert, um Marketing, Finanzen, Produktion und Personalentscheidungen in Unternehmen zu erleichtern und die effiziente und erfolgreiche Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen in Behörden und Verwaltungen zu fördern. Ausgeklügelte Account-Systeme sollen verschiedenen Interessenvertretern die Kontrolle über Organisationen erleichtern. Umfangreiche Beraterbranchen sind entstanden, um als nützlich geltende Praktiken und Theorien zu verbreiten. Studiengänge in Unternehmensführung sind zu auffälligen Komponenten moderner Universitäten geworden und bieten Ausbildung für große Zahlen von künftigen Führungskräften, sowohl in öffentlichen wie in privaten Organisationen. Management-Ausbildungen liefern ein Menü »bewährter Verfahren« ebenso wie einen Werkzeug...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Vorwort
  5. Vorwort zur deutschen Ausgabe
  6. Dank
  7. 1. Das Streben nach Intelligenz
  8. 2. Lernen durch Erfolgswiederholung
  9. 3. Lernen durch Geschichten und Modelle
  10. 4. Die Generierung von Neuem
  11. 5. Die Lektionen der Erfahrung
  12. Literatur
  13. Über den Autor