Briefe von Klara
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Briefe von Klara

Erzählungen

  1. 137 Seiten
  2. German
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Briefe von Klara

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Neben der alten Klara, die in ihren Briefen schonungslos offen ist, begegnen wir dem stolzen Kind, dem verschlossenen jungen Künstler, despotischen Müttern und alten Schulkameraden. Ihre Kreise überschneiden sich zufällig unterwegs oder auch geplant bei Klassentreffen oder im Sommerurlaub. Deutlich Ausgesprochenes steht neben niemals Erwähntem. Mal bewirkt Ersteres nichts, mal Letzteres alles. Doch jeder dieser Eigenwilligen scheintseinen Weg zu finden.Ein klarer Blick auf das Leben in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen und ein klares Ja dazu durchziehen die dreizehn scharfsinnigen Erzählungen dieses Bandes – und wie immer Tove Janssons feiner Humor und ihre eigensinnigen Protagonisten.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783825162290

EMMELINA

Als das alte Fräulein im dritten Stock sich zum letzten Mal geärgert hatte und friedlich im Schlaf gestorben war, fragten sich viele ihrer Nachbarn, was mit der großen Altbauwohnung passieren würde, in der sie neunzig Jahre lang gelebt hatte. Nach und nach drang die Nachricht durch, dass die Wohnung Emmelina vermacht worden sei, einer Neunzehnjährigen, die wohl als eine Art Gesellschafterin bei der Arbeitsvermittlung aufgegabelt worden war, demnach einer völlig anonymen Person. Wie die Haushaltshilfe das herausgefunden hatte, wusste niemand, jedenfalls hatte sie es nicht von Emmelina, die nie ein Wort über sich selbst verlor und auch sonst nicht viel von sich gab.
Wie dem auch sei, das Testament war wohl kaum von Zuneigung oder Dankbarkeit diktiert worden, denn laut der Haushaltshilfe hätte das alte Fräulein genauso gut eine Katze als Gesellschafterin haben können, und Emmelinas Fürsorglichkeiten, obwohl untadelig, schienen mehr oder weniger aus Zerstreutheit geschehen zu sein. Meistens saß sie neben dem Bett und las etwas vor, bis das betreffende Buch dem alten Fräulein auf die Nerven ging und sie ein neues verlangte und irgendwann nur noch wissen wollte, wie es endete.
Als Haushaltshilfe, die immer wieder ein und aus geht, um alles Mögliche zu erledigen, hört und sieht man so manches. Das bedauernswerte alte Fräulein habe versucht, ein bisschen Leben in diese vortreffliche Emmelina zu bringen und gesunde Wut in ihr zu wecken, sie habe Tag und Nacht nach Sachen geklingelt, die sie gar nicht benötigte, und sich wegen allem und jedem lauthals beschwert, doch nein, eine wie Emmelina lasse sich nichts anmerken, und überhaupt sei es nicht gut, wenn Leute immer die Ruhe bewahrten und den Mund hielten, das sei unnatürlich. »Fast ein bisschen unheimlich«, meinte die Haushaltshilfe und senkte die Stimme, »bei ihr, dieser Emmelina, läuft es mir manchmal kalt über den Rücken, richtig gruselig ist die.«
Jetzt, ein halbes Jahr später, wohnte Emmelina immer noch in der großen Wohnung. Sie veränderte nichts, alles durfte so bleiben wie zu Lebzeiten des alten Fräuleins. Sie schien sich in diesen verdunkelten Räumen, wo man die planlose Anhäufung von Möbeln und unnötiger Habe kaum erkennen konnte, wohlzufühlen, manchmal schlenderte sie einfach von Zimmer zu Zimmer, offensichtlich hoch zufrieden und ohne irgendwelche Zukunftspläne.
Die Haushaltshilfe, die weiterhin einmal in der Woche kam, wusste zu berichten, dass Emmelina im Esszimmer schlafe, dem größten Zimmer der Wohnung, wo die Stühle aufgereiht an den Wänden standen, und dass sie auf dem Regal des Büfetts eine Menge Glaskugeln liegen habe – nun, schrullig bleibe eben schrullig, und mehr gebe es darüber nicht zu sagen.
Die Zeit verging, die Nachbarn vergaßen Emmelina, die sich nur selten zeigte, und im Haus kehrte wieder Normalität ein.
Hinterher sagte sich David, der junge Mann, der eine Etage tiefer wohnte und in einer Werbefirma arbeitete, dass er vielleicht schon mehrmals im Treppenhaus an Emmelina vorbeigekommen war, ohne sie zu bemerken, klein und farblos, wie sie war. Doch dann war dieser entscheidende Abend gekommen.
In Davids Wohnung war das Licht ausgefallen. Weil er seine Taschenlampe nicht finden konnte, trat er ins Treppenhaus hinaus. Und dort sah er Emmelina Stufe um Stufe die Treppe herabkommen, eine brennende Kerze in der Hand. David betrachtete ihr friedliches Gesicht. Es befand sich in absoluter Ruhe, nur von den gleitenden Schatten der Kerzenflamme umspielt. Sie erschien ihm unwirklich schön und geheimnisvoll.
In jener Nacht beschwor David das ruhige Bild des Mädchens mit der Kerze wieder herauf, um damit etwas zu verjagen, was ihm Angst machte: eine Einsicht, die sich unerbittlich jedes Mal bei Einbruch der Nacht einstellte. Ihm war klargeworden, dass er seinen Job hasste und zu feige war, um aufzubrechen und ganz von vorn anzufangen. Das klingt vielleicht ganz einfach. Mit fünfunddreißig geht das vielen so, sie sehen ein, wie es um sie bestellt ist, und machen eine Kehrtwende, oder nicht? Nein. Sie machen weiter und weiter. Sie trauen sich nicht, sie haben nicht genügend Kraft. Sie packen es einfach nicht … Oder vielleicht ist es ihnen auch egal.
Die quälenden Nächte hörten nicht auf, allmählich verblasste das Bild von dem Mädchen mit der Kerze, und was hatte sie überhaupt mit der Sache zu tun …?
In einem seiner Albträume versuchte David, einen Kunden zu überzeugen, er bemühte sich, ihn mit den immer gleichen Anekdoten bei Laune zu halten, mit seinen einfältigen, ach so beliebten Sprüchen, anbiedernd und unaufrichtig … Oder der Traum vom wichtigen Geschäftsessen: Er hatte die Adresse vergessen, genau wie den Namen des Kunden, und hatte keine Ahnung, was bei dem Essen überhaupt verhandelt werden sollte, er wusste nur, dass er zu spät dran war, immer zu spät, und wie im Amoklauf durch die Straßen stürzte, im Bewusstsein, ein großes Vertrauen enttäuscht zu haben.
Am nächsten Morgen ging er wieder zur Arbeit.
David schrieb an Emmelina, dann zerriss er den Brief.
Es gab ja noch Knut. Sie trafen sich ab und zu auf ein Bier und blätterten die Abendzeitungen durch, bevor sie nach Hause gingen. Knut arbeitete in einer Autofirma weiter die Straße hinunter, dort war es seine Aufgabe, Autos zu vermieten oder zu verkaufen.
Einmal war David gefährlich kurz davor gewesen, seine eigene Verzweiflung zur Sprache zu bringen, hatte es dann aber gelassen und es sich erspart, sehen zu müssen, wie Knut den Blick hilflos und bekümmert auf seine großen Hände senkte, genau wie damals in der Schulzeit, wenn ihn etwas verlegen gemacht hatte.
In der Autowerkstatt kam es mitunter vor, dass Knut einem Kunden gegenüber beiläufig äußerte: »Wie mein Freund in der Werbebranche neulich über diese Automarke bemerkte …«, oder: »Sie können gern einen meiner Freunde in der Werbebranche fragen, er trifft immer wieder Unternehmer, die genau diese Marke fahren.«
Jetzt trank Knut sein Bier aus und legte die Zeitung zusammen. »In letzter Zeit sieht man dich nicht mehr so oft«, sagte er.
»Viel zu tun?«
»Ja, schon …«
»Und? Läuft’s gut?«
»Klar«, sagte David. »Bis bald.«
»Tschüss, bis dann«, sagte Knut.
Man könnte ja irgendeine beliebige Person aufsuchen, den Barmann im Schwarzen Bären oder den Zeitungshändler an der Ecke zum Beispiel, um sich dort hemmungslos auszuschütten und zu gestehen, dass man eigentlich nur noch sterben wolle. Danach wäre es natürlich unmöglich, jemals wieder im Schwarzen Bären etwas zu trinken oder um die Ecke zu gehen und eine Zeitung zu kaufen.
Schließlich stieg David in die dritte Etage und läutete an Emmelinas Tür, ohne zu wissen, was er ihr sagen sollte.
»Guten Abend«, sagte Emmelina. »Sie wohnen einen Stock tiefer, nicht wahr?« Dann redete sie mit der größten Selbstverständlichkeit kühl und höflich ein paar Minuten lang über Belanglosigkeiten und wollte auch nicht wissen, warum er gekommen war. Vor lauter Dankbarkeit kam die junge Frau David intelligent vor. In dieser Nacht schlief er traumlos.
Sie begannen abends auszugehen, immer in dasselbe Lokal einen Häuserblock weiter. Dank Emmelinas erholsamer Ruhe und Schweigsamkeit und der Tatsache, dass sie nichts von ihm zu erwarten schien und mit sich selbst offenbar absolut im Reinen war, wurden diese Abende für David sehr wichtig. Emmelina äußerte zwar nie etwas von Bedeutung, nie etwas Persönliches, aber das, was sie sagte, wurde jedes Mal von einer kleinen Pause eingeleitet, die David in Spannung versetzte – bis der erwartungsvolle Augenblick vorüberging. Er stellte fest, dass Emmelina alles, was er sagte, mit der Ernsthaftigkeit eines Kindes fast wörtlich auffasste, und er beschloss, sie nie zu belasten, es genügte, in ihrer Nähe sein zu dürfen, von den anderen befreit, aber dennoch nicht allein.
Besonders entzückt war David von Emmelinas blonden Haaren. Sie fielen ihr gerade abgeschnitten über die Stirn und die Schultern und bildeten eine glänzende Haube, aus der das Gesicht wie aus einem Fenster herausschaute, ein schmales Gesicht, in keinerlei Hinsicht bemerkenswert, bis auf die Augen, die ungewöhnlich hell waren, beinahe farblos. Und ihm gefiel, wie sie die schwere Haarmasse nach vorn fallen ließ, wenn sie mit gesenktem Blick auf das hörte, was er sagte.
David bemühte sich, die geheimnisvolle Aura, die sie umgab, und diese neue zerbrechliche Freundschaft zu schützen. Aber bei allem ritterlichen Respekt konnte er Emmelina Eigenschaften andichten, Charakterzüge konstruieren, von denen sie selbst keinerlei Anzeichen zeigte, er entwarf ein zärtliches Bild von ihrer Kindheit und frühesten Jugend, sie erhielt kleine Eigenheiten, charmante Fehler – das wurde zu einem Spiel, dem die Wirklichkeit um keinen Preis zu nahe kommen durfte.
Und er überlegte: Wie sieht sie mich? Ein langer Kerl mit Brille und magerem Hals, konventionell gut gekleidet … Spürt sie, dass ich unglücklich bin, versteht sie, wie sehr ich mich zusammennehme? Sie fragt nichts, einfach nie … Warum fragt sie nie?
Eines Tages sagte Emmelina: »Ich sammle Kristallkugeln. Die möchte ich dir gerne zeigen.«
Auf dem Weg hinauf zur Wohnung des alten Fräuleins sagte er: »Sie soll ja oft sehr ärgerlich gewesen sein, diese alte Dame. Das war sicher manchmal schwierig für dich?«
»Das war nicht schwierig. Es war wichtig, dass sie sich ärgern durfte, das hat sie beruhigt.«
»Du hast ihr vorgelesen? Man sagt ja, sie habe nur wissen wollen, wie das Buch ausging – aber was, wenn es schlecht ausging?«
»Ich wählte Bücher, die gut ausgingen«, sagte Emmelina. »Und irgendwann hat sie gewusst, dass es ein gutes Ende nehmen würde.«
»Wie meinst du das?«
»Sie durfte im Schlaf sterben, das weißt du doch?«
»Na, du bist mir eine«, sagte David. »Was würdest du mir denn vorlesen, wenn es so weit wäre?«
»Dir würde ich die Leviten lesen«, sagte sie.
David lachte anerkennend. In letzter Zeit kam es selten vor, dass jemand ihn zum Lachen bringen und dabei selbst absolut ernst bleiben konnte.
Als er die düstere, mit Möbeln vollgestopfte Wohnung betrat, erschrak er.
»Aber Emmelina«, sagte er, »hier kannst du doch nicht wohnen!«
»Das ist nicht wichtig«, sagte sie. »Außerdem bleibe ich vielleicht gar nicht so lange hier.«
Die Kristallkugeln, manche durchsichtig, manche voller Nebel, waren alle sehr schön.
»Hübsches Hobby«, sagte David und lächelte sie an. »Was siehst du in ihnen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. INHALT
  4. Briefe von Klara
  5. Robert
  6. Im August
  7. Der Seerosenteich
  8. Die Zugfahrt
  9. Das Gesellschaftsspiel
  10. Piratenrum
  11. Im Sommer
  12. Die Bilder
  13. Vorwarnungen
  14. Emmelina
  15. Meine Freundin Karin
  16. Die Reise an die Riviera
  17. Impressum