Der Krieg
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Der Krieg

Von Troja bis zur Drohne

  1. 320 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Der Krieg

Von Troja bis zur Drohne

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Krieg ist elementarer Bestandteil unserer Kultur, er ist historisch betrachtet der Normalzustand und hat unsere Welt maßgeblich geprĂ€gt. Das verrĂ€t schon ein Blick in unsere Verfassungen und Religionen, unsere Architektur und Literatur. Doch wie hat der Krieg den Lauf der Geschichte beeinflusst – und was hat er heute noch mit uns zu tun?Der Historiker Ilja Steffelbauer erzĂ€hlt in zwölf Einzelschicksalen den kriegerischen Verlauf der Menschheitsgeschichte, denn jeder Krieg hat ein Gesicht: Söldner und Putschist, unfreiwilliger Held und Kriegsgewinnler, Kindersoldatin und Drohnenpilot reichen ĂŒber die Jahrhunderte die ErzĂ€hlung weiter. Ein mitreißendes Buch, das die Bedeutung des Krieges fĂŒr die Entwicklung der Zivilisation erklĂ€rt, ohne den Militarismus zu romantisieren, und Einblicke in das Leben jener Menschen gibt, die im und vom Krieg leben mussten. Ein historisches Panorama von ungeheurer Sogkraft.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783710601385
Auflage
1
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DER TERRORIST

Gesichter des Krieges von heute
In einem klimatisierten Container irgendwo in der WĂŒste Nevadas, auf irgendeiner Luftwaffenbasis, sitzt ein junger Mann in der Dunkelheit und starrt auf einen Bildschirm. Er steuert eine Vielzahl von hochkomplexen Ortungssystemen und Kameras, die sich an Bord einer Drohne befinden, die irgendwo ĂŒber dem Irak, dem Jemen, Afghanistan, Pakistan oder Somalia kreist. Seine Kameras lenken eine der Hellfire-Raketen, die die Drohne trĂ€gt, in ihr meist ahnungsloses Ziel. Seine Kameras erlauben ihm auch, alles in Echtzeit mitzuverfolgen, nur ist er mehr als zehntausend Kilometer entfernt. Die Missionen, die er – virtuell – fliegt, sind Teil einer geheimen Operation. Die Regierung seines Landes tötet gezielt Menschen in aller Welt. Oft die Richtigen, manchmal aber auch die Falschen. Nach Dienstschluss fĂ€hrt er nach Hause, in ein ganz normales Leben. Irgendwann hĂ€lt er es nicht mehr aus. Er ist Brandon Bryant – und auch er ist ein Gesicht des Krieges von heute.
Wir sind am Ende der Geschichte angelangt. So zumindest wollten es einige politische Analysten sehen, als das Ende des Gegensatzes zwischen westlichen, kapitalistischen Demokratien und dem realen Sozialismus im Machtbereich der Sowjetunion nach ĂŒber vierzig Jahren Kaltem Krieg gekommen war. Von verschiedenen Seiten hat das so betitelte Buch seinem Autor Kritik, ja Hohn, eingebracht, doch meist, weil eine eher oberflĂ€chliche Lesart seiner Argumentation gewĂ€hlt wurde. Eine bescheidene Deutung von Francis Fukuyama These vom Endsieg der Demokratie ist aber durchaus bedenkenswert: Demokratische Formen sind mittlerweile der verbindliche Standard aller politischen Systeme geworden, selbst von solchen, die mit der westlichen, demokratischen Tradition wenig bis gar nichts gemeinsam haben: Islamisten erheben den Anspruch, dass ihr Gottesstaat die wahre Demokratie sei, Autokraten in aller Welt bemĂ€nteln sich mit demokratischer Legitimation oder behaupten sogar die „besseren“ Demokraten zu sein, weil sie dem sorgfĂ€ltig durch Propaganda zuvor hergestellten Willen des Pöbels das Wort reden, die Rechte – gerade in Europa – schreit stĂ€ndig nach mehr direkter Demokratie, um mit der Zustimmung der verunsicherten Massen Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Menschenrechte einschrĂ€nken zu können, und noch der letzte WutbĂŒrger auf der Straße ist davon ĂŒberzeugt, dass die Welt besser wĂŒrde, wenn nur auch seine Stimme endlich gehört wĂŒrde und wirft den gewĂ€hlten ReprĂ€sentanten des Staats vor, undemokratisch zu handeln, wenn sie auftragsgemĂ€ĂŸ ihre Funktionen erfĂŒllen, ohne ihn jedes Mal um unmittelbare Zustimmung zu bitten, wenn sie einen Bahnhof umbauen oder eine Umfahrung anlegen wollen. Die demokratische Empfindsamkeit ist manchenorts sogar so ausgeprĂ€gt, dass unterlegene Kandidaten in demokratischen Wahlen es als höchst undemokratisch empfinden, unter der Herrschaft der Mehrheit leben zu mĂŒssen. Demokratie steht nicht lĂ€nger fĂŒr die – immer nur als zeitweilig begriffene – Herrschaft des Willens der Mehrheit, sondern zunehmend fĂŒr die Weigerung jeder Minderheit, diese zu ertragen. „Demokratie“, wie auch immer sie verstanden werden soll, darf heute in keinem legitimen politischen Programm mehr fehlen.
Der zweite Teil der Argumentation Fukuyamas, der heftige Kritik auf sich zog, bezog sich auf die spĂ€testens seit Kant in der politischen Philosophie gĂ€ngigen Theorie des demokratischen Friedens, die postuliert, dass demokratisch verfasste Staaten eine geringere Neigung haben, Kriege zu fĂŒhren, weil ihre Regierungen dem Volk gegenĂŒber die Kriegskosten in Menschenleben und GĂŒtern verantworten mĂŒssen.
Dazu kommt, dass durch die fortschreitende Pazifizierung des Lebens in modernen, westlichen Demokratien die Bereitschaft, solche Kosten zu tragen, ja nur medial Zeugen von Kriegsereignissen sein zu mĂŒssen, rapide gesunken zu sein scheint. Auf Basis dieser These und der erwarteten und auch eingetretenen Verbreitung demokratischer Normen postulierten hoffnungsfrohe Denker also in den frĂŒhen 1990ern eine friedliche Zukunft.
Heute, ein Vierteljahrhundert spĂ€ter, wĂŒrden ihnen die meisten oberflĂ€chlichen Beobachter widersprechen, noch mehr vielleicht sogar diejenigen, die sich fĂŒr gut ĂŒber die politische Weltlage informiert halten.
Die 24-Stunden-Angst-Maschinerie der Medien liefert uns doch andauernd Bilder vom Krieg: Zu dieser Stunde kÀmpfen und sterben Menschen in Aleppo und Mossul.
Im schlimmsten Fall entschließen sich Hunderttausende von ihnen, der Kriegshölle in Richtung Europa zu entfliehen. Unter diesen, fĂŒrchten manche, sind dann möglicherweise auch wieder ein paar AttentĂ€ter, die auf diese Weise ihren Heiligen Krieg in die Friedenszone tragen wollen, wenn sie nicht lĂ€ngst schon dort sitzen. Einen Klick weiter fliegen US-Drohnen im Dauerkrieg gegen eben diesen Terror Angriffe in Afghanistan, wo multinationale Gotteskrieger und lokale Kriegsherren mit wechselnden InterventionsstreitkrĂ€ften von außerhalb seit ĂŒber dreißig Jahren um ein ausgeblutetes Land kĂ€mpfen. Allerorten hocken eingesessene Terrorgruppen, von Nigeria ĂŒber PalĂ€stina und Kurdistan bis zu den Philippinen, und machen gelegentlich mit einem Anschlag auf sich aufmerksam. Afrika, so scheint es, wenn man sich denn die MĂŒhe macht, sich fĂŒr den verlorenen Kontinent zu interessieren, ist ein einziger Sumpf aus Rebellen, Kriegsherren, Söldnerbanden und ethnischer Gewalt, aus dem uns die toten Augen von Kindersoldaten anklagend anstarren. In Lateinamerika legt die Guerilla der FARC nach mehr als einem halben Jahrhundert des Kampfes zwar offenbar die Waffen nieder, dafĂŒr tobt im Norden Mexikos effektiv Krieg zwischen untereinander verfeindeten Drogenkartellen und der Regierung, die sich der LoyalitĂ€t von Teilen ihres Apparats scheinbar auch nicht sicher sein kann. Russland marschiert in der Krim und der Ostukraine ein – oder auch nicht, je nachdem ob man sich „Putinversteher“ nennen lassen will oder nicht. Die NATO verlegt als Antwort konventionelle StreitkrĂ€fte nach Osteuropa und ins Baltikum und weltweit wird aufgerĂŒstet: China hat seine jĂ€hrlichen MilitĂ€rausgaben seit dem Jahr 2000 fast verdreifacht und Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die drei wichtigsten europĂ€ischen NATO-Staaten, geben gemeinsam 2015 ca. 145 Milliarden Dollar fĂŒr RĂŒstung aus; Russland nebenbei bemerkt 66,4, was sich gegenĂŒber den fast 600 Milliarden der USA in beiden FĂ€llen fast bescheiden ausnimmt. Und, wir hatten das doch alle fast schon vergessen, die USA, Russland, China und eine Handvoll anderer Staaten sitzen noch immer auf dem apokalyptischen Arsenal des Kalten Kriegs. Es ist vielleicht ganz gut, dass uns ein hoffnungsvoller – mittlerweile gewĂ€hlter – Bewerber um das amerikanische PrĂ€sidentenamt jĂŒngst daran erinnert hat, indem er sich wunderte, warum es nicht eingesetzt wird.
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TrĂŒmmer einer Illusion von Sicherheit: Kaum ein Ereignis erschĂŒtterte das Selbstbewusstsein der USA und des Westens so sehr, wie der World Trade Center-Anschlag vom 11. September 2001. Mehr können TerroranschlĂ€ge auch nicht bewirken, und das nur, wenn man es zulĂ€sst.
Aber halt! Was in dieser AufzĂ€hlung fehlt, und das seit 60 Jahren, sind offene Kriege zwischen Staaten. Ginge man nach der traditionellen, völkerrechtlichen Definition vor, befĂ€nden wir uns im kantschen ewigen Frieden. In dieser Hinsicht hat Fukuyama recht behalten: Ein großer offener Krieg zwischen Staaten, namentlich solchen, die nennenswerte Wirtschafts- und MilitĂ€rmĂ€chte sind, schon gar nicht zwischen Staaten, die entwickelte Demokratien sind, hat tatsĂ€chlich nicht stattgefunden, nicht wĂ€hrend des Kalten Kriegs und sicherlich nicht seitdem. Krieg fĂŒhrten autoritĂ€re Diktaturen, junge instabile Demokratien im Rahmen des Nationbuilding und revolutionĂ€re Regime, die ihre Ideologie exportieren wollen. Die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen seit dem Zweiten Weltkrieg waren BĂŒrgerkriege, AufstĂ€nde oder Guerillakriege bzw. Terrorkampagnen ethnischer Separatisten oder politischer RevolutionĂ€re.
Demokratische Industriestaaten gehen tatsĂ€chlich nicht mehr aufeinander los. Kriegerische Gewalt ereignet sich an den RĂ€ndern der globalisierten Welt und innerhalb von hohlen Gebilden, die zwar der völkerrechtlichen Definition nach Staaten sind, ihre staatlichen Funktionen aber nicht erfĂŒllen, deren erste und oberste die Wahrung des Gewaltmonopols nach innen und außen ist. Am Ende der Geschichte werden wir so noch einmal deutlich daran erinnert, dass Sinn und Ursprung des Staats in der Kontrolle ĂŒber individuelle vor allem aber kollektive Gewalt zu suchen sind. Staatlichkeit, vor allem die QualitĂ€t von Staatlichkeit, scheint mit der Frage, ob man das GlĂŒck hat, in Frieden zu leben, sehr viel zu tun zu haben.

Verstaatlichung

Dass traditionelle Kriege zwischen souverĂ€nen Völkerrechtssubjekten bzw. anerkannten Insurgenten nur mehr einen kleinen Teil der gewaltsamen Konflikte der Gegenwart darstellen, hatte sich schon im Laufe der 1990er herumgesprochen, vor allem vor dem Hintergrund der grausamen Kriege, die die Auflösung Jugoslawiens begleiteten. Dementsprechend wurde die Definition von Krieg seitdem laufend erweitert und mittlerweile zĂ€hlen entsprechende Analysen „bewaffnete Konflikte zwischen staatlichen oder nicht-staatlichen Gruppen“. Doch auch – oder gerade – unter diesem Gesichtspunkt, stellt sich die Gegenwart als unerwartet friedliche Zeit heraus, vor allem in der lĂ€ngeren RĂŒckschau:
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts nimmt die Zahl der aktiven Kriege pro Jahr kontinuierlich ab, seit Ende des Zweiten Weltkriegs die der Kriegstoten pro Jahr und seit den 1950ern sinkt auch die Wahrscheinlichkeit zwischenstaatlicher Konflikte.
Noch dramatischer ist der RĂŒckgang an nichtstaatlicher Gewalt. Die Staatsverdichtung in Europa und die Ausdehnung der Imperien des 19. Jahrhunderts trug maßgeblich dazu bei, dass lokale Gewalthaber unterhalb des staatlichen Levels und endemische Formen der alltĂ€glichen Gewalt wie Blutrache, Banditentum, Fehde, RaubzĂŒge und Sklavenhandel ausgemerzt wurden. Dehnt man, wie dies jĂŒngere Untersuchungen gemacht haben, den Betrachtungszeitraum maximal aus, wird das Bild noch deutlicher: Mit der Konsolidierung der Modernen Staaten – und der Ausdehnung ihrer Macht ĂŒber den gesamten Erdkreis im Laufe des 19. Jahrhunderts – ging ĂŒberall eine drastische Reduktion der Gewalt zwischen Gruppen und Individuen einher. Mit der gleichzeitigen Konzentration der militĂ€rischen Gewalt in der Hand von wenigen staatlichen Akteuren nahm automatisch die HĂ€ufigkeit ab, da schlicht weniger Mitspieler auf dem Feld waren. Der Trend lĂ€sst sich – mit konjunkturellen Schwankungen – bis an die AnfĂ€nge der Sesshaftigkeit zurĂŒckverfolgen. In der Welt autonomer Dörfer, wie wir sie im ersten Kapitel bei den Yanomami und Papuas kennengelernt haben, lebten die Menschen in einem endemischen Kriegszustand. In den HĂ€uptlingtĂŒmern des heroischen Zeitalters herrschte zwar im Einflussbereich des jeweiligen HĂ€uptlings Ruhe – wenn nicht gerade Individuen oder Sippen in eine Blutfehde verwickelt waren oder dem allzeit beliebten Viehdiebstahl und Frauenraub frönten –, doch war der hauptsĂ€chliche Zweck dieser sicheren Heimatbasis, den Helden und ihren Kriegergefolgschaften als Ausgangspunkt fĂŒr RaubzĂŒge zu dienen. Mit der – oft gewaltsamen – Konsolidierung der HĂ€uptlingtĂŒmer zu antiken Staaten konzentrierte sich die Macht zwar in der Hand von Königen oder Aristokratien, doch waren diese, aufgrund der inneren Dynamik ihrer politischen Systeme, zwangslĂ€ufig imperialistisch, weil sie entweder stĂ€ndig Beute und neue LĂ€ndereien brauchten, um die Eliten ruhig zu halten, oder weil sie in einen stĂ€ndigen Kleinkrieg mit den Barbaren jenseits ihrer Grenzen verwickelt waren. Stabile Friedensphasen gab es nur dann, wenn Imperien alle nennenswerten Konkurrenten ausschalten konnten oder sich auf Zeit ein Gleichgewicht zwischen einer Handvoll vergleichbarer Reiche entwickelte. Diese endeten aber sofort, wenn die innere StabilitĂ€t des Imperiums durch wirtschaftliche, demographische oder andere Faktoren erschĂŒttert wurde, oder wenn auch nur ein Stein aus dem internationalen System herausbrach. RegelmĂ€ĂŸig verfielen Imperien in lĂ€ngere Phasen innerer Spaltung, wenn Mitglieder der Elite es lohnender fanden, ihr eigenes SĂŒppchen zu kochen, als mit der Zentrale zu kooperieren. Zwischen vollstĂ€ndigem Zerfall und maximaler Zentralisierung bewegten sich vormoderne Gesellschaften auf einem Spektrum, das sich oft irgendwo in einem Abschnitt einpendelte, den man als „feudalen Mittelfeld“ beschreiben könnte, mit einem nominellen Zentrum, dem aber immer eine Handvoll teilautonomer Mitbewerber gegenĂŒberstanden, die ebenfalls militĂ€rische Machtmittel einsetzen konnten. Erst mit dem Modernen Staat kam ein neues Modell ins Spiel.
Die Konjunktur innerer und Ă€ußerer Gewalt kann man grob so beschreiben: Extrem hoch am Beginn, mit einer leichten Abnahme innerer Gewalt, dafĂŒr weiter reichender Ă€ußerer Gewalt in den HĂ€uptlingtĂŒmern, gefolgt von innerer Pazifizierung und Ă€ußerer, imperialistischer KriegsfĂŒhrung unter den antiken Staaten. Von da an schwanken die Gemeinwesen der Antike und des Mittelalters zwischen innerer Befriedung und geringer Ă€ußerer Gewalt in den StĂ€rkephasen der antiken Reiche – wie etwa der Pax Romana oder der langen Friedenszeit unter den Tang in China – und Desintegration – wie etwa wĂ€hrend der Völkerwanderung. FrĂŒher oder spĂ€ter pendelten sie sich wieder in der Mitte des Spektrums im „feudalen Mittelfeld“ ein, das durch hĂ€ufige Kriege nach außen und regelmĂ€ĂŸige, sanktionierte Gewalt der legitimen Machthaber untereinander im Inneren geprĂ€gt war. Erfolgreich zentralisierte Reiche konnten die innere Gewalt oft stark zurĂŒckdrĂ€ngen, doch stand die LegitimitĂ€t der GewaltausĂŒbung durch die subsidiĂ€ren Eliten nie in Frage, sodass es nur eine SchwĂ€chephase der Krone bedurfte, um sie wieder eskalieren zu lassen. In Summe zeigt sich ein deutlicher AbwĂ€rtstrend in der Gewalt zwischen autonomen Einheiten seit der Sesshaftwerdung, der mit einer radikalen Abnahme der Zahl der legitim gewaltberechtigten Einheiten einhergeht. Heute gibt es ca. 200 von der UNO anerkannte Staaten. 1648, beim Abschluss des WestfĂ€lischen Friedens, der das moderne Staatensystem begrĂŒndete, bestand allein das Heilige Römische Reich aus ĂŒber dreihundert souverĂ€nen Einheiten.

Pazifizierung

Auch im Inneren sind unsere Gesellschaften friedlicher geworden: Die Wahrscheinlichkeit, in England einem Mord zum Opfer zu fallen, war zu Shakespeares Zeiten fĂŒnf Mal so hoch wie heute, und das gefĂ€hrlichste Pflaster in der Geschichte Großbritanniens war Oxford im Jahr 1340 mit 110 Morden je 100.000 Einwohnern, was in etwa der Mordrate von Caracas und San Pedro Sula entspricht, den beiden gefĂ€hrlichsten StĂ€dten der Gegenwart! Auch mittelalterliche Akademiker – wie alle MĂ€nner in vormodernen Gesellschaften – neigten offenbar dazu, ihre Differenzen mit der Waffe auszutragen, was auch leicht ging, trug doch in vormodernen Gesellschaften jeder Mann selbstverstĂ€ndlich immer eine Waffe, wenn er sich in die Öffentlichkeit begab. Eine Maßnahme, die die Gewalt im Inneren demnach stark reduzierte, war das Verschwinden des Degens als modisches Accessoire und Statussymbol im Laufe des 18. Jahrhunderts. Der grĂ¶ĂŸte RĂŒckgang von Gewaltdelikten ereignete sich parallel mit der Industrialisierung am Beginn des 19. Jahrhunderts, als in den meisten Staaten effektive Polizeiapparate geschaffen wurde, was die Notwendigkeit fĂŒr die eigene Sicherheit zu sorgen rasch obsolet machte.
Überhaupt ist unsere gegenwĂ€rtige Gesellschaft so intolerant gegenĂŒber individueller Gewalt bzw. der Gewalt von kleinen Gruppen wie noch keine in der Geschichte. Das beginnt mit der gesetzlichen Unterbindung hĂ€uslicher Gewalt, geht ĂŒber EinschrĂ€nkungen des Waffenbesitzes und endet in der mangelnden Neigung junger MĂ€nner – traditionell das Element der Gesellschaft, das die höchste Gewaltbereitschaft aufweist – physische Gewalt auszuĂŒben oder zu erleiden, was sich unter anderem an der stetig großen Nachfrage nach Alternativen zum Dienst an der Waffe zeigt. Dem steht in keiner Weise entgegen, dass Gewalt, und immer extremere Gewalt ein omniprĂ€sentes Thema in den Medien ist, die gerade von dieser Zielgruppe konsumiert werden.
Gewalt wird in eskapistischen Medien deswegen immer prÀsenter, weil sie in der Alltagswelt immer weniger gelebt wird.
So wie immer die aufregenden Dinge, die der Alltag nicht gewĂ€hrt – große GefĂŒhle, enthemmte SexualitĂ€t, Exotik, Abenteuer, BewĂ€hrung gegen natĂŒrliche Gefahren und menschliche Feinde – Themen dieses Genres waren, ohne dass die Konsumenten sich wirklich wĂŒnschten, sie im realen Leben zu erfahren. Als die Menschen anfingen, in einer industrialisierten, urbanen Umwelt zu leben, lasen sie sich in die ungezĂ€hmte Natur der Abenteuerromane, ohne natĂŒrlich wirklich an die Frontier oder in die malariaverseuchten Dschungel aufbrechen zu wollen. Nun, in der gewaltfreien Welt der globalisierten Moderne, loggen sie sich in den ewigen Kampf von „World of Warcraft“ oder „Counterstrike“ ein, ohne jemals selbst die Hand gegen einen Mitmenschen erheben zu wollen. Gewaltexzesse, wie sie durch die extrem seltenen Taten von EinzeltĂ€tern dann die GemĂŒter erregen, sind gerade ein Indikator dafĂŒr, dass individuelle physische Gewalt so unerhört geworden ist, dass nur mehr geistig abnorme Individuen zur ihr Zuflucht nehmen.
Wie weit haben wir uns innerhalb von nur wenigen Generationen von einer Öffentlichkeit entfernt, in der SchlĂ€gereien zu einem zĂŒnftigen Kirchtag gehörten, Jungs, die in einer Rangelei auf dem Schulhof nicht „ihren Mann stehen“ konnten, zuhause noch ein Tracht PrĂŒgel bekamen, um sie abzuhĂ€rten, Kinder auf offener Straße, selbst von Fremden, wegen einer frechen Bemerkung geohrfeigt wurden und das hausvĂ€terliche ZĂŒchtigungsrecht – gegenĂŒber der Ehefrau – im Gesetz festgeschrieben war? Die Idee, eine Meinungsverschiedenheit „vor der TĂŒre“ auszutragen, die eigene Ehre oder die einer Frau mit den FĂ€usten oder gar in einem Duell mit der Waffe zu verteidigen oder sich mit den Nachbarn spontan zusammenzurotten und einen Störenfried mit Gewalt zu beseitigen, erscheinen uns unzivilisiert, wenn auch noch irgendwie aufregend romantisch, weswegen die Helden unserer modernen Mythen auch oft diese archaischen Praktiken an unserer Stelle ausleben dĂŒrfen. Wir haben noch Phantomschmerzen an den Stellen, an denen uns die individuelle Gewaltbereitschaft amputiert wurde.
Dieser „Prozess der Zivilisation“ wurde schon von Norbert Elias beschrieben, der betonte, dass gerade die westliche Moderne in einem außergewöhnlich hohen Maß Mechanismen entwickelt hat, die die individuelle Selbst- und vor allem Affektkontrolle fördern, was sehr wesentlich...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Widmung
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einst waren wir Krieger
  7. Der Held
  8. Der Söldner
  9. Der LegionÀr
  10. Der Kreuzfahrer
  11. Der Reiterkrieger
  12. Der Kriegsherr
  13. Der Seeoffizier
  14. Der Kavallerist
  15. Der SanitÀter
  16. Der Putschist
  17. Der kalte Krieger
  18. Der Terrorist
  19. Bildnachweis