Deutsche Geschichte
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In drei Bänden

  1. 1,510 Seiten
  2. German
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In drei Bänden

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Über dieses Buch

Ricarda Huch widmete sich seit den 1910er Jahren der italienischen, deutschen und russischen Geschichte. Ihr Hauptwerk zur deutschen Geschichte entstand zwischen 1934 und 1947 und umfasst sowohl das Mittelalter als auch die Frühe Neuzeit.Diese Sammlung fasst in neuer deutscher Rechtschreibung erstmalig alle 3 Bände zusammen: Band I – Römisches Reich Deutscher NationBand II – Das Zeitalter der GlaubensspaltungBand III – Untergang des Römischen Reiches Deutscher NationNull Papier Verlag

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783962817725
Auflage
1
Thema
History
Band II – Das Zeitalter der Glaubensspaltung

Einleitung: Der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltanschauung

Ger­ma­nia fuit et nun­quam erit quod fuit, hat Luther ge­sagt: Ger­ma­ni­en ist ge­we­sen und wird nie wie­der sein, was es ge­we­sen ist. Er er­leb­te den Zu­sam­men­bruch des mit­tel­al­ter­li­chen Rei­ches, sah und fühl­te, dass sei­ne Idea­le für im­mer der Ver­gan­gen­heit an­heim­fie­len. Es war der Un­ter­gang ei­ner Epo­che, reich an Kampf und Irr­sal, aber auch über­reich an schöp­fe­ri­scher und auf­neh­men­der Kraft, an man­nig­fa­chem Wachs­tum, die ei­nes ju­gend­lich in die Ge­schich­te ein­tre­ten­den, frei­heit­lie­ben­den Vol­kes Mit­gift wa­ren. Um­fasst und ge­eint war die­se Viel­falt durch den Äther ei­ner ge­mein­sa­men Wel­t­an­schau­ung, der das dies­seits Er­wach­se­ne an die Ewig­keit zu bin­den schi­en.
Die Däm­me­rung der ro­ma­ni­schen und der Far­ben­zau­ber der go­ti­schen Kir­chen um­flu­te­ten das stei­ner­ne Mys­te­ri­um des Chris­ten­tums: die Fleisch­wer­dung des Gott­men­schen, sein Er­lö­sungs­werk und sei­nen Tod am Kreuz. Das tra­gi­sche Ge­schick der Mensch­heit zwi­schen Him­mel und Erde, ihre Ver­su­chun­gen, ihre Kämp­fe und schmerz­li­chen Über­win­dun­gen, die­se un­er­gründ­lich wun­der­ba­re sym­bo­li­sche Ge­schich­te war in all­ver­ständ­li­chen Ge­stal­tun­gen von den Pfei­lern und Ge­wöl­ben ab­zu­le­sen. Die zahl­los im gan­zen Abend­land auf­ge­bau­ten Kir­chen wa­ren sicht­ba­re Punk­te ei­nes un­sicht­ba­ren Gerüsts, das die Welt zu ei­nem sinn­vol­len Ge­bil­de mach­te, sie durch­drang und trug, ei­ner Wel­t­an­schau­ung, die die Welt war. Denn in ihr war die Weis­heit al­ler Zei­ten ein­ge­schmol­zen, sei es auch nur, dass sie sie als Ge­gen­satz durch­glüh­te. Sie war ein Werk vie­ler Jahr­hun­der­te, und ihr Un­ter­gang, wenn sie un­ter­ge­hen konn­te, schi­en Welt­un­ter­gang zu be­deu­ten.
Zu Gott zu ge­lan­gen war nach mit­tel­al­ter­li­cher An­schau­ung die Auf­ga­be des Men­schen; sie konn­te nur er­reicht wer­den in­ner­halb der Kir­che, die von Gott ge­grün­det, gött­lich und ewig war. Es war ihr ver­lie­hen, der­einst die gan­ze Mensch­heit in sich auf­zu­neh­men; sie war gleich­sam die Er­schei­nung des Un­ver­gäng­li­chen in der ver­gäng­li­chen Welt. Die Mit­glie­der der Kir­che teil­ten sich in die Lai­en und den Pries­ter­stand, der teils durch Leh­re, teils durch Bei­spiel die Lai­en ih­rem jen­sei­ti­gen Zie­le zu­führ­te. Wie­de­r­um war der Pries­ter­stand ge­teilt in die Welt­geist­lich­keit und die Klos­ter­geist­lich­keit, die nicht nur wie jene durch Keusch­heit, son­dern auch durch Ar­mut und Ge­hor­sam der Hei­lig­keit sich nä­her­te, die in Gott vollen­det wur­de. Wer zu Gott ge­lan­gen woll­te, muss­te die Welt über­win­den. In­dem die Mön­che und Non­nen von der Welt ab­ge­son­dert ganz der An­be­tung Got­tes, dem Diens­te des Nächs­ten und der Dämp­fung der Sinn­lich­keit leb­ten, führ­ten sie den Lai­en das Bild der En­gel vor Au­gen und ge­nos­sen des­halb be­son­de­re Ver­eh­rung. An der Spit­ze der Pries­ter­schaft stand der Bi­schof von Rom, der Papst. Zu­sam­men mit Ver­tre­tern des Pries­ter­stan­des gab er der über­ir­di­schen Wahr­heit die­je­ni­ge Form, die sie den Lai­en fass­bar mach­te und grenz­te sie ab ge­gen den Irr­tum.
»Wer ist un­ter uns, der bei der ewi­gen Glut woh­ne?« lässt Je­sai­as den Sün­der sa­gen. Aber alle Men­schen sind Sün­der. Die Se­her und Wei­sen al­ler Zei­ten ha­ben ge­wusst, dass der Mensch Gott in sei­ner Ma­je­stät nicht er­tra­gen kann. Die gött­li­che Wahr­heit dringt nur in ge­bro­che­nen Strah­len zur Erde, bie­tet sich den Men­schen dar in Sym­bo­len, Spie­geln gleich­sam, die so viel vom gött­li­chen We­sen auf­fan­gen, wie den Men­schen er­träg­lich und ver­ständ­lich ist. Nie­mals wa­ren die Spie­gel der Gott­heit so nahe ge­kom­men, so von Gott durch­glüht und Gott an­ge­gli­chen wie in der christ­li­chen Sym­bo­lik. Sie zu leh­ren, aus­zu­le­gen, in der Tie­fe ih­rer Be­deu­tung zu er­for­schen und zu be­grün­den war die Auf­ga­be der Pries­ter. Nur durch ihre Ver­mit­te­lung konn­te der Laie in Be­zie­hung zu Gott tre­ten. Sie wa­ren Schutz­en­gel, die den ins Welt­li­che ver­floch­te­nen Men­schen den Flug zu Gott lehr­ten und zu­gleich wie eine schüt­zen­de Wol­ke das furcht­ba­re Ge­heim­nis der gött­li­chen Ma­je­stät um­ga­ben, de­ren un­ver­hüll­tes Ant­litz das ir­di­sche Ge­schöpf ver­zeh­ren wür­de.
Die christ­li­che Wel­t­an­schau­ung konn­te das Abend­land be­herr­schen, weil sie er­wach­sen war auf den Trüm­mern ei­ner ho­hen Kul­tur und über der noch nicht hoch ent­wi­ckel­ten Kul­tur jun­ger Völ­ker, die sie wil­lig in sich auf­nahm. Die Herr­schafts­stel­lung, die sie dem Kle­rus zu­wies, wuchs ihm zu, weil die Völ­ker sie bei ihm such­ten. Die Füh­rer der Chris­ten ver­kün­dig­ten das hohe Ide­al, das die Ver­wil­der­ten und Er­schöpf­ten, die Ge­leh­ri­gen und Emp­fäng­li­chen mit Be­geis­te­rung er­grif­fen. Eine neue Welt ging aus die­ser Wel­t­an­schau­ung wie aus ei­nem glei­chen Sa­men und ge­mein­sa­mer Erde her­vor. Alle Äu­ße­run­gen des mensch­li­chen Geis­tes wur­zel­ten in ihr und wa­ren von ihr durch­drun­gen. Ihr dienten die Küns­te und Wis­sen­schaf­ten, die Den­ker und Dich­ter, von ihr er­füllt war das staat­li­che und wirt­schaft­li­che und häus­li­che Le­ben. Wenn auch Krieg, Ver­bre­chen und Irr­sal, wor­an es un­ter Men­schen nie fehlt, das mit­tel­al­ter­li­che Abend­land wild durch­tob­ten, es war um­leuch­tet von der Glo­rie ei­nes ein­heit­li­chen er­ha­be­nen Glau­bens. Die Ge­bil­de der Kunst, die Ge­sän­ge in der Kir­che, die erns­ten und hei­te­ren Spie­le des Vol­kes, al­les wies aus der un­ruh­vol­len Erde auf die Herr­lich­keit Got­tes, die dem gläu­bi­gen Glied der Kir­che zu­teil wer­den soll­te. Es wölb­te sich über der Erde ein fes­ter Gold­grund­him­mel, den die Kir­che er­rich­tet hat­te. Über ihn hin­aus soll­te der mensch­li­che Ge­dan­ke sich nicht wa­gen; un­ter ihm war Frie­den. Zweif­ler und Verzwei­feln­de be­ru­hig­te die Kir­che, in ih­rem Scho­ße gab es Ant­wort für die Gott­su­cher und Hei­lung für die an den Rät­seln des Da­seins Er­krank­ten. Au­ßer­halb der Kir­che wa­ren das Cha­os und die Höl­le; aber es gab kein Cha­os und kei­ne Ver­damm­nis, de­nen die Kir­che den Un­se­li­gen nicht hät­te ent­rei­ßen kön­nen, der sich ihr gläu­big an­ver­trau­te.
Was konn­te die­se Wel­t­an­schau­ung er­schüt­tern? Das Gran­dio­se selbst, das dar­in lag, war eine Ge­fahr; denn es er­for­der­te eine stän­di­ge An­span­nung mensch­li­cher Kraft. Lan­ge Zeit hin­durch wur­de das na­tür­li­che Sin­ken der re­li­gi­ösen In­brunst aus­ge­gli­chen durch das Auf­tre­ten be­geis­ter­ter Füh­rer, die die Kir­che mit neu­er Glau­bens­glut er­füll­ten. Seit dem 14. Jahr­hun­dert blie­ben die­se Auf­schwün­ge aus; es be­gann eine Um­wäl­zung im Sin­ne von Ver­welt­li­chung, die fort­wäh­rend zu­nahm. Die Be­stim­mung des Men­schen zum Jen­sei­ti­gen wich ei­ner skru­pel­lo­sen Ver­tie­fung in das Ir­di­sche. Im­mer wa­ren die Men­schen sinn­lich und ge­nuss­süch­tig ge­we­sen, und sie wur­den es de­sto mehr, je mehr die Mög­lich­keit be­que­mer, so­gar üp­pi­ger Le­bens­hal­tung zu­nahm; der Un­ter­schied war, dass auch die Geist­lich­keit an den Aus­schwei­fun­gen teil­nahm, sich mit Be­ha­gen dar­in ge­hen ließ, so­dass, wo einst an Bi­schofs­hö­fen, in Stif­ten und Klös­tern, ein Vor­bild der Hei­lig­keit ge­leuch­tet hat­te, nun ein Bei­spiel sinn­li­cher Lust und sitt­li­cher Ver­wor­fen­heit ge­ge­ben wur­de. Das un­ter­grub die Ach­tung vor dem Kle­rus und lös­te den Schim­mer von Unan­tast­bar­keit auf, der die Kir­che um­ge­ben hat­te; sie wur­de für das Volk der Lai­en ein Ge­gen­stand des Hoh­nes und der Ver­ach­tung. Da­mit wuchs für den mäch­ti­gen Geg­ner der Kir­che, den Staat, die Mög­lich­keit, sie zu be­sie­gen.
Wenn der Mensch zum Be­wusst­sein kommt, fin­det er sich in Be­zie­hung zu Gott und in Be­zie­hung zu den Men­schen: aus die­sen Be­zie­hun­gen ent­ste­hen die Kir­che und der Staat. Weil die Be­zie­hung zu Gott die höchs­te ist, pflegt die Kir­che einen Vor­rang vor dem Staat zu for­dern, wo­ge­gen der Staat sei­ne nä­her­lie­gen­den und greif­ba­re­ren An­sprü­che gel­tend macht. Im Mit­tel­al­ter gab es einen Staat im ei­gent­li­chen Sin­ne nicht; die Be­zie­hun­gen zwi­schen Lehns­her­ren und Va­sal­len bil­de­ten das den Kör­per der Na­ti­on zu ei­nem be­wuss­ten Gan­zen ei­ni­gen­de Netz, des­sen Mit­tel­punkt der Kai­ser war. In den ge­wal­ti­gen Kämp­fen zwi­schen Papst und Kai­ser, die das Mit­tel­al­ter er­füll­ten, er­wies sich das Band der Treue als zu schwach ge­gen­über der Kir­che, der Er­bin rö­mi­scher Staats­kunst, und der Kai­ser un­ter­lag. In­zwi­schen aber hat­te sich, zu­erst in den Städ­ten, de­nen dann die Ter­ri­to­ri­en folg­ten, ein fes­te­res Re­gi­ment her­aus­ge­bil­det, und der Staat, die in ei­nem Punk­te zu­sam­men­ge­fass­te Ge­samt­kraft ei­ner Na­ti­on oder ei­nes Ge­bie­tes, nahm den Kampf er­folg­reich auf. Wie die Kir­che bei­de Schwer­ter, das der geist­li­chen und das der welt­li­chen Herr­schaft, in ihre Hand brin­gen woll­te, so trach­te­te auch der Staat nach bei­den. Für die Staats­män­ner war die Kir­che, die sich so vie­le Blö­ßen gab, nicht die Füh­re­rin der See­len zu Gott, son­dern eine Art Ge­gen­staat, ein Block, der ihre Be­stre­bun­gen, alle Kräf­te des ih­nen un­ter­stell­ten Ge­bie­tes in ei­nem Mit­tel­punkt zu sam­meln, hemm­te. War ja doch die Kir­che ein Staat und zwar ein un­ge­mein ver­fei­ner­ter, mit ei­nem Be­am­ten­ap­pa­rat und ei­ner Finanz­ver­wal­tung, wie die welt­li­chen Staa­ten sie noch nicht be­sa­ßen, aber in­stän­dig an­streb­ten.
Die Ver­staat­li­chung wie die Ver­welt­li­chung über­haupt emp­fing Nah­rung von der An­ti­ke. Kei­ne Wel­t­an­schau­ung ver­mag we­der ih­ren ei­ge­nen Ge­halt voll­kom­men aus­zu­prä­gen, noch den un­end­li­chen Ge­halt der Geis­tes­welt voll­kom­men zu um­fas­sen, des­halb ist ei­ner je­den der Trieb zur Wand­lung ein­ge­schlos­sen. Für das Abend­land ist eine von der christ­li­chen ver­schie­de­ne von Be­deu­tung: die der An­ti­ke. Sie kennt nicht die Span­nung zwi­schen Gott und Mensch, zwi­schen Got­tes­reich und Welt, zwi­schen Gut und Böse, kennt den Gott nicht, der zum Men­schen spricht: Du sollst hei­lig sein, denn ich bin hei­lig! Was es hier an For­de­run­gen gab, war die Ent­fal­tung des Na­tür­li­chen in schö­ner Har­mo­nie. Nicht das Sitt­li­che, aus dem Keim der Lie­be er­wach­send, war der Maß­stab bei der Er­zie­hung des Men­schen, son­dern die Tüch­tig­keit, das Schö­ne und Maß­vol­le. Da nicht das Jen­seits, son­dern die Erde als Hei­mat des Men­schen be­trach­tet wur­de, wand­te sich der stre­ben­de Geist ganz ihr zu, und da man an die un­be­grenz­te Kraft und die Zu­stän­dig­keit der mensch­li­chen Ver­nunft glaub­te, über­ließ man sich der Durch­for­schung des Uni­ver­sums und dem Auf­bau ei­ner ver­nunft­ge­mä­ßen Ge­dan­ken­welt. Das freie und stol­ze Sich­hin­ge­ben an die Ver­nunft und die Sin­ne hat­te eine Kul­tur von ho­her Vollen­dung ge­schaf­fen, die in Ita­li­en un­ter christ­li­chen Idea­len und For­men ver­bor­gen wei­ter­ge­lebt hat­te und im­mer mäch­ti­ger, wenn auch nicht un­ver­än­dert, her­vor­zu­bre­chen be­gann. Nie­mals war die an­ti­ke Bil­dung in Ita­li­en ganz ver­lo­ren­ge­gan­gen; sie hat­te sich in den Schu­len, in der Kir­che und auch in ei­ner für die Ita­lie­ner cha­rak­te­ris­ti­schen kla­ren, auf das We­sent­li­che und Prak­ti­sche ge­rich­te­ten Denk­wei­se er­hal­ten. Nach­dem die ger­ma­ni­sche Flut, die Ita­li­en über­schwemmt hat­te, auf­ge­so­gen war und aus ver­schie­de­nen Be­stand­tei­len ein ita­lie­ni­sches Volk, ein un­er­hört be­gab­tes, sich ge­bil­det hat­te, be­sann dies Volk sich auf sei­ne ruhm­volle Ver­gan­gen­heit, und zwar mit umso lei­den­schaft­li­che­rer Hin­ge­bung, als sei­ne po­li­ti­sche Zer­ris­sen­heit und Macht­lo­sig­keit in der Ge­gen­wart es nicht be­frie­dig­te. Aus die­sem po­li­tisch ohn­mäch­ti­gen Volk gin­gen im 14. und 15. Jahr­hun­dert so viel herr­li­che, vor­bild­li­che Schöp­fun­gen auf dem Ge­biet der Kunst, Mu­sik, Dich­tung und Wis­sen­schaft her­vor, wie sie kaum je­mals au­ßer Grie­chen­land ein ver­hält­nis­mä­ßig so klei­ner Be­zirk in so kur­z­er Zeit her­vor­ge­bracht hat. Das zum großen Teil von Frem­den teils be­herrsch­te, teils ver­wüs­te­te Land be­herrsch­te und speis­te geis­tig mit dem leuch­ten­den Ge­halt sei­ner Kul­tur das Abend­land. Ita­lie­ni­sche Den­ker und Künst­ler lenk­ten den Blick der abend­län­di­schen Men­schen von dem jen­sei­ti­gen Him­mel ab, zu dem die kirch­li­che Er­zie­hung ihn hin­ge­wen­det hat­te, so­dass es war, als sehe er nach lan­gem Schlaf und Traum zum ers­ten Mal die Erde im Mor­genglanz. Der Zau­ber der Schön­heit über­ström­te das Tal der Trä­nen. Die Herr­lich­keit gött­li­cher Mar­mor­lei­ber, die mit den heid­nischen Tem­peln ver­sun­ken wa­ren und nun aus­ge­gra­ben wur­den, führ­te einen Men­schen vor Au­gen, des­sen Ur­bild einst, so mein­te man, auf die­sem Bo­den ge­wan­delt hat­te, dem ähn­lich zu wer­den die heu­ti­gen Be­woh­ner die­ses Bo­dens be­ru­fen wa­ren. Wie viel­sei­tig und har­mo­nisch er­schi­en der an­ti­ke Mensch, ver­gli­chen mit dem ein­sei­tig der himm­li­schen Ver­klä­rung ent­ge­gen­ge­züch­te­ten go­ti­schen! Die­ser er­schi­en als ein un­na­tür­lich ver­renk­tes Ge­wächs ge­gen­über dem, der sich frei nach dem Maß sei­ner an­ge­bo­re­nen Wachs­tums­kraft ent­fal­ten konn­te. Aus­bil­dung al­ler Kei­me, die die Na­tur zur Ge­stal­tung ei­nes voll­kom­me­nen Men­schen­tums dem Men­schen ver­lie­hen hat, er­kann­te man als Auf­ga­be und nann­te die­se Rich­tung Hu­ma­nis­mus. Nicht dass man den Men­schen sei­nen na­tür­li­chen Trie­ben über­las­sen woll­te; nur soll­te nicht mehr Gut und Böse, Hei­lig und Welt­lich die Norm sei­nes Wer­dens sein, son­dern man glaub­te ihn den Mäch­ten der Schön­heit, der Weis­heit, Frei­heit, Tüch­tig­keit an­ver­trau­en zu dür­fen. Es war et­was Ge­wal­ti­ges, dass ne­ben der christ­li­chen Kul­tur, die bis­her die ein­zi­ge ge­we­sen war, eine neue er­stand, die sich durch die Fül­le wert­vol­ler Er­schei­nun­gen über­zeu­gend be­glau­big­te, dass Men­schen wie aus ei­ner heid­nischen Tau­fe auf­tauch­ten, die stolz auf sich selbst ge­stellt, nicht nach der Pal­me des Über­win­ders, son­dern nach dem Lor­beer des Sie­gers streb­ten. Die an­ti­ke Wel­t­an­schau­ung wur­de in Ita­li­en und auch in Deutsch­land, wo­hin von die­ser Be­we­gung zu­erst nur ein ver­weh­ter Duft wie aus fer­nen Gär­ten drang, nicht als Ge­gen­satz, viel­mehr als Er­gän­zung des Chris­ten­tums auf­ge­fasst. Wa­ren doch mit dem auf dem Bo­den der An­ti­ke er­wach­se­nen Kir­chen­glau­ben zu­gleich edle Trüm­mer an­ti­ker Kul­tur in die von der Kir­che be­herrsch­ten Län­der ein­ge­drun­gen, die man ver­eh­rend über­nahm und wei­ter­bil­de­te. Über­all kam die Chris­ten­heit den Ein­flüs­sen der Re­naissance ver­trau­ens­voll ent­ge­gen, über­zeugt, sie kön­ne sich ihre Schät­ze an­eig­nen, ohne ihr ei­ge­nes We­sen auf­zu­ge­ben. In Deutsch­land war das umso mehr der Fall, als eine aus dem Nor­den des Rei­ches kom­men­de Le­bens­rich­tung die Emp­fäng­lich­keit für die frem­den An­re­gun­gen vor­be­rei­tet hat­te. Die Re­for­mi­de­en der Brü­der vom ge­mein­sa­men Le­ben, die im 14. Jahr­hun­dert in den Nie­der­lan­den wirk­ten, hat­ten sich all­mäh­lich, von geist­vol­len jun­gen Män­nern ge­tra­gen, über ganz Deutsch­land, na­ment­lich über das west­li­che, aus­ge­brei­tet. Sie bezweck­ten eine ver­edel­te Er­zie­hung der Ju­gend in der Wei­se, dass nicht mehr For­meln und lee­rer Ge­dächt­nis­kram die Schu­len be­herrsch­ten, son­dern zur Aus­bil­dung des gan­zen Men­schen der Grund ge­legt wer­de. Es ist nicht mit Be­stimmt­heit nach­zu­wei­sen, wo­her der Name Hu­ma­nis­mus kommt; wahr­schein­lich geht er auf Ci­ce­ro und des­sen Über­set­zung des grie­chi­schen Wor­tes παιδεια zu­rück. Die Hu­ma­nis­ten wi­der­setz­ten sich den Scho­las­ti­kern, die im Lau­fe des letz­ten Jahr­hun­derts mit ih­rer Be­griffs­s­pal­tung und Be­griffs­akro­ba­tik die Erde ganz ver­las­sen und von den Ge­dan­ken al­les le­ben­di­ge Fleisch ab­ge­schabt hat­ten. Da das La­tein die Spra­che der Stu­die­ren­den war, be­gann man da­mit, sie aus gu­ten la­tei­ni­schen Schrift­stel­lern zu leh­ren und den Schü­ler auch den In­halt der be­tref­fen­den Bü­cher sich an­eig­nen zu las­sen. So wur­de man in Deutsch­land all­mäh­lich von ähn­li­chen Pro­ble­men er­fasst, wie sie die ge­bil­de­te Welt Ita­li­ens be­weg­ten. Ge­mes­sen an der viel­sei­ti­gen, Über­schweng­li­ches ver­hei­ßen­den neu­en Bil­dung er­schi­en die Tüf­te­lei der Scho­las­tik so­wie die see­len­lo­se Fröm­me­lei der Kir­che un­er­träg­lich ab­ge­stan­den, ver­west. Aber nicht nur ge­gen die Kir­che, der je­der­mann et­was vor­zu­wer­fen hat­te, ge­gen die Re­li­gi­on über­haupt stumpf­te sie ab; in der Hel­lig­keit, die die neu­en An­schau­un­gen über das Be­wusst­sein ver­brei­te­ten, gin­gen die jen­sei­ti­gen Ster­ne un­ter.
Es gab aber in Deutsch­land einen un­mit­tel­bar ge­fähr­li­che­ren Feind der Kir­che als die Ver­welt­li­chung, die sie von in­nen, und den Staat, der sie von au­ßen be­droh­te, das wa­ren die gläu­bi­gen Chris­ten. Einst wä­ren viel­leicht man­che von ih­nen Hei­li­ge ge­wor­den oder hät­ten Or­den ge­grün­det, jetzt leb­ten sie, Mys­ti­ker oder ›Brü­der vom ge­mein­sa­men Le­ben‹ oder Ket­zer oder Ein­sa­me im Scho­ße der Kir­che oder au­ßer­halb der Kir­che, je­den­falls fern von ihr und sie nicht be­ach­tend. Der un­ter­ir­di­sche Strom der Sehn­sucht nach dem Gött­li­chen konn­te an­schwel­len und ihre Fun­da­men­te er­schüt­tern, wenn un­ter ih­rer Kup­pel kein Raum für sei­ne Hoch­flut war.
Jahr­hun­der­te wäh­rend voll­zog sich die Auf­lö­sung und Um­schmel­zung des tra­gen­den Welt­ge­rüs­tes in schmerz­li­chem Un­ter­gang und ver­häng­nis­vol­len, groß­ar­ti­gen Be­frei­un­gen. Ir­di­sches und Himm­li­sches, jen­sei­ti­ge und dies­sei­ti­ge Zwe­cke wa­ren da­bei so in­ein­an­der ver­schlun­gen, dass keins ohne das an­de­re er­strebt und an­ge­grif­fen wer­den, keins un­be­schat­tet sie­gen konn­te. Die Er­ha­ben­heit der Zie­le, um die ge­run­gen wur­de, der Ernst und die Op­fer­freu­dig­keit, mit der vie­le von den Kämp­fern ihr Le­ben ein­setz­ten, das Schick­sal­haf­te der Wen­dung und die Zwie­späl­tig­keit al­ler Be­tei­lig­ten, von de­nen kei­ner sei­ne Idee rein ver­trat, ma­chen das 15., 16. und 17. Jahr­hun­dert un­ver­gleich­lich groß und be­deu­tungs­voll und un­heil­bar tra­gisch.

Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert

Kö­nig No­bel be­ruft einen Reichs­tag, zu dem sich sei­ne Va­sal­len, große und klei­ne, geist­li­che und welt­li­che, ge­hor­sam ein­fin­den. Da ist Braun der Bär, treu­her­zig brum­mend, ob­wohl er sich als der wah­re Kö­nig fühlt, Ise­grim der Wolf, der un­er­sätt­li­che, Bel­lin der Schaf­bock, der des Kö­nigs Kanz­lei, das Ur­kun­den- und Schrif­ten­we­sen un­ter sich hat, Lam­pe der Hase, Hin­ze der Ka­ter, Hen­ning der Hahn und vie­le an­de­re, und alle scha­ren sich in Er­ge­ben­heit um No­bel, der pom­pös auf dem Thro­ne sitzt und eine von den Grund­sät­zen der Ge­rech­tig­keit und Für­sor­ge auf­ge­bläh­te An­spra­che hält. Nicht er­schie­nen ist Rei­ne­ke Fuchs, weil er, vie­ler Mis­se­ta­ten und Ge­set­zes­über­tre­tun­gen sich be­wusst, vor­aus­sieht, es wer­de ein üb­les Ende mit ihm neh­men. Alle Tie­re, ei­ni­ge Fuchs­ver­wand­te, Dachs, Affe aus­ge­nom­men, has­sen, fürch­ten ihn, der viel klü­ger und lis­ti­ger ist als sie, und sei­ne Lis­tig­keit be­nutzt, um die klei­nen zu fan­gen und die großen, plum­pen Herr­schaf­ten in die ärgs­ten Un­ge­le­gen­hei­ten zu ver­stri­cken. Es ge­lingt end­lich, ihn zu Hof zu brin­gen, und schon ist ihm die Sch­lin­ge um den Hals ge­legt, da kommt er noch ein­mal zu Wor­te und er­weckt des Kö­nigs Ge­lüs­ten nach ei­nem Schatz, den er ir­gend­wo ver­steckt zu ha­ben vor­gibt. Arg­wöh­nisch ver­langt No­bel, dass Rei­ne­ke selbst ihn zur Stel­le ge­lei­te; aber Rei­ne­ke wen­det vor, dass er im Bann sei und dass es sich für die Ma­je­stät des Kö­nigs nicht zie­me, sich mit ei­nem Ge­bann­ten öf­fent­lich zu zei­gen; er wol­le zu­erst nach Rom ge­hen und sich vom Ban­ne lö­sen. Das leuch­tet No­bel ein; denn mit den rö­misch-päpst­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten ist nicht zu spa­ßen.
No­bel trägt sei­ne Lö­wen­pe­rücke mit so viel Wür­de, und die ge­fähr­li­chen Va­sal­len agie­ren ihre Dienst­be­flis­sen­heit und schwär­me­ri­sche Ver­eh­rung für das Ober­haupt so glatt, dass wir ein Bild der Ein­tracht und wohl­er­wor­be­ner Rech­te vor uns se­hen. Im Grun­de sind sie al­le­samt räu­be­ri­sche Bes­ti­en, je stär­ker, de­sto skru­pel­lo­ser, wäh­rend die Schwa­chen, Klei­nen, die es gern den Mäch­ti­gen gleichtä­ten, durch­zu­schlüp­fen su­chen, wie es eben geht. No­bel treibt es in sei­nem Be­zirk so wie sie; wenn er als Kö­nig in­mit­ten sei­ner Gro­ßen auf­tritt, de­ren er nicht Meis­ter wer­den kann, hat er et­was Hoh­les, et­was von ei­ner grim­mi­gen Lar­ve an sich, hin­ter der ein rat­lo­ser Schwach­kopf steckt, und sei­ne Nei­gung gilt ei­gent­lich dem Schelm Rei­ne­ke, des­sen er­fin­de­ri­sche Sch­li­che ihm zu­gu­te kom­men könn­ten, wenn es den großen Han­sen ein­fal­len soll­te, die Zäh­ne ge­gen ihn zu flet­schen.
Eine be­wun­derns­wer­te Dich­tung ist das auf ur­al­ter Tier­sa­ge auf­ge­bau­te Epos von Rei­ne­ke Fuchs, das um das Ende des 15. Jahr­hun­derts in nie­der­deut­scher Spra­che auf­ge­zeich­net wur­de. Kaum ist eine bei­ßen­de­re Sa­ti­re denk­bar, die die höchs­ten Ge­wal­ten im Reich im Bil­de ge­frä­ßi­gen Viehs er­schei­nen lässt, zu­gleich aber so kind­lich gut­ar­tig, so na­tur­ge­mäß, so spie­le­risch tref­fend und vor al­len Din­gen so lus­tig, dass eine sa­ti­ri­sche Ab­sicht kaum emp­fun­den wird. Kön­nen doch Kin­der das Ge­dicht wie ein Mär­chen le­sen. Nur an ei­ner ein­zi­gen Stel­le trägt es den Zorn des Ver­fas­sers über den Künst­ler da­von, als er Rei­ne­ke sich über die ver­rot­te­ten Ver­hält­nis­se am päpst­li­chen Hofe aus­spre­chen lässt, und dem Af­fen Mär­ten, der meh­re­re Jah­re hin­durch Schrei­ber bei ei­nem Bi­schof war und in Rom gut be­kannt ist, Be­zie­hun­gen zum Dok­tor Greif, zu den Her­ren Lo­se­fund, Wen­de­man­tel, Schalk­sund hat, eine Schil­de­rung des schänd­li­chen Trei­bens an der Ku­rie in den Mund legt.

Man schwätzt dort wohl vom Recht sehr viel;
Ja Quark! Geld ist das was man will!
Ist eine Sa­che noch so krumm,
Mit Geld dreht man sie bald her­um.
Wer ble­chen kann, für den wird Rat.
Weh dem, der nichts im Sä­ckel hat.
Bei al­lem Spott und Zorn, die das Ge­dicht er­füll­ten, ist doch et­was er­erb­te An­häng­lich­keit an Papst und Kai­ser ge­blie­ben: der Papst ist ein ar­mer al­ter Mann, der nichts von den Gräu­eln weiß, die um ihn her im Schwun­ge sind, der Kai­ser ist fromm und gut, wenn auch zu schwach, um das Böse zu hin­dern.
Die bei­den von Gott ein­ge­setz­ten Mit­tel­punk­te der El­lip­se ließ man gel­ten, au­ßer ih­nen fast nichts mehr von dem, was einst un­er­schüt­ter­lich gül­tig ge­we­sen war.
Ur­sprüng­lich aus den fünf Stam­mes­her­zog­tü­mern Fran­ken, Sach­sen, Schwa­ben, Bay­ern, Loth­rin­gen be­ste­hend, teil­te sich das Deut­sche Reich ge­mäß dem deut­schen Han­ge nach in­di­vi­du­el­ler Be­son­der­heit und Un­ab­hän­gig­keit all­mäh­lich in ein­zel­ne selbst­stän­di­ge Herr­schaf­ten, de­ren es mehr als drei­hun­dert gab. Aus der Rei­he der Fürs­ten son­der­ten sich zu­erst durch Ge­wohn­heit, dann durch Ge­setz als be­vor­zugt und ein­fluss­reich die sie­ben Kur­fürs­ten, auf die sich das Recht der Kai­ser­wahl be­schränkt hat­te und de­nen gleich­zu­wer­den die Stan­des­ge­nos­sen ei­fer­süch­tig streb­ten. Der nie­de­re Adel der Gra­fen und Her­ren konn­te hof­fen, ...

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