Weiße Nächte
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Weiße Nächte

  1. 100 Seiten
  2. German
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Es war eine wundervolle Nacht, eine solche Nacht, wie sie vielleicht nur vorkommen kann, wenn wir jung sind, lieber Leser. Mit diesem Satz eröffnet Dostojewski seine Geschichte einer beginnenden Liebe, die aus der zufälligen Begegnung zwischen dem einsamen Erzähler und der jungen Nastenka entsteht. In vier Nächten offenbaren sich die beiden ihre Ängste und Sehnsüchte. Doch Nastenkas Herz gehört einem anderen. Ebenso ergreifend wie einfühlsam erzählt Dostojewskis 'empfindsamer Roman' von der unerfüllten Liebe.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783965443495

Die zweite Nacht

»Nun haben Sie es doch erlebt!« sagte sie lachend und mir beide Hände reichend.
»Ich bin schon seit zwei Stunden hier. Sie wissen gar nicht, wie mir heute den ganzen Tag zumute war.«
»Ich weiß es, ich weiß es. Doch zur Sache. Wissen Sie, wozu ich hergekommen bin? Doch nicht um Unsinn zu schwatzen, wie gestern. Hören Sie: wir müssen in Zukunft vernünftiger sein. Ich habe darüber gestern noch lange nachgedacht.«
»Worin sollen wir denn vernünftiger sein? Ich meinerseits bin ja zu allem bereit; doch ich habe in meinem ganzen Leben wirklich nichts Vernünftigeres erlebt, als das, was ich jetzt erlebe.«
»Ist es wahr? Erstens muß ich Sie bitten, mir nicht so fest die Hände zu drücken; zweitens erkläre ich Ihnen, daß ich heute viel über Sie nachgedacht habe.«
»Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«
»Zu welchem Ergebnis? Nun, daß wir alles von vorne anfangen müssen, denn ich habe heute schließlich eingesehen, daß ich Sie noch gar nicht kenne, daß ich mich gestern wie ein Kind, wie ein kleines Mädchen benommen habe; zuletzt sagte ich mir, daß an allem nur mein gutes Herz schuld sei, d.h. ich lobte mich, was auch immer herauskommt, wenn wir uns über uns selbst Rechenschaft abgeben wollen. Und um diesen Fehler gutzumachen, habe ich beschlossen, mich über Sie sehr eingehend zu erkundigen. Da ich mich aber über Sie bei niemandem erkundigen kann, so müssen Sie mir selbst alles erzählen, die reine Wahrheit. Was sind Sie also für ein Mensch? Fangen Sie doch gleich an, erzählen Sie mir Ihre Geschichte!«
»Meine Geschichte!« rief ich erschrocken aus, »Meine Geschichte! Wer hat Ihnen gesagt, daß ich überhaupt eine Geschichte habe? Ich habe nämlich gar keine Geschichte … «
»Wie lebten Sie denn, wenn Sie keine Geschichte haben?« unterbrach Sie mich lachend.
»Ganz ohne Geschichte! Ich lebte so ganz für mich, das heißt, ganz allein. Wissen Sie, was allein heißt?«
»Was verstehen Sie unter ›allein‹? Sind Sie denn niemals mit Menschen zusammengekommen?«
»Das nicht! Gewiß komme ich mit Menschen zusammen und doch bin ich allein … «
»Nun, sprechen Sie denn mit niemand?«
»Eigentlich mit niemand.«
»Wer sind Sie denn? Erklären Sie es mir! Doch warten Sie, ich glaube, ich kann es selbst erraten: Sie haben wohl eine Großmutter wie ich. Sie ist blind, läßt mich ihr ganzes Leben lang nicht von ihrer Seite, so daß ich beinahe zu sprechen verlernt habe. Und als ich vor zwei Jahren einen üblen Streich anstellte, und sie einsah, daß sie mich nicht anders festhalten konnte, rief sie mich einmal zu sich heran und befestigte mein Kleid mit einer Stecknadel an das ihrige. So sitzen wir nun seither tagelang nebeneinander; sie strickt, obwohl sie blind ist, einen Strumpf, und ich muß brav an ihrer Seite sitzen, nähen, oder ihr etwas vorlesen, – es ist so seltsam: seit zwei Jahren lebe ich an die Großmutter angesteckt … «
»Mein Gott, wie traurig! Doch ich, nein, ich habe keine solche Großmutter.«
»Wenn Sie keine haben, wie können Sie dann immer zu Hause sitzen?«
»Hören Sie: Sie wollten doch wissen, wer ich bin?«
»Ja, gewiß?«
»Im eigentlichsten Sinne des Wortes?«
»Ja!«
»Also bitte: ich bin ein Typ.«
»Ein Typ? Was für ein Typ?« rief das Mädchen aus und lachte so, als ob sie ein ganzes Jahr keine Gelegenheit zum Lachen gehabt hätte. »In Ihrer Gesellschaft ist es wirklich lustig! Schauen Sie: hier ist eine Bank; wollen wir uns setzen. Hier kommt kein Mensch vorbei, niemand wird uns hören, also können Sie mir Ihre Geschichte erzählen! Sie werden mir nichts vormachen: natürlich haben Sie eine Geschichte, Sie verheimlichen sie nur. Sagen Sie mir vor allen Dingen: was ist ein Typ?«
»Ein Typ? Ein Typ ist ein Sonderling, ein lächerlicher Mensch,« sagte ich und begann, von ihrem kindlichen Lachen angesteckt, gleichfalls zu lachen. »Das ist so ein Charakter. Hören Sie einmal: wissen Sie, was ein Träumer ist?«
»Ein Träumer?! Wie sollte ich das nicht wissen? Auch ich bin eine Träumerin! Wenn ich so neben meiner Großmutter sitze, kommt mir doch alles Mögliche in den Sinn. Und so fange ich an zu träumen, und wenn ich schon einmal im Zuge bin, so kann es auch vorkommen, daß ich in meinen Gedanken den Kaiser von China heirate … Manchmal ist es sehr schön zu träumen! Übrigens nein, – ich weiß wirklich nicht … Besonders wenn man auch an andere Dinge denken muß … « fügte das Mädchen ziemlich ernst hinzu.
»Vortrefflich! Wenn Sie schon einmal so weit waren, daß Sie den Kaiser von China heirateten, so werden Sie auch mich verstehen. Also hören Sie zu … Erlauben Sie übrigens: ich weiß ja noch gar nicht, wie Sie heißen!«
»Endlich fällt's Ihnen ein, danach zu fragen! Früh genug!«
»Ach mein Gott! Früher dachte ich gar nicht daran, ich fühlte mich auch so schon glücklich … «
»Ich heiße Nastenka.«
»Nastenka! Und weiter?«
»Nichts weiter! Ist es Ihnen zu wenig? Sie sind wirklich unersättlich!«
»Ob es mir zu wenig ist? Im Gegenteil: es ist viel, sehr viel! Sie sind wirklich ein gutes Mädchen, Nastenka, wenn Sie sich gleich zu Beginn mit dem Kosenamen Nastenka vorstellen.«
»Nun sehen Sie es! Also weiter!«
»Hören Sie, Nastenka, was für eine komische Geschichte ich Ihnen erzählen werde.«
Ich setzte mich neben sie, nahm eine pedantisch-ernste Pose an und begann wie aus einem Buche:
»Es gibt, wenn Sie es noch nicht wissen, Nastenka, es gibt hier in Petersburg recht seltsame Winkel. In solche Winkel schaut jene Sonne, die sonst für alle Einwohner Petersburgs scheint, wohl niemals hinein. An ihrer Statt guckt zuweilen eine andere, neue Sonne hinein, eine eigens für solche Winkel geschaffene Sonne, die auf alles ein ganz anderes, eigenes Licht wirft. In solchen Winkeln, liebe Nastenka, lebt man ein ganz besonderes Leben, das von dem Leben, das um uns brandet, gänzlich verschieden ist; ein Leben, das es vielleicht nur noch irgendwo, in einem fernen Märchenlande gibt, aber keineswegs hier bei uns, in unsrer ernsten, bitterernsten Zeit. Dieses Leben ist ein Gemenge von etwas rein Phantastischem und brennend Idealem und – leider, Nastenka! – trüb Prosaischem und Gewöhnlichem, um nicht zu sagen – grenzenlos Banalem.«
»Pfui! Du lieber Himmel! Diese Vorrede! Was werde ich denn noch zu hören bekommen?«
»Sie werden hören, Nastenka, (ich glaube, ich werde niemals müde, Sie Nastenka zu nennen), Sie werden hören, daß in solchen Winkeln sonderbare Menschen – ich nenne sie Träumer – leben. Ein Träumer, wenn ich genauer definieren soll, ist gar kein Mensch, sondern, wissen Sie, ein Wesen sächlichen Geschlechts. Dieses Wesen siedelt sich gewöhnlich in einem möglichst unzugänglichen Winkel an, als ob es sich sogar vom Tageslicht abschließen wollte, und wenn es schon einmal einen solchen Winkel gefunden hat, so wächst es mit ihm zusammen wie die Schnecke mit ihrem Haus; oder es gleicht zumindest einem andern interessanten Geschöpf, das Tier und Haus zugleich ist und das man Schildkröte nennt. Was glauben Sie, warum liebt dieser komische Mensch seine vier Wände, die unbedingt grün angestrichen, schmierig, düster und in ganz unerlaubtem Maße verräuchert sind? Warum empfängt er einen Bekannten, der ihn besuchen will, (und es endet immer damit, daß er seine wenigen Bekannten einen nach dem andern verliert), warum empfängt er ihn mit so verlegenem und verändertem Gesicht, als ob er in seinen vier Wänden soeben irgendein Verbrechen begangen hätte: als hätte er falsche Banknoten hergestellt oder ein Gedicht geschrieben, um es an eine Redaktion mit einem anonymen Begleitbrief zu schicken, in dem es heißt, daß der wirkliche Autor längst gestorben sei und daß ein Freund des Verstorbenen es für seine Pflicht halte, die Verse zu veröffentlichen? Warum, erklären Sie es mir, Nastenka, warum kann zwischen ihm und seinem Gast unmöglich ein Gespräch zustandekommen? Warum kann der plötzlich erschienene und schon ganz verdutzte Freund auf einmal weder lachen noch scherzen, während er ja sonst gar nicht abgeneigt ist, zu lachen, zu scherzen oder über das zarte Geschlecht oder ein anderes lustiges Thema zu plaudern? Sagen Sie mir, warum ist schließlich auch der Freund selbst, der den Träumer wohl erst vor kurzem kennen gelernt hat und seinen ersten Besuch bei ihm macht (einen zweiten wird er nämlich nie machen!) warum ist er bei all seinen gesellschaftlichen Talenten, wenn er sie besitzt, auf einmal so verlegen und zu Erz erstarrt, wenn er das veränderte Gesicht des andern sieht, der seinerseits schnell aus dem Konzept gekommen ist, nachdem er zuvor, um wenigstens durch seinen guten Willen dem Gast zu gefallen, einige übermenschliche doch vergebliche Anstrengungen gemacht hat, die Unterhaltung in Fluß zu bringen und zu beleben und dem armen Gast, der wohl aus Versehen zu ihm geraten ist, zu zeigen, daß auch er Unterhaltungsgabe besitzt und, gleichfalls vom schönen Geschlecht zu plaudern versteht? und warum greift der Gast schließlich ganz unvermittelt nach seinem Hut und macht sich schleunigst aus dem Staube, nachdem er irgendeine unaufschiebbare Angelegenheit, die ihm soeben eingefallen sei, erfunden und seine Hand aus dem warmen Händedruck des andern, der seine tiefste Reue und Bereitwilligkeit, alles wieder gut zu machen, zeigt, mit Not losgerissen hat? Warum beginnt der fortgehende Freund, sobald er draußen ist, wie wahnsinnig zu lachen, warum leistet er unverzüglich das Gelübde, nie wieder den Sonderling zu besuchen, obwohl dieser im Grunde genommen ein vortrefflicher Mensch ist, und warum kann er seiner Phantasie nicht das harmlose Vergnügen versagen: den Gesichtsausdruck, den sein Freund während der soeben stattgefundenen Unterredung zeigte, wenigstens ganz entfernt mit dem eines unglückseligen Kätzchens zu vergleichen, das Kinder heimtückisch gefangen genommen, und dann, geplagt und auf jede Weise mißhandelt haben und das sich schließlich vor ihnen unter einen Sessel oder in eine finstere Ecke verkrochen hat, wo es nun eine ganze Stunde Zeit hat, sein zerzaustes Fell in Ordnung zu bringen, sein beleidigtes Schnäuzchen mit beiden Vorderpfoten zu waschen und dann noch lange Zeit feindselig auf die Natur und das Leben zu sehen und selbst auf den guten Bissen, den ihm die mitleidige Wirtschafterin von der herrschaftlichen Tafel aufgehoben hat?«
»Hören Sie einmal,« unterbrach mich Nastenka, die die ganze Zeit erstaunt, mit großen Augen und offenem Munde zugehört hatte: »Hören Sie: ich weiß wirklich nicht, warum dies alles geschah und warum Sie diese komischen Fragen gerade mir vorlegen; aber was ich ganz sicher weiß, ist, daß Sie es sind, der alle diese Abenteuer erlebt hat.«
»Zweifellos!« antwortete ich mit ernster Miene.
»Wenn es zweifellos ist, so fahren Sie fort,« sagte Nastenka, »denn ich möchte wirklich gerne wissen, womit das alles endet.«
»Sie wollen also wissen, Nastenka, was unser Held, oder richtiger, was ich in meiner eigenen bescheidenen Person trieb? Sie wollen wissen, warum ich nach dem unerwarteten Besuch eines Freundes jedes Gleichgewicht verlor und es einen ganzen Tag lang nicht wiederfinden konnte? Sie wollen wissen, warum ich erzitterte und errötete, als die Türe meines Zimmers aufging, warum ich den Gast nicht wie es sich gehört empfing und warum ich auf eine so lächerliche Weise von der Last meiner Gastfreundschaft erdrückt wurde?«
»Nun ja!« erwiderte Nastenka: »Das will ich eben wissen! Hören Sie: Sie erzählen ja sehr schön, vielleicht können Sie aber doch etwas weniger schön erzählen? Denn Sie sprechen so, als ob Sie aus einem Buche vorläsen!«
»Nastenka!« sagte ich wichtig und ernst, doch im Grunde mit Mühe ein Lachen verbeißend: »Liebe Nastenka, ich weiß, daß ich sehr schön erzähle, Sie müssen mich aber entschuldigen: ich kann nicht anders erzählen. Jetzt gleiche ich dem Geiste des Königs Salomo, der tausend Jahre lang in einem Kästchen unter sieben Siegeln eingeschlossen war und den man endlich von diesen sieben Siegeln befreit hat. Und nun, liebe Nastenka, wo wir uns nach einer so langen Trennung wieder begegnet sind, denn ich kannte Sie schon lange, Nastenka, und sehnte mich schon lange nach jemand, (was ein Beweis dafür ist, daß Sie es sind, die ich suchte, und daß unsere Begegnung eine Fügung des Schicksals ist) – jetzt haben sich in meinem Kopfe tausend Schleusen geöffnet, und ich muß alles Aufgespeicherte in einem Redefluß ausgießen, oder ich ersticke. Also ich bitte Sie, Nastenka, mich nicht zu unterbrechen, sondern mir geduldig und folgsam zuzuhören. Sonst höre ich auf!«
»Nein, nein, nein! Das will ich nicht! Sprechen Sie nur! Ich werde Sie mit keinem Wort unterbrechen!«
»Gut, ich fahre fort. Es gibt, meine liebe Nastenka, in meinem Tage eine Stunde, die ich ganz besonders liebe. Es ist die Stunde, wo alle Leute ihr Tageswerk abgeschlossen haben, aus den Geschäften und Ämtern nach Hause eilen, um zu essen und auszuruhen, und unterwegs lustige Pläne fassen in bezug auf den Abend, die Nacht und di...

Inhaltsverzeichnis

  1. Die erste Nacht
  2. Die zweite Nacht
  3. Nastenkas Geschichte
  4. Die dritte Nacht
  5. Die vierte Nacht
  6. Der Morgen