Inferno Ostpreußen
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Inferno Ostpreußen

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  1. 448 Seiten
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der bekannte Forscher zu Ostpreußens Schicksal im Kriege 1944-45 fasst hier die bedeutendsten seiner verstreut in Fachzeitschriften veröffentlichten und auf Tagungen vorgetragenen Forschungsergebnisse über seine alte Heimat zusammen.Er zeigt an Beispielen, was seine Landsleute im Osten angerichtet haben, verfolgt Stalins Gaunerhandlungen zur Schaffung der Oder-Neiße-Grenze, analysiert das geistige Gesicht der Rotarmisten, setzt sich mit der Goebbels-Propaganda zu deren Übergriffen auseinander, einschließlich der Rolle von Ilja Ehrenburg. Schließlich untersucht er die Tätigkeit der sowjetischen Kommandanten am Beispiel von Königsberg und berichtet über die Schwierigkeiten der Landsleute, die in der DDR über Ostpreußen schreiben wollten.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783943583779

1. Das Land

1.1 Zwischen den Strömen

Ostpreußen liegt zwischen den Mündungen von Weichsel und Memel in die Ostsee. An deren Ufer schwingen sich zwei konkave Sandbögen nordwärts: die Frische und die Kurische Nehrung. Dazwischen ragt als Eckpfeiler die sich dem Meer entgegenstemmende Nase der Halbinsel Samland. Die beiden Ströme berühren das Land nur mit ihrem Unterlauf. Sie kommen von weither. Die Weichsel hoch von den Beskiden, die Memel aus den Mooren Weißrusslands. Dort singt ihr der Bauer Lieder. Den Litauern ist sie der größte aller Ströme. Dieses Format trug sie dann in das einstige Gebiet des Deutschen Reiches und prägte das Leben der Deutschen. So bedeutsam galt sie denen, dass sie seinen Namen ihrer ersten Nationalhymne eingefügt haben. Obwohl der Fluss sich völlig multikulturell gibt. Die Weichsel hingegen ist als flüssiges Rückgrat Polens strenge Nationalistin. Spät erst, ab Thorn etwa, nimmt sie Kontakt mit den Deutschen auf. Schicksalhaft fast, denn von diesem Ort aus begann die Eroberung des Landes durch den Deutschen Ritterorden.
Das geographische Bild haben die Gletscher gezeichnet. Die weiten Flächen der Grundmoräne im Norden und Nordwesten tragen gute Frucht, bieten aber dem Auge nur wenig Anziehendes. Nur dort, wo sich die wenigen Flüsse von den Masurischen Seen her nach Norden verirrt haben, bieten sich tief eingeschnittene und vielfältig geschwungene Engtäler, romantische Einsprengsel in das sonst strenge Einerlei. Hier ist das Gebiet der Schlösser und Herrensitze. Der Adel wusste, welche Böden ihm standesgemäßes Leben ermöglichten.
Anders dagegen der weitgeschwungene Bogen der Endmoränen. Tausende Seen widerspiegeln das Himmelsblau. Sie können sich lang und schmal dahinziehen, dann sind sie mitunter grundlos tief. Sie können sich aber auch weithin strecken, sodass du das gegenüber liegende Ufer mit Mühe erahnen kannst. Diese Augen des Landes sind in ein grünes Meer eingebettet. Endlose Wälder bedecken Täler wie Höhen. Kilometer- und tagelang kannst du dort laufen, ohne einen Menschen zu treffen, vielleicht einen allwissenden Förster oder eine schweigsame Pilzsammlerin. Siedlungen kannst du ungesehen umgehen, ganz mit dir und der Natur eins. Die Seen senden Flüsse, Fließe, Bäche durch die endlosen Sanderplatten nach Süden, nach Polen hinein.
So gut wie alle verbinden sich mit dem Beskidenfluss. In ihm strömen sie zur See. Masuren ist das romantische Wald- und Seengebiet. Der Name verrät die Herkunft der Bewohner aus dem polnischen Masowien. Adelssitze findest du hier kaum. Ist der Boden lehmig, dann birgt er Steine en gros, ist er sandig, dann ist er bewaldet und wo die Wässer um sich herum Sümpfe geschaffen haben, da muss er trocken gelegt werden, um wenigstens Rinderhaltung zu ermöglichen. Reich konntest du dort nicht werden. Roggen, Rüben und Kartoffeln waren die Ausbeute.
In vielen Dörfern standen noch 1945 die geduckten schwarzen Holzbalkenhütten der Bauern aus dem 19. Jahrhundert. Die Menschen redeten noch bis zum größten aller Kriege ihren aus der Heimat mitgebrachten Dialekt, den Deutschen unverständlich. Selbst wenn sie vor Gericht traten, brauchten die Juristen Dolmetscher. Wie auch bei den Litauern am deutschen Teil der Memel.
Was für eine Mischung: Deutsche, Litauer, Polen, jeder mit seiner eigenen Sprache. Da konnte es geschehen, dass der Autor 1926 in Masuren geboren wurde, aber kein masurisch sprach, wie auch seine Eltern nicht. Die stammten von der Memel, sprachen aber kein litauisch. Welche Sprache die Eltern des Vaters beherrschten, weiß er nicht, deutsch unbedingt, so wie die Eltern der Mutter. Aber deren Mutter, die Großmutter des Autors, sprach bis zur Einschulung nur Litauisch, Deutsch lernte sie im ersten Schuljahr als Fremdsprache hinzu. Deren Mutter wuchs in einer nur litauisch sprechenden Familie auf und ihr unehelicher Vater war Pole aus dem gemischt polnisch-litauischen Gebiet von Vilnius. Der Großvater des Autors stammte aus einer deutschen Familie, beherrschte für den Handel nach Russisch-Litauen etwas von beiden Sprachen. Die Verwandtschaft des Vaters dagegen sprach ausschließlich deutsch. Als der nach Masuren kam, wollte er sich mit seinen Kunden in ihrem Jargon unterhalten können, hat aber das Vorhaben nie realisiert. Die Verkäuferinnen in seinem Laden, alle aus Bauernfamilien, beherrschten die Sprache ihrer slawischen Vorfahren. So ist der Autor im Bewusstsein dieser sprachlichen Vielfalt aufgewachsen, nichts war ihm natürlicher. In welcher Sprache seine Vorfahren auch geredet haben mögen, sie alle fühlten sich als Bürger des Deutschen Reiches. Sie bewiesen das nach 1945. Als der polnische Nachfolgestaat den nach der großen Flucht zurückgebliebenen oder zurückgekehrten Landsleuten den dauernden Aufenthalt anbot, haben die meisten von ihnen das Land verlassen und sind in das deutsche Rest-Reich gefahren.

1.2. Über Herders slawische und preußische Quellen4

1.2.1. Herder und die Slawen

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war ein ganz eigentümliches geistiges Gewebe zwischen den Nachbarstädten Weimar und Jena entstanden. Aus der Vielfalt der Beziehungen zwischen Literaten und Wissenschaftlern ragte ein Mann mit umfangreichstem Wissen und entsprechender Produktivität gleichermaßen in Literatur wie in Philosophie hervor: Johann Gottfried Herder (1744 1803). Ohne diesen gebürtigen Preußen kann man sich Anfang und Entfaltung der klassischen deutschen Literatur wie der klassischen Philosophie kaum vorstellen. Und wenn beide Gebiete in die Nachbarländer ausstrahlten, dann hat Herder daran wesentlichen Anteil. Im Weimar jener Jahre verfügte er zudem über Spezialkenntnisse zu Osteuropa. Hauptsächlich über ihn oder von ihm veranlasst, erfolgte seit der Mitte der siebziger Jahre eine umfangreiche Aneignung der russischen Aufklärungsbewegung durch die deutsche Literatur.5 Mit ihm schließt eine „Linie deutscher Slawenkunde, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts“ aufgebaut worden war, ab. Von Herder aus führt der Weg weiter über Jacob Grimm, Wilhelm von Humboldt, Georg Niebuhr und andere zu den Universitätslehrstühlen für Slawistik an deutschen Universitäten.6
Die grundsätzliche Auseinandersetzung Preußens mit dem slawischen Thema erfolgte relativ spät. Sie kam erst zustande, als Herder die Geschichte der slawischen Völker in die allgemeine Geschichte der Völker Europas einzuordnen suchte. Im Jahre 1776 war Herder auf Goethes Fürsprache hin als Generalsuperintendent nach Weimar gewonnen worden. Dort hat er noch fast dreißig Jahre gewirkt und auch die beiden Werke geschaffen, die als die Höhepunkte seiner Lebensarbeit gelten dürfen: die „Stimmen der Völker in Liedern“ (1778/79) und 1783 bis 1791 die „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“.7
In diesen „Ideen“ befindet sich das so berühmt gewordene „Slawenkapitel“.8
Dort beschrieb Herder in großen Zügen Lebensumwelt, Sitten und Gebräuche, Lieder und Sagen, Wirtschaft und Kultur der Slawen; er beleuchtete verschiedene Phasen ihrer geschichtlichen Entwicklung und verwies auf ihren Fleiß, ihre Friedfertigkeit und ihre Schöpferkraft. Gerade als Preuße verurteilte er die Eroberungskriege seit Karl dem Großen und verwies damals schon auf die ökonomischen Ursachen jener unter dem Deckmantel der Christianisierung veranstalteten Unternehmungen: „[…] ob sie gleich die christliche Religion zum Vorwande gebrauchten, denn den heldenmäßigen Franken musste es freilich bequem seyn, eine fleißige, den Landbau und Handel treibende Nation als Knechte zu behandeln, statt selbst diese Künste zu lernen und zu treiben. Was die Franken angefangen hatten, vollführten die Sachsen; in ganzen Provinzen wurden die Slawen ausgerottet oder zu Leibeigenen gemacht, und ihre Ländereien unter Bischöfe und Edelleute vertheilet.“
Abschließend erörterte Herder die historische Perspektive der slawischen Völker und prophezeite ihnen eine glückliche Zukunft: „Das Rad der ändernden Zeit drehet sich indeß unaufhaltsam; und da diese Nationen größtentheils den schönsten Erdstrich Europaʼs bewohnen, wenn er ganz bebauet und der Handel daraus eröffnet würde; da es auch wohl nicht anders zu denken ist, als daß in Europa die Gesetzgebung und Politik statt des kriegerischen Geistes immer mehr den stillen Fleiß und das ruhige Verkehr der Völker unter einander befördern müssen und befördern werden: so werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker, endlich einmal von eurem langen trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreiet, eure schönen Gegenden vom adriatischen Meer bis zum karpathischen Gebürge, vom Don bis zur Mulda als Eigenthum nutzen, und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und Handels auf ihnen feiern dörfen.“9
Es ist hier nicht der Ort, den Realismus in Herders Slawenbild und die Verwirklichung seiner Prophezeiung zu beurteilen, so reizvoll das auch angesichts der jüngeren Ereignisse in Jugoslawien wäre. Das „Slawenkapitel“ hat deutliche, mitunter wieder vergessene Spuren im kulturellen Leben vieler Völker hinterlassen. Das Gesamtwerk wurde in unterschiedlichen Regionen unterschiedlich stark aufgenommen. Bis spät in das 19. Jahrhundert hinein blieb Herder in Frankreich, England, der Schweiz, Italien und Amerika so gut wie unbekannt. Ganz anders lagen die Dinge im Vielvölkerstaat Österreich, im Baltikum und in der slawischen Welt. Hier waren die Wirkungen, die von Herder ausgingen, ungemein vielgestaltig, tief und dauerhaft.10 Gleich nach dem Druck wurde sein Werk ins Tschechische, Polnische und Russische übersetzt. Der slowakische Dichter Jan Kollar widmete ihm einen Sonett-Zyklus („Die Tochter des Slawa“, Slávy dcera, 1821/1824/1832).
Darüber hinaus unterstützte das Slawenkapitel in diesen Ländern eine allseitige Rezeption des Herder’schen Gesamtwerks.11 Seine Anstöße führten „bei allen slawischen Völkern“ zur Erarbeitung „eigener nationaler Geschichtsbilder“.12
Im geistigen Leben Polens haben vor allem die geschichtsphilosophischen Auffassungen gewirkt, sowohl in der Literatur (bei Autoren wie Michał Dłuski, Leon Borowski oder Kazimierz Brodziński, Adam Mickiewicz oder Zygmunt Krasiński) als auch bei Historikern (Wawrzyniec Surowiecki, Adam Potocki, Ignacy Benedykt Rakowiecki, Joachim Lelewel).
Einige „Wortführer der nationalen Wiedergeburt“ bei den Tschechen und Slowaken nahmen Herder’sche Ideen geradezu enthusiastisch auf. Sie beriefen sich auf ihn als zuverlässigen Anwalt ihrer politischen Kampfziele und kulturellen Projekte (František Ladislaw Čelakovský, Pavel Josef Šafařík, Jan Kollar, František Palacký und andere).
Der nachhaltige Einfluss, den Herder auf die Entwicklung der sorbischen Musikfolklore ausgeübt hat, reicht von der erstmaligen Publikation einiger Volkslieder durch den Gymnasiallehrer Jan Horoćanski (1782/1783) über die ausgedehnte Sammeltätigkeit des Dichters Handrij Zejler bis zur klassischen Volksliedsammlung von Jan Arnošt Smaler und Leopold Haupt („Volkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlausitz“, Grimma 1841 1843).13
Schon früh und dann lang...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Zitat
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. 1. Das Land
  8. 2. Wer den Wind sät ...
  9. 3. … wird den Sturm ernten
  10. 4. Staatssozialistische Lösungen
  11. Abkürzungsverzeichnis
  12. Zum Autor
  13. Aus dem aktuellen Verlagsprogramm
  14. Fußnoten