Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik
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Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik

  1. 344 Seiten
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Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Fundiertes psychologisches Grundwissen hat als Rüstzeug für Berufe der angewandten Pädagogik zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das Buch bündelt grundlegende psychologische Inhalte und Erkenntnisse, die im Handlungsfeld der Heil- und Sonderpädagogik für alle Fachrichtungen gleichermaßen bedeutsam und hilfreich sind. Diese umfassen das diagnostische Basiswissen, neuropsychologische Erkenntnisse über Lernprozesse und entwicklungspsychologische Grundlagen. Ausgehend von der psychologischen Diagnostik werden in Teil 1 die sonderpädagogische Diagnostik, ihre Strategien, Prozessmodelle und Methoden beschrieben. Teil 2 befasst sich mit den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften, die im Zusammenhang mit Lernen und Lehren von grundsätzlicher Bedeutung sind. Teil 3 stellt Basiswissen aus der Entwicklungspsychologie zur Verfügung.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170362161
Auflage
2
Thema
Bildung

Teil I: Sonderpädagogische Diagnostik

von Erwin Breitenbach

1 Vom Nutzen und der Notwendigkeit

Nicht immer waren und sind Fachleute im sonderpädagogischen Handlungsfeld vom Nutzen und der Notwendigkeit der Diagnostik überzeugt. Trotz geradezu überwältigender empirischer Belege für ihre Nützlichkeit, in jüngster Zeit vor allem durch die Bildungsforschung vehement vorgetragen, melden sich von Zeit zu Zeit Skeptiker mit immer gleicher grundsätzlicher Kritik an der Diagnostik zu Wort.
Diese mittlerweile müßige und meist von geringem Fachwissen getragene Diagnostikkritik erstarkt momentan erneut angesichts der Forderung nach einem inklusiven Erziehungs- und Bildungssystem. Die einen betonen die zunehmende Bedeutung diagnostischer Kompetenzen im Rahmen inklusiven Unterrichtens; für andere wird das Diagnostizieren durch Inklusion nun endgültig überflüssig, weil kontraproduktiv.

1.1 Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften

Probst (1999) erhob in einer kleinen Studie das Image der Diagnostik bei Studierenden am Beginn ihrer Diagnostikausbildung mit der Methode des semantischen Differentials. Dazu forderte er 152 Studierende auf, die beiden Begriffe »Diagnostik« und »Förderung« entlang einer Liste von 21 polar angeordneten Eigenschaftspaaren einzustufen. Die Diagnostik wurde von den so Befragten eher mit Eigenschaften wie ernst, hart, streng, klärend, technisch, unsympathisch, mathematisch, nützlich, kühl, stark, repressiv, intellektuell in Verbindung gebracht, während die Förderung eher Eigenschaftsassoziationen wie weich, humanistisch, sympathisch, aktiv, engagiert, offen, optimistisch, flexibel, befreiend, warm, gefühlvoll, nützlich und musisch auslöste. Nach Probst (1999) illustriert dieser kleine empirische Einblick die bange Achtung der Studienanfänger oder Laien vor der Diagnostik als einer ungeliebten Notwendigkeit.
Paradies, Linser und Greving (2007) bedauern und kritisieren, dass sowohl an der Universität als auch im Referendariat Lehrer, mit Ausnahme der Sonderpädagogen, kaum mit dem Prozess des Diagnostizierens konfrontiert werden, wie wohl sie während des Unterrichtens permanent diagnostizieren, allerdings häufig, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Kontrastierend stellen sie dieser bedauernswerten Tatsache die Standards der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Lehrerausbildung im Kompetenzbereich »Beurteilen« gegenüber. Hier ist zu lesen, dass Lehrer die Lernvoraussetzungen und Lernprozesse von Schülern diagnostizieren, um diese gezielt in ihrem Lernen zu fördern und zu beraten und dass Lehrkräfte die Leistungen von Schülern auf der Grundlage transparenter Beurteilungsmaßstäbe erfassen. Dieses deutliche Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit versuchen Hesse und Latzko (2009) mit einer ständig wiederkehrenden Diagnostikfeindlichkeit der Pädagogen zu erklären. Die Schwankungen in der Wertschätzung und Anwendung pädagogischer Diagnostik sei im deutschen Bildungswesen unübersehbar und alle vorgetragenen Vorurteile gegenüber einer wissenschaftlichen Diagnostik mit effektiven und standardisierten Verfahren bestünden auch nach der mit PISA markierten Wende weiter.
Wie stellen sich nun die diagnostischen Kompetenzen tatsächlich im Spiegel empirischer Forschung dar?
Grassmann et al. (2002) untersuchten, inwieweit Lehrkräfte die Kenntnisse ihrer Schüler speziell im Anfangsunterricht Mathematik einschätzen können und stellen am Ende ihrer Studie, in die 830 Schüler einbezogen wurden, fest, dass die Einschätzung der Lehrkräfte signifikant von den in der Studie gemessenen Leistungen ihrer Schüler abwichen. Ähnliches berichten Hesse und Latzko (2009) von der Schulstudie SALVE (Systematische Analyse des Lernverhaltens und des Verständnisses in Mathematik: Entwicklungstrends und Fördermöglichkeiten) an der 654 Schüler aus 30 fünften Klassen aus Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule teilnahmen. Bestätigt werden diese Ergebnisse durch Studien von Hoffmann und Böhme (2014), Koch und Hofmann (2015) oder Stang und Urhahne (2016).
In verschiedenen internationalen Schulleistungstests werden die nicht zufriedenstellenden Leistungen deutscher Schüler auch immer wieder mit mangelhaften diagnostischen Kompetenzen der Lehrkräfte in Verbindung gebracht. Die zuständigen Schulkoordinatoren an Hauptschulen hatten z. B. im Rahmen der ersten PISA-Untersuchung die Aufgabe, sich bei den Lehrkräften danach zu erkundigen, welche Schüler aus der PISA-Stichprobe nach ihrer Einschätzung schwache Leser seien. 90 Prozent der Schüler, deren PISA-Testergebnis noch unterhalb der Kompetenzstufe 1 lag, wurden von ihren Lehrern nicht als schwache Leser, sondern als unauffällig eingestuft (Deutsches PISA-Konsortium 2001; 2002).
In einer aktuellen Studie von Schmidt und Schabmann (2010) wurde die Genauigkeit und prognostische Validität von Lehrerbeurteilungen zu den Lese- und Rechtschreibleistungen von Grundschülern geprüft. 32 Klassenlehrer wurden gebeten, zu Beginn und Ende der ersten Klasse sowie zu Beginn und Ende der zweiten Klasse die Lese- und Rechtschreibleistungen ihrer Schüler einzuschätzen. Parallel zu diesen Messzeitpunkten wurden die Fähigkeiten der 282 Schüler mit standardisierten Verfahren erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass es in der untersuchten Population größere Gruppen von Kindern gibt, deren Probleme von den Lehrkräften deutlich unterschätzt werden, vor allem, wenn sie Schwierigkeiten im Lesen haben. Anfängliche Schwierigkeiten werden immer wieder fälschlicherweise als vorübergehend beurteilt. Die Autoren fordern deshalb abschließend vor allem eine Stärkung der diagnostischen Kompetenzen von Grundschullehrkräften. Eine ähnliche Überschätzung der basalen Lesefähigkeit von Sechstklässlern durch ihre Deutschlehrer fanden Rjosk et al. (2011). Falsch beurteilt werden jedoch nicht nur die schulischen Leistungen, sondern auch das Sozial- und Arbeitsverhalten oder die Konzentrationsfähigkeit der Schulkinder wie eine Studie von Stang und Urhahne (2016) zeigt.
Hofmann (2003) eruierte die diagnostischen Kompetenzen an hessischen Förderzentren und prüfte, inwieweit der für die hessischen Beratungs- und Förderzentren formulierte Anspruch an die Diagnostik in die Tat umgesetzt werde. Sie befragte dazu 159 Lehrkräfte und erkundigte sich vor allem nach den verwendeten diagnostischen Verfahren und den theoretischen Konzepten, auf deren Grundlage diagnostiziert werde. 77 bis 90 Prozent der Befragten praktizieren das seit Jahren übliche Standardvorgehen, das sich aus der Überprüfung der Intelligenz und der schulischen Leistungen zusammensetzt. Bei der Frage nach der theoretischen Perspektive melden 87 Prozent zurück, dass sie sich an der Entwicklung des ganzen Kindes orientieren. Demzufolge rangieren eher theoretisch analytische, weniger ganzheitlich orientierte Konzepte auf den unteren Plätzen: lerntheoretisch orientierte mit 54 Prozent, systemisch orientierte mit 32, interaktionstheoretisch orientierte mit 29, medizinisch orientierte mit 25 und tiefenpsychologisch orientierte mit 13 Prozent. Resümierend stellt Hofmann (2003) fest, dass nicht eine theoriegeleitete, selbstreflexive Diagnostik vorherrscht, sondern die Pragmatik der Alltagsdiagnostik, die allen konzeptionellen und programmatischen Einflüssen zu widerstehen scheint.
Schuck et al. (2006) analysierten 720 sonderpädagogische Gutachten der Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und Sehen aus den Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachen und Schleswig-Holstein mithilfe eines aus 2000 Kategorien bestehenden Rasters. Die Beurteilung nach den Hauptkategorien Anlass der Untersuchung, diagnostischer Gegenstand, Fördervorschläge und verwendete diagnostische Verfahren führte zu folgenden Ergebnissen:
1. Das sonderpädagogische Gutachten wird eher als Teil eines Verwaltungsaktes aufgefasst, denn als Dokument fachlicher Auseinandersetzung. Entsprechend finden sich 1,3 Äußerungen pro Gutachten zu verwaltungstechnischen Vorgaben und nur 0,35 Äußerungen zu Schulleistungen.
2. Das medizinische Modell ist keineswegs zugunsten einer lernprozessorientierten Förderdiagnostik überwunden. Vielmehr dominiert immer noch die klassische Vorstellung, dass bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs die im Kinde liegenden verursachenden Variablen bedeutsam sind und keineswegs die schulischen Leistungen in ihrem Kontext und mögliche Fördervorschläge zur Verbesserung derselben. Zu Persönlichkeitsvariablen wie Intelligenz, Motorik, Konzentration und Teilleistungsstörungen finden sich 12,55 Äußerungen pro Gutachten und nur 5,22 Äußerungen zu schulischen Leistungen und gar nur 0,5 Äußerungen zu den Rahmenbedingungen in der Klasse, 0,71 Äußerungen zum schulischen Rahmen sowie nur 1,61 Äußerungen zum familiären Kontext.
3. Entscheidend für das Gutachten ist offensichtlich die Lernortbestimmung als zentraler, nicht weiter zu spezifizierender Fördervorschlag. Nur 0,59 Äußerungen pro Gutachten benennen zu fördernde individuelle Lernvoraussetzungen und 0,35 Äußerungen setzen sich mit schulischen Leistungen und schulischen Rahmenbedingungen auseinander.
4. Bei den eingesetzten diagnostischen Verfahren dominieren die Intelligenztests mit 0,83 pro Gutachten. Mit deutlichem Abstand folgen die Schulleistungs- (0,28 pro Gutachten) und Entwicklungstests (0,25 pro Gutachten).
5. Die allgemeine Qualitätsprüfung ergab, dass
– die Standards der klassischen Testtheorie kaum eingehalten werden,
– der diagnostische Prozess über die Dokumentation entsprechender Belege kaum nachvollziehbar und damit nachprüfbar dargestellt wird,
– der Zusammenhang zwischen Diagnostik und Förderung, in dem Sinne, dass Fördervorschläge plausibel aus den diagnostischen Daten abgeleitet werden, selten zu erkennen ist und
– die Fragestellung meist unkritisch übernommen und nur in Ausnahmefällen systematisch entwickelt wird.
Die Autoren sehen in diesen Daten ein regelrecht niederschmetterndes Ergebnis.
Kottmann (2006) bestätigt diese Ergebnisse und Einschätzung aufgrund einer Vollerhebung aller Überweisungsgutachten eines Schuljahres eines nordrheinwestfälischen Schulamtsbezirkes. Die aus 167 Gutachten gewonnenen quantitativen und qualitativen Daten wurden mittels Inhalts- und Clusteranalyse ausgewertet. Auch hier dominiert in den Gutachten die individuumzentrierte Sichtweise mit der Intelligenzmessung als zentralem Aspekt des Überweisungsverfahrens. Der angebliche und häufig bemühte grundsätzliche Wandel der Diagnostik hin zur Förderdiagnostik muss auf dieser Datenbasis zumindest angezweifelt werden, denn ein Schwerpunkt der Gutachten liegt immer noch in einer institutionsorientierten Zuweisungsdiagnostik.
Zusätzlich zur Analyse von 173 Gutachten aus Schulen zur Erziehungshilfe und Schulen für Lernbehinderte im Freistaat Sachsen, die ähnliche Mängel aufdeckt, wie die bereits erwähnten Studien, bat Schulze (2004) die Lehrkräfte, die die Gutachten verfasst hatten, die eigenen diagnostischen Kompetenzen einzustufen. 19 Prozent der Befragten sehen keine Notwendigkeit, ihre diagnostischen Kompetenzen zu verbessern, 27 Prozent melden diesbezüglich einen mittelmäßigen, 35 Prozent einen hohen Verbesserungsbedarf an und 19 Prozent machen hierzu keine Angaben. Zumindest 62 Prozent der Befragten haben den Eindruck, dass die eigenen diagnostischen Fähigkeiten und Kompetenzen durchaus verbesserungswürdig wären.
In den Berichten internationaler Vergleichsstudien und bei einer Reihe von Autoren ist immer wieder zu lesen, dass hohe diagnostische Kompetenzen sich vor allem dann positiv auf Schülerleistungen auswirken, wenn auf die differenzierte Diagnostik aufbauend individuell gefördert wird (Baumert & Kunter 2006; Deutsches PISA-Konsortium 2001; 2002; Helmke 2007; Hesse & Latzko 2009; Paradies, Linser & Greving 2007). Runow und Borchert (2003) prüften das Wissen von Lehrkräften über die Effektivität von Interventionen im sonderpädagogischen Arbeitsfeld. Dazu befragten sie schriftlich 375 Lehrkräfte von Förderschulen, Sprachheilschulen, Schulen für Geistigbehinderte und Grundschulen aus Norddeutschland bezüglich der Einschätzung der Effektivität von 20 gut evaluierten Interventionsprogrammen und -methoden. Nur vier dieser 20 Interventionsformen wurden adäquat eingeschätzt, die meisten wurden in ihrer Wirksamkeit deutlich überschätzt. Dieses Ergebnis legt nahe, dass ein Großteil der befragten Lehrkräfte eher wenig bis unwirksame Lehr- und Lernmethoden im Unterricht ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort der Herausgeber
  5. Inhalt
  6. Einführung
  7. Teil I: Sonderpädagogische Diagnostik
  8. Teil II: Neuropsychologie des Lernens
  9. Teil III: Entwicklungspsychologische Grundlagen