Das Wunder Winckelmann
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Das Wunder Winckelmann

Ein Popstar im 18. Jahrhundert

  1. 208 Seiten
  2. German
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Das Wunder Winckelmann

Ein Popstar im 18. Jahrhundert

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Über dieses Buch

Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) war der vermutlich berühmteste Deutsche seiner Zeit. Vor allem sein Leben, sein mühsamer Weg vom Schusterjungen zum Präsidenten der Altertümer Roms, und seine Begeisterung für die Schönheit griechischer Kunst faszinierte nicht nur adelige Sammler, sondern auch die gerade entstehende bürgerliche Öffentlichkeit. Als 'deutscher Grieche' wurde sein Hang zur 'griechischen Liebe' und einem rein männlichen Schönheitsideal allenthalben bereitwillig akzeptiert; seine Schriften gelten als Fundament des Klassizismus. Aus Anlass seines 300. Geburtstags präsentieren wir eine literarische Blütenlese mit Texten von Goethe, Casanova, Herder, Hauptmann, Pater und anderen, nicht zuletzt auch einer Auswahl aus den Schriften und (Liebes-)Briefen Winckelmanns.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783863002299

«MEIN SÜSSER HERR

«Die Gemme» – Viktor Meyer-Eckhardts Märchen vom Liebestod in Triest
In seiner 1926 veröffentlichten Erzählung «Die Gemme» macht Viktor Meyer-Eckhardt (1889-1952) sich frei von allen wohlbekannten Fakten; stattdessen verwendet er die Figur Winckelmanns und sein tragisches Ende als historische Staffage für ein ganz persönliches Thema: Die panische Angst des versteckt lebenden Homosexuellen vor dem Outing, eine Angst, die stärker wirkt als selbst das vollkommene Liebesglück. Jenseits aller persönlichen Merkmale zur Chiffre für den sehnsuchtsvollen, aber unglücklichen Homosexuellen geworden zu sein, vollendet die Verwandlung des Menschen Winckelmann in eine noch 150 Jahre nach seinem Tod höchst populäre Ikone.
Das erste Kapitel der Erzählung, «Der Vorabend», beschreibt Winckelmanns Ankunft in Triest. Vor dem Schlafengehen hört er den Gesang eines Unbekannten; der Sänger erweist sich als ein Bediensteter des Gasthofs, in dem er wohnt. Es folgen die kompletten Kapitel II – IV.
II. Der erste Tag
Als die Frühe eben dämmerte, erwachte der Antiquar. Gewöhnt an eine durch Anlage gesicherte, durch regelmäßige Lebensweise gefestigte Gesundheit, erschrak er über die dumpfe Schwere, aus der sein Bewusstsein nur langsam und krampfhaft emporsteigen und sich abklären konnte. Das erste, das er scharf bedachte, war seine Absicht, noch an diesem Tage zu Lande weiter südwärts zu fahren, und doppelt wichtig erschien ihm die Ausführung dieses Plans, weil er den Ausbruch einer Krankheit, die ihn vielleicht auf geraume Zeit an den fremden Ort bannen möchte, ernstlich zu fürchten begann. Mühsam stand er auf, obwohl ihn nach der Fortsetzung dieses bleiernen Schlafes schwermütig verlangte, und erst als er, sich ankleidend, umherging, erinnerte er sich der Begebnisse des vergangenen Abends. Und je wohler er sich zu fühlen glaubte, um so mehr war er geneigt, sein Sinnen und Handeln vom Vortage als das Merkzeichen einer physiologischen Störung zu betrachten, die er dem Aufenthalt im Norden zuzuschreiben habe: er benannte alles, was ihn so unbekannt ergriff und durchschütterte, mit dem einen Namen «Angst» und fühlte sich fast befreit durch diese ihn wertvoll bedünkende Entdeckung.
Dass der hübsche Junge in diesem Gasthaus als Lohndiener für niedrige Verrichtungen gebraucht werde, war kaum zu bezweifeln, und er lächelte fast über sich. Welch eine Torheit, sich über die Schönheit eines Menschen zu entsetzen, als ob ihn nicht oftmals auch früher schon das Gesicht eines Unbekannten zum Rätselraten verlockt hätte – und wie begreiflich, dass er sich diesmal tiefer getroffen fand! Schien denn nicht das kurze Begebnis durch eine besondere Reihe von Zufällen: ein Lied vom Meere her, den plötzlich sich erhebenden Wind, seine zwangsmäßige und unsinnige Beschleichung eines ihm gleichgültigen Burschen, die Zauberkraft des Mondes und noch so manches Ungewöhnliche eigens für ihn von einer launischen Natur in Szene gesetzt zu sein? Nein, nicht einmal das! Denn wäre ein Begleiter bei ihm gewesen: man hätte sich an dem Liede erfreut, wohl auch noch einen Rundgang durch den Hafen gemacht und danach sehr gut geschlafen. Nur der Einsame und durch die lange Trennung von seiner Herzensheimat Überempfindlich gewordene konnte solchem Spuk verfallen.
Er goss sich die hohle Hand voll Orangenblütenwasser und wusch sich das Gesicht, gierig sog er den frischen Geruch und rieb sich mit dem Handtuch derb über die Augen. Er erinnerte sich nun auch der Gedanken, die ihn überfallen hatten, als er in seiner großen Arbeit fortfahren wollte: auch hier hatte ihm die Angst den Geist verstört – und sogar bevor der erste Ton des Liedes von ihm vernommen wurde. Hatten also der Jüngling und sein Lied nichts zu bedeuten, so war auch die vorübergehende Verwirrung seines Kunstgefühls nur eine Unordnung in seiner Natur: Voraussetzung für beides war eben die Angst. Er überdachte geschwinde was er im Laufe von Jahrzehnten seinen Lesern über Kunst und Schönheit mitgeteilt habe, und fand zu seiner Überraschung, dass das Urteil, Schönheit sei hienieden nie und nirgendwo rein zu erschauen, nie und nirgendwo von ihm ausgesprochen worden war. Und eben diese nie getane Behauptung hatte er sich zum Vorwurf gemacht: war dies alles nicht weniger schreckhaft als lächerlich? Er erkannte, dass es nur eines Dinges bedürfe: ruhiger willenhafter Fortsetzung seines Lebenswerkes in vertrauter Umgebung, dann würde er bald die zwei letzten Monate und insbesondere den gestrigen Tag als ein Schauspiel empfinden, das er selbst sich gedichtet als er nicht ganz bei Sinnen war: Inhalt und Personen würden wie Nebel verdampfen, endlich sich ganz verwischen vor dem Ansturm der Tat.
Man hatte wohl gehört, dass er aufgestanden war, denn als er in sein Wohnzimmer trat, fand er die Vorhänge aufgezogen und das Schokoladenfrühstück serviert. Er öffnete ein Fenster und blickte aufs Meer hinaus: es lag dunkel wie Stahl und in unzähligen zierlichen Wellenreihen unter der morgendlichen Brise, milchblaue Nebel schwammen an seltenen Stellen wie versinkende Inseln über dem Wasser. Der Sturm den er erwartet hatte, war nicht gekommen: dies war der gewöhnliche Anblick der Adria, wie sie in der Frühe sich zeigt.
Als er ein Weniges von dem Frühstück zu sich genommen hatte, verließ er sein Zimmer, um von der Gegenseite des Hauses die Sonne und das Land zu sehen. Er trat in eine der Loggien die den ganzen Korridor entlangliefen, sein Blick fiel in einen großen Innenhof mit rundbeschnittenen Orangenbäumen, in deren Gezweig die noch kleinen Früchte durch den Schatten glühten. Die Sonne schien ihm mitten ins Gesicht: die Tiefe des Hofes traf sie nur erst zu einem kleinen Teile. Da hörte er die taktfeste Arbeit eines Stiefelputzers zu sich heraufschallen – und schon wollte er, um von der Ostseite des Hauses die ganze Stadt zu überblicken, die Loggia verlassen. Er beugte sich noch eben über die Brüstung, um über den Grundriss des heiteren Hofes sich klarzuwerden, und da sah er auch den Schuhputzer in einem Sonnenwinkel stehen, mechanisch und geschickt seiner Arbeit hingegeben. Der Junge, nur mit einer Hose bekleidet, drehte ihm den Rücken zu: durch die gleichmäßige Tätigkeit war das Spiel der Muskeln in einer stetigen und durchaus kontrollierbaren Wechselbewegung zu schauen. Der Antiquar freute sich dieser Gelegenheit wie eines besonderen Fundes: denn hatte er auch die Veränderungen bewegter nackter Körper oft genug studiert, so war es ihm doch niemals eingefallen, eine stets wiederholte Bewegung zum Gegenstand seiner Beobachtung zu machen. Er entdeckte, dass sich so das flüchtige, schwer zu erfassende Gewoge unter der Oberfläche der Haut viel eindringlicher und sicherer bemerken lasse als auf irgendeine andere Weise, und er begann schon zu erwägen, wie er diese Entdeckung, um über einige anatomische Probleme und Unstimmigkeiten an antiken Skulpturen ins reine zu kommen, in der Zukunft auswerten könne.
Der Oberkörper des Jünglings war von gefälligem Wuchs und zeigte im halbseitlich auffallenden Lichte auch die kleinste Grube und Erhöhung. Der geneigte anmutige Nacken nahm an der allgemeinen Bewegung nicht teil, um so mehr verwirklichten sich alle Möglichkeiten lebendiger Form zu beiden Seiten des tiefgefurchten Rückstrangs. Aus dem nur mäßigen Auf und Nieder der breiten, leise geneigten Achseln lief die Bewegung glatt und flach über die Schulterblätter, um dann in einem vielfältigen Gewelle und Gefälle bis in die Hüften hinabzufließen.
«Also strömt wohl ein spiegelnder Bach vom breiten Gesteine
In die Kiesel und sprüht wie die Sterne des kreisenden Himmels …»
so improvisierte der Antiquar und dachte bei sich, dass Homer aus diesem Anblick vielleicht das gleiche Bild geschöpft und nur in schöneren Worten gesagt haben möge.
Jetzt bückte sich der Bursche und raffte eine große Anzahl der geputzten Stiefel an ihren Gurten zusammen, dann kehrte er sich um, offenbar um ins Haus zu treten. Dem Antiquar wurde heiß: das emporgerichtete Antlitz war das gleiche das er am Abend zuvor auf der Mole gesehen hatte. Hatte er gestern nur die Formen im großen erschaut, so erblickte er jetzt auch die Farben: ein purpurnes Wangenbraun auf gelblich durchscheinendem Grunde und alles vom feinsten Goldflaum wie überflimmert.
«Das ist Ares und Eros in einem Antlitz», murmelte der Gelehrte, da aber senkte der Jüngling rasch den Kopf, als ob er nicht bemerkt werden wolle. Aber eben durch diese Beugung des Hauptes ward eine Sekunde die Stirn ganz sichtbar: genau in ihrer Mitte stand das rote Grau eines rundumgrenzten Mals. Der Antiquar zuckte zusammen wie unter einem Peitschenschlag.
«Der Gott in der Galeere!» sagte er laut und deckte die Hand über die Augen. Doch sogleich rief er sich ins Gedächtnis zurück, dass er doch krank sei, dass es ihm daher nicht zieme, seiner Einbildungskraft mitfühlend nachzugeben, dass er vielmehr um so schleuniger das Gasthaus verlassen müsse. Aber war diese überstürzte Flucht nicht abermals ein Zugeständnis an seine Angst, war sie nicht Feigheit? Sollte er es nicht fertig bringen, noch wenige Tage an diesem Orte auszuharren und dieser außergewöhnlichen Erscheinung systematisch vieles abzulernen was ihm auf lange hinaus dienlich werden konnte? Durfte und musste er nicht dem Wirken jener Macht vertrauen, die ihn so wunderbar und genau auf die heutige Höhe seiner Leistung geführt und bei der Rückkehr nach Italien ihm Willkomm zu bieten schien durch eines ihrer adligsten Geschöpfe? Sollte er nicht daraus ein neues Wesen in sich aufnehmen, es festhalten im Geist und seiner fürderhin sich bedienen als eines untrüglichen Maßes bei der Beschauung? Und er beschloss in der Stadt zu bleiben, bis der nächste Segler abfahre nach Ancona.
Er verließ die Loggia und begab sich ins Erdgeschoss, um dem Wirte sogleich seine Entscheidung mitzuteilen; er fand ihn, wie er erwartet hatte, in der Schreibstube des Hauses über seinen Büchern. Sogleich als der Antiquar eintrat, schnellte er auf und überstürzte ihn mit den Nachfragen, die ein zuvorkommender und seine Geschäfte wahrender Gasthofbesitzer am Vormittage an seine Gäste zu richten pflegt. Der Gelehrte beschleunigte diesen Teil des Gesprächs durch kurze und freundliche Auskünfte und endigte damit, sich nach der Abfahrt des Schiffes zu erkundigen.
«Schon in drei Tagen, den heutigen Tag miteingerechnet, fährt die Isabella nach Ancona, Principe!» beeilte sich der Wirt zu versichern. «Ich wage es, Euer Herrlichkeit zu empfehlen, lieber dieses Schiff als einen Reisewagen zu benutzen: sowohl im Interesse einer bequemeren Fahrt als auch um Ihrer persönlichen Sicherheit willen, Principe.»
«Das ist allerdings noch eine lange Wartezeit», meinte der Antiquar bedenklich, zugleich fühlte er, dass ihm das Blut heiß zu Kopfe stieg: dass ein Gedanke in ihm deutlich zu werden suchte, der ihn peinigte wie eine Anfechtung. Aber schon fuhr er fort:
«Es ist gut, Padrone, ich werde also so lange bleiben.»
Sonst nicht gewohnt, mehr als das durchaus Notwendige mit Unbekannten zu bereden, suchte er jetzt noch etwas Gleichgültiges hinzuzufügen.
«Ein so vortreffliches Gasthaus, Padrone! Es ist geradezu wunderlich, dass man bei Euch nicht einmal den Wein von Montefiascone trinken kann – wenn Ihr mir den noch verschaffen würdet, so bliebe mir weiter nichts zu wünschen übrig.»
Der Wirt senkte nachdenklich das dicke Gesicht und faltete die Hände über dem Bauch.
«Ich werde alles tun, um Euer Herrlichkeit den Wein, vielleicht aus Privatbesitz, zu besorgen, und wenn ich dafür die Scala Santa siebenmal auf bloßen Knien rauf- und runterrutschen müsste.»
Auch auf dieses Wort ging der Antiquar ein: fühlte er sich in Verlegenheit?
«Gott wird Euch die Wallfahrt doppelt zurechnen, da Ihr das Gewicht von mindestens zwei Kardinälen bei dieser Andachtsübung zu transportieren habt. Also, es bleibt dabei!»
«Gewiss, ich werde die Sache sogleich dem Angelo in Auftrag geben, er ist zwar ein Lump, aber jedem Ding gewachsen» – und schon schritt er zur Tür und rief hoch in der Fistel, wie tags zuvor: «Angelo, Angelo!»
Der Gelehrte wollte nun die Schreibstube verlassen – da erschien der Gerufene: es war wiederum der Sänger von der Mole, doch hatte er ein rotwollenes Hemd angezogen und den Kopf tief in die Stirne hinein mit einem ebensolchen Lappen umwunden. Den vornehmen Gast erblickend der ihm erstaunt ins Gesicht sah, schlug er die Augen nieder und wandte sich hastig dem Wirte zu, dessen lärmig erteilte Befehle er schweigend entgegennahm. Zuletzt drückte ihm der Wirt einen Dukaten in die Hand.
«Dass du mir keinen Heller beiseitebringst, du Kanaille – hast du verstanden?»
Der Bursche richtete sich auf:
«Wenn Ihr wollt, Padrone, könnt Ihr den Gang einem anderen anvertrauen und mich sogleich wieder heraussetzen, im übrigen wisst Ihr selbst, dass Ihr durch mich noch keinen Heller verloren, wohl aber manchen Scudo gewonnen habt.»
Der Wirt erboste sich: «Raus mit dir, du Luder, in spätestens einer Stunde ist der Wein zur Stelle!» Und der Ausgescholtene, der mit viel Anstand, aber nicht ohne einen gereizten Klang in der Stimme, die anstößigen Worte gesprochen hatte, verließ langsam und dieses Mal den Antiquar voll und wie forschend anschauend, das Zimmer.
«Was ist das für ein Bursche?» fragte nun der Gelehrte, wodurch der Wirt offenbar in eine missliche Lage versetzt wurde, denn er antwortete erst nach einigem Räuspern.
«Ein etwas heruntergekommenes Subjekt, wie Euer Herrlichkeit bemerkt haben werden:- aber ich habe ihn, um ein gutes Werk zu tun, für einige Zeit in meine Dienste genommen. Natürlich beobachte ich ihn genau und beschäftige ihn so unablässig, dass er gar nicht auf andere Gedanken kommen kann. Wenn aber dem Principe seine Gegenwart unerwünscht ist, so werde ich ihn noch heute entlassen.»
Der Antiquar schüttelte verneinend den Kopf.
«Padrone, wenn der Bursche in Rom wäre, könnte er sein Glück machen als Diener irgendeines hohen Herrn, denn er ist von wohlgefälligem Äußern und wirklich so schön, dass die Maler auf ihn ganz versessen sein würden.»
Beruhigt erwiderte der Wirt: «Er stört Sie also nicht, Principe, – um so besser! Aber eine Dienerstelle würde er kaum in einem adligen Hause finden: er kommt von den Galeeren! Haben Euer Herrlichkeit das rote Tuch nicht gesehen, das er sich um den Kopf gewickelt hat?»
«Ist er denn auch zu Recht verurteilt worden, Padrone? Seht, ich verstehe mich ein wenig auf Menschen, er macht keinen bösen Eindruck.»
«Doch wohl zu Recht, Principe; er war Koch oder Konditor in einem Lustschloss des Conte Balbi und hat goldenes Tafelgeschirr gestohlen – nun, hier wird ihm das nicht gelingen, dafür steh ich ein.» Wieder tauchte der gleiche Gedanke, der eine Anfechtung war, vor dem Gelehrten auf, wieder fühlte er eine Welle Blutes heiß durch seine Brust sich aufschwingen bis zum Scheitel: er fühlte sein Haar. Und sich zum Fenster wendend, damit ihn der Wirt nicht anschauen könne, sagte er mit bezwungener Stimme:
«Padrone, Ihr habt mir nichts eben Gutes von dem jungen Manne erzählt, aber ich habe doch eine bessere Meinung von ihm. Er war mir schon heute morgen aufgefallen, und ich glaube, ich könnte einem Freunde in Rom einen Gefallen erweisen, wenn ich ihm den Bengel übermachte.»
«Principe, einen Galeerensträfling?»
«Warum nicht? Wir haben Mittel, das Brandmal fast unsichtbar zu machen – und dass ihm dort auf die Finger gesehen wird, des könnt Ihr gewiss sein.” Eine Pause trat ein, die auch der Wirt, zu Boden blickend, nicht unterbrach. Dem Antiquar wurde nun seine wachsende Erregtheit bewusst.
«Ich will ihn nicht etwa mitnehmen, Padrone: das ginge wider mein Inkognito, aber ich würde Euch vielleicht von Rom aus schreiben, wann er nachzufolgen hätte.»
«Ich muss Euer Herrlichkeit offen reden», entgegnete nun der Wirt, indem er sich mit komischer Wichtigkeit dem Gelehrten näherte. «Ich will dem Principe nicht länger verhehlen, dass der Bursch in der Tat gut zu gebrauchen ist. Ja, er ist mir Goldes wert. Ich könnte ihn also nur entbehren, wenn ich, mit Vergebung durch Euer Herrlichkeit, mit einer Abfindungssumme zu rechnen hätte.”
Der Gelehrte lächelte.
«Und soeben sagt Ihr mir, dass Ihr ihn auf meinen Wunsch sogleich heraussetzen würdet?» Ohne die Antwort des Wirtes abzuwarten, fuhr er fort: «Gleichviel, Padrone! Gebt mir den Jungen für die Tage bis zur Abfahrt des Schiffes zu meiner ausschließlichen Bedienung, damit ich ihn ein wenig beobachten kann. Es ist mir unlieb, mein Zimmer von so vielen Personen betreten zu wissen: irgendwie könnte ich doch erkannt werden, und das wäre mir sehr lästig hier. Stehlen kann er bei mir nicht: man wird nicht bestohlen, wenn man nicht will.»
Der Wirt presste die Lippen zusammen, aber das Lächeln das er unterdrücken wollte, kam doch noch hässlich genug zum Vorschein.
«Das ist viel gewagt, Principe», sagte e...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Verlagstext
  3. Winckelmann: Biografische Daten
  4. Titel
  5. Copyright
  6. Inhalt
  7. Johann Joachim Winckelmann – Ein Popstar im 18. Jahrhundert
  8. «Ich kann etwas keck tun …»
  9. «Die Stille ist derjenige Zustand, welcher der Schönheit der eigentlichste ist»
  10. «Hier ist nichts Sterbliches»
  11. «Non arrivo»
  12. «Mit brennendem Durst und mattem Fuße»
  13. «Im Vordergrund Goethe»
  14. «Jeder hatte stets Winkelmann vor Augen»
  15. «Lebendiges für Lebendige, ein Leben selbst»
  16. «Also fort! Hinein ins Heidenthum!»
  17. «Prickelnde, funkelnde, belebende Vergangenheit»
  18. «Mein süßer Herr!»
  19. Nachweise & Literatur