1.Unternehmen im Wandel
Spätestens seit Henry Ford zu Beginn des 20. Jahrhunderts wissen wir vom Wandel in der Unternehmenslandschaft. Seine Umwelt forderte schnellere Pferde, er dachte in anderen Dimensionen und bereitete mit der Einführung der Fließbandarbeit der industriellen Massenproduktion den Weg. Der daraus entstandene Taylorismus prägte Unternehmen über lange Zeit. Die Automatisierung befeuerte Visionen von menschenleeren Fabriken, die Erfindung des PC und die rasante Weiterentwicklung von Datenspeicherkapazitäten brachten den nächsten Schub an Veränderung. Die in den 80er-Jahren überholten Arbeitssysteme und -prozesse wurden durch das japanische (von Taiichi Ohno bei Toyota eingeführte) Produktionssystem des Kaizen und Kanban revolutioniert und wir lernten, dass ein Verbesserungsprozess niemals aufhört. Gruppenarbeit und Arbeitsteams bestimmten von nun an das Bild in den Unternehmen. Das Prozessmanagement löste isolierte und auf Controlling ausgerichtete Verfahrensweisen ab. Die IT-Technologie entwickelte sich weiter, das digitale Zeitalter hielt Einzug.
1.1Ständig neue Säue im Dorf
Vernetzte Systeme bringen uns heute enorme Zeitgewinne in der Bearbeitung von Aufgaben und Produkten, die Welt ist kleiner geworden durch Globalisierung und weltweites Internet. Kaum haben wir uns daran gewöhnt, wird nun die VUCA-Welt ausgerufen: Nichts ist mehr, wie es war. Wir sind neuen Parametern, der Volatility, der Uncertainty, der Complexity und der Ambiguity ausgeliefert. Algorithmen und künstliche Intelligenz werden einen Teil der reproduktiven Jobs übernehmen. Wir sind bei Industrie bzw. Arbeit 4.0 angekommen.
Abb. 1: Von der analogen zur digitalen Welt.
Kaum dachten wir, es sei jetzt mal gut mit all dem Change, kamen die nächsten Begrifflichkeiten auf – wie Disruption und Agilität –, wurden als ultrawichtig und alternativlos bezeichnet und wie die Säue durchs Dorf durch die Büros und Werkshallen getrieben. Mancher konnte sich mit einem Sprung zur Seite gerade noch retten, mancher musste mit der Meute im Nacken einen schnelleren Gang einlegen und mancher blieb niedergetrampelt auf dem Boden zurück und schaute der Staubwolke hinterher. Mit einem gedanklichen Schlenker in die Gastronomie sei unterstrichen, dass auch in diesem Fall nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. So gilt es, den Blick auf das Wesentliche zu richten, nämlich auf die Frage, was das alles mit mir und meinem Unternehmen zu tun hat und welche Konsequenzen ich ziehen muss – oder auch nicht. Der Fokus liegt also auf der individuellen Betrachtung des einzelnen Business und dem Nutzen, den die Auseinandersetzung mit den neuen Themen wirklich bringen kann.
AGIL nach Parsons
Nach Talcott Parsons muss jedes existierende oder denkbare System vier Funktionen erfüllen, um seine Existenz erhalten zu können:
1.A-daption (Anpassung): die Fähigkeit eines Systems, auf die sich verändernden äußeren Bedingungen zu reagieren, sich anzupassen.
2.G-oal Attainment (Zielverfolgung): die Fähigkeit eines Systems, Ziele zu definieren und zu verfolgen.
3.I-ntergration (Eingliederung): die Fähigkeit eines Systems, Kohäsion (Zusammenhalt) und Inklusion (Einschluss) herzustellen und abzusichern.
4.L-atency oder Latent Pattern Maintenance (Aufrechterhaltung): die Fähigkeit eines Systems, grundlegende Strukturen und Muster aufrechtzuerhalten.
Prüfen Sie doch einfach mal, ob Ihre Unternehmensstruktur sich nicht genau schon an diesen Parametern orientiert.
Viele Ideen sind letztlich alter Wein in neuen Schläuchen. Neben Parsons‘ Prinzip der Agilität ist auch die vermeintliche Neuentdeckung von Connectivity im Sinne einer Vernetzung von Systemen ein „alter Hut“ und wurde schon von Hammer und Champy in den frühen 90ern des vergangenen Jahrhunderts im Rahmen ihrer Ansätze zur Prozessorganisation beschrieben. Die beiden sehen Prozesse als Dialog zwischen den Systemen Maschine und Maschine, Mensch und Maschine sowie Mensch und Mensch. Deren Optimierung war also schon damals ein wesentliches Ziel von Unternehmensentwicklung.
Bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte die neuen Ansätze nicht abwerten, sondern ins rechte Licht rücken. Selbstverständlich ist eine sinnvolle und zielführende Vernetzung der Systeme unabdingbar. Ohne Zweifel kommt es einem Unternehmen zugute, wenn eine ernst gemeinte Agilität zu mehr Entscheidungsspielraum, mehr Gestaltungsmöglichkeiten und mehr Verantwortung bei den Mitarbeitenden führt, die in projektbezogenen, interdisziplinären Teams mit modernen Methoden der Arbeitsorganisation und unterstützenden Führungskräften innovative Prozesse oder Produkte kreieren. Aber es bleibt die Frage: Mit welchem Ansatz lässt sich zügig, konsequent und doch einfach und nachhaltig eine solche Agilität erreichen? Die Antwort ist die Kollegiale Beratung.
Im aktuellen Methodenhype ist eine Bestandsaufnahme sinnvoll. Dabei wird bereits Bekanntes neu reflektiert und die Hektik eines vermeintlichen Anpassungspostulats erst einmal aus dem Prozess herausgenommen. Schauen wir, was wirklich passend ist. | |
1.2Kompetenzen, die wir wirklich brauchen
Es gibt nach wie vor das weitverbreitete Kompetenzmodell der vier Bereiche – Fach-, Sozial-, Methoden- und persönliche Kompetenz –, die zur Handlungsfähigkeit führen sollen. Meiner Ansicht nach reichen diese Felder nicht mehr aus. Eine Ergänzung um zwei weitere Aspekte erscheint mir sinnvoll: Transferkompetenz und systemische Kompetenz.
Häufig scheitern gute Konzepte und Strategien an und in der Umsetzung. Wir brauchen daher Mitarbeitende, die in der Lage sind, erarbeitete Lösungsansätze auch in den Arbeitsalltag zu übertragen und in die Unternehmensprozesse zu integrieren. Dafür sollten sie die Fähigkeit haben, sich selbst zu reflektieren und so mögliche Antreiber bzw. Stakeholder auf der einen sowie Hindernisse auf der anderen Seite zu antizipieren und in das aktive Handeln einzubeziehen.
Darüber hinaus ist es von besonderer Bedeutung, vernetzt und in Zusammenhängen zu denken und zu agieren. Welcher Prozess ist vor-, welcher nachgelagert? Wie sind die Auswirkungen auf das zusammenhängende Geflecht von Mitarbeitenden und Organisation? Diese Prozessorientierung ist wesentlicher Bestandteil einer systemischen Einstellung und Herangehensweise.
Die heutige Zeit benötigt mehr denn je die Kompetenz, Wissen und Erfahrung in intelligenten Transferprozessen zu realisieren („how to apply knowledge“) und in Netzwerkverbindungen und mit dem Verständnis von Prozessen zu handeln („how to act in systems of complexity“). | |
1.3Die 6-C-Strategie
Damit aber nicht genug: Für zukünftige Aufgaben werden weitere – recht konkrete – Kompetenzen benötigt, die ich in einer Übersicht zusammengefasst habe und die letztlich auch eine Unternehmensstrategie darstellen können.
6-C-Strategie der Agilität
•Challenge: Betrachten Sie Herausforderungen als Chancen.
•Curiosity: Halten Sie Ihre Augen offen und Ihren Kopf wach.
•Charisma: Sorgen Sie für „Empowerment“ und Begeisterung bei Ihren Leuten.
•Creativity: Ignorieren Sie Grenzen aller Art.
•Communication: Vernetzen Sie sich mit allen Beteiligten.
•Consequence: Setzen Sie Dinge um.
-> Ihr Ziel: nachhaltiger Wandel.
Dabei ist eine neue Form von Flexibilität begleitend wirksam: die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, Lösungen zu entdecken und zu verwerfen, mit Prototypen als 80-Prozent-Lösung zu operieren (Pareto-Prinzip) und vor allem für die Mitarbeitenden die Grenzen der Reglementierung weit zu fassen. Machen wir unsere Mitarbeitenden neugierig! Auf neue Produkte und Prozesse und Arbeitsformen. Lassen wir unsere Mitarbeitenden kreativ sein! Brain Teams, Think Tanks und Org Labs werden aus den Nischen geholt und etabliert. Vermeiden wir also, die M...