Kirche und Krisen
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Kirche und Krisen

Theologische Perspektiven auf Inhalt und Form

  1. 117 Seiten
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Kirche und Krisen

Theologische Perspektiven auf Inhalt und Form

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Die Reformation erscheint heute vorrangig als mediales Ereignis: ohne Buchdruck, Bibelübersetzung und Kirchenlied keine Botschaft. In unserer modernen Welt verlangt jeder Inhalt so sehr nach einer passenden, wirksamen Form, dass die Form das Wesentliche zu werden droht und der Inhalt nachrangig. Was bedeutet das für die Theologie, deren Gegenstand per Definition keine Gestalt und keine Form hat? Ihre Denkweisen bieten Anregungen, um die "Formalismuskrise" nicht nur der Theologie zu überwinden. Dazu bedient sich der Theologe und Pfarrer Lukas Ohly auch interdisziplinärer Theorien von Denkern wie Charles S. Peirce oder Ludwig Wittgenstein. Am Beispiel der Flüchtlingskrise 2015 und digitaler kirchlicher Angebote während der Corona-Krise 2020 zeigt er, wie wir Dingen auf den Grund gehen, Sachverhalte verstehen und Sinn finden können.

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Information

1 Der Formalismus in der Theologie: Präzisierungen zu einem aktuellen Denktyp

1.1 Mit Denkformen Inhalten aus dem Weg gehen

Kein Zweifel, dass Denkformen Formen sind. Aber bestimmt damit die Form den Inhalt? Könnte es also sein, dass Inhalte nur in bestimmten Formen dargestellt werden können, ansonsten verlieren sie sich? Oder können bestimmte Inhalte überhaupt erst ihre eigene Form hervorbringen? Aber wenn es so wäre, wären sie dann nicht auch unmittelbar an die Form gebunden?
Anselm von Canterbury hat im 11. Jahrhundert den ontologischen Gottesbeweis formuliert. Er besteht darin, dass man Gottes Existenz aus dem Gedachtsein ableitet. Wer Gott denkt, muss ihn so denken, dass Gott nicht nur gedacht sein kann. Dieser originelle Gedanke wurde seitdem seiner Form nach immer wieder verwendet, auch um damit die Existenz von anderem zu beweisen. Der ontologische Beweis wurde zu einer Form, die andere Inhalte aufnehmen konnte. Sartre etwa hat mit diesem Verfahren die Existenz einer Außenwelt außerhalb der Ideen nachgewiesen. Auch dass es neben mir noch anderes Bewusstsein gibt, ließ sich für Sartre mit dieser Form beweisen.1 Doch dazu musste Anselm seinen Gottesbeweis zunächst einmal inhaltlich durchdrungen haben.
Vermutlich hat Anselm dazu auf andere Formen zurückgegriffen, etwa auf die Gebetsform, in der er seinen Beweis entfaltet. Doch soll das heißen, dass Inhalte letztlich nie ohne eine ihr vorausliegende Form entwickelt werden können? Das würde heißen, dass die Form des ontologischen Gottesbeweises im Grunde schon in der Gebetsform angelegt gewesen war. Wirklich Neues ist dann nicht zu erwarten, sondern nur die Entwicklung der Potenziale alter Formen. Umgekehrt heißt das, dass Neuheiten nur unabgeleitet auftreten können. Neuheit ist Schöpfung aus dem Nichts, oder sie ist keine Neuheit. Ihre Unableitbarkeit liegt nicht darin, dass sie sich nicht über vorhandene Formen stülpt, sondern dass sie nicht als Form auftritt.
Wer über das Verhältnis von Form und Inhalt nachdenkt, muss dazu bereits selbst Inhalte denken und sie in eine Form bringen. Dennoch denkt er über etwas nach, was nicht selbst Form oder Inhalt ist. Das Verhältnis zwischen Form und Inhalt liegt vielmehr zwischen beiden. Das ist einerseits so originell nicht: Der Gedanke über einen Dinosaurier ist nicht selbst ein Dinosaurier. Andererseits handelt es sich beim Nachdenken über Form und Inhalt ja um eine Selbstanwendung von Form und Inhalt. Irgendwie wird der Gedanke doch zum Dinosaurier, wenn Form und Inhalt Dinosaurier sind. Aber selbst dann ist ihr Verhältnis keiner. Oder in der Sache gesprochen: Zwar hat der Gedanke zum Verhältnis von Inhalt und Form selbst einen Inhalt und eine Form. Aber wenn das Verhältnis zwischen ihnen liegt, wird hier etwas gedacht, was selbst über Inhalt und Form liegt.
In der Logik versucht man solche paradoxen Gedanken so zu lösen, dass man sie auf verschiedene Stufen stellt: Inhalte über Inhalte sind dann Inhalte zweiter Ordnung. Es könnte aber auch sein, dass das Verhältnis zwischen Form und Inhalt nicht einmal Inhalt oder Form höherer Ordnung ist, sondern nichts von beidem, sondern Neuheit: Ein Verhältnis, das nicht fest besteht, sondern sich frei bildet. Ich möchte in diesem Kapitel zeigen, dass es sich so mit Form und Inhalt verhält.
Die Reflexion über Neuheiten gehört theologisch in die Lehre von der Schöpfung. Auf die Theologie selbst angewandt, ist Schöpfungslehre kein festes Fundament, weder für die Rede von Gott noch von der Welt. Theologische Rede ist daher selbst kreativ. Sie kann sich nicht auf feste Formen verlassen. Vielmehr müssen theologische Denkformen sich selbst übersteigen können. Und sie müssen ihre Inhalte in andere Formen bringen können.
In der gegenwärtigen Theologie hört man oft davon, dass sich Form und Inhalt zu entsprechen hätten. Bisweilen wird sogar von einer „Kongruenz von Form und Inhalt“ gesprochen. Dahinter liegt eine Vorentscheidung über eine andere Verhältnisbestimmung von Form und Inhalt, als sie mir vorschwebt. Diese Vorentscheidung besteht darin, die Verhältnisbestimmung als Dominanz fester Formen vorzunehmen. Ich spreche deshalb von einer Vor-Entscheidung, weil dieser Formalismus, wie ich diese Dominanz der Form in diesem Büchlein nenne, seine Selbstanwendung nicht überprüft hat. Er hat nicht geklärt, ob neue Denkformen auf alten Denkformen beruhen. Und er hat keine Antwort auf die Frage gegeben, ob das Verhältnis zwischen Form und Inhalt selbst eine Form ist.
Holt man diese Selbstaufklärung nach, ergibt sich eine andere Theologie, als sie von den gegenwärtigen Protagonisten des Formalismus vertreten wird. In diesem Kapitel werde ich theologische Konzepte eines sich revidierenden Formalismus vorstellen, der Neuheiten mitdenken kann. Damit wird der Formalismus zu einer typisch theologischen Denkfigur. Der gegenwärtige Formalismus mag sich zwar auf außertheologische Einsichten anderer Geisteswissenschaften berufen. Sobald er aber auf sich selbst angewendet wird, treten grundsätzliche Erwägungen auf, die eine schöpfungstheologische Dimension eröffnen.
Dazu möchte ich in diesem Kapitel die „Kongruenzthese“ zwischen Form und Inhalt in Frage stellen. Ich stelle also meine Einwände gegen die These vor, dass zwischen Form und Inhalt eine Kongruenz besteht. Die These kann trivialer gemeint sein als sie klingt. Sie kann meinen, dass die Form immer dem Inhalt entspricht, der ausgedrückt wird, dass es also nie formlose Inhalte gibt. Es kann aber auch im nicht-trivialen Sinn gemeint sein, dass ein Inhalt ein anderer wird, wenn er in einer „unpassenden“ Form auftritt. Tatsächlich scheint diese nicht-triviale These hinter den Bemühungen insbesondere der Praktischen Theologie zu stehen, die angemessenen Formen theologischer Inhalte zu finden.
Zunächst möchte ich die Grenzen des Formalismus aufzeigen. In einem nächsten Schritt rekonstruiere ich die schöpfungstheologischen Quellen des Formalismus, aus dem sich ein flexibleres Verhältnis von Form und Inhalt ergibt.

1.2 Die interdisziplinäre Herleitung des Formalismus

Der Form-Inhalt-Zusammenhang wird interdisziplinär gestützt: Semiotisch gibt es keine Inhalte „an sich“, die erst sekundär an bestimmte Ausdrucksformen geknüpft würden. Vielmehr sind Inhalte immer schon an Ausdrucksformen gebunden. Zwar lasse sich Neues ausdrücken, aber nur, weil der dafür herangezogene Ausdruck selbst eine Form habe.1 Dieser Formalismus dürfte weitgehend der trivialen Variante entsprechen: Es gibt keine formlosen Inhalte. Insofern bestimmt die Form den Inhalt, was aber nicht heißt, dass derselbe Inhalt nicht auch in einer anderen Form ausgedrückt werden könnte.
Auch die Ästhetik „macht uns darauf aufmerksam, dass Inhalte immer nur in einer bestimmten Form für uns zugänglich sind. Das Was ist immer mit dem Wie verknüpft. Deshalb ist die Ästhetik falsch verstanden, wenn man sie – wie es nicht selten geschieht – auf Äußerlichkeiten, Stilfragen und formale Aspekte reduziert. Die Ästhetik ist vielmehr eine durch und durch inhaltsorientierte Wissenschaft.“2 In diesem Sinne wird dann sogar von einer „Kongruenz“3 von Form und Inhalt gesprochen. Hierbei handelt es sich um die eigentliche Kongruenzthese im nicht-trivialen Sinn: Wenn Inhalt und Form kongruent sind, folgt nämlich, dass eine Veränderung der Form unmittelbar zu einem anderen Inhalt führt. Ich werde im nächsten Schritt zeigen, dass diese These so konzipiert ist, dass sie sich nicht begründen lässt. Das kann man aber bereits an der geometrischen Metaphorik der Kongruenz erkennen: Das Verhältnis von Form und Inhalt liegt zwischen beiden und besteht dann – im Bild – in der Flächendimension, in der die beiden aufeinanderliegen. Die Kongruenz zeigt sich also in diesem Dritten. Solange aber nicht geklärt ist, was dieses Dritte ist, lässt sich die Kongruenzthese nicht begründen. Ist sie Inhalt2 oder Form2 oder eine Neuheit, wie ich das Verhältnis bestimmen möchte?
Was passiert aber, wenn der Formalismus keine solche dritte Dimension annimmt? Durch den Prozess reiner Selbstreferenz wird nämlich die Flächendimension eingespart. Dadurch wird die Form die „Fläche“ für den Inhalt und der Inhalt die „Fläche“ für die Form. Das führt dazu, dass Form und Inhalt äquivoke Begriffe werden: Sie sind zum einen die Flächendimension, in der das jeweils andere gelegt wird, als auch die Form, die mit der anderen übereinstimmt. Diese Äquivozität beruht auf der reinen Selbstreferenz der formalistischen Begründungsfigur: Wenn Form und Inhalt kongruent sind, weil sie füreinander als passende Dimension definiert werden, kann Beliebiges passend gemacht werden.
Die biblische Auslegung (Exegese) hat in ihren Methodenkanon im 20. Jahrhundert die Formgeschichte aufgenommen. Ihr liegt die Beobachtung zugrunde, dass in der Entstehungszeit biblischer Texte individuelle Einsichten durch die Formen der jeweiligen Gattungen stark begrenzt worden sind. Von „gattungsmäßiger Gebundenheit alt- und neutestamentlicher Texte“4 wird gesprochen. Das Ziel der Formgeschichte besteht zwar darin, den individuellen Anteil in einem Schriftwerk rekonstruieren zu können. Allerdings heißt das gerade nicht, dass sich der individuelle Anteil sozusagen „freischwebend“ auf die Gattungen legt. Mit der Disziplin der Formgeschichte wird der Inhalt nicht einem Individuum zugesprochen, während die Gattung die Form bildet. Vielmehr ist mit „gattungsmäßiger Gebundenheit“ auch eine Gebundenheit der Inhalte an die Form gemeint.
Aber auch wenn man Jesus als einen individuell ausgezeichneten Geschichtenerzähler stilisiert, hält man am Formalismus fest. Die neutestamentliche Gleichnisforschung behauptet dann, dass die Form des Gleichnisses nicht willkürlich bestimmt worden ist, sondern sich ihr Inhalt nur so entfalten kann. Die individuelle Gleichniserzählung (Parabel) hat eine typische Form, die sich nicht in einer Aussage zusammenfassen lässt. Form und Inhalt finden hier zu einem Verhältnis in einem Dritten, nämlich in „strukturellen Gegebenheiten5.
Was für die Parabel im Besonderen gilt, gilt im Allgemeinen für die „Gleichnisstruktur“ der theologisch repräsentierten Wirklichkeit: Die „besondere Leistung des frühen Christentums besteht offensichtlich darin, diese Gleichnisstruktur gerade bezogen auf Jesu Tod und im Namen des Osterglaubens auf den Gesamtkomplex des Lebens Jesu übertragen zu haben.“6
Die Beobachtungen der Gleichnisforschung werden metapherntheoretisch verallgemeinert: Metaphern werden nicht als stilistische Verzierungen verwendet und stellen auch keine Behauptungen auf, die sich verifizieren ließen. Vielmehr bilden sie neue Sinnhorizonte, um den Realitätsbezug überhaupt erst erschließbar zu machen. Sie werden daher dazu verwendet, neue Entdeckungen auf der Ebene des Sinns zu erschließen. Theologisch ist die Metapher daher diejenige Sprachform, das eschatologisch Neue in der Sprache des alten Menschen auszudrücken.7 Form und Inhalt müssen sich aus theologischen Gründen entsprechen.
Diese unterschiedlichen Quellen führen nicht geradlinig zu dem einem Modell von Formalismus. Allerdings haben sie eine starke Suggestivkraft, Inhalte an ihren Formen zu bemessen. Anstatt den Inhalt an der Sache zu überprüfen, die er meint, wird er vielmehr an der Form überprüft. Dabei wird die Aufmerksamkeit von der Wahrheitsüberprüfung auf das kommunikative Gelingen einer inhaltlichen Botschaft verlagert. Denn wenn der Inhalt an die jeweilige Sprachform gebunden ist, wäre bereits die Wahrheitsüberprüfung des Inhalts an der gemeinten Sache eine formelle Überschreitung des Inhalts. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn der Inhalt mit der Sache strukturell übereinstimmt, wenn es also eine Form höherer Ordnung gibt, die die Übereinstimmung sicherstellt.
Es ist zwar zuzugestehen, dass ein wahrheitsfähiger Satz in der Ausdrucksform von Aussagen behauptet werden muss. Daraus folgt aber nicht, dass die Wahrheitsbedingungen wechseln, wenn die Aussage in Form einer Predigt oder eines Referats in universitären Seminaren geäußert wird.
Man beachte, dass der Formbegriff mehrdeutig gebraucht wird. Er bezeichnet zum einen den Ausdruck als Dimension, in der ein bestimmter Inhalt repräsentiert werden kann, zum anderen aber auch die Ausdrucksweise in (Sprach-)Stilen innerhalb dieser Dimension. Werden beide Formbegriffe nicht unterschieden, stellen sich Missverständnisse ein, bis dahin dass der Stil die Inhalte determiniere oder ein bestimmter Inhalt eine bestimmte Form erfordert und ansonsten gar nicht gedacht werden könne.
Warum der Formalismus schon logisch scheitert
Ist also die Form selbst der Inhalt? Dann gibt es keinen Inhalt, den sie vermittelt. Das klingt nach einer bloßen und unbegründeten Setzung. Und das muss auch so sein, denn wie soll sich ein bestimmter Inhalt anders identifizieren lassen als über die Form? Nehmen wir an, ich möchte einer Frau meine Liebe bekennen. Dann kann ich ihr der Voraussetzung nach meine Liebe nicht mitteilen. Würde ich ihr nämlich meine Liebe bloß mitteilen, würde...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Für Emilia
  6. Einleitung
  7. 1 Der Formalismus in der Theologie: Präzisierungen zu einem aktuellen Denktyp
  8. 2 Die Flüchtlingskrise und der Formalismus in der Protestantischen Ethik
  9. 3 Digitalisierung und Corona-Krise. Wozu die Kirchen jetzt da sind
  10. Literaturverzeichnis
  11. Anmerkungen
  12. Anmerkungen