Queere Bündnisse und Antikriegspolitik
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Queere Bündnisse und Antikriegspolitik

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Queere Bündnisse und Antikriegspolitik

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Über dieses Buch

Welches Profil muss eine queere Politik haben, die sich als Teil einer Politik gegen den Krieg versteht? Ausgehend von dieser Leitfrage behandelt die amerikanische Philosophin Judith Butler Aspekte einer queeren Friedenspolitik, die "queer" nicht als Identitätskonzept, sondern als Bündnisform zu thematisieren sucht. Judith Butler diskutiert vor diesem Hintergrund folgende Fragen: Welche politische Rolle spielt queere Politik in einer Welt, in der Krieg alltäglich erscheint und viele Völker einem ständigen Bedrohungszustand hoffnungslos ausgeliefert sind? Wie muss sich queere Politik angesichts der globalen Herausforderungen der zunehmenden Militarisierung und fortgesetzten Kolonialisierung neu definieren und ist eine queere Politik denkbar, die nicht zugleich auch eine anti-rassistische Bewegung ist? Wie können wir Bündnissen gegen nationalistische Abschottungspolitik beitreten, wenn diejenigen, für die und mit denen wir kämpfen, unsere Standpunkte nicht immer teilen?

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Information

Judith Butler: Queere Bündnisse und Antikriegspolitik
Ich freue mich, heute Abend hier zu sein, an diesen Tagen des Feierns und in diesem Stadium eines immer wichtiger werdenden politischen Kampfes. Selbstverständlich fühle ich mich geehrt, dass der Berliner CSD meine Arbeit anerkennt, und es ist mir eine echte Freude, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen.
Bei diesen Veranstaltungen geht es natürlich um Vergnügen, um Begehren, um die Besetzung des öffentlichen Raumes, den Anspruch, gesehen und gehört zu werden. All dies ist äußerst wichtig für jede Bewegung sexueller oder geschlechtlicher Minderheiten. Also haben wir hier Spaß, lassen unsere Freude hochleben, ermutigen und stärken uns damit für die Zeit, da wir die Feste hinter uns lassen und an unsere Arbeitsplätze oder auf die Straße zurückkehren, wo wir vielleicht Homophobie oder Transphobie begegnen. Zweifellos gewinnen wir hier Stärke, und die Aktivist/innen unter Ihnen werden sie brauchen, wenn sie in der Öffentlichkeit mutig das Recht auf Autonomie verteidigen, gegen Gewalt und für Partizipation beim Aufbau einer radikalen Demokratie kämpfen wollen.
Eine solche Veranstaltung findet in Sälen wie diesem, aber auch auf der Straße statt. Ich möchte heute Abend Überlegungen anstellen, was es heißt, öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen, und wie dieses Recht aussehen könnte. Ich glaube, dass dieses Recht, wenn wir es so nennen wollen, uns hilft zu begreifen, warum der Kampf einer entrechteten Minderheit untrennbar verknüpft ist mit dem Kampf aller entrechteten Minderheiten. Deshalb werde ich heute Abend darüber sprechen, dass die Ausübung von Rechten ein sozialer Akt sein muss und wie uns dies auf ein Projekt radikaler Gleichberechtigung verpflichtet – auch wenn wir uns dieser Verpflichtung nicht immer bewusst sind.
Als studierte Philosophin und geprägt durch neue soziale Bewegungen greife ich Werte auf, die schon in politischen Kämpfen artikuliert wurden, und biete einen Weg an, sie zu reflektieren, indem ich herausarbeite, was an diesen Ansprüchen kompliziert ist. Denn ich möchte herausfinden, welche Möglichkeiten wir haben, unsere Ansprüche umzusetzen, und welche Folgen dies hat. Ich möchte mit zwei offensichtlichen Polaritäten beginnen, um zu zeigen, dass der Anspruch auf Freiheit nicht nur ein sozialer Akt ist, sondern auch ein Weg, den öffentlichen Raum zu besetzen und zu transformieren. Ich werde ebenfalls darlegen, dass wir solche Rechte auch beanspruchen müssen, wenn kein Gesetz uns ihre Ausübung garantiert, und dass dies uns zeigt, wie die Inanspruchnahme von Rechten jenseits des rein Juristischen denkbar ist. Denn wenn wir Gesetze machen oder ändern können, so ist dies vor allem deshalb möglich, weil wir uns angemaßt haben, Rechte in Anspruch zu nehmen, die uns niemand gewährt hat, und sie uns selbst gewähren, bevor jemand anderes dies tut. Wir fordern, dass das Gesetz solche Rechte festschreibt und einsetzt. Aber wenn wir das tun, handeln wir politisch und verändern das rechtlichen Grundlagen unseres Lebens. Wir lassen die Politik nicht in einer Gesetzesreform aufgehen, sondern nutzen das Gesetz als ein politisches Instrument unter anderen. Ich möchte zeigen, dass solche Ansprüche auf der Basis relativ uneinheitlicher Allianzen formuliert werden, und diese Allianzen nur dann, wenn sie Forderungen nach innerer Konformität widerstehen, mit ihren Ansprüchen politische Veränderung bewirken können.
Zugehörigkeiten, Allianzen und Spaltungen
Vor kurzem war ich auf einer großen, internationalen Konferenz gegen Homophobie und Transphobie in der Türkei eingeladen. Es war eine besonders wichtige Veranstaltung in der türkischen Hauptstadt Ankara, wo Transgenderpersonen für ihr offenes Auftreten oft bestraft oder geschlagen werden, bisweilen auch von der Polizei, und wo in den letzten Jahren fast monatlich Morde gerade an Transgenderfrauen vorkamen. Mit diesem Beispiel aus der Türkei möchte ich nicht sagen, dass die Türkei «rückständig» ist, wie es mir der Vertreter der dänischen Botschaft schnell vorhielt und was ich ebenso schnell zurückwies. Ich versichere Ihnen, dass solch brutale Morde außerhalb von Los Angeles und Detroit vorkommen, in Wyoming and Louisiana, in Honduras, Buenos Aires, in Belgien, London und auch hier in Deutschland. Ich spreche es an, weil in der Türkei feministische Organisationen in erstaunlichen Allianzen mit queeren, lesbisch-schwulen und Transgenderpersonen gegen Polizeigewalt vorgehen, vereint in ihrem Widerstand gegen Militarismus, Nationalismus und die Formen von Männlichkeit, die diese stützen. So ging nach der Konferenz die Feministin mit der Drag Queen auf die Straße, die Genderqueer- mit den Menschenrechtsaktivist/innen, die Lippenstiftlesben mit ihren bisexuellen und heterosexuellen Freund/innen – an der Demonstration nahmen Säkularist/innen und muslimische Menschen teil. Sie riefen: «Wir werden keine Soldaten! Wir werden niemanden töten!» Der Polizeigewalt gegen Transgenderpersonen zu widerstehen ist auch Widerstand gegen Militärgewalt und die nationalistische Eskalation des Militarismus.
Ein weiteres erstaunliches Erlebnis hatte ich wenige Tage später in Lyon in Frankreich auf einer Konferenz zu Gender und Bildung. Eine bekannte Feministin stellte ihr Buch über die «Illusion» der Transsexualität vor; in die Veranstaltung waren ein paar Transaktivist/innen und queere Verbündete «reingeschneit». Sie verteidigte ihren Standpunkt damit, dass es nicht dasselbe sei, Transsexualität als psychotisch zu bezeichnen und Transsexuelle zu pathologisieren. Es sei ein beschreibender Begriff, der nicht urteile oder etwas vorschreibe. Wie jedoch kann es nicht pathologisierend sein, eine Gruppe von Menschen wegen ihrer besonderen Lebensweise als «psychotisch» zu bezeichnen? Wer hat die Macht, darüber zu entscheiden, und welcher Diskurs befördert eine solche Benennung? Diese Feministin bezeichnete sich selbst als Materialistin, als eine radikale gar, sie stellte sich gegen die Community der Transgenderpersonen, indem sie darauf bestand, dass bestimmte Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit die Voraussetzung eines nicht-psychotischen Lebens seien. Woher bezieht sie ihr Wissen über diese Normen und wohin führt sie das? Tatsächlich, was für eine Modalität von Gewalt ist dies? Es ist eine Sache, wenn Psychiater derartige Ansichten vertreten, eine andere, sie auch im «Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen (DSM)» zu finden. Etwas vollkommen anderes ist es jedoch, wenn Feminist/innen auf solche Ansichten als «wissenschaftlich» zurückgreifen und sie gegen Gender- und sexuelle Minderheiten vorbringen und damit die Bewegung ernsthaft spalten. In solchen Momenten vergessen wir leicht, dass die Pathologisierung sexueller Minderheiten ihnen fundamentale Freiheiten raubt und den Anspruch auf Gleichbehandlung abspricht! Es ist ein aktiver Akt der Entrechtung und verbindet sich so mit anderen Machtfaktoren, die darüber entscheiden, wessen Leben schützenswert ist und wessen nicht.
In der Türkei ging also die Feminstin mit Transaktivist/innen auf die Straße, während in Lyon die Feministin nicht zur öffentlichen Debatte über meine Arbeit erschien, weil sie befürchtete, im selben Raum mit den Transgenderpersonen zu sitzen, die sie pathologisiert hatte. Es gibt selbstverständlich einen Unterschied zwischen der Kriminalisierung von Queers und Transgenderpersonen, die als solche auftreten – und wir werden noch über ein solches Auftreten sprechen – und ihrer Pathologisierung. Ersteres ist eine moralische Position, die gewöhnlich auf einer falschen Auffassung von öffentlicher Moral beruht. Eine Gruppe von Menschen zu kriminalisieren nimmt ihr nicht nur den Schutz vor der Polizei und anderen Formen öffentlicher Gewalt, sondern versucht auch, die politische Bewegung zu unterminieren, die für Entkriminalisierung und politische Befreiung eintritt. Sich auf das Modell «Krankheit» zu verlegen – konkret das Modell der «Psychose» –, heißt eine pseudowissenschaftliche Erklärung dazu benutzen, um bestimmte Formen der Existenz zu diskreditieren, die niemandem wehtun. Tatsächlich trägt das Modell der Pathologisierung dazu bei, die Befreiungsbewegung zu unterminieren, weil diese Erklärung impliziert, dass sexuelle und Genderminderheiten eher eine «Behandlung» denn Rechte brauchen. Deshalb sollten wir Bemühungen wie denen der spanischen Regierung misstrauisch begegnen, Transsexuellen Rechte einzuräumen, die den Personenkreis pathologisieren, den sie zu schützen vorgeben. Und ebenso sollten wir in den USA und anderen Ländern, in denen das «DSM» gilt, den «Übergangsregelungen» gegenüber misstrauisch sein, die von Transpersonen verlangen, ihren Zustand als pathologisch nachzuweisen, um finanzielle Unterstützung für ihre Transition zu bekommen und um rechtlich als «trans» oder mit welchem auch immer erwünschten Geschlecht anerkannt zu werden.
Wenn Transgenderpersonen sich «pathologisieren» lassen müssen, um ihren Wünschen entsprechend ein lebenswertes Leben führen zu können, dann bedeutet das, dass die Pathologisierung in dem Maß gestärkt wird, wie die Konzessionen zunehmen. Was sind das für Konzessionen, und wie können sie überwunden werden? Unsere Instrumente werden umso stärker, je mehr wir sie nutzen. Es scheint also, dass wir uns Gedanken über die Art des Anspruchs machen müssen, den Transsexualität stellt. Dieser Anspruch bezieht sich auf das Recht, am öffentlichen Leben teilzunehmen, auf die Wahrnehmung dieser besonderen Freiheit, und deshalb ist er mit allen anderen Bewegungen verknüpft, die für das Recht eintreten, ohne Angst vor physischer Gewalt auf die Straße gehen zu können. In Ankara fragte mich eine der Lamba-Aktivistinnen tatsächlich, ob ich in eine reine Frauenbar gehen würde. Ich sagte, ich wüsste nicht, ob ich Zutritt bekäme, und sei auch nicht sicher, ob ich eine derart segregationistische Politik akzeptieren wollte. Sie sagte mir, die Gruppe, die mich eingeladen hätte, habe über diese Frage gesprochen, wohl wissend, dass ich damit das ein oder andere Problem haben könnte. Sie hätten sich für folgende Lösung entschieden: Jede/r, die/der über die Erfahrung verfügt, wie es ist, sich als Frau im öffentlichen Raum zu bewegen, darf in die Bar kommen. Das war eine gute Lösung, doch verlangt sie von Queers und Transgenderpersonen, sich mit Frauen zu identifizieren, und macht dies nicht implizit Frauen zur einzigen Gruppe, die auf Grund ihres Geschlechts diskriminiert wird? Vielleicht müsste man den Vorschlag dahingehend abwandeln, dass biologische Frauen, wer immer sie sein mögen, zu Treffen eingeladen werden, wenn sie wissen, was es heißt, als trans* auf die Straße zu gehen. Tatsächlich können wir die Position des/der Anderen nicht «kennen», und das ist auch kein Problem. Es ist meiner Ansicht nach eine anregende und unvermeidliche Differenz, auf deren Grundlage wir Allianzen und Koalitionen bilden – das, was Jasbir Puar «Assemblagen» nennt.
Vielleicht stehen diejenigen, die jene pathologisieren, die nicht der Idealnorm des Dimorphismus entsprechen, mit denen in Verbindung, die glauben, dass Straßengewalt gegen Transgenderpersonen und Genderqueers nicht verhindert und verfolgt werden solle. Damit sage ich nicht, dass die Pathologisierer selbst körperliche Gewalt anwenden würden – vielmehr können sie auf physische Gewalt verweisen, um ihr eigenes Tun von krimineller Gewalt abzugrenzen. Allerdings schreibt sich die Gewalt der Pathologisierung in den Körper ein – ist sie deshalb nicht auch eine Form physischer Gewalt? Es gibt sicher Modalitäten von Gewalt, über die wir nachdenken müssen. Letztlich handeln alle, die darauf bestehen, dass Gender sich eindeutig zeigen muss, und deshalb diejenigen kriminalisieren oder pathologisieren, die ihr Gender oder ihre Sexualität in nichtnormativer Weise ausleben wollen, als Polizei, egal, ob sie tatsächlich zu irgendeiner Polizeigewalt gehören oder eine Waffe tragen. Wie wir wissen, geht die staatliche Polizei manchmal gewaltsam gegen sexuelle oder Genderminderheiten vor, indem sie ihnen den Grenzübertritt verwehrt, angemessene medizinische Versorgung oder die Anerkennung ihrer intimen Beziehungen verweigert. Und manchmal versäumt es die Polizei auch, Verbrechen gegen sexuelle und Genderminderheiten zu untersuchen, und ebenso, Morde an Transgenderfrauen als Verbrechen zu verfolgen oder Gewalt gegen Transgenderpersonen zu verhindern. Hier macht sich die Polizei zur Komplizin anderer, die die Einhaltung von Gendernormen aus religiösen Gründen oder mit Hilfe der Psychiatrie überwachen.
Gender, Freiheit und Kriminalisierung
Wenn die Polizei Gewalt gegen Gender- oder sexuelle Minderheiten oder auch Frauen anwendet, dann wird sie zur Genderpolizei. Ich meine, niemand sollte wegen ihrer oder seiner Genderrepräsentation kriminalisiert werden. Ein Strafgesetzbuch, das eine solche Kriminalisierung rechtfertigt, ist selbst kriminell (und vergessen wir nicht, dass es ganze Rechtsordnungen wie etwa im Faschismus oder Totalitarismus gibt, die durch und durch kriminell sind: Solche Gesetze können nicht über Verbrechen urteilen, weil sie selbst kriminell und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind). Und wenn Gender- oder sexuelle Minderheiten wegen ihres Auftretens in der Öffentlichkeit kriminalisiert oder pathologisiert werden, dafür, dass sie den öffentlichen Raum beanspruchen, für die Sprache, mit der sie sich artikulieren, dafür, wie sie ihre Liebe oder ihr Begehren ausdrücken oder wie sie ihre körperliche Freiheit ausüben wollen, oder wegen derer, mit denen sie sich verbünden, für deren Nähe sie sich entschieden haben, mit denen sie sexuell verkehren wollen, dann sind diese Akte der Kriminalisierung gewalttätig. Und in diesem Sinn sind sie ungerecht und kriminell. Gender polizeilich zu kontrollieren ist ein krimineller Akt, ein Akt, durch den die Polizei zum Täter wird und dem die Opfer der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Gewalt gegen Minderheiten nicht zu unterbinden ist eine kriminelle Unterlassung der Polizei, damit begeht sie selbst ein Verbrechen.
Ich meine, Gender heißt Wahrnehmung von Freiheit, und diese muss genauso behandelt werden wie die Wahrnehmung jeder anderer gesetzlich garantierten Freiheit auch. Politisch müssen wir deshalb für die Erweiterung unserer Begriffe von Gleichberechtigung kämpfen, damit auch diese Freiheit darin ihren Platz bekommt. Was aber meinen wir, wenn wir sagen, dass Sexualität auszuleben oder mit einem Gender aufzutreten Wahrnehmung von Freiheit sind? Damit meine ich nicht, dass wir alle unser Geschlecht oder unsere Sexualität wählen. Wir sind geprägt durch Sprache und Kultur, durch Geschichte, durch die sozialen Kämpfe, an denen wir teilnehmen, durch psychologische wie historische Einflüsse. Allerdings stellen wir fest, wie wir ein Gender werden oder eines begehren. Allerdings begreifen wir, dass das, was wir begehren, oder wie wir begehren, feste, dauerhafte oder unveränderliche Eigenschaften unserer selbst sind. Doch unabhängig davon, ob wir unser Geschlecht oder unsere Sexualität als selbst gewählt oder gegeben, als kulturell entstanden oder biologisch determiniert verstehen, müssen wir dieses Geschlecht und diese Sexualität für uns beanspruchen und als Recht einfordern. Und es spielt eine Rolle, ob wir überhaupt in der Lage sind, sie einzufordern. Wenn wir beanspruchen, in dem Gender zu leben, dem wir uns zurechnen, oder in einer Weise sexuell aktiv zu sein, die niemandem schadet, dann nehmen wir eine bestimmte Freiheit wahr. Wir mögen vielleicht glauben, dass wir die eigene Sexualität oder das eigene Gender nicht gewählt haben oder dass sie feste Eigenschaften sind. Doch auch dann ist es von großer Bedeutung, ob wir dies in der Öffentlichkeit vertreten können, dass wir ohne Furcht vor Hass und Angriffen durch die Straßen gehen können, dass wir eine Arbeit oder Wohnung finden, ohne diskriminiert zu werden, dass wir unseren Körper, unser Begehren und unsere körperlichen Beziehungen offen leben können. In solchen Momenten, so meine ich, sind unsere Darstellung in der Öffentlichkeit und unser Handeln Wahrnehmungen von Freiheit, einer Freiheit, die es zu schützen gilt.
Freiheit als soziales Projekt
Ich möchte hinzufügen, dass wir die Freiheit zu einem sozialen Projekt machen, wenn wir uns entscheiden, das zu sein, was wir sind. Wir können uns auch gegen uns selbst entscheiden, uns weigern, in Erscheinung zu treten und sogar unser Erscheinen so zu gestalten, dass unsere Wünsche, wie wir sein wollen, oder unser sexuelles Begehren nicht erkennbar und nicht sichtbar sind, verborgen und verschlossen in einer inneren Welt, die sich nicht nach außen zeigt. Letztlich sind jedoch unser Gender oder unsere Sexualität untrennbar mit unserem Recht verbunden, diese Realitäten öffentlich, frei und vor Gewalt geschützt zu vertreten. Dieses Recht geht ein in unser Begehren und unsere Darstellung; durch Begehren und Darstellung werden wir ein Teil dieser Welt mit dem Recht, so zu leben, wie wir wollen Und dieses Recht ist darin eingebunden, wie wir erscheinen, ja sogar darin, dass wir erscheinen oder mit unserem Erscheinen scheitern, falls es uns nicht gelingt, das auszudrücken, was wir wollen. Wir lehnen das Recht ab oder setzen es aus, denken vielleicht, dass wir ohne es auskommen; zugleich verfolgen wir etwas oder begehren jemanden mit vollem Recht, auch wenn uns dieses Recht gesetzlich nicht garantiert ist. Wenn wir von der Rechtssprechung verlangen, uns Rechte zu gewähren, dann machen wir in diesem Moment Rechte geltend, die noch nicht Gesetz geworden sind, die unser soziales Leben noch nicht ordnen.
Betrachten wir also Freiheit als die Verkörperung eines Anspruchs, ja eines Rechtes, das wir schaffen, selbst wenn wir glauben, dass wir unsere Sexualität nicht selbst «geschaffen» haben, und erkennen wir, dass wir in einer Welt leben, in der längst etablierte Normen regeln, wer ein Mann oder eine Frau sein oder welche Formen sexuelles Begehren annehmen kann. Obwohl wir mitten in eine Welt voller bindender Normen hineingeboren sind, ordnen sie nicht immer unser Leben, entsprechen wir nicht immer dem Bild dessen, was die Signifikanten «Mann» oder «Frau» von uns verlangen. Wenn wir sagen, dass Gender durch bindende Normen geregelt wird, die von uns verlangen, dem einen oder anderen Gender zuzugehören (gewöhnlich in einem strikt binären Rahmen), dann sagen wir nichts anderes als dass jedes Aushandeln von Geschlecht eine Auseinandersetzung mit der Macht ist. Es gibt kein ontologisch festgeschriebenes Geschlecht, und selbst da, wo es so scheint, muss es immer wieder bestätigt werden, buchstäblich von morgens bis abends. Ich behaupte also, dass es kein Geschlecht ohne die Reproduktion von Normen gibt, die stets Gefahr läuft, diese dominanten Normen in unerwarteter Weise zu verändern oder aufzulösen, wodurch sie die Möglichkeit eröffnet, die geschlechtlichen Realitäten neu auszurichten. Damit ist Gender ständig in Bewegung, offen für Veränderung, mit dem Wagnis einer neuen Zukunft. Und das ist bedeutsam, wenn wir überlegen, wie wir gestaltend in die Zukunft des Geschlechts eingreifen wollen.
Die Performativität des Geschlechts mag als Akt der Freiheit gesehen werden, der viele Risiken mit sich bringt und die Gefahr birgt, uns der Prekarität auszusetzen. Dies geschieht immer, wenn sich eine Gruppe formiert, die öffentlich Rechte auf die Freiheit des Geschlechts und auf Sexualität reklamiert, wenn die Polizei uns nicht schützt und wir nicht als Minderheit betrachtet werden, die physischen und rechtlichen Schutz verdient. Es liegt etwas Berauschendes und Beängstigendes darin, wenn das geschieht: Wir fordern diese Freiheit, und indem wir sie gemeinsam fordern, öffnen wir einen Raum für diese Freiheit – damit verankern wir diese Möglichkeit, fügen sie dieser Welt immer wieder zu. Aber wir wissen, selbst indem wir diese Möglichkeit eröffnen, dass sie uns immer wieder genommen werden und dies uns in eine physisch prekäre Situation bringen kann. Dieser Kampf muss durch das Heitere und die Angst hindurch, damit wir den Punkt erreichen, an dem wir erfahren, dass wir immer noch nicht wissen, was Freiheit ist, solange Gender- und sexuelle Minderheiten unfrei bleiben. Wir lernen immer noch, was Freiheit sein kann, und zugleich, was Gleichheit und Gerechtigkeit bedeuten können. Haben wir denn schon begriffen, was es für einen solchen Anspruch auf Freiheit bedeuten würde, wenn wir sie gleichermaßen religiösen und ethnischen Minderheiten, Frauen, Gender- und sexuellen Minderheiten gewähren wollen? Wir können uns das niemals vorstellen, wenn wir nicht lernen, es uns gemeinsam vorzustellen. Und wir können es uns nicht gemeinsam vorstellen, wenn wir uns nicht mit den Unterschieden zwischen den Minderheiten auseinandersetzen. Welche Unterschiede oder Gegensätze es auch immer geben mag, wir müssen sie durcharbeiten oder abschaffen mit dem Ziel, das unakzeptable Maß der Präkarität zu verringern, der alle Minderheiten ausgesetzt sind.
In gewisser Weise sind die lebensbedrohlichen Situationen von Gender- und sexuellen Minderheiten sehr spezifisch. Homophobie, Transphobie und Misogynie sind nur zu verstehen, wenn wir sie aufeinander beziehen. Sie funktionieren nicht alle auf dieselbe Weise, und wir können nicht immer direkte Analogien zwischen ihnen ziehen. Aber sie sind zutiefst miteinander verbunden in einer Welt, in der bestimmte Normen regeln, wie sich Körper in ihr bewegen dürfen oder nicht, wie die Wahrnehmung von Körpern erscheinen oder unsichtbar bleiben, wie die Wahrnehmung von Körper und Begehren Diskriminierung und Gewalt auslösen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf verschiedene Weise der Gewalt ausgesetzt sind, keinen Schutz durch die polizeiliche Autorität genießen, Angst vor der Polizei haben, vor einer militärischen und einer Sicherheitslogik, die die politische Macht durchzieht, und fürchten müssen, der Präkarität schutzlos ausgeliefert zu sein.
Unser politisches Handeln muss in einem Projekt der radikalen Demokratie verortet werden und sich gegen verschärfte Formen von Staatsgewalt, Militarismus und die Modi induzierter Prekarität richten, die verschiedene Bevölkerungsgruppen weltweit betrifft. Wir sind keine Interessensgruppe, die um Repräsentation innerhalb bestehender Strukturen ringt. Wir arbeiten an einem neuen Konzept der Gerechtigkeit und einem neuen Weg für demokratische Politik. Tatsächlich kann es kein demokratisches Leben ohne das Recht auf öffentliche körperliche Präsenz ohne Angst vor Hass und Gewalt geben. Unser Kampf darum, unseren Körper und unser Begehren zu leben, ohne von psychiatrischer, ökonomischer oder Polizeigewalt bedroht zu sein, verbindet sich mit jedem anderen Kampf gegen künstliche Prekarität, der wirtschaftlichen Produktion von Staatenlosen,...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Editorial
  4. Andreas Krass: «Ein Chor irrt sich gewaltig»
  5. Judith Butler: Queere Bündnisse und Antikriegspolitik
  6. Bodo Niendel: Ein Ausrufezeichen mit Fragezeichen
  7. Die AutorInnen
  8. Queer Lectures
  9. Kuratorium der Initiative Queer Nations e. V.:
  10. Impressum
  11. Inhaltsverzeichnis