Jenseits von Corona
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Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft

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Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft

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Über dieses Buch

Die Corona-Pandemie hat unser aller Leben einschneidend verändert. Wir sind Zeugen eines multiplen Systemschocks - Schwächen und Verwundbarkeiten wurden auf vielen Ebenen bloßgelegt.Was bleibt von der Krise und ihren tief greifenden Veränderungen? Stellt sie eine Zeitenwende dar oder ist sie nur eine Delle in langfristigen Trendlinien? Wie wird Corona unsere Lebenswelten in Familie, Arbeit, Schule, Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft dauerhaft verändern?Auf diese Fragen geben 32 renommierte Wissenschaftler*innen aus allen Bereichen Antworten, pointiert und kenntnisreich. Diese schlaglichtartigen Kurzanalysen fügen sich zu einem Kaleidoskop und geben den Blick frei auf die Welt nach Corona.Mit Beiträgen von Nadia Al-Bagdadi, Michael Butter, Eva von Contzen und Julika Griem, Lars P. Feld, Bernd Fitzenberger, Gerd Folkers, Ute Frevert, Bärbel Friedrich, Markus Gabriel, Lisa Herzog, Bert Hofman, Vera King, Kai von Klitzing, Sybille Krämer, Wilhelm Krull, Jörn Leonhard, Karl-Heinz Leven, Birgit Meyer, Herfried und Marina Münkler, Jürgen Osterhammel, Bettina Pfleiderer, Shalini Randeria, Jürgen Rüland, Carl-Eduard Scheidt, Günther G. Schulze, Gert Scobel, Magnus Striet, Dieter Thomä, Andreas Voßkuhle sowie Dorothea Wagner.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783732855179

Die Weltordnung nach Corona

(Post-)Corona im Weltmaßstab

Jürgen Osterhammel
Das gesamte epistemische Geflecht, das sich über die endlos komplexe Corona-Krise gelegt hat, ist von Prognosen durchdrungen. Trotz der Unberechenbarkeit des Sars-CoV-2-Virus müssen Epidemiologen, Medizinstatistiker, Ökonomen und Soziologen Vorhersagen und formale Modellierungen wagen (Kucharski 2020). Die Öffentlichkeit und die Politik erwarten es von ihnen und lernen allmählich, die Wissenschaft nicht mit dem Drängen nach letztgültigen Wahrheiten zu überfordern.
Historiker*innen haben derlei seriöse Prognostik nicht anzubieten, denn Geschichtsforschung als Wissenschaft besitzt keine Instrumente, um die Zukunft zu befragen. Dies schließt nicht aus, dass einsichtsvolle Geister freihändig und »aus dem Bauch heraus« kluge Dinge über das Ungeschehene sagen können, also statt der unmöglichen Prognose die nicht durch Methodik eingeschränkte Prophetie wagen. Man sollte ihnen nur nicht zu viel Vertrauen schenken. Selbst der Weltmeister historisch informierter Zukunftsschau, Yuval Noah Harari, hat in seinen Bestsellern alles Mögliche vorhergesagt, nur keine weltweite Gesundheitskrise. Die Stunde der Historie wird erst wieder schlagen, wenn die Pandemie nicht länger ein moving target ist.
Unter diesem Vorbehalt möchte ich in meinem Diskussionsbeitrag zweierlei versuchen: Zuerst ziehe ich als ein »Globalhistoriker«, der nicht auf das Medizinische spezialisiert ist, einige in die Zukunft gerichtete Schlussfolgerungen aus der seuchengeschichtlichen Forschung. Sodann blicke ich kurz auf einen Bereich, der in der deutschen Diskussion neben innenpolitischen Themen zu kurz zu kommen droht: die Weltpolitik.

Globale Pandemiegeschichte: Fünf Schlussfolgerungen

Erstens. Seuchen gehören zur historischen Normalität (Winkle 2005, Fangerau und Labisch 2020). Weil nur wenige Infektionskrankheiten ausgerottet – etwa die Pocken 1980 – oder in ihrer Wirksamkeit radikal beschränkt wurden, weil auch immer wieder neue Bakterien und Viren auftreten können (HIV-AIDS war die sichtbarste Warnung), war es eine Illusion zu glauben, die Menschheit habe diese Bedrohung hinter sich gelassen. Obwohl die Zerstörungskraft der Spanischen Grippe von 1918/19 nicht wieder erreicht wurde, war das 20. Jahrhundert »a pandemic century« (Honigsbaum 2019). 2002/03 lief die ebenfalls von einem Corona-Virus ausgelöste SARS-Pandemie wie eine Generalprobe für 2020 ab. Da sie nur etwa 750 Todesopfer forderte, wurde sie nicht zum weltweit gehörten Weckruf. Experten warnten vergeblich, SARS könne sich in größtem Maßstab wiederholen. Nicht nur disaster movies und dystopische Romane malten den Teufel an die Wand. Auch nach dem »Ende« der gegenwärtigen Pandemie, wird die Bedrohung bleiben, vermutlich weniger aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt als die Spanische Grippe nach ihrem Auslaufen 1920 (Bristow 2012: 155-90).
Zweitens. Wenn ein Erreger leicht von einem Organismus auf den anderen überspringt, dann nutzt er die fortgeschrittene Logistik seiner Epoche. Ob von Tier oder Mensch übertragen, ob zu Fuß, per Pferd, auf Schiffen, in Eisenbahnen oder im Luftverkehr unterwegs: Die Reichweite und das Tempo der Verbreitung bemessen sich an der jeweils avanciertesten Transporttechnologie (Peckham 2016: 44-94). Daher bleibt das Fliegen ein pandemieförderndes Grundrisiko unserer Zeit. Heute reisen Nachrichten über eine Krankheit schneller als diese selbst; auch überholt ein Computer-»Virus« jeden seiner biologischen Kollegen. Das ändert nichts an der logistischen Grundregel und an der schwer einzudämmenden Gefährlichkeit des Luftverkehrs. Versteht man Globalisierung nicht als einen homogenen Gesamtprozess, sondern als eine Schichtung verschiedener Globalisierungen, die jeweils ihrer eigenen Logik folgen (Osterhammel 2011), dann hat durch die Corona-Pandemie die Globalisierung menschlicher Mobilität einen besonders heftigen Rückschlag erlitten, während etwa die Globalisierungsebene der Finanzverflechtung viel weniger und die kommunikative Globalisierung per Internet gar nicht betroffen ist. Die stetige Zunahme physischer Mobilität ist ein unbefragter Glaubenssatz der Luftfahrtindustrie, der Globalisierungsforschung und des Alltagsbewusstseins von Zigmillionen von Reisenden gewesen. Dieses Axiom wird für die nähere Zukunft in Frage stehen.
Drittens. Bereits die fünf Cholera-Pandemien zwischen 1817 und 1896 oder die »Russische Grippe« von 1889-90, die etwa eine Million Todesopfer forderte, waren großräumige oder gar globale Ereignisse; schon der Schwarze Tod von 1346-53 hatte ganz Eurasien zwischen Spanien und China sowie Nordafrika erfasst. Die Reaktionen auf die realen Katastrophen waren jedoch zwangsläufig stets von geringerer Globalität als die Herausforderungen selbst. Zwar war schon im 17. und 18. Jahrhundert die Pest ein wichtiges Thema europäischer Diplomatie und ein Gegenstand zwischenstaatlicher Regelungen gewesen (Harrison 2012: 25-49), zwar führte jede spätere Pandemie zu einem Schub internationaler medizinischer und hygienepolitischer Zusammenarbeit, doch ist es trotz der Initiativen des Völkerbundes ab 1919 und der UNO ab 1945 nie zu einer global institutionalisierten Pandemieprävention gekommen. Die WHO war ein wichtiger Anfang, hat aber in den letzten Jahrzehnten an Einfluss verloren, weil sie nicht genug Unterstützung bei den großen Staaten des Globalen Nordens fand. Gegenwärtig ist das Bild noch unübersichtlich: schneller internationaler Datenaustausch, enge wissenschaftliche Kooperation und punktuell auch grenzüberschreitende Hilfe auf der einen Seite, Angriffe auf die WHO und Tendenzen zur nationalen Monopolisierung medizinischer Ressourcen auf der anderen. In der Zukunft wird es neue Initiativen zur verbesserten globalen Seuchenabwehr geben. Ihr Erfolg ist freilich ungewiss, solange sich nicht alle Länder (auch China) zu größtmöglicher Informationstransparenz verpflichten.
Viertens. Den unmittelbar Betroffenen kann es gleichgültig sein, ob die Epidemie, in die sie hineingeraten sind, sich gleichzeitig auch an vielen anderen Orten auf der Welt abspielt. »Pandemie« ist daher ein abstraktes Konstrukt, das wir heute erstmals in den globalen Statistiken, Diagrammen und Karten der WHO und der Johns Hopkins University wahrnehmen. Lokale Gemeinschaften entwickeln ihre eigenen Abwehrreflexe und Bewältigungsstrategien. Ein archaischer und bis heute ungebrochener Reaktionstopos ist es, zugereiste »Fremde« als Quelle des Übels zu verdächtigen. In der deutschen Sprache gibt es dafür das bildkräftige Wort »einschleppen«. Die Geschichte der Seuchen ist begleitet von einem Kosmos an Ängsten und Schuldzuschreibungen. Hier reicht das Spektrum von der persönlichen Sorge um die eigene Gesundheit bis zu detailliert ausgemaltem Verschwörungswahn (Alcabes 2009). Vorhersehen lässt sich, dass in den unterschiedlichsten kulturellen Zusammenhängen das individuelle wie kollektive Imaginäre noch stärker als bisher von Furcht, Abwehr, Distanzierung und Schutzbedürfnissen durchdrungen sein wird. Die drei Grundängste des 21. Jahrhunderts sind ab 2020 die vor Ansteckung, Verarmung und physischer Gewalt. Die Angst vor dem Verlust von politischer Freiheit und individueller Selbstbestimmung könnte im Vergleich dazu in den Hintergrund treten.
Fünftens. Die Strategien des individuellen Schutzes und der obrigkeitlichen Seuchenbekämpfung stammen bis heute aus einem lange erprobten Werkzeugkasten: Abriegelung der Gemeinschaft, Selbstisolierung und Flucht, Fremdisolierung von Menschen durch spontanes Vertreiben oder Einsperren und vor allem durch staatlich verordnete Quarantäne, wie sie in Europa seit dem 15. Jahrhundert praktiziert worden ist (Bashford 2016). Solche Maßnahmen wurden von modernen politischen Ordnungen aller Art übernommen. Im Jahre 2020 unterscheiden sich Demokratien wie Italien oder Taiwan und autoritäre Systeme wie die VR China nur durch die Härte und Konsequenz, mit der Quarantänen und Lockdowns durchgesetzt werden, die es (fast) überall gibt.
Die gegenwärtige Seuchenbekämpfung kombiniert archaische Instrumente wie die Quarantäne mit neuesten technischen Möglichkeiten, etwa massenhaften Tests und der Nachverfolgung per Smartphone. Asiatische politische Systeme, darunter durchaus auch eine Demokratie wie Südkorea, haben diese Elemente enger zusammengeschlossen als europäische Staaten. Ganze Bevölkerungsgruppen werden durchgetestet, Tracking ist personalisiert und nicht anonym, und im Verdachtsfall führt ein direkter Weg in strengste Absonderung. Im Verbund von Staatsapparaten, IT-Konzernen, Pharmaindustrie und Wissenschaft ist weltweit etwas im Entstehen, das man den »medizinisch-sekuritären Komplex« nennen könnte.

Die Corona-Pandemie im globalen Krisenkontext

So weit einige Extrapolationen aus der medizingeschichtlichen Literatur: nicht allzu dramatische Aussagen, die man einigermaßen guten Gewissens treffen kann. Die Corona-Pandemie – das wäre die wichtigste Lehre – ist nicht der historisch beispiellose Schock, als der sie im ersten Erschrecken über volle Kliniken, leere Innenstädte, verwaiste Schulen und geparkte Flugzeuge bezeichnet wurde. Man hat sie auch schon mit den Weltkriegen verglichen und 2020 zu einem Epochenbruch von der Tiefe des Jahres 1945 erklärt. Das ist verständlich. Es lässt sich Menschen, die ihre Zeit nicht länger in Hörsälen, Tagungszentren und Redaktionen verbringen, sondern zuhause in Videokonferenzen, nicht verdenken, dass sie den endgültigen Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter proklamieren. Und Historiker*innen schaudert es, wenn sie an die politischen Folgen der vergleichbaren Weltwirtschaftskrise von 1929-1936 denken. Wenn die Great Depression eine Epochenzäsur markiert, dann in Analogie vielleicht auch die ökonomische Krise von 2020ff.? Wir werden es bald wissen.
Gegenwärtig erlebt meine Generation, die sich seit den 1960er Jahren für das Weltgeschehen interessiert hat, nach der Dekolonisation, dem Zusammenbruch des Sowjetblocks, dem Aufstieg des Internet zur bestimmenden Lebensmacht und dem Wiedererstarken Chinas nun den fünften Makroprozess von globaler Reichweite und welthistorischer Bedeutung. Wir alle stecken in einem gigantischen Experiment, das man dennoch als Sozialwissenschaftler mit einer gewissen Beobachterdistanz betrachten kann. Solche coolness hat jedoch ihre Grenzen, denn zugleich erschrickt man vor den möglichen Konsequenzen, die sich gerade erst abzuzeichnen beginnen, vor allem dann, wenn man die Pandemie – als wäre sie nicht groß genug – in ein größeres Gesamtbild einzuordnen versucht.
Es gibt Globalenthusiasten, die jetzt die reife Globalität ausgebrochen sehen. Nie waren wir, so heißt es, globaler als in einer von nahezu allen Menschen geteilten Opferrolle: ein riesiger Globalkörper, an dem si...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung: Die Welt nach Corona
  6. Alltag mit und nach Corona
  7. Das Virus im Fokus
  8. Die (Nach-)Corona-Gesellschaft
  9. Religion – Kirche – Philosophie
  10. Politik – Wirtschaft – Staat
  11. Wissenschaft, Erkenntnis und ihre Kommunikation
  12. Die Weltordnung nach Corona
  13. Schluss