Die Zehn Gebote
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Die Zehn Gebote

Mein Anspruch, meine Herausforderung

  1. 192 Seiten
  2. German
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Die Zehn Gebote

Mein Anspruch, meine Herausforderung

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Über dieses Buch

Günther Beckstein beschreibt, welche Bedeutung die Zehn Gebote für seinen politischen Alltag haben. Denn: "Wenn Gott der Schöpfer ist, dann steht es ihm ganz einfach zu, mir als seinem Geschöpf zu sagen, was richtig und was falsch ist." Das Wissen um die Verantwortung vor Gott hat Beckstein auch in der politischen Öffentlichkeit immer wieder herausgestellt, genauso seine Prägung durch den Christlichen Verein junger Menschen (CVJM).Stand: 1. Auflage 2011

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783775170642

II. Vom Ewigen Gott zur Freiheit berufen

»Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt habe.«
Dieser Satz ist Teil des Ersten Gebots. Doch er könnte auch die Überschrift über allen nachfolgenden Geboten sein. Ist das nicht bemerkenswert: Es geht nicht gleich los mit Geboten und Verboten. Nein, am Anfang stellt sich Gott erst einmal vor. »Ich bin der Herr.« Das erinnert an die Begegnung von Mose mit Gott im brennenden Dornbusch. Da stellt sich Gott mit dem Namen Jahwe vor, was so viel bedeutet wie »Ich bin, der ich bin«, aber auch »Ich bin, der ich war« und »Ich bin, der ich sein werde.« (2. Mose 3,14) Es handelt sich nicht um einen unnahbaren Gott, der mit den Menschen nichts zu tun haben will. Er ist der Gott, der bereits seine Geschichte mit dem Volk Israel hat, an das sich die Zehn Gebote zunächst richten. Pfarrer Ulrich Parzany, der frühere Generalsekretär des CVJM, schreibt dazu: »Dass Gott sich mit seinem Namen vorstellt, bedeutet, dass er von uns angeredet werden will. Er will zu uns eine Beziehung haben. Er will, dass wir ihn persönlich kennen. Gott ist keine Weltformel. Er ist kein philosophischer Gedanke. Er ist der Schöpfer und Herr des Universums. Und er will zu uns eine persönliche Beziehung haben.«1 Die namentliche Vorstellung ist also Ausdruck der Liebesbeziehung Gottes zu den Menschen. Vielleicht kann man es so sagen: Am Anfang steht das Ja Gottes, seine Zusage, dass er mit uns geht, dann erst folgen die Gebote.
Dieses Ja ist kein leeres Wort, es drückt sich in dem aus, was Gott für sein auserwähltes Volk Israel bereits getan hat: Eben die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, von der das 2. Buch Mose (Exodus) ausführlich berichtet. Doch die Geschichte der Befreiung geht weiter – noch einmal Ulrich Parzany: »Was Gott durch die Rettung aus Ägypten für Israel getan hat, das hat er für alle Menschen durch das Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus getan. In der Person von Jesus Christus ist Gott Mensch geworden. Alles Böse in unserem Leben nimmt er mit in seinen Tod am Kreuz. Weil er auferstanden ist vom Tode, hat er die Macht des Bösen besiegt. Jesus führt uns in die Freiheit. Wir folgen ihm aus Dankbarkeit und sind mit ihm unterwegs zu Gottes neuer Welt. Das ist die atemberaubende Parallele zur Befreiungsgeschichte des Volkes Israel.«
Die Gebote richten sich also an Befreite. An freie Menschen, die damit aber auch immer wieder vor Entscheidungen gestellt werden, sich so oder so zu verhalten. Auch das gehört zur Würde, die dem Menschen von Gott verliehen ist. Diese Freiheit steht freilich in der Gefahr, sich selbst aufzugeben. Am einfachsten zeigt sich das bei Menschen, die sich scheinbar frei für eine Sucht entscheiden, dann aber von dieser Sucht nicht mehr loskommen. Manchmal beginnt die Unfreiheit schon beim Konsumzwang, dem sich viele Zeitgenossen unterwerfen. Demgegenüber sind die Zehn Gebote die Grundlage für eine freiwillige Bindung des Menschen an Gott – eine Bindung, durch die aber wiederum die Freiheit geschützt wird. Martin Luther hat in seiner bekannt drastischen Art deutlich gemacht, welche Folgen die Grundentscheidung des Menschen hat, sich an Gott zu orientieren oder vermeintlich autonom zu bleiben: »Entweder wir werden von Gott oder wir werden vom Teufel geritten.«

1. Gebot

Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen,
weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem,
was unten auf Erden, noch von dem,
was im Wasser unter der Erde ist:
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!
Im Umfeld meiner Tibetreise im Sommer 2009 haben mich die Unterschiede zwischen den Religionen sehr beschäftigt: Man sieht dort Menschen, die lange Wallfahrten unternehmen und sich dabei zigtausend Mal zu Boden werfen. Ich habe unsere Begleiter gefragt, warum die Menschen das machen. Die Antwort: Nur derjenige, der sich hunderttausendmal zu Boden wirft, habe überhaupt die Chance, einmal als Mensch wiedergeboren zu werden. Ein anderes Beispiel von dieser Reise: Einer unser Führer hatte ständig Wurst dabei, und zwar für Hunde. Er glaubte, seine Oma in Form eines Hundes wieder zu treffen – das sei ihm so geweissagt worden, sagte er uns. Daher die Wurst für die Oma…Wie wunderbar ist dagegen unser Glaube, dass Gott seinen Sohn als Mensch auf die Welt geschickt hat, damit wir in einer personalen Beziehung zu ihm leben können. Eben nicht in totaler Unterwerfung, wie ich das bei anderen Religionen erlebt habe. Manchmal ist es mir ein Rätsel, warum Christen diesen wunderbaren Glauben weniger offensiv vertreten als die Anhänger anderer Religionen, seien es nun die Anhänger des tibetischen Buddhismus bzw. des Dalai Lama, seien es die Anhänger des Islam.
»Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.« Bei diesem Gebot stellt sich schnell die Frage: Wie soll das gehen in einer multireligiösen Gesellschaft, wie wir sie heute haben? Sollen alle fremden Götter, alle fremden Religionen aus unserem – zumindest noch – christlich geprägten deutschen Vaterland verschwinden?
Bevor ich mich der Frage nach dem Verhältnis zu anderen Religionen zuwende, erachte ich es für notwendig, auf andere »Götter« hinzuweisen, die zum Gott der Bibel in Konkurrenz treten. Ganz im Sinne Martin Luthers, der dazu gesagt hat: »Das, woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.« Das Hauptproblem scheint mir dabei heute das Geld zu sein: Für viele ist das Geld nicht mehr Mittel zum Zweck, um morgens Semmeln zu kaufen, um die Miete zu bezahlen oder um sich eine schöne Reise zu gönnen. Für sie ist das Geld zum Selbstzweck geworden. Es wird als Wert an sich empfunden, Geld im Übermaß anzuhäufen, um es anschließend auch im Übermaß auszugeben. Das gilt nicht nur im persönlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich: Wenn Geld eine völlig überdimensionierte Rolle einnimmt, so sehr, dass eine Wirtschaftsordnung nur noch unter Renditegesichtspunkten gesehen wird, dann läuft etwas falsch und dann widerspricht das dem ersten der Zehn Gebote zutiefst. Wenn Menschen sich nicht auf Gott verlassen, sondern auf ihr Bankkonto, dann wird aus dem Geld der berühmte Mammon, vor dem Jesus warnt.

Wenn Geld, Macht und Sex zum Götzen werden

Ein weiterer falscher »Gott«, vor dem wahrscheinlich niemand gefeit ist, der aber gerade auch in der Politik eine große Rolle spielt, kann die Macht sein. Ohne Macht lässt sich eine gute Ordnung nicht durchzusetzen, doch Macht kann zum Selbstzweck werden. Warum? Weil hinter dem Streben nach Macht oft die Sehnsucht steckt, selbst im Mittelpunkt zu stehen und anerkannt zu sein. Damit verbunden ist die Selbstvergötterung des Menschen, die eine lange Geschichte hat: Die Bibel erzählt im 1. Buch Mose, dass der Sündenfall mit dem Wunsch von Adam und Eva zusammenhängt, »so zu sein wie Gott«. Sich an die Stelle Gottes zu setzen, ihm seinen Platz streitig zu machen – klar, dass das dem 1. Gebot widerspricht.
Auch Sexualität und Körperkult können zu Götzen werden, die den Menschen beherrschen. Sexualität ist etwas zutiefst Menschliches, etwas, das die Freude an dem geliebten Partner und die Liebe zu ihm verbindet mit der Zeugung neuen Lebens. Aber zum einzig Wichtigen erhoben, sind Sexualität und Körperkult etwas, das eher unfrei macht als frei. Mit Sorge sehe ich, wie die Dominanz von Sexualität und Körperkult in den Medien unsere jungen Menschen, vor allem die Mädchen, verunsichert: Minderjährige hungern sich spindeldürr, um wie ein Superstar oder ein Supermodel auszusehen. Sie können alles, wirklich alles Mögliche und Unmögliche über Sex lesen, sehen und hören – und sie werden gleichzeitig mit jedem neuen Eindruck unsicherer und der möglichen schönen Geheimnisse und Entdeckungen ihrer Jugend beraubt. Das beginnt in der Werbung und hört im Fernsehen nicht auf. Hier wird Sex zur Ware und eine Scheinwelt vorgegaukelt, die Begierden fördert und Beziehungen schädigen kann. Eine solche Überbetonung kann das Zusammenleben von Menschen nicht in einer sinnvollen Weise unterstützen, sondern gefährdet sowohl die Gott-Mensch-Beziehung als auch die Mensch-Mensch-Beziehung. Es ist schon tragisch, wenn man liest, dass selbst eine Leinwandgröße wie Demi Moore sich dem Zwang der Schönheitsindustrie unterwirft: »Ich war extrem besessen von meinem Körper. Ich machte ihn zum Maßstab meines Selbstwertgefühls. Ich versuchte ihn zu dominieren und tat es auch und veränderte ihn oft. Aber es hielt nie lange und es brachte mir nie mehr als nur ein temporäres Glücksgefühl.« Diese freimütigen Äußerungen zeigen, dass es dem Menschen nicht guttut, sich Götzen zu beugen anstatt Gott zu gehorchen.
Freilich: Geld, Macht und Sex – all das ist nicht von vornherein schlecht, sondern kann dem Leben dienen. Doch stecken auch Versuchungen in ihnen. Daher warnt die Bibel an ganz verschiedenen Stellen davor, sie zu vergötzen.

Religionspluralismus und Wahrheitsanspruch

Selbstverständlich will ich mich vor der Frage nach dem Verhältnis zu anderen Religionen nicht drücken. In einer pluralistischen Gesellschaft stellt sich für viele die Frage, inwieweit der Wahrheitsanspruch der verschiedenen Religionen dem friedlichen Zusammenleben entgegensteht. Müssen sich Menschen, die glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, nicht irgendwann die Köpfe einhauen? Aus der Geschichte kennen wir viele traurige Beispiele, die diese Befürchtung bestätigen. Religionskritiker, aber auch manche Theologen fordern daher von Gläubigen aller Religionen, den Wahrheitsanspruch aufzugeben – schließlich könne man doch sowieso nicht wissen, wer recht hat. Oft folgt dann noch der Hinweis auf die Ringparabel aus dem Drama »Nathan der Weise« von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Darin führt Sultan Saladin, ein Muslim, ein Gespräch mit dem reichen jüdischen Kaufmann Nathan über das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen. Saladin hofft insgeheim, Nathan werde seinen Glauben als den einzig wahren bezeichnen und damit für das Judentum einen Vorrang vor allen anderen Religionen reklamieren. Nathan jedoch reagiert mit der Geschichte von einem Herrscher, der einen besonderen Ring besitzt – einen Ring, von dem es heißt, dass er »die geheime Kraft hatte, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer ihn in dieser Zuversicht trug«. Nun hat der Herrscher ein Problem: Er hat drei Söhne und weiß nicht, wem er den Ring vererben soll, da ihm alle drei gleich lieb und teuer sind. Also lässt er zwei Duplikate machen, die sich vom Original nicht unterscheiden lassen. Das merken nach dem Tod des Vaters auch die drei Söhne; sie fangen an zu streiten, wem denn nun der richtige Ring gehöre, und gehen deswegen sogar vor Gericht. Der Richter in Lessings Werk stellt fest: Wenn sich die drei streiten, hat offensichtlich keiner von ihnen den richtigen Ring, der doch die besondere Eigenschaft hat, »vor Gott und Menschen angenehm zu machen«. Doch er gibt den Söhnen einen Rat mit auf den Weg: Jeder solle für sich der Überzeugung anhängen, dass sein Ring der richtige sei, sodass man dann eben an den Taten das Gute erkennen möge: »So eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach.«
Sobald dieser wertvolle Gedanke jedoch mit der Forderung verbunden wird, alle Religionen für gleich wahr zu halten, nimmt er den Glauben letztlich nicht ernst. Er nimmt vor allem Gott nicht ernst. Natürlich lässt sich die Existenz Gottes nicht im gesellschaftlichen Diskurs beweisen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass niemand, der intellektuell redlich argumentiert, die Möglichkeit ausschließen kann, dass es Gott gibt. Und dass ein Glaubender in diesem Fall Gott mit seinem Anspruch an das eigene Leben ernst nehmen muss. Ein freiheitlicher Staat muss daher einen weiten Gestaltungsraum für die Ausübung des Glaubens zugestehen. Das gilt für alle Religionen, die – um mit dem Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio zu sprechen – »kein Problem darin sehen, dass der Mensch, und zwar jeder Mensch, mit seiner Würde, seiner Freiheit und seinem Anspruch auf Rechtsgleichheit im Mittelpunkt der Rechtsordnung steht.« Man kann es vielleicht auch so sagen: Der freiheitliche Staat würde seine eigenen Grundsätze aufgeben, wenn er Religionsfreiheit nicht gewähren würde. Zugleich müssen Gläubige, die diese Freiheit in Anspruch nehmen, diese Freiheit natürlich auch anderen zugestehen.
Für den einzelnen Christen ist klar: So sehr er persönlich davon überzeugt ist, dass es nur den einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus offenbart hat, so sehr muss er die Überzeugungen anderer respektieren, die diesen Glauben nicht teilen. Zumal wir wissen, dass Glaube ein Geschenk ist, wie Luther in der Auslegung des Dritten Glaubensartikels im Kleinen Katechismus betont hat: »Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten.« Mit der Anerkenntnis des Umstands, dass andere Religionen um mich herum sind, kann aber nicht gemeint sein, alle Religionen als gleich gültig anzuerkennen – das führt übrigens oft auch zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben des Anderen. Ebenso wenig kann damit ein Verzicht auf Mission gemeint sein, also das Zeugnis des eigenen Glaubens. (Das sage ich nicht nur, weil der sogenannte Missionsbefehl aus dem Matthäus-Evangelium mein Konfirmationsspruch ist: »Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.«) In diesem Sinn verstehe ich auch Jürgen Habermas, der 2004 in seinem berühmten Religionsgespräch mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger in der Katholischen Akademie in München sagte: »Säkularisierte Bürger dürfen, soweit sie in ihrer Rolle als Staatsbürger auftreten, weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotenzial absprechen noch den gläubigen Mitbürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen.«
Spannend wird es in einer freiheitlichen Gesellschaft dort, wo sich Menschen unter Berufung auf ihren Glauben weigern, einzelne Gesetze zu befolgen: Strenggläubige Christen, die ihre Kinder nicht in eine öffentliche Schule schicken wollen, Juden, die nur Fleisch von geschächteten Tieren essen dürfen, junge Musliminnen, die nicht am gemeinsamen Sportunterricht teilnehmen wollen. All das sind Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen, und zwar in Abwägung sowohl der berechtigten Interessen der Gemeinschaft als auch der Interessen der Gläubigen.
Einen festen Riegel dagegen müssen wir dann vorschieben, wenn Fanatiker – leider wiederum unter Berufung auf ihren Glauben oder ihre Weltanschauung – Gewalt anwenden oder den freiheitlichen Staat auszuhöhlen versuchen. Beispielhaft dafür steht die Scientology-Organisation, die für sich Religionscharakter in Anspruch nimmt, was meiner Einschätzung nach lediglich die kommerziellen und totalitären Ziele einer Organisation überdecken soll, die Menschen mit einer Art Gehirnwäsche ihrem totalitären System unterzuordnen versucht.

Verhältnis zum Islam

Besonders in den Fokus geraten ist in den vergangenen Jahren das Verhältnis zum Islam. Zum einen wegen der Größenordnung: In Deutschland leben (je nach Schätzung) rund dreieinhalb bis viereinhalb Millionen Menschen aus dem Kultur- und Religionskreis des Islam. Zum anderen, weil der Islam deutlich stärker als das (heutige!) Christentum religiöse und politische Fragen miteinander verknüpft. In den Feuilletons unserer Zeitungen ist längst die Frage entbrannt, ob Islam und Demokratie möglicherweise ein Widerspruch in sich sind.
Uns allen muss daran gelegen sein, dass Christen und Muslime friedlich und tolerant miteinander leben und ein Kampf der Kulturen und Religionen unbedingt vermieden wird. Wir dürfen aber die Augen nicht vor der Realität verschließen. Die islamistischen Terroranschläge in Madrid und London, »vor unserer Haustüre« gewissermaßen, aber auch die Vorgänge in den Niederlanden im Zusammenhang mit der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh oder die gewalttätigen Demonstrationen und Mordanschläge nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in Dänemark haben betroffen gemacht. Minarette in unseren Innenstädten, Kopftuch tragende Lehrerinnen – auch diese Schlagworte und Bilder rufen bei vielen Bürgern Skepsis, Beklemmung und Angst vor dem Islam hervor.
Ich habe seit den frühen 1990er-Jahren intensiv Kontakte zu Muslimen gesucht. Insbesondere pflege ich seit längerer Zeit intensive Beziehungen zur DITIB (»Diyanet Isleri Türk-Islam Birligi« = »Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion«), die dem türkischen Religionsministerium unterstellt ist, besuche deren Moscheen und habe eine ganze Reihe von muslimischen Freunden. Daher weiß ich, dass die meisten Muslime friedliebend, tolerant und weltoffen sind. Es ist bemerkenswert, dass bei vielen von ihnen die Religion ein höheres Gewicht hat als bei den meisten Christen. Dabei habe ich festgestellt, dass die Bindung an islamische Riten in den letzten Jahren sogar stärker geworden ist. Selbst Leute, die vor zehn Jahren überhaupt nichts von Fastenzeiten gehalten haben, fasten jetzt – und zwar aus religiösen Gründen. Ich selbst faste auch in der Fastenzeit, zugegebenermaßen vor allem aus gesundheitlichen Gründen und um mir zu beweisen, dass ich auf Genussmittel und Süßigkeiten auch verzichten kann. Dass aber Leute, mit denen ich früher eine gute Flasche Rotwein getrunken habe, jetzt aus Überzeugung überhaupt keinen Alkohol mehr trinken, und zwar mit Bezug auf den Islam, macht mich nachdenklich. Da ist schon eine gewisse Re-Islamisierung festzustellen.
Das zeigt sich auch in Umfragen. 80 Prozent der Muslime sagen, dass ihnen ihr Glaube wichtig bzw. sehr wichtig ist. Dasselbe sagen selbst im katholischen Bayern nicht einmal 25 Prozent der Kirchenmitglieder. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das ist keine Kritik an den Muslimen, sondern eine Anfrage an uns Christen. Warum leben wir unseren Glauben nicht so, dass Andersgläubige davor Respekt haben oder davon vielleicht sogar angezogen werden? Es ist doch erstaunlich, dass in Deutschland mehr Menschen vom Christentum zum Islam übertreten als umgekehrt. Zum interreligiösen Dialog, zu dem es keine Alternative gibt, gehört auch, dass man selbst einen Standpunkt hat und die eigenen Glaubensgrundlagen nicht relativiert. Ansonsten, so meine Erfahrung, wird man von der anderen Seite auch nicht für voll genommen. Der katholische Theologe Eberhard Schockenhoff hat das so ausgedrückt: »Wirkliche Toleranz erfordert immer beides: Das Festhalten am eigenen Wahrheitsanspruch und den Respekt vor der Wahrheitssuche des anderen. Wird dagegen der eigene Wahrheitsanspruch schon vor der Begegnung mit dem anderen auf eine bloß subjektiv gültige Einstellung zurückgenommen, so verfällt auch das Toleranzgebot zu einer pragmatischen Maxime des reibungslosen Zusammenlebens innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Eine um den Preis der weitgehenden Selbstrelativierung aller Wahrheitsansprüche erkaufte Bereitschaft zur Toleranz hätte nur mehr den Status einer empirischen Klugheitsregel, aber nicht mehr den kategorischen Rang einer ethischen Grundforderung, die ihre Wurzel im biblischen Liebesgebot und in der Anerkennung der Menschenwürde findet.«2
Für ein offenes Gespräch mit Muslimen
Zentrale Voraussetzungen ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einführung
  7. I. Dem Allerhöchsten verantwortlich
  8. II. Vom Ewigen Gott zur Freiheit berufen
  9. III. Gott vergibt – und er gibt Kraft
  10. Anstelle eines Nachworts: Gedanken zu Psalm 90
  11. Bildnachweis
  12. Anhang