Algorithmuskulturen
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Algorithmuskulturen

Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit

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Algorithmuskulturen

Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit

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Hochfrequenzhandel, Google-Ranking, Filterbubble - nur drei aktuelle Beispiele der Wirkmacht von Algorithmen. Der Band versammelt Beiträge, die sich mit dem historischen Auftauchen und der mittlerweile allgegenwärtigen Verbreitung von Algorithmen in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens beschäftigen. Sie nehmen die Wechselbeziehungen algorithmischer und nicht-algorithmischer Akteure und deren Bedeutungen für unseren Alltag und unsere Sozialbeziehungen in den Blick und gehen den Mechanismen nach, mit denen Algorithmen - selbst Produkte eines spezifischen Weltzugangs - die Wirklichkeit rahmen, während sie zugleich die Art und Weise organisieren, wie Menschen über Gesellschaft denken.Die Beiträge beinhalten Fallstudien zu Sozialen Medien, Werbung und Bewertung, aber auch zu mobilen Sicherheitsinfrastrukturen wie z.B. Drohnen.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783732838004

1. Was sind Algorithmuskulturen?

Jonathan Roberge und Robert Seyfert

Die gegenwärtig beobachtbare Ausbreitung von Algorithmen stellt uns vor eine doppelte Herausforderung. Sie stellt sowohl unsere Gesellschaft als auch die Sozialwissenschaften im Speziellen vor die Aufgabe, Algorithmen eingehend zu erforschen und ein Verständnis von deren Ausbreitung zu erlangen. Algorithmen haben ihre Logik in die Struktur aller sozialen Prozesse, Interaktionen und Erfahrungen eingewoben, deren Entfaltung von Rechenleistungen abhängig ist. Sie bevölkern mittlerweile unser gesamtes Alltagsleben, von der selektierenden Informationssortierung der Suchmaschinen und news feeds, der Vorhersage unserer Präferenzen und Wünsche für Onlinehändler, bis hin zur Verschlüsselung von personenbezogenen Informationen auf unseren Kreditkarten und der Berechnung der schnellsten Route in unseren Navigationsgeräten. De facto wächst die Liste der Aufgaben, die Algorithmen erledigen rasant an, so dass kaum mehr ein Bereich unseres Erfahrungsraumes von ihnen unberührt bleibt: Ob es um die Art und Weise geht, wie wir Kriege mittels Raketen und Drohnen führen, oder wie wir unsere Liebesleben mithilfe von Dating Apps navigieren, oder aber wie wir die Wahl unser Kleidung von Wettervorhersagen bestimmen lassen – Algorithmen ermöglichen all dies auf eine Weise, die auf den ersten Blick verlockend simpel erscheint.
Einen ersten Weg sich Algorithmen zu nähern, eröffnet Kowalskis klassisch gewordene Definition: »Algorithmus = Logik+Kontrolle« (Kowalski 1979). Indem Algorithmen sowohl komplexe als auch einfache Sortierverfahren gleichzeitig nutzen, kombinieren sie High-Level-Beschreibungen, eine eingebettet Befehlsstruktur und mathematische Formeln, die in verschiedenen Programmiersprachen verfasst werden können. Ein Geflecht an Problemen kann in einzelne Schritte zerlegt und neu zusammengesetzt werden und so von verschiedenen Algorithmen weiterverarbeitet und prozessiert werden. Die weit über die Mathematik und die Computerwissenschaften hinausreichende Macht und das allgemeine Leistungsvermögen der Algorithmen sind folglich auf deren Vielseitigkeit zurückzuführen. So konstatiert Scott Lash etwa: »eine Gesellschaft ubiquitärer Medien stellt eine Gesellschaft dar, in der Macht zunehmend in den Algorithmen steckt«1 (Lash 2007: 71), eine Vorstellung, die sich auch bei Galloway wiederfindet, wenn er schreibt: »die Macht residiert heutzutage in Netzwerken, Computern, Algorithmen, Informationen und Daten« (Galloway 2012: 92). Und doch ist es geboten, solchen Formulierungen zurückhaltend zu begegnen, denn ihnen wohnt die Tendenz inne, zu schnell kritische Urteile zu fällen. Zwar erfassen solcherlei Formulierungen wichtige Herausforderungen, die mit dem ›Aufstieg der Algorithmen‹ zweifelsohne verbunden sind, allerdings insinuieren sie auch das Moment eines teleologischen bzw. deterministischen, gleichsam ›verführerischen‹ Dramas, wie Ziewitz jüngst warnend einwarf (Ziewitz 2016: 5). Algorithmen stellen aus dieser Perspektive zuvorderst profane, wenngleich tief in unsere Gesellschaftsstruktur eingelassene, Bestandteile dar. Viel eher noch als omnipotente Souveräne gegenwärtiger Gesellschaft, lassen sich Algorithmen als vieldeutig und mitunter auch als äußerst chaotisch charakterisieren. Entscheidend ist dann die Frage, wie und vor allem warum die scheinbare Einfachheit der Algorithmen untrennbar von deren immenser Komplexität ist – Komplexität hier im Sinne der vielseitigen Einsatzfähigkeit der Algorithmen und der Multiplizität ihrer Wirkungen und Wechselbeziehungen. Dies sind nun Fragestellungen epistemologischen, wie auch ontologischen Charakters, die sich nicht nur den Sozialwissenschaften stellen, sondern die Gesellschaft im Allgemeinen betreffen. Der Algorithmus als Sortierverfahren das stets beides ist, ein bekanntes Unbekanntes sowie ein unbekanntes Bekanntes bedarf selbst noch eines sortierenden Zurechtrückens.
Freilich ist diese Einleitung nicht die erste, diejenigen Schwierigkeiten hervorzuheben, die sich beim Versuch der wissenschaftlichen Durchdringung von Algorithmen ergeben. So bezeichnet Seaver die Algorithmen etwa als »knifflige Gegenstände der Erkenntnis« (Seaver 2014: 2) und auch Sandvig verweist auf »die Schwierigkeiten Algorithmen zu erklären« (Sandvig 2015: 1; siehe dazu auch Introna 2016; Barocas et al. 2013). So konzeptuell weitsichtig diese Einwände auch sind, sie schließen derweil keineswegs die Notwendigkeit aus, das Maß dieser Unsichtbarkeit und Unergründbarkeit der Algorithmen zu begreifen. Nur allzu oft wird der Algorithmus als black box heraufbeschworen und darauf verwiesen, dass man es mit ungemein wertvollen und darüber hinaus patentierten Geschäftsgeheimnissen zu tun hat, die von Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook vor firmenfremden Zugriffen geschützt sind. Zahllose Technik-, Wirtschafts-, Rechts- und Politexperten betonen denn auch, dass ihre Enthüllung, d.h. der öffentliche Zugriff auf die Algorithmen, gleichbedeutend mit ihrem Ende wäre (Pasquale 2015). An dieser Stelle beginnt die Sache allerdings schon komplizierter zu werden. Es gibt nicht eine black box, sondern eine Vielzahl an black boxes. Die Undurchsichtigkeit der Algorithmen ist durch eine multiple Opazität gekennzeichnet und die verschiedenen Formen der Opazität ergeben sich aus spezifischen Relationierungen innerhalb einer Fülle von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Wenngleich nur wenige Autoren die Pluralität dieser Opazität betonen (Burrel 2016; Morris 2015), bleibt es ein nicht zu übersehendes Merkmal, dass Algorithmen überhaupt nur in dichten, vielfältigen und durchaus auch spannungsvollen Umwelten existieren können.
Aus dieser inhärent lebhaften, dynamischen und unscharfen Beschaffenheit der Algorithmen erschließt sich auch, warum Algorithmen einen so schwer fassbaren Forschungsgegenstand darstellen. Kitchin drückt das folgendermaßen aus: »die Erzeugung eines Algorithmus entfaltet sich kontextuell über Verfahren wie trial and error, Spiel, Kollaboration und Aushandlung« (Kitchin 2014: 10). Hierbei ist der letztgenannte Begriff der Aushandlung (negotiation) von besonderer Bedeutung, denn er verweist sowohl auf eine Möglichkeitsbedingung als auch auf eine spezifische Problematik der Algorithmen. Auf einer basalen Ebene ließen sich Algorithmen als anthropologisch verwoben mit ihren Nutzern und Herstellern bezeichnen. In anderen Worten: Es besteht eine »konstitutive Verstrickung«, das meint, »es sind nicht nur wir, die wir die Algorithmen erstellen, sie erstellen auch uns« (Introna/Hayes 2011: 108). Nun besteht die Charakteristik einer solchen wechselseitigen Verflechtung gerade darin, dass man Algorithmen nicht gänzlich ›enthüllen‹, sondern nur bis zu einem gewissen Grade ›entpacken‹ kann. Sie sind gewissermaßen zeitlich verwurzelt, sie entstehen nach ihren eigenen Rhythmen, oder um es in Shintaro Miyazakis Worten zu sagen: »sie müssen sich entfalten und verkörpern so Zeit« (Miyazaki, in diesem Band 174). Eine weitere Metapher, die sich in diesem Zusammenhang zur Veranschaulichung anbietet, ist Latours Konzept der Kaskade: Algorithmen bewegen sich auf nicht-linearen Pfaden, befinden sich in stetigem Wandel, sind stetiger Fluktuation und Abweichung ausgesetzt (Latour 1986: 15f.). Diese stetigen Veränderungen machen es entsprechend schwer, mitunter sogar unmöglich, ihnen zu folgen. Was es hier abermals hervorzuheben gilt, ist der praktische, ja ›profane‹ Charakter der Algorithmen: Sie entfalten sich in einem Zustand der ununterbrochenen Aushandlung und befinden sich somit in einem kontinuierlichen Zwischenstadium. Seaver zufolge ist für die Algorithmen gerade kennzeichnend, dass »stetig unzählige Hände in sie hineinreichen, sie justieren, und anpassen, Teile austauschen und mit neuen Arrangements experimentieren (Seaver 2014: 10).
Die vielfältigen Entfaltungsmodi der Algorithmen rufen altbekannte medientheoretische Erkenntnisse in Erinnerung, verändern aber gleichsam deren Vorzeichen. So stellte bereits Weiser fest, dass die am tiefsten greifenden und am nachhaltigsten wirkenden Technologien jene sind, die verschwinden (Weiser 1991: 95). Indes, es steckt durchaus noch mehr dahinter. Wir würden die Gelegenheit gerne dafür nutzen zu unterstreichen, dass die konkreten Entfaltungsmodi der Algorithmen in ihren Formen der Wirksamkeit – in ihrem Tun – diese mit neuen und komplexen Bedeutungsdimensionen versorgen. Es geht hierbei also um Formen der Handlungsträgerschaft (agency) und Performativität, welche die Algorithmen verkörpern. Freilich gibt es mittlerweile schon eine ganze Traditionslinie von Forschern, die sich innerhalb des praxeologischen Paradigmas im weitesten Sinne, den Algorithmen widmen. Zu nennen wären hier Lucas Introna (in diesem Band, 2016, 2011), Adrian Machenzie (2005), David Beer (2013) und Solon Barocas et al. (2013). In gewisser Weise schließen wir hier an, wenn wir Andrew Geoffeys überzeugende Einsicht in Erinnerung rufen, dass »Algorithmen produktiv tätig sind und dass ihrer Syntax eine Befehlsstruktur inhärent ist, die ihnen eben dies ermöglicht.« (Andrew Geoffeys 2008: 17) Eine mindestens ebenso treffend zugespitzte Einsicht liefert Donald MacKenzie, wenn er feststellt, dass es sich bei einem Algorithmus um eine Maschine und nicht um eine Kamera handelt (MacKenzie 2006). Nun ließe sich viel zu diesem Ansatz sagen, und es wird noch wichtig sein, zur rechten Zeit auf ihn zurückzukommen. An dieser Stelle genügt es zunächst festzuhalten, dass die Handlungsträgerschaft der Algorithmen, als etwas völlig anderes begriffen werden muss, als es der Begriff der ›Handlung‹ insinuiert, insofern dieser Unilinearität und Zielgerichtetheit impliziert. Es verhält sich gerade gegenteilig: Die Form der Handlungsträgerschaft der Algorithmen lässt sich am treffendsten als eine fraktale beschreiben. Eine Handlungsträgerschaft also, die zahlreiche Outputs aus multiplen Inputs produziert (Introna 2016: 24). Was sich in Bezug auf Algorithmen unter dem Begriff der ›Kontrolle‹ fassen lässt, ist tatsächlich sehr beschränkt – vor, während und nach dem Operieren eines Algorithmus' ist einfach zu viel vorausgesetzt und involviert. So muss man den eingangs angeführten temporalen und anthropologischen Verwobenheiten (entrenchments) der Algorithmen noch den Begriff der Selbstverankerung (selfentrenchment) anfügen, um ersichtlich zu machen, dass ein Algorithmus mit zahlreichen anderen Algorithmen in undurchsichtigen und verschlungenen Netzwerken verflochten ist. Menschliche wie nicht-menschliche Einflussfaktoren sind entscheidend und können nur allzu leicht zu Fehlanpassungen, unvorhersehbaren Ergebnissen und, wie wir später noch sehen werden, zum dramatischen Scheitern der Algorithmen führen. Es scheint fast so, als realisierten sich Algorithmen durch eben die Möglichkeit ›lost in translation‹ zu sein. Das gilt nicht nur hinsichtlich ihrer Relationierung mit Maschinen, Codes, und vielleicht sogar mehr noch für deren Relationierungen auf der Ebene der Diskurse. Dieser Zwischenstatus kennzeichnet die gesamte Anwendbarkeit und Performativität, welche Algorithmen definieren. Algorithmen sind performativ per definitionem und performativ sein bedeutet, unter allen Umständen heterogen zu sein (Kitchin 2014: 14f.; Seaver 2014). Jene verworrenen Entfaltungen der Algorithmen richtig und sorgfältig zu entziffern, stellt für die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Kultursoziologie im Besonderen eine dringende Herausforderung dar. Um nur einige der sich aufdrängenden Fragen zu nennen: Was passiert mit Algorithmen, sobald sie zu einem gesonderten Gegenstand der Forschung gemacht werden? Und wie sollten oder müssen wir uns darauf einstellen? Inwiefern müssen oder sollten wir unsere heuristischen Instrumente anpassen, welche Grade der Präzision, welche Schwerpunktwechsel anpeilen?
Es ist nun der richtige Moment, den Forschungsstand zu Algorithmen in den sogenannten ›weichen Wissenschaften‹ zu taxieren und dabei beides, Schwächen wie Vorzüge zu analysieren. In der Tat hat die Forschung zu Algorithmen bereits einen gewissen Reifegrad erreicht, und das obwohl sie erst seit kurzer Zeit in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften aufgetaucht ist. Gegenwärtig gibt es einige vielversprechende Strömungen, die allerdings quer zueinander fließen und eher koexistieren, als sich wechselseitig zu befruchten. Erstens wären hier Autoren zu nennen, die eine Art von ›Inselbegrifflichkeit‹ bilden: »algorithmic turn« (Uricchio 2011), »algorithmische Ideologie« (Mager 2012), »algorithmische Identität« (Cheney-Lippold 2011), »algorithmisches Leben« (Amoor/Piotukh 2016) wären hier unter anderen zu nennen. Es finden sich auch schon nennenswerte Bestrebungen zu einer »Soziologie der Algorithmen«, die aus den Feldern der STS und der Social Studies of Finance hervorgegangen sind (MacKenzie 2015, Wansleben 2012). Ebenso lassen sich erste Gehversuche der Critical Algorithm Studies beobachten (The Social Media Collective 2015). Zudem ließen sich in den letzten Jahren einige wichtige Konferenzen zum Thema in Nordamerika und Europa registrieren: ›Governing Algorithms‹ (Barocas et al. 2013), sowie diejenige, die zu diesem Buchprojekt geführt hat, seien hier erwähnt (Ruhe 2014). All jene unterschiedlichen Ansätze der letzten Jahre haben richtungsweisende epistemologische Fragen aufgeworfen. Diese betreffen nicht zuletzt den angemessenen Umfang, den man der Forschung zu Algorithmen beimessen sollte, sondern auch die Frage nach der richtigen Distanz zum Gegenstand der algorithmischen Kultur steht im Raum und betrifft mithin das adäquate Maß an kritischer Reflexion des Forscherstandpunktes. Eine weitere virulente Problemlage betrifft das gegebene Risiko in die »Falle des Neuen« zu tappen, oder anders formuliert: Die Frage steht im Raum, ob es sich bei den Algorithmen nicht ›nur‹ um eines jener ausschließlich von der eigenen Adoleszenz zehrenden »heißen Themen« handelt (Beer 2003: 6f.; Savage 2007).
Konzeptionelle Innovation im Lichte dieser Frage- und Problemstellungen müsste folglich bedeuten, auch auf etablierte und bereits bewehrte Heuristiken zurückzugreifen und auf diesen aufzubauen. Wir möchten diese Einführung daher auch dafür nutzen, eine klassische Intervention Alexander R. Galloways zu überdenken und zu modifizieren: Galloway hatte unsere Kultur bekanntlich als eine Kultur des Algorithmus gedeutet (Galloway 2006). Die Idee, unsere Kultur als eine algorithmische zu charakterisieren steht dabei durchaus mit den umfassenderen und etablierten kultursoziologischen Bemühungen im Einklang, ›Bedeutung ernst zu nehmen‹. Was heißt das? Es geht darum, Bedeutung nicht als ein Produkt immaterieller, frei flottierender Signifikationsprozesse zu bestimmen, sondern als etwas tief in der Wirklichkeit verwurzeltes und mit Handlungsträgerschaft und Performativität eng verwobenes zu verstehen. In der Tat, eine Kultursoziologie der Algorithmen ist nur möglich, insofern Algorithmen sowohl als bedeutsam als auch als performativ begriffen werden – Algorithmen sind bedeutsam, weil sie performativ sind und vice versa. Die zuvor angeführten Perspektiven sind zweifelsohne beachtenswerte Beiträge, unserer Auffassung nach generieren sie jedoch eher das Desiderat nach einer dichteren, tiefer schürfenden und komplexeren Analyse der Algorithmuskulturen, als dass sie eine solche überflüssig machen würden. Im Titel des Bandes klingt es ja schon an: Wir wollen die Möglichkeit einer Algorithmuskultur adressieren, nich...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Kapitel 1 Was sind Algorithmuskulturen?
  6. Kapitel 2 Die algorithmische Choreographie des beeindruckbaren Subjekts
  7. Kapitel 3 #trendingistrending - Wenn Algorithmen zu Kultur werden
  8. Kapitel 4 Die Online-Stimmen von Verbrauchern in Form bringen - Algorithmischer Apparat oder Bewer tungskultur?
  9. Kapitel 5 Den Algorithmus dekonstruieren - Vier Typen digitaler Informationsberechnung
  10. Kapitel 6 ›Ver-rückt‹ durch einen Algorithmus - Immersive Audio: Mediation und Hörbeziehungen
  11. Kapitel 7 Algorhythmische Ökosysteme - Neoliberale Kopplungen und ihre Pathogenese von 1960 bis heute
  12. Kapitel 8 Drohnen: zur Materialisierung von Algorithmen
  13. Kapitel 9 Social Bots als algorithmische Piraten und als Boten einer techno-environmentalen Handlungskraft
  14. Autoren
  15. Danksagung