Der Präsident
eBook - ePub

Der Präsident

  1. 320 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Der Präsident

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Jay Immer, Sohn burgenländischer Einwanderer, liebender Ehemann und rechtschaffener Polizist in Chicago, ist 55 Jahre alt, als der amerikanische Traum ihn ereilt. Er wird zum 40. Präsidenten der USA gewählt, genauer gesagt: zu dessen Doppelgänger. Fortan vertritt er Ronald Reagan überall dort, wo dieser nicht sein kann: bei Shopping-Mall-Eröffnungen und Burger-Wettessen, auf Partys und bei Fototerminen. Doch als Jay seine eigene Stimme entdeckt und sich für die Umweltbewegung engagiert, bekommt die Idylle einen Riss. Berührend, brandaktuell und voller tragikomischem Humor blickt Clemens Berger hinter die Kulissen der Macht und erzählt die unvergessliche Geschichte eines Mannes, der die Bühne der Weltpolitik betrat, um seiner Frau Lucy einen Swimmingpool zu schenken.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Der Präsident von Clemens Berger im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Literatur Allgemein. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2020
ISBN
9783701746453

VORHANG AUF

1

Er war Polizist, als er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Er war fünfundfünfzig Jahre alt. Sein Haar war schwarz und voll, sein Gang aufrecht, seine Kraft ungebrochen. In sechs Jahren wollte er sich nicht zur Ruhe setzen. Er wollte die Uniform an den Nagel hängen. Er hatte noch sehr viel vor.

2

Im Sommer 1981 schöpfte Jay Immer Verdacht. Seine Frau benahm sich sonderbar. Seit er auf Urlaub war, also seit er zuhause arbeitete, wurde Lucy um die Mittagszeit nervös, schielte nach der Wanduhr, tat, als läse sie, schützte vor, fernzusehen oder etwas zu erledigen – wirkte aber immer abwesend dabei. Sie schien auf den Briefträger zu warten, einen dicken, pausbäckigen Einfaltspinsel namens Jim, dem die Redlichkeit ins Gesicht geschrieben stand. Jay mochte Jim. Der Briefträger war stets gut gelaunt und nie um einen Scherz verlegen. Warum wartete Lucy auf ihn? Sobald sie sein Moped hörte, verließ sie das Haus und nahm ihm lächelnd die Post ab.
Hast du etwas bestellt?
Nein.
Wartest du auf etwas?
Worauf sollte ich warten?
Auf Jim, zum Beispiel?
Lucy brach in schallendes Gelächter aus und schlug die Hände vorm Gesicht zusammen. Sie wollte etwas sagen; es gelang ihr nicht. Es hatte weniger witzig geklungen, als es hätte klingen sollen. Jay schämte sich ein bisschen, und weil er nicht unangebracht eifersüchtig erscheinen wollte, meinte er abends beim Essen, er könne zwar nicht so viel verdrücken wie Jim, aber –
Lucy winkte ab.
Schauspielen musst du vielleicht noch üben.
Wartest du auf einen Liebesbrief?
Hab an einem Preisausschreiben teilgenommen. Man kann einen Swimmingpool gewinnen. Ich will auch einmal Glück haben.
Einmal hattest du Glück, sagte Jay und deutete auf sich.
Als der Brief kam, mähte Jay gerade den Rasen vor ihrem Weißen Haus. Der Himmel war dunkelblau und wolkenlos, die Garageneinfahrt schimmerte. Er hatte den heißen Asphalt abgespritzt; in drei Tagen würde er wieder die Uniform anziehen und Streife fahren. Jay schwitzte, sein weißes Unterhemd war nass, Grashalme klebten auf seinen Armen, der Brust und im Gesicht. Er fragte sich, wie viel ein Swimmingpool kostete.
Jim war davongebraust, Lucy auf der Straße stehen geblieben. Sie hatte ein dünnes rotes Tuch um ihren Körper geschlungen, darunter trug sie einen getigerten Bikini, in dem sie bei Sonnenschein stundenlang auf einer Liege im Garten hinter dem Haus brutzelte. Sie war so braun, dass Jay sie bisweilen fragte, ob sie tatsächlich weiß sei. Er warnte sie eindringlich vor Hautkrebs, sie wischte seine Bedenken ein ums andere Mal milde lächelnd beiseite. Neben dem Briefkasten riss sie einen Umschlag auf, faltete das Papier auseinander, überflog die Zeilen und – erstarrte.
Sie hielt sich die Hand vor den Mund, dem trotzdem ein kurzer, greller Laut entfuhr, bevor sie den Brief mehrmals hintereinander küsste. Jay schaltete den Rasenmäher ab, die Nachbarin gegenüber öffnete das Küchenfenster. Lucy blickte Jay entgeistert an. Sie wollte etwas sagen, presste aber bloß den Brief an sich.
Das –
Außer Atem stand sie vor ihm, sie war gelaufen, wann hatte er sie zum letzten Mal laufen gesehen?, fuchtelte mit dem Brief vor seinen Augen herum –
Ich –
Sie nahm seinen Kopf in die Hände, zog Jay an sich und küsste ihn schmatzend auf den Mund. Sie hatte Tränen in den Augen. Als er etwas sagen wollte, reichte sie ihm den Brief. Er war übersät von roten Kussmündern.
Er war längst Präsident, als er sich immer wieder jenen Moment vorzustellen versuchte, in dem Lucy hinter seinem Rücken die Bewerbung abgeschickt hatte. Es war, wie sie behauptete, das erste und einzige Mal, dass sie ihn hintergangen hatte.
Wie oft hatte Jay Immer zu hören bekommen, er sehe diesem Schauspieler so verblüffend ähnlich. Diesem Gewerkschaftschef der Schauspielervereinigung. Diesem Werbemaskottchen von General Electric. Diesem Gouverneur von Kalifornien. Diesem Präsidentschaftskandidaten der Republikaner. Dem neuen Präsidenten.
Aber Jay war fünfzehn Jahre jünger! Fünf-zehn Jahre!
Einerseits fühlte er sich geschmeichelt. Ronald Reagan sah fabelhaft aus, die Frauen himmelten ihn an. Er war immer der Gute, der einfache Amerikaner mit dem Herz am rechten Fleck, der nie zu viel sagte, aber immer strahlte dabei. Dessen blendende Laune alle anderen blendete. Dessen Lachen ansteckend war. Andererseits ging es Jay auf die Nerven, ständig mit einem anderen verglichen zu werden. Die Augen: auf jeden Fall! Der Mund: sowieso! Die Haare, wenn er sie bloß anders trüge: klar! Die Nase: etwas mehr nach unten, aber doch! Nur die Zähne: nicht weiß und nicht gerade genug.
Obwohl Jay hin und wieder zur Unterhaltung seiner Freunde und Kollegen Reagan spielte und dafür begeisterten Applaus erntete, hatte er sein Aussehen so zu verändern begonnen, dass man ihn nicht mehr ständig auf diese Ähnlichkeit ansprach. Wie aus dem Gesicht gerissen! Er wollte keinem anderen aus dem Gesicht gerissen sein, er hatte sein eigenes. Wie ein Ei dem anderen! Er war in der Alten Welt geschlüpft, seine Eltern hatten gerackert und geschuftet, damit es ihrem Sohn einmal besser ginge. Zum Verwechseln ähnlich! Warum war immer er der, der einem anderen ähnelte? Hatte er nichts geleistet? Tat er nichts, um seinen Mitmenschen zu helfen? Sein Leben aufs Spiel setzen, zum Beispiel?
Einmal noch, hatte Lucy gesagt, bitte, nur zum Spaß und zur Erinnerung, als sie an einem Sonntag im Frühjahr den Esstisch vor das Regal mit den Büchern geschoben hatte. Es hatte Wiener Schnitzel gegeben, das heißt, er hatte Fleisch geklopft und paniert und in die Fritteuse gelegt, und weil Wiener Schnitzel seine, aber keineswegs ihre Lieblingsspeise war, hatte er ihren Wunsch nicht ausschlagen können.
Jay hatte seinen einzigen schwarzen Anzug, der noch dazu überall spannte, angelegt, sich eine rote Krawatte binden und das Haar mit Brillantine nach hinten frisieren lassen, seine Hände auf dem Tisch gefaltet und neben der kleinen Flagge mit den Sternen und Streifen, die Lucy kürzlich gekauft haben musste, nachdenklich und zuversichtlich in die Linse des Fotoapparates geblickt, den seine Frau an ihr rechtes Auge gepresst hielt. Es hatte ihm, wie er später sagte, sogar Spaß gemacht. Auch wenn er damals das Gegenteil behauptet hatte und danach sofort in seinen Trainingsanzug geschlüpft war.
Während er im Streifenwagen saß, Papiere kontrollierte oder Verdächtige auf dem Wachzimmer vernahm, während die Sonne stärker wurde und die Menschen in immer leichterer Kleidung das Ufer des Lake Michigan entlangspazierten, setzte sich Lucy zuhause, im Nordwesten der Stadt, an den Tisch und tippte auf seiner alten Schreibmaschine mit beiden Zeigefingern langsam und behutsam den Text ab, den sie zwei Wochen lang immer wieder mit der Hand geschrieben hatte. Tag für Tag hatte sie ihn umformuliert, verändert und verbessert, bis sie zufrieden war. Sie vertippte sich zwei Mal, riss das Papier aus der Maschine, zerknüllte es, warf es zu Boden, aber beim dritten Mal kam sie bis zum Schluss, tippte das Komma nach den besten Grüßen, weil ihr herzlich, aufrichtig und vor allem Ihr unangemessen erschien – und unterschrieb mit seinem Namen. Die Unterschrift hatte sie ebenfalls zwei Wochen lang geübt; sie ging ihr leicht von der Hand. Dann faltete sie den Brief, steckte ihn mit einem Foto in ein Kuvert, adressierte und verschloss es.
Am nächsten Tag küsste sie auf dem Postamt den Brief, gab ihn auf und steckte die Quittung in ihre Tasche. Sie war gläubig und abergläubisch.
Das ist der Liebesbrief, auf den ich seit Wochen warte!
Lucy lachte und klatschte, während Jay nicht verstand, was er las, während er allmählich zu verstehen begann, was er las, es aber nicht verarbeiten konnte, während er immer noch eine Hand auf dem Griff des Rasenmähers hatte und schwitzte, seine Haut ölig war und nach der Sonnencreme roch, die auf Lucys Körper glänzte. Er war wütend, er war geschmeichelt, er war gerührt und verärgert. Er schüttelte den Kopf, überflog noch einmal die Zeilen: ausgewählt unter 179 Einsendungen.
Er sah etwas vor sich, dann wieder nichts, ein anderes Leben blitzte auf, das ihn lockte und verschreckte, er war gern Polizist, obwohl er es manchmal kaum aushielt, er würde vielleicht noch einmal befördert, er hatte nie an ein anderes Leben gedacht, er mochte sein Leben, wie es war, mit Lucy und seinem Beruf und ihren Freunden, mit dem Haus, das sie gebaut hatten, ausgewählt unter 179 Einsendungen, mit –
Das ist Urkundenfälschung! Ur –
Geh duschen. Dann reden wir in Ruhe.
Lucy küsste ihn auf beide Wangen, zog seine Hand in die Höhe und drehte sich einmal unter seinem Arm. Die Nachbarin schloss das Fenster.

3

Zwei Wochen später flogen Jay und Lucy nach Kalifornien. Sie saßen vorne in der Ersten Klasse; getrennt vom Rest der Fluggäste, stießen sie mit Prosecco auf ein neues Leben an. Sie hatten das Wort noch nie gehört; es war so unbekannt und aufregend wie alles, was mit dem Eilpostbrief in ihr Leben geflattert war. Stewardessen wuselten um sie herum, reichten Erfrischungstücher und schenkten lächelnd nach, während Vorbeigehende verwundert ihre Köpfe drehten, um einen zweiten Blick auf Jay und Lucy zu erhaschen.
Nein, sagte Jay und schüttelte kurz den Kopf, wenn sich wieder jemand umdrehte, ich bin’s nicht.
Sagt er nur meinetwegen, sagte Lucy und senkte die Stimme, weil ich nicht Nancy bin.
Sie bekamen vorzügliches Essen serviert, dazu schweren Rotwein, der sie aufdrehte, vor allem Lucy, die äußerst selten Alkohol trank. Ihre Wangen röteten sich, ihre Stimme wurde heller. Im Flugzeug durften sie bestellen, was und wie viel sie wollten. Sie bestellten viel. Sie wollten mehr.
Nicht die Air Force One, sagte Lucy, aber ein passabler Beginn.
Jay verschluckte sich. Er musste prusten und hielt sich die Hand vor den Mund. Die Finger wurden zum Sieb; sein weißes Hemd war von Rotweinspritzern übersät.
Wir haben kein zweites mit, sagte Lucy.
Bin doch nicht Breschnew, sagte Jay.
Sieht aus wie nach einem Attentat.
Jetzt mal im Ernst: Die haben mich nicht etwa dafür ausgewählt?
Du brauchst eine weiße Weste. Oberste Priorität.
Natürlich. Viel wichtiger als die Frage, ob ich Attentäter anziehen und für einen anderen zersiebt werden soll. Wann ist er angeschossen worden?
I...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. VORHANG AUF
  7. VORHANG ZU