Legenden einer Reise
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Legenden einer Reise

Reiseerzählung

  1. 68 Seiten
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Legenden einer Reise

Reiseerzählung

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Über dieses Buch

Glücklich vor allem auf Reisen; Burano verlassend, unterwegs in Venedig, kann es im Herbstregen auch mal trostlos werden. Dann flüchtet der Reisende in eine Bar, in das Geschäft eines Früchtehändlers, bestaunt und besucht die Kirchen. Der meisterliche Stilist Eugen Gottlob Winkler erzählt von Begegnungen auf der Piazza San Marco, beim Boccia spielen, dem letzten Gast in einem Hotel, wenn die Badesaison vorüber ist. Gedanken und Bilder, das Meer, Nebel, ein Schwimmer … "das Glückhafte, wenn es so unerwartet geschieht, wirkt bestürzend und drohend wie die Gefahr." Eugen Gottlob Winkler ist "der Frühvollendete, ein Nachfahre Hölderlins, ein schwäbischer Valéry, ein nihilistischer Klassizist" (Durs Grünbein), seine Literatur ist ein Fest für den Leser. Bewundernswert.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783944621227

Legenden einer Reise

Kurz nach Murano hatte uns der Kapitän erlaubt, das Dach des Schiffes zu besteigen, wo wir nach allen Seiten hin freien Ausblick genossen. Die Lagune war überquert, das Dampfboot näherte sich schon den Inseln, und wir befanden uns bald auf einem engen Kanal, der sich dazwischen hindurchwand. Riesigen Flößen gleich zogen sie an uns vorüber, befrachtet mit Gärten und Häusern, die als zitternde Bilder im Wasser nochmals erschienen.
Wir verließen Burano. Immer kleiner werdend schwamm es von Norden nach Süden, und während wir noch mit rückwärts gewandten Blicken beobachteten, wie es unter der Last seiner alten Gehäuse, aus deren Mitte der Mastbaum eines schiefen Kirchturms emporstach, allmählich versank, hatten wir uns unversehens einer neuen Insel genähert. Das Fahrzeug stand still. Wir kletterten vom Dach und überschritten als die einzigen Passagiere des Schiffes einen gebrechlichen Steg, der uns an ein stilles, verlassenes Ufer führte. Ein Feld mit laubenförmig gezogenen Reben dehnte sich aus. Ein schmaler Kanal, den an der einen Seite ein Pfad begleitete, zog sich landeinwärts. Doch auch hier entgingen wir nicht dem Schicksal, sofort als Reisende entdeckt zu werden.
«Heißer Weg, staubig und lang», rief uns jemand in unserer Muttersprache entgegen. Die Laute klangen seltsam und abgewandelt, als spräche sie ein gelehriger Papagei. Doch war es ein Schiffer, dessen Kahn, verborgen von dunklem Gebüsch, am gegenüberliegenden Ufer lag, und der zu uns herüberruderte und sich erbot, uns zu Schiff nach Torcello zu bringen. Auf Italienisch begann er den Preis zu erörtern. Ohne daß wir etwas entgegneten, begann er zu handeln, entwickelte eine lange, schwungvolle Rede, in deren Verlauf er seine Forderung um die Hälfte verminderte, und als er uns endlich zu Wort kommen ließ, war er nicht wenig erstaunt, daß wir nicht die geringste Neigung bewiesen, seinen Kahn zu gebrauchen. Aber das Wetter war herbstlich mild und keineswegs heiß; soweit wir den Pfad überblickten, war er auch keineswegs staubig, und vor der Länge fürchteten wir uns nicht.
Es war ein Weg, der nirgends etwas Auffallendes vorwies. Bescheiden zog er an einem schwarzen, reglosen Wasser entlang, führte an Feldern vorüber, an Artischockenbeeten und von der Ernte zerzausten Weingärten. Einmal kam ein baufälliges Haus, über dessen rosa verblichene Mauern dunkles Gewölk von Feuchtigkeit zog; ein Mandelbaumgärtchen folgte. An jedem anderen Orte wäre ich achtlos den Weg dahingegangen. Hier aber gewann dies alles einen eigentlicheren Sinn. Nie ist der Geist so wach und aufmerksam wie im Zustande einer Erwartung. Und zu gleicher Zeit tritt alles, was nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit ihr steht, in der Seele des Betrachters verschwindend zurück. Indem ich mich der Eigenart jener Stunde entsinne, ist mir, als sei ich den Weg allein gegangen. Und erst die Erinnerung, die das eine oder andere genauer zurückruft, läßt mich wieder der Begleitung der Freunde gedenken, wenn auch sie, so oft sie mich anging, wie alles ins Unvertraute und Fremde verwandelt war. So sehe ich wieder, wie Joringel auf dem Rand einer Böschung erschien. Ich hatte mich etwas verzögert, meine Freunde waren vorausgegangen. Da rief sie mir plötzlich entgegen und wies mit wehem Ausruf ein Traubengerippe vor, an dem die Beeren zu winzigen Körnern vertrocknet waren. Ihr Haupt war vom Laub der hochgezogenen Reben umschattet. In grüner Dämmerung verschwamm ihr Gesicht. Die Augen, dunkel wie die Umgebung, blickten glanzlos, waren wie leer. Und mitten aus dem Laubdach hervor, das sich über ihr breitete, unbegreiflich vom Körper gelöst, ragte ihr Arm nackt in die bläulich schmelzende Luft; das Traubengerippe, dürr und schwarz, fiel auf mich nieder.
Hat mich das Mädchen auf folgendem Wege begleitet? Mich dünkt, als sei sie zurückgeblieben in der wilden Umarmung der Ranken, als sei sie, berührt von meinem erwartenden Blick, der sie gefährlich umfing, zu einer Rebe geworden, als habe sich wieder ein uralter Vorgang in ihr wiederholt.
Als ich den Platz betrat, war ich allein. Der Kanal nahm hier ein plötzliches Ende. Ich schaute umher, und dort auf der rechten Seite standen die beiden Kirchen. «Großartig», sagte ich mir, und wollte es doch nicht recht glauben. Denn auf dem Bild, das ich in meiner Vorstellung trug und dem einige photographische Aufnahmen zugrunde lagen, standen die Bauwerke um vieles schöner und größer. Doch ich kannte bereits diese Täuschung und war auf der Hut. Begegnet man der Wirklichkeit mit einem Traumbild, um sie an ihm zu messen, so zieht sie sich zurück hinter einen übertriebenen unbedeutenden Anschein.
Ich wandte also rasch mein Auge von den beiden Bauwerken ab und ließ es über die Dinge schweifen, die mir der auswählende Blick der Kamera auf den Abbildungen vorenthalten hatte: ich betrachtete die Bäume, die hier gediehen, ich war ihnen gleichsam dankbar dafür, daß sie hier wuchsen; ich ging die schmutzigen Häuser entlang, die sich zum Kanal hin erstreckten; Hühner liefen umher; jemand verprügelte ein ungezogenes Kind. Im ersten Stockwerk eines Hauses war eine Malerin zu beobachten, die am Fenster stand und einen gegenüberliegenden Garten abkonterfeite. Sie hatte die Staffelei dem einfallenden Licht entgegengedreht, man konnte von unten ohne Schwierigkeit das Gemälde beschauen, das sich in wenigen Minuten der Vollendung näherte, indes ein zigarettenrauchender Freund, nur mit einer Hose bekleidet, dabeistand und sachkundige, bis auf den Platz hinunter vernehmbare Bemerkungen dazu machte.
Dann trat ich zu einer kleinen Schenke, angelockt von Gelächter und lautem Geschrei. Einige halbwüchsige Burschen versuchten dort, eine wild mit den Flügeln um sich schlagende Gans auf eine Tischplatte zu setzen, wogegen sie sich aus Leibeskräften wehrte. Jedesmal, wenn die Burschen hofften, sie würde sich endlich beruhigen, und sie losließen: als eine außergewöhnliche Gans, die schon zu Lebzeiten auf eine Tafel kam, flatterte sie auf und suchte zu fliehen. Erst als mit unzweideutigem Geräusch das Zeichen ihrer fassungslosen Angst auf den Tisch fiel, ließen die Burschen von ihr ab. Lachend stoben sie weg, die Gans suchte gleichfalls das Weite, und zurück blieb ein gräßlich geschändetes Tischtuch, dessen Aussehen jeder Beschreibung spottete und geradezu nach Erbarmen schrie. Nun war es zwar auch vorher himmelweit von dem einladenden Weiß frischgebügelter Wäsche entfernt gewesen. Man hätte sogar gezögert, es kurz und bündig sauber zu nennen. Ein langer Sommer war nicht spurlos über sein Aussehen hinweggegangen. Es waren zahlreiche Gäste gekommen, die beim Einschenken ihren Wein zu verschütten pflegten, der rötlich auf dem Tischtuch eingetrocknet war. Speisen waren herabgefallen und hatten unappetitliche Flecken erzeugt. Jeder von den Gästen, die während dieses Sommers an dem Tische gespeist hatten, und war es selbst ein außergewöhnlich reinlicher und sorgfältiger Gast gewesen, hatte, ohne es zu wollen, dazu beigetragen, daß sich die graue Tönung allmählich verstärkte.
Nun aber, da plötzlich dieser handgreifliche Kot auf ihm lag, konnte von diesen geringen Beeinträchtigungen seiner Sauberkeit nicht mehr die Rede sein. Sie waren mit einemmal wie weggewischt. Sie waren verschwunden, als hätten sie nie existiert. Einzig und ausschließlich lag da dieser feuchte, schwarzgrüne Klumpen, und darunter und um ihn herum erschien das Tischtuch in einem bitter, ja tödlich beleidigten Weiß. Eine Kellnerin eilte herbei und packte das Tuch zusammen. Jammernd erhob sie die Stimme. Ich war erstaunt, denn ich hatte im Grunde erwartet, daß sie nun zu schmähen und zu schelten begänne. Aber sie beschied sich damit, lange und gründlich zu jammern, auf eine trostlose und durchaus mitleiderregende Art. Ich fühlte mich zutiefst genötigt, ihr zuzusprechen und sie über den Vorfall zu beruhigen, der in Wirklichkeit nicht so schlimm sein konnte, wie es nach ihren Klagen erschien. War doch der Sommer vorüber, standen doch immer noch Tische in genügender Anzahl umher, um die wenigen Gäste, die noch kamen, weißgedeckt zu empfangen.
Dies hielt ich dem Mädchen vor, fand mich aber getäuscht, wenn ich glaubte, ihr einen Trost damit zu geben. Verständnislos sah sie mich an. Ich sah auf das Tischtuch. Mir war, als hätte das Tischtuch geklagt. Das Mädchen hielt es noch ungefaltet in der Hand. Der gröbste Schmutz war davon abgefallen. Aber die zurückgebliebenen Reste waren immer noch ekelerregend genug. Und wesentlich blieb, daß die Verunreinigung dem Tischtuch auf eine ganz und gar nicht zukommende Art geschehen war. Auf eine Art, zu der es sich völlig schuldlos verhielt. Denn während es für die übrigen Unsauberkeiten, die ihm in seiner Eigenschaft als Tischtuch zustießen, gleichsam die Verantwortung trug; während man ihm einen Vorwurf daraus machen konnte, daß Speisen- und Weinflecken es verunzierten (ausgehend von dem berechtigten Wunsch, daß ein Tischtuch seinem Wesen nach sauber zu sein hat), war es durch dieses Ereignis auf eine Art und Weise verunreinigt worden, die seine tischtüchliche Unschuld, soweit sie ohnehin schon vergangen war, wieder in neuem Glanze erscheinen ließ, und soweit sie in Zukunft gefordert werden konnte, endgültig und verantwortungsledig entriß. War das nicht eine herrliche Gelegenheit, um zu klagen?
Die Gans tummelte sich längst wieder im Wasser. Meine Freunde hatten sich zerstreut. Allmählich fand ich mich mit diesem Jetzt und Hier genugsam befreundet, so daß ich mir trauen konnte, mich den beiden Bauwerken in der rechten Verfassung zu nähern.
Ein Pfad: eine Linie nackter Erde führte über den Platz, lief zwischen buschigem Gras zum Portal. Und wie aus Überfluß abgegeben, gar nicht trümmerhaft, vielmehr wie das noch ungebrauchte Material einer Werkstatt, lagerte auf der hellen Wiese steinerne Form; Gestalt und Halbgestalt, Kapitell und Säule aus körnigem Marmor. Runde riesige Wannen standen umher, aus härterem Gestein geschlagen: Granit und Porphyr, in den die Täuflinge frühester Jahrhunderte eingetaucht waren.
Vor dem Portal des Domes, in den Erdboden eingelassen, war der runde Unterbau eines Gebäudes zu sehen, einst gleichfalls der Taufe oder anderen heiligen Waschungen dienend. Alles war abgetragen bis auf eine niedrige Mauer, und allein unter dem schützenden Dach einer ziegelgedeckten Laube, die dem Eingang des Domes vorgebaut war, stand noch ein kurzes Stück der alten Wand, breit genug, um an der Innenseite noch eine mannshohe Nische zu tragen. Wenn man sich vorstellte, wie ehedem ein ganzer Kranz von solchen Gelassen den runden Raum umgeben hatte, wie einst das geräumige Becken, das jetzt fehlte, in seiner Mitte stand, so dachte man unwillkürlich an den Raum eines römischen Bades, wie deren einige in Pompeji noch heute zu sehen sind. Eben die Anstalten, die im Altertum dem Kult des menschlichen Leibes dienten, hatten die ersten Christen übernommen und sie in den Dienst des neuen Geistes gestellt. Manche der Wannen, in denen sich einstmals glänzende Leiber getummelt, umfaßte später das kostbare Wasser, in welches die sehnsüchtigen Täuflinge stiegen, um das ewige Heil zu empfangen. Und Aphrodite, die sich einst tausendgestaltig in den Nischen erhob: aufrecht stehend; mit der Pracht ihres Leibes in zärtlichem Spiele begriffen; dem Bade entstiegen, erschreckt ihre Blöße bedeckend; oder kauernd, ihr Haupt an die fruchthaften Glieder geschmiegt - Aphrodite mußte die in neuen Gebrauch getretenen Räume verlassen. Doch indem ich die zartgeformte Leere dieser hier übriggebliebenen Nische besah, schien es, als sei sie noch immer, nur auf verwandelte Art, von der Sinnlichkeit menschlichen Leibes durchwirkt. Mühelos konnte ich ihren Reiz in der Linie entdecken, die kraftvoll und gerade hinaufstieg, um sich oben zum Halbkreis zu biegen; sie trat aus dieser Öffnung hervor, hinter der sich das Mauerwerk zum sanft gemuldeten Raume schloß. Nichts war verlockender, als den Erinnerungen, Anklängen und schwebenden Ähnlichkeiten menschlicher Gestalt in diesen Formen nachzuspüren. Indem sie zu Linien und geometrischen Körpern verflüchtigt war, fehlte ihr nur das Bestimmte, der Glanz der fühlbaren Oberfläche, doch nicht das Sinnliche selbst. Rein, ja gesteigert trat es hervor, nahm gleichsam im Geiste alle Möglichkeiten einer Erscheinung vorweg. Denn ist es nicht einzig die Linie, mit der sich die Hüft...

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