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Über dieses Buch
Guy de Maupassant (1850-1893) war ein französischer Schriftsteller und Journalist. Maupassant gilt neben Stendhal, Balzac, Flaubert und Zola als einer der großen französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts. Er ist auch einer der am häufigsten verfilmten Autoren.Bel Ami, Dickchen, Ein Menschenleben, Fräulein Fifi, Das Haus, Herr Parent, Der Horla, Die kleine Roque, Der Liebling, Miss Harriet, Mondschein, Nutzlose Schönheit, Die Schnepfe, Die Schwestern Rondoli, Stark wie der Tod, Tag- und Nachtgeschichten, Der Tugendpreis, Unser Herz, Vater Milon, Zwei BrüderNull Papier Verlag
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Information
Der LieblingErster Teil
I
Georg Duroy wechselte bei der Kassiererin ein Fünffrankenstück, zahlte und verließ das Restaurant.
Von Haus aus ein hübscher Kerl, sah er besonders gut aus in der militärischen Haltung, nach der er sich als ehemaliger Unteroffizier trug. Er warf sich in die Brust, wirbelte schneidig seinen Schnurrbart und ließ über die Verspäteten rings an den Tischen einen schnellen, aber umfassenden Blick gleiten, dem nichts entging.
Die Frauen hatten ihm nachgeschaut, drei kleine Arbeiterinnen, eine Musiklehrerin von mittlerem Alter, die schlecht frisiert war, etwas vernachlässigt aussah, einen immer staubigen Hut auf hatte, und deren Kleid schief saß; und dann zwei Bürgerfrauen mit ihren Männern, die für gewöhnlich hier ihr Mittagsessen im Abonnement einzunehmen pflegten.
Als er hinausgetreten war, blieb er einen Augenblick auf dem Trottoir stehen und überlegte sich, was er tun sollte. Es war der achtundzwanzigste Juni und er besaß gerade noch drei Franken vierzig, womit er den Monat auskommen musste. Das bedeutete so viel, wie zwei Mittagessen ohne Abendbrot oder zwei Abendessen ohne Mittag, je nach Wahl. Er überlegte, dass, da das Mittagessen ihm zweiundzwanzig Sous kosten würde, während er dreißig für sein Abendbrot anlegen musste, ihm ein Frank zwanzig Überschuss bliebe, wenn er sich mit zweimal Mittagessen allein begnügte. Der Überschuss reichte noch für zwei Portionen Brot und Wurst und zwei Glas Bier, die er irgendwo auf dem Boulevard zu sich nehmen könnte. Das war seine einzige Ausgabe und sein einziges Amüsement. So bummelte er denn die Straße Notre Dame de Lorette hinab.
Er ging genau so, wie er früher einst das Pflaster getreten in seiner Husarenuniform, die Brust herausgedrückt, die Knie ein wenig nach außen, als ob er eben vom Pferde gestiegen wäre. Und rücksichtslos schritt er in die Menschenmenge hinein, streifte die Schultern, rempelte hier und da einmal jemanden an und machte nicht einen Zoll breit Platz. Den Zylinder, der etwas ramponiert war, hatte er schief aufs Ohr gesetzt, und seine Schritte klangen laut auf dem Pflaster. Er sah aus, als blickte er alles herausfordernd an, die Vorübergehenden, die Häuser, die ganze Stadt, wie’s eben ein schöner Husar tut, der zu seinem Leidwesen den Zivilrock tragen muss.
Obgleich er nur einen Anzug für sechzig Franken trug, hatte er doch eine gewisse, etwas aufdringliche Eleganz an sich, die zwar ein wenig ordinär war, doch tatsächlich bestand. Er war groß, gut gewachsen, blond, von einem kastanienfarbenen leicht rötlichen Blond, mit aufgedrehtem Schnurrbart, der sich auf seiner Oberlippe zu kräuseln schien. Er hatte blaue, klare Augen und eine ganz kleine Pupille, natürlich-gelocktes Haar, das in die Mitte gescheitelt war und sah so ein wenig aus wie die Schwerennöter in den Schundromanen.
Es war einer jener Sommerabende, wo man das Gefühl hat, als wäre nicht genug Luft in Paris. Die Stadt war glühend heiß und schien zu schwitzen bei der erstickenden Hitze. Die Schleußen strömten durch ihren granitnen Mund ihre verpesteten Dünste aus und die Küchen im Untergeschoss hauchten auf die Straße durch ihre niedrigen Fenster die grässlichen Gerüche von Aufwaschwasser und alten Saucen hinaus.
Die Portiers saßen in Hemdsärmeln rittlings auf ihren Rohrstühlen und rauchten unter dem Hofeingang ihre Pfeife. Und die Vorübergehenden gingen mit müden Schritten barhäuptig, den Hut in der Hand.
Als Georg Duroy an den Boulevard kam, blieb er noch einmal stehen, unschlüssig, was er tun sollte. Er hatte jetzt eigentlich Lust, in die Champs-Elysées und in die Avenue du bois de Boulogne zu gehen, um unter den Bäumen ein Wenig frische Luft zu schöpfen. Aber es quälte ihn auch ein anderer Wunsch: irgend ein Liebesabenteuer zu erleben.
Wie das kommen sollte, wusste er noch nicht. Aber er wartete seit drei Monaten darauf, jeden Tag, jeden Abend.
Dank seines guten Aussehens und seines galanten Wesens, stahl er wohl hier und da ein bisschen Liebe, aber er hoffte doch immer noch auf mehr und Besseres,
Mit seinem leeren Portemonnaie und heißen Blut regte er sich auf, wenn die Mädchen vorüberstrichen und an der Straßenecke zu ihm sagten:
– Komm mit, Kleiner!
Aber er wagte nicht, ihnen zu folgen, denn er konnte sie nicht zahlen. Und dann hoffte er doch auch auf etwas anderes, auf eine andere, weniger gemeine Liebe.
Und doch liebte er die Orte, wo die öffentlichen Mädchen herumwimmelten, ihre Ballokale, Cafés, ihre Straßen. Er traf sie gern, und es machte ihm Spaß, mit ihnen zu schwatzen, sie zu duzen, ihr starkes Parfüm zu riechen, ihre Nähe zu fühlen. Es waren doch immerhin Frauen, Frauen, die Liebe geben konnten, und er verachtete sie nicht mit jenem Gefühl, das dem in der Familie aufgewachsenen Manne angeboren ist.
Er wandte sich zur Madeleine-Kirche und folgte dem Menschenstrom, der, von der Hitze bedrückt, dahin flutete. Die großen Cafés waren Menschen-überfüllt. Die Leute fassen bis auf das Trottoir, beim hellen scharfen Licht, das durch die erleuchteten Spiegelscheiben fiel. Auf kleinen viereckigen Tischen standen Gläser mit roter, gelber, grüner, brauner Flüssigkeit, alle Farbenspiele waren vertreten. Und in den Karaffen glänzten die großen, durchsichtigen Eiskristalle, die das schöne klare Wasser abkühlen sollten.
Duroy hatte seinen Gang verlangsamt, seine Kehle war wie ausgetrocknet und das dringende Bedürfnis etwas zu trinken quälte ihn.
Ein brennender Durst, wie er sich an heißen Sommerabenden einstellt, hielt ihn gefangen, und er dachte immer wie wundervoll erquickend es doch wäre, wenn ihm das kalte Getränk durch die Kehle laufen würde. Aber wenn er an diesem Abend auch nur zwei Glas Bier trank, musste er auf sein mageres Abendbrot morgen verzichten. Und die Hungerqualen der letzten Tage des Monats kannte er zu genau.
Er sagte sich: bis zehne muss ich mich hinschleppen, dann trinke ich im Americain mein Bier. Gott verdamm mich noch mal, hab’ ich einen Durst!
Und er betrachtete all die Menschen, die dort an den Tischen saßen und tranken, all diese Menschen, die ihren Durst löschen konnten, so viel sie nur mochten. Wenn er an den Cafés vorüberkam, nahm er eine renommistische kecke Haltung an, und mit einem Blick taxierte er nach Aussehen und Kleidung die einzelnen Leute, die da ruhig saßen. Wenn man ihnen die Taschen leerte, würde man schon Gold finden, Silber und Kupfer; durchschnittlich hatte wohl jeder gewiss zwei Zwanzig-Frankenstücke bei sich. In dem Café saßen mindestens hundert, hundert mal zwei Zwanzig-Frankenstücke das gab viertausend Franken. Er brummte in sich hinein: Schweinebande! und wiegte sich in den Hüften. Wenn er nur an der Straßenecke im Dunkeln einen von den Kerls hätte anhalten können, dem hätte er den Hals umgedreht, weiß der Teufel, ohne irgendwelche Gewissensbisse, wie er’s früher im Manöver mit den Hühnern beim Bauer getan.
Und er dachte an die beiden Jahre, die er in Afrika gestanden, wie er damals in den kleinen Garnisonen im Süden die Araber ausgeplündert. Ein grausam-lustiges Lächeln lief über seine Züge, als er sich eines tollen Streiches erinnerte, der drei Mann des Stammes der Ouled-Alane das Leben gekostet und ihm wie seinen Kameraden zwanzig Hühner, zwei Schafe und eine Menge Gold eingebracht hatte, sowie Lachstoff auf mindestens ein halbes Jahr.
Die Täter hatte man nie entdeckt, die man übrigens auch weiter nicht gesucht hatte, denn der Araber wurde mehr oder weniger als selbstverständliche Beute des Soldaten angesehen.
In Paris war das ganz was anderes. Dort konnte man nicht den Säbel an der Seite, den Revolver in der Hand, weit von jeder bürgerlichen Gerichtsbarkeit, frei wie man war, auf Plünderung ausgehen. Er fühlte sich wie ein Unteroffizier im eroberten Lande. Ach, er dachte doch mit Bedauern an die zwei Jahre zurück, die er in der Wüste zugebracht. Es war eigentlich schade, dass er nicht dort geblieben war. Aber er hatte gehofft, sich verbessern zu können, wenn er zurückkehrte. Und nun? Na, das war eine schöne Bescherung!
Er wälzte die Zunge im Munde herum und schnalzte, als ob er die Trockenheit seines Gaumens feststellen wollte.
Die Menge bewegte sich um ihn herum, matt und langsam, und er dachte immer: elendes Pack, diese ganzen Rindviecher da, haben nu Geld in der Tasche.
Er stieß die Leute beim Gehen mit der Schulter an und pfiff sich eine lustige Weise. Ein paar Herren, die er angerempelt, drehten sich schimpfend um und ein paar Frauen riefen:
– So ein Flegel!
Da kam er am Vaudeville vorbei und blieb vor dem Café Americain stehen. Er fragte sich, ob er nicht doch ein Glas Bier trinken sollte, der Durst quälte ihn zu schauderhaft. Ehe er zu einem Entschluss kam, blickte er noch einmal nach dem erleuchteten Zifferblatt der Uhren auf der Straße. Es war ein viertel auf zehn Uhr. Er kannte sich genau: wenn einmal das Glas Bier vor ihm stand, hatte er es auch schon ’runtergeschüttet, und was sollte er dann bis elf Uhr anfangen?
Er ging weiter und sagte sich: ach, ich gehe lieber bis zur Madeleine und dann bummele ich ganz sachte zurück.
Als er an die Ecke des Opernplatzes kam, begegnete ihm ein dicker, junger Mann, dessen Gesicht er meinte schon einmal irgendwo gesehen zu haben.
Er folgte ihm und suchte in seinem Gedächtnis, indem er halblaut zu sich sagte: Teufel noch mal, wo bin ich nur dem Kerl schon mal begegnet?
Er suchte hin und her, aber es fiel ihm nicht ein. Dann plötzlich durch ein eigentümliches Spiel des Gedächtnisses stand derselbe Mann vor ihm, weniger dick, jünger, in Husarenuniform und er rief ganz laut:
– Herr Gott, Forestier!
Er verlängerte seine Schritte und klopfte dem Herrn, der vor ihm ging, auf die Schulter. Der andere drehte sich um, blickte ihn an und fragte:
– Bitte, was wünschen Sie?
Duroy fing an zu lachen:
– Was, Du kennst mich nicht mehr?
– Nein.
– Georg Duroy. Sechster Husar.
Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:
– Alter Kerl! Wie geht Dir’s denn?
– Ausgezeichnet! Und Dir?
– Na, nicht besonders. Weißt Du, ich bin nicht ganz taktfest auf der Brust. Sechs Monate im Jahr huste ich. Das kommt von einem Bronchialkatarrh, den ich mir in Bougival jetzt vor vier Jahren, als ich nach Paris zurückkam, geholt habe.
– Aber Du siehst doch ganz gesund aus!
Und Forestier nahm den Arm seines Kameraden und erzählte ihm von seiner Krankheit, von den Konsultationen, den verschiedenen Meinungen und Reden der Ärzte. Er sagte, wie schwierig es sei in seiner Stellung ihren Verordnungen zu folgen. Er sollte den Winter im Süden zubringen, aber das könnte er doch nicht. Er war nämlich verheiratet, Journalist und hatte eine vorzügliche Stellung.
– Ich redigiere den politischen Teil der ›Vie française‹, besorge beim ›Salut‹ den Artikel Senat und schreibe ab und zu literarische Feuilletons für den ›Planeten‹. Ja! ja! Ich habe meinen Weg gemacht.
Duroy blickte ihn erstaunt an. Er fand ihn sehr verändert, sehr viel fertiger geworden. Er hatte eine Art und Weise, Haltung und Anzug wie ein Mann in guter Stellung, der seiner selbst sicher ist und war wohlbeleibt wie jemand, der gut zu essen pflegt. Früher war er mager, dürr, gelenkig, ein Leichtfuß, ein Lärm- und Radaumacher, der immer in der Fahrt war. Und ein dreijähriger Aufenthalt in Paris hatte aus ihm einen ganz anderen Menschen gemacht, einen wohlbeleibten, gesetzten Herrn mit einigen grauen Haaren an der Schläfe, obgleich er erst siebenundzwanzig Jahre zählte.
Forestier fragte:
– Wo gehst Du hin?
Duroy antwortete:
– Nirgends. Ich bummle bloß noch einmal herum, ehe ich nach Hause gehe.
– Schön. Weißt Du was, komm’ doch mit zur...
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