Gesammelte Werke: Politische Schriften + Historiografische Werke
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Gesammelte Werke: Politische Schriften + Historiografische Werke

Karl Marx: Geschichte seines Lebens + Zur Geschichte der Socialdemokratie + Die Lessing-Legende + Das Satyrspiel von 1878 + Die Trunksucht und ihre Bekämpfung und mehr

  1. 555 Seiten
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Karl Marx: Geschichte seines Lebens + Zur Geschichte der Socialdemokratie + Die Lessing-Legende + Das Satyrspiel von 1878 + Die Trunksucht und ihre Bekämpfung und mehr

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Dieses eBook: "Gesammelte Werke: Politische Schriften + Historiografische Werke" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen.Franz Mehring (1846-1919) war ein deutscher Publizist und Politiker. Er war einer der bedeutendsten marxistischen Historiker seiner Zeit und verfasste eine der bekanntesten frühen Biographien zu Karl Marx. Mehrings Bedeutung liegt weniger in seinem konkreten politischen Handeln, sondern in seinen zahlreichen Schriften, insbesondere zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Dazu zählt etwa die zweibändige Geschichte der deutschen Sozialdemokratie (1898). Seine 1910/11 erschienene Deutsche Geschichte vom Ausgang des Mittelalters bediente sich der von Marx und Engels begründeten Methode des historischen Materialismus. Mehring war einer der ersten Historiker, der die marxistische Theorie konsequent auf die Geschichtswissenschaft anwandte. Kurz vor seinem Tode veröffentlichte er im Jahr 1918 die erste und bis heute einflussreiche Biographie über Karl Marx.Inhalt: Zur Geschichte der SocialdemokratieDie Lessing-LegendeKunst und ProletariatKarl Marx - Geschichte seines LebensBahnbrecher des socialen FriedensDas Satyrspiel von 1878Die Trunksucht und ihre BekämpfungDie polnische FrageAnti- und PhilosemitischesDie Vernunft der UnvernunftPolitik und SozialismusStein, Heß, MarxDie Unruhen in ChinaDer Russisch-Japanische KriegKant, Dietzgen, Mach und der historische MaterialismusDie Arbeiterklasse und der WeltkriegPartei und VaterlandVom Wesen des KriegesDie Bolschewiki und Wir

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Information

Verlag
e-artnow
Jahr
2015
ISBN
9788026830184
StartFragment
Franz Mehring

Gesammelte Werke: Politische Schriften + Historiografische Werke

Karl Marx: Geschichte seines Lebens + Zur Geschichte der Socialdemokratie + Die Lessing-Legende + Das Satyrspiel von 1878 + Die Trunksucht und ihre Bekämpfung und mehr

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3018-4

Inhaltsverzeichnis


Zur Geschichte der Socialdemokratie
Die Lessing-Legende
Kunst und Proletariat
Karl Marx - Geschichte seines Lebens
Bahnbrecher des socialen Friedens
Das Satyrspiel von 1878
Die Trunksucht und ihre Bekämpfung
Die polnische Frage
Anti- und Philosemitisches
Die Vernunft der Unvernunft
Politik und Sozialismus
Stein, Heß, Marx
Die Unruhen in China
Der Russisch-Japanische Krieg
Kant, Dietzgen, Mach und der historische Materialismus
Die Arbeiterklasse und der Weltkrieg
Partei und Vaterland
Vom Wesen des Krieges
Die Bolschewiki und Wir

Zur Geschichte der Socialdemokratie

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.
2. Ferdinand Lassalle und der allgemeine deutsche Arbeiterverein.
3. Lassalle’s Ende.
4. Friedrich Engels und Karl Marx. – Der internationale Arbeiterbund.
5. Die europäische Wirksamkeit der Internationale.
6. Der deutsche Zweig der Internationale und der allgemeine deutsche Arbeiterverein.
7. Der Gothaer Vereinigungscongreß.
8. Die höchste Blüthe der deutschen Socialdemokratie.
Anmerkungen der „Gartenlaube“-Redaktion

1. Einleitung.

Inhaltsverzeichnis

Die „Gartenlaube“ ertheilt mir einen ebenso ehrenden und verlockenden, wie schwierigen und verwickelten Auftrag, wenn sie mich auffordert, ihrem weiten Leserkreise auf dem Hintergrunde der europäischen ein durchsichtiges und klares Bild der deutschen Socialdemokratie zu entwerfen. Wer, dem Lärm des Tages sich verschließend, den tieferen Zusammenhang der modernen Arbeiterbewegung zu erfassen sucht, wird in ihr das große Räthsel des neunzehnten Jahrhunderts erkennen, das unheimliche Fragezeichen, welches über allen Gütern der modernen Cultur schwebt. Kein Jahrhundert der Weltgeschichte hat eine gewaltigere und tiefere Krise um Sein oder Nichtsein der lebenden Geschlechter hervorgerufen. Denn gegen alles, was menschlichem Denken und Fühlen heilig ist in Ehe und Familie, Kirche und Staat, Kunst und Wissenschaft, stürmen finstere Mächte der Tiefe zum erbarmungslosen Vernichtungskampfe empor, und noch kennen wir nicht den Zauberspruch, welcher die dunkeln Gewalten bändigt und bannt. Das innere Geflecht eines so verworrenen Problems in allen seinen Verzweigungen aufzudecken, reichen dicke Bände nicht hin; ein Versuch, in wenigen Spalten mit sichern und starken Strichen wenigstens die Grundzüge dieses Gemäldes zu zeichnen, muß deshalb von vornherein um die Nachsicht des Lesers bitten. –
Der Socialismus ist so alt, wie die bürgerliche Gesellschaft. Bei der natürlichen Ungleichheit der Menschen hat es noch keine gemeinsame Ordnung gegeben, deren einzelne Glieder und Schichten unter völlig gleichen Verhältnissen gelebt hätten. Immer gab es Unterschiede mehr oder minder schroffer Art, Unterschiede, welche anfangs wesentlich in der natürlichen Ungleichheit der einzelnen Individuen wurzelten, aber bei der weiteren Entwickelung der gesellschaftlichen Verhältnisse häufig dazu führten, den Guten und Starken schwerer zu treffen, als den Schlechten und Schwachen. Irdische Weisheit hat das Glück noch nicht zu zwingen vermocht, immer mit der Tugend, oder das Elend, niemals mit dem Verdienste zu wandeln.
Solche vermeintliche oder wirkliche Härten haben von jeher die Sehnsucht nach einer besseren Welt schon unter dieser Sonne erweckt, gleichermaßen in erhabenen Geistern, welche schmerzlich die Beschränktheit alles menschlichen Lebens empfanden, wie in niedrigen Naturen, die ihre begehrlichen Hände nach unverdienten Preisen erhoben. So erklärt sich die befremdliche Erscheinung, daß die reinste Tugend und die roheste Sinnlichkeit, die edelsten Herzen und die gemeinsten Seelen sich in socialistischen Träumen zu begegnen pflegen. Die socialistischen Bewegungen aller Zeiten gleichen jener sagenhaften Hunnenschlacht welche Kaulbach in seinem berühmte Gemälde verewigt hat; in den Wolkenhöhen der Gedankenwelt tost die Geisterfehde, während ein rasender Kampf den irdischen Boden mit Leichen und Trümmern bedeckt. Wenig gräuelvollere Scenen weisen die Blätter der Geschichte auf, als die Sclavenaufstände des Alterthums und die Bauernkriege des Mittelalters, aber ein größter, griechischer Denker, Platon in seinen Büchern über den Staat, erbaute den ersten socialistischen Idealstaat; aus dem versinkende Schutte der antiken Welt erhob sich der ideale Communismus der ersten Christengemeinden als froher Bote einer weltweite Zukunft, und in den Tagen des „Armen Conrad“ veröffentlichte Thomas Morus, der edle Kanzler Heinrich’s des Achten von England, sein „Nirgendheim“, seine „Utopia“, deren Name seitdem sprüchwörtlich geworden ist für alle Träume von unerreichbarem Menschenglück. –
Naturgemäß werden socialistische Regungen am nachhaltigsten und stärksten hervortreten, wenn einerseits ein hoher Begriff von der rechtlichen Gleichheit aller Menschen in den Gemüthern lebt, während in den gesellschaftlichen Zuständen schroff die thatsächliche Ungleichheit hervortritt. Mit einer Schärfe, wie nie zuvor, trafen beide Momente in der großen Revolution von 1789 zusammen, und seitdem wurde der Socialismus eine Weltmacht. Die politischen Gedanken der Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, einen echten und wahren Kern tragend unter einer dichten Hülle von phrasenhaftem Wust, erweckten in den Massen überschwängliche Hoffnungen, während ihre socialen Gedanken, die freie Entfesselung der wirthschaftlichen Kräfte, die Befreiung der Arbeit und des Besitzes von allen mittelalterlichen Fesseln, vielfach ein Massenelend hervorriefen. Nicht zwar, als ob diese Gedanken nicht einen ungeheuren Fortschritt in der menschheitlichen Entwickelung darstellten, aber die uralte, weltgeschichtliche Erfahrung, daß der Eintritt in neue Culturepochen regelmäßig mit endlosen Wirren eines langen Uebergangsstadiums erkauft werden muß, bewährte sich auch diesmal, und zwar in um so höherem Grade, je gewaltiger der eingetretene Umschwung war.
Nichts thörichter, als die eherne Nothwendigkeit von 1789 zu verkennen um der Gräuel von 1793 willen. Es wäre dasselbe, wie wenn man die deutsche Reformation wegen der Wiedertäuferwirthschaft in Münster verleugnen wollte. Unsere conservativen Parteien stehen ebenso ganz und voll auf dem Boden der großen Revolution, wie die liberale, ja in gewissem Sinne hat sie jenen größere Segnungen gebracht, als diese. Sie schuf den freien Bauernstand, eine ebenso conservative wie gesunde Schicht der heutigen Gesellschaft, während sie aus industriellem Gebiete zwar eine ungeheure Entwickelung hervorrief, aber zugleich auflösend und zersetzend wirkte. Erst von nun ab vermochte sich die große Industrie, welche seit dem beginnenden Welthandel im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts langsam entstanden war, frei zu entwickeln; sie überschüttete das menschliche Geschlecht mit unendlichen Schätzen, aber sie gestaltete auch härter, schroffer, verletzender denn je zuvor den Gegensatz in den Eigenthumsverhältnissen, indem sie den Stand der besitzlosen Lohnarbeiter hervorrief. Er wuchs empor aus hörigen Leuten, aus Gesellen und Lehrlingen, zu einem nicht unerhebliche Theile auch aus kleinen Besitzern und Handwerkern, die in dem wirtschaftlichen Wettkampfe mit der großen Industrie unterlagen. Er entbehrte allen Zwanges, aber auch aller Wohlthaten der mittelalterlichen Rechtsordnungen. Ihn fest und sicher einzufügen in die organische Gestaltung des modernen Culturstaats, ist der innerste Kern der socialen Frage, welche das neunzehnte Jahrhundert zu lösen hat, auf dem Wege allmählicher und schrittweiser Bahnen, in Zeiträumen, welche sich heute noch nicht absehen lassen, denn in solcher Weltwende zähle Jahrzehnte kaum wie Tage.
Kein ehrlicher Geschichtsforscher kann und wird die entsetzlichen Uebelstände leugnen, welche die Entwickelung der großen Industrie häufig über breite Schichten des Arbeiterstandes gebracht hat. Sie traten am ersten und heftigsten in den Ländern auf, in denen jene Entwickelung sich am schnellsten und umfassendsten vollzog, in Frankreich und in England. Und naturgemäß wurden diese Länder die Geburtsstätte des modernen Socialismus. Er ähnelte früheren Bewegungen gleicher Tendenz zunächst darin, daß er in phantastische Einbildungen schwelgte und daß er in zwiespältiger Form auftrat: edle Geister und schwärmerische Menschenfreunde erbarmte sich des große Elends, und in den leidenden Masse regte sich wilde Gedanken des Umsturzes. Aber er unterschied sich mehr und mehr grundtief von seinen Vorläufern dadurch, daß er die utopische Form abzustreifen, mit allem Rüstzeug der modernen Wissenschaft eine neue Welt zu erbauen suchte, und daß er die Bewegung der Geister und der Massen zu einheitlicher Wirksamkeit verschmolz. Dieser Umwandelungs- und Verjüngungsproceß erweckte ihm neue und nie geahnte Kräfte.
Der erste namhafte Socialist unseres Jahrhunderts war einem der älteste Adelsgeschlechte entsprossen. Henri de Saint-Simon warf 1819 die Frage auf, ob es für Frankreich nachtheiliger sein würde, wenn das Land plötzlich die ganze königliche Familie, den ganzen Hofstaat, den ganzen höheren Clerus, die ganze höhere Beamtenwelt, kurzum seine dreitausend hochgestellten Personen, oder aber seine dreitausend größten Gelehrten und Arbeiter verlieren würde. Er entschied sich dafür, daß der letztgedachte Verlust unendlich schwerer wiegen würde, da zwar jene, aber nicht diese Stellen sehr leicht auszufüllen wären, und er folgerte, daß der Arbeit nicht die letzte, sondern die erste Stelle in der Gesellschaft gebühre. In dem bizarren Vergleiche, der an sich mehr scherz- als ernsthaft genommen werden muß, lag ein bewußter Zweifel an der Gerechtigkeit der bestehenden Eigentumsordnung, der sich nach und nach klarer entwickelte. An dieser Stelle würde es natürlich zu weit führen, alle socialistischen Schulen in Frankreich auch nur in den schattenhaftesten Strichen zu zeichnen; in dieser bunten und mannigfaltigen Gesellschaft bewegten sich phantastische Schwärmer, wieCabet und Fourier, zuchtlose Poeten, wie Sue, kritisch-zersetzende Naturen, wie Proudhon, durch und neben einander. Es kann sich nur darum handeln, zu zeigen, wie die dunkle Vorstellung Saint Simon’s, der niemals die bestehende Einrichtung angegriffen oder einen Versuch zu praktischer Agitation gemacht, oder auch nur ein Mittel zur Verwirklichung seiner Schlußfolgerung angegeben hat, eine politische Macht wurde.
Seine Schüler, namentlich Bazard, thaten eine großen Schritt über ihn hinaus, indem sie als die eigentliche Quelle der ungerechten Gütervertheilung das Erbrecht der Blutsverwandtschaft bezeichneten und demgemäß ein Erbrecht des Verdienstes forderten, das will sagen, den Heimfall der Hinterlassenschaften an den Staat, dessen Rechtsschutz überhaupt erst ein Eigenthum ermögliche, wie er es auch erwerben und erhalten helfe. Damit hatte der socialistische Gedanke politische Form angenommen; die Staatsgewalt wurde als Retterin und Richterin in den socialen Wirren ausgerufen. Allein noch fehlte die praktische Handhabe; die Saint-Simonisten erörterten ihr sociales Heilmittel rein philosophisch, und indem ihre gemäßigte Mitglieder sich auf die Forderung progressiver Erbschaftssteuern und die Aufhebung des Erbrechts nur in den entfernteren Verwandtschaftsgraden beschränkte, verließen sie sogar den streng socialistischen Boden, denn eine Reform des Erbrechts in dem angedeuteten Sinne kann sehr wohl auch von Vertretern der bürgerlichen Oekonomie erwogen werden.
Erst Louis Blanc fand jene praktische Handhabe, welche den modernen Socialismus zu einer treibenden Kraft der Weltpolitik machte. Anknüpfend an den Gedanken, daß die Staatsgewalt allein die sociale Ungleichheit beseitigen könne, forderte er 1839 in seiner berühmten Schrift über die „Organisation der Arbeit“, daß der Staat die besitzlosen Arbeiter mit den Mitteln ausrüsten müsse, um den wirthschaftlichen Wettkampf mit den besitzenden Classen zu bestehen, und hieraus ergab sich von selbst, daß behufs dieses Zwecks die Arbeiter sich in den Besitz der Staatsgewalt setzen müßten. Damit war die erste Berührung zwischen der geistigen und materiellen Bewegung des Socialismus in einem politischen Agitationsprogramm vollzogen, oder mit anderen Worten: die moderne Socialdemokratie war geschaffen.
Noch nicht zehn Jahre später stürzten die Arbeiter von Paris den Thron Louis Philipp’s; in der provisorischen Regierung der Republik saßen unter einer Mehrheit von bürgerlichen Republikanern die Socialisten Louis Blanc, Flocon und Albert, ein Arbeiter. Die schamlose Classenherrschaft einer entarteten Bourgeoisie, die entsetzliche Corruption des Bürgerkönigthums hatten der socialdemokratischen Bewegung in Frankreich eine furchtbare Kraft gegeben. Aber als nun die Arbeiter ihren Lohn von der Regierung forderten, zeigte sich schon bei der Probe die vollkommene Unfähigkeit des Socialismus, neue Organismen des gesellschaftlichen und staatliche Lebens zu schaffen. Louis Blanc setzte zwar durch, daß die provisorische Regierung in einem amtlichen Erlasse den Arbeitern ihren Unterhalt durch die Arbeit verbürgte; auch richtete er ein Arbeiterparlament im Luxembourg ein, in welchem viel kostbare Zeit verschwatzt und vertrödelt wurde, allein tatsächlich hat er nichts geleistet. Allerdings hatte er hartnäckig mit der Mehrheit der Regierung zu kämpfen; die berüchtigte Nationalwerkstätten waren nicht sein Werk, waren nicht die in seinen Schriften geforderten socialen Ateliers, sondern sie wurden, gerade um ihn zu discreditiren, von jener Mehrheit in einer Weise errichtet, welche sie binnen kurzer Frist bankerott werden lassen mußte. Das gräßliche Ende von alledem ist bekannt; im Juni erhoben sich die enttäuschten Arbeiter; zum ersten Mal wehte die rothe Fahne von den Barricaden. Eine dreitägige Straßenschlacht voll unnennbarer Gräuel bedeckte das Pflaster mit 10,000 Leichen; in diesem Blutstrome erlosch das Feuer der socialistischen Idee für viele Jahre.
Schneller und unaufhaltsamer noch, als in Frankreich, entwickelte sich die große Industrie in England, dessen meer- und weltbeherrschende Stellung ihr die günstigsten Vorbedingungen sicherte. Und in gleichem Grade schrecklicher traten dort ihre unheilspendenden Schattenseiten an’s Tageslicht. Kein Zweifel, daß die industriellen Arbeiterkreise des Inselreiches während der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts die grauenvollsten Bilder der neuesten Culturgeschichte bieten. Inmitten so unsagbaren Elends erstand in dem Millionär Robert Owen die edelste und reinste Gestalt des modernen Socialismus. In seiner Fabrik zu New-Lanark in Schottland hatte er erfahren, daß seine hingebende Fürsorge ebensowohl für die materielle Hebung, wie für die geistige und sittliche Bildung seiner Arbeiter nicht nur auf diese selbst die günstigsten Wirkungen hervorbrachte, sondern auch von einer überraschenden Steigerung des Reinertrages begleitet war. Ganz England sah staunend auf diese wunderbaren Erfolge; gekrönte Häupter des Continents begrüßten in Owen einen Wohlthäter der Menschheit. Auf solche Erfahrungen gestützt, verlangte er die allmähliche Einführung von „Heimathscolonien“, die je 2- bis 3000 Menschen umfassen und in völliger Gütergemeinschaft mit gleichen Rechten aller Theilnehmer leben sollten. Der reiche Mann hat keine Kosten und Mühen gescheut, diesen communistischen Gedanken in der Gründung einzelner Colonien durchzuführen, aber alle diese Versuche sind kläglich gescheitert. Es zeigte sich schon in diesen verhältnißmäßig einfachen und kleinen Verhältnissen, daß ein Leben in Gütergemeinschaft bei allen Teilnehmern ein so ausgezeichnetes moralisches Pflichtgefühl voraussetzt, wie es sich in der großen Masse der Menschen niemals findet und finden kann, so lange Menschen eben Menschen sind. Aber die friedliche und vom lautersten Willen getragene Propaganda Owen’s ist deshalb nicht spurlos im Sande verlaufen. Das selbstlose und reine Wirken eines edlen Menschen trägt, auch wo es in die Irre geht, noch tausendfältige Frucht; Owen ist durch die idealere Richtung, welche er dem Leben und Treiben gerade der besten Arbeiter gab, ihr einflußreichster Erzieher geworden; von ihm rührt das ganze Genossenschaftswesen her, welches den arbeitenden Classen in England so reichen Segen gebracht hat.
Während dieser humane Communismus die reifsten und tüchtigsten Elemente unter den Arbeitern denken und mittelbar den richtigen Weg erkennen lehrte, tobte in den untersten Schichten die socialdemokratische Agitation. In diesem politisch geschulten Volke ließ ein schwerer Druck von selbst das Verlangen nach Vertretung im Parlamente entstehen. Als die Reformacte von 1832 zwar den Mittel-, aber nicht den Arbeiterclassen das Wahlrecht gab, bildete sich einige Jahre später in London ein Arbeiterverein, um den Arbeitern Vertretung im Parlamente zu verschaffen behufs einer neuen Ordnung der Gesellschaft in ihrem Interesse. Ans diesem Vereine ging die Volkscharte hervor, deren sechs berühmte Forderungen waren: Stimmrecht wie Wählbarkeit aller erwachsenen Männer, geheime Abstimmung, jährliche Parlamente, Diäten der Abgeordneten und gleichmäßige Wahlbezirke. Die Apostel des Vereins, welche die Arbeiterbezirke bereisten und in kürzester Frist eine ungeheure Zahl von Anhängern warben, ließen keinen Zweifel über den socialen Hintergrund dieses anscheinend rein politischen Programms. „Der Chartismus,“ predigten sie, „ist keine politische Frage, bei welcher es sich darum handelt, daß Ihr das Wahlrecht erlangt; der Chartismus ist eine Messer- und Gabelfrage, die Charte heißt gute Wohnung, gutes Essen und Trinken, gutes Auskommen und kurze Arbeitszeit.“
Im Laufe eines Jahrzehnts schwoll diese chartistische Bewegung zu außerordentlicher Macht und nicht minder außerordentlicher Gefährlichkeit an. Während anfangs über die Mittel, wie das allgemeine Stimmrecht zu erlangen sei, die Meinungen getheilt waren, eine Partei der moralischen Macht und eine Partei der physischen Gewalt sich gegenüber standen, siegte wie üblich die radicale über die gemäßigte Richtung. In Volksversammlungen, welche hundert-, selbst zweimalhunderttausend Menschen zählten, wurde in der wüthendsten Sprache zu Eroberung der Charte mittelst der Waffen aufgefordert. Es kam zu blutigen Aufständen, auch zum Versuch einer allgemeinen Arbeitseinstellung. Die besitzenden Classen wurden zuletzt von der größten Besorgniß erfaßt, aber, sehr ungleich der französischen Bourgeoisie, die in allen socialen Wirren eine nachgerade sprüchwörtliche Feigheit bewährt hat, traten sie selbst für ihr Recht ein und übten sich im Gebrauche der Waffen, um eine planmäßige Empörung niederwerfen zu können. Man glaubte diese Erhebung vor der Thür, als Feargus O’ Connor, der namhafteste Führer der Chartisten, am 10. April 1848 erklärte, an der Spitze von 150,000 Mann in’s Unterhaus einziehen zu wollen, um eine angeblich von nahe an sechs Millionen Personen unterschriebene Petition um die Charte in die Volksvertretung zu tragen. Die umfassendsten Vertheidigungsmaßregeln wurden getroffen, nicht weniger als 150,000 Bürger ließen sich freiwillig als Specialconstabler einschwören, allein nur 30,000 Arbeiter folgten dem Rufe O’Connor’s, und unter solches Umständen verzichtete er auf den Zug.
Diese moralisch-politische Niederlage brach die innere Kraft des Chartismus, aber erloschen ist er nicht eher, als bis derselbe tapfere Rechtssinn, welchen das englische Bürgerthum sich als unerschütterlichen Damm den heranstürmenden Wogen des Aufruhrs entgegen stemmen ließ, auch den gerechten Beschwerden der Arbeiter abhalf. Die Schaffung einer humanen Fabrik- und Werkstätten-Gesetzgebung, die Förderung der Gewerkvereine mit ihrem System der Einigungskammern und Schiedsgerichte, die Parlamentsreform von 1867, welche den industriellen Arbeitern das Stimmrecht gab, haben den arbeitenden Classen die Möglichkeit und namentlich auch die Ueberzeugung gegeben, daß sie eine nachhaltige Hebung ihrer Lage auch auf dem Boden der heutige Gesellschaftsordnung erreichen können. So bietet England das merkwürdige und trostreiche Schauspiel, daß das classische Land der großen Industrie und der schroff gestalteten Eigenthu...

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