Ums Überleben kämpfen
eBook - ePub

Ums Überleben kämpfen

Meine Flucht aus dem Sudan und Libyen nach Deutschland

  1. 138 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Ums Überleben kämpfen

Meine Flucht aus dem Sudan und Libyen nach Deutschland

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Erstmals berichtet ein Flüchtling ausführlich und beinahe dokumentarisch über seine Flucht aus dem Sudan über Libyen und das Mittelmeer bis nach Deutschland: Als Zain-Alabidin Al-Khatir im November 2013 den Sudan aus politischen Gründen verlässt, hat er weder den Plan, nach Europa zu fliehen, noch ahnt er, was ihn auf seiner Flucht erwarten wird. Über Ägypten gelangt er nach Libyen und erlebt dort für zwei Jahre ein Martyrium aus Ausbeutung, Erniedrigung, Willkür und Gewalt insbesondere gegen Frauen.Tagebuchartig berichtet er von den Brutalitäten der Schleuser, der ständigen Angst, den sexuellen Übergriffen an Frauen und den vielen Reisegefährten, die auf dem Weg in die Freiheit gestorben sind oder zurückbleiben mussten.Mit diesem Buch wird erstmals die Innensicht eines Flüchtlings mit seinem Wunsch zu überleben dokumentiert und berührend vermittelt. So erhalten wir einen Eindruck von der psychischen und physischen Gewalt, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa erleiden müssen. Zugleich wird das menschenverachtende System der Schleuser offengelegt.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Ums Überleben kämpfen von Zain-Alabidin Al-Khatir im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politik & Internationale Beziehungen & Politische Biographien. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

1. Einleitung

Wer wie ich den Entschluss fasst, aus politischen Gründen aus dem Sudan zu fliehen und sich nach Libyen durchzuschlagen, muss sich der Konsequenzen dieses Schrittes bewusst sein und dann auch bereit sein, diese zu tragen. Und jedem, der sich innerhalb Libyens auf den Weg nach Tripolis oder in irgendeine andere Stadt machen will, muss klar sein, dass ihm eine schwere Zeit voller Leid und großer Herausforderungen bevorsteht!
Wer sich in die Hände von Schleusern begibt, ist ihnen absolut ausgeliefert und nur Allah kann ihn noch schützen. Wer sich Schleusern anvertraut, muss akzeptieren, dass ihn Gefangenschaft, Folter, Erniedrigung, Hunger, Durst und Versklavung erwarten können. Frauen droht darüber hinaus die Vergewaltigung. Auch die verschiedenen Milizen stellen eine große Gefahr dar. Sie nehmen Menschen willkürlich gefangen, inhaftieren oder töten sie.
Dies umreißt das Martyrium, welches Migranten und Ausländer immer wieder in Libyen durchleben müssen. Auf meinem Weg durch das Land, der mich bis nach Tripolis führte, habe ich viele negative Erfahrungen gemacht. Dieses Buch vermittelt einen Eindruck von den Strapazen und Qualen, mit denen ich auf meiner Flucht konfrontiert war. Es erzählt von den Erlebnissen, die ich als Gefangener der Schleuser machte. Es ist auch ein Zeugnis über den unwürdigen Umgang mit uns als Ausländern sowie vom Leid und den Schwierigkeiten, die uns auf unserem Weg durch Libyen widerfuhren. Es schildert die psychische und physische Gewalt – Erniedrigungen, Prügel und Raub –, die uns die Schleuser antaten, deren Menschenverachtung besonders die Frauen traf. Nicht zuletzt vermittele ich in den folgenden Kapiteln auch einen Einblick in die Schleuserrouten nach und von Libyen, den Weg über das Mittelmeer und die Methoden der Schleuser.
Anlass des Buches:
Während ich in der libyschen Stadt Bengasi wohnte, verschlechterte sich die Lage der dort lebenden Migranten und Geflüchteten zusehends. Ständig hörten wir Geschichten darüber, dass wieder jemand beraubt, verprügelt, verhaftet, entführt oder getötet wurde. Andere gingen zur Arbeit und kamen nie wieder zurück. Es geschahen schreckliche Dinge, die mich auch persönlich betrafen. Daher entschied ich mich, ein Buch vor allem über meine Erlebnisse in Libyen zu schreiben. Es heißt „Ums Überleben kämpfen“, denn jeder Mensch will leben und kämpft um sein Überleben.
Alles, was ich und all die anderen taten, die ihre Heimatländer aus verschiedensten Gründen über das Mittelmeer und andere Routen verließen, taten wir, um zu überleben – wie alle anderen auch, die ihre Häuser und ihre Heimat hinter sich ließen, um vor Kriegen und Konflikten in Gebiete zu flüchten, die ihnen Schutz gewähren. Wir alle kämpfen um unser Leben.
Bereits in Libyen begann ich, meine Geschichte auf einem kleinen Notizblock niederzuschreiben. Allerdings vernichtete ich die Aufzeichnungen, noch während ich im Land war, weil ich das Gefühl hatte, dass diese mein Leben gefährden könnten. Aber die Erinnerungen blieben so stark, dass ich sie auch auf der anderen Seite des Mittelmeeres nicht vergaß und sie wieder aufschreiben musste.

2. Der Weg nach Ägypten

Nachdem ich mich entschieden hatte, den Sudan in Richtung Ägypten zu verlassen, verabschiedete ich mich am Morgen des 17. November 2013 von meiner Familie. Zusammen mit meinem engen Freund Ishak ging ich am Abend zum Abfahrtspunkt Dunkula auf dem sogenannten libyschen Markt in der Stadt Omdurman. Dort mieteten wir zwei Betten in einer Unterkunft und schliefen mit unseren Taschen als Kissen unter dem Kopf.
Am Montagmorgen nahmen wir dann den Bus in Richtung Wadi Halfa im Norden des Sudan. Als wir ankamen, war es bereits gegen fünf Uhr abends. Beim Aussteigen bemerkten wir in der Nähe der Haltestelle eine große Moschee. Wir gingen gleich hinein, um das Mittags- und Nachmittagsgebet zu verrichten. Erst danach mieteten wir ein Zimmer für 60 Sudanesische Pfund am Tag in einer der traditionellen Herbergen; einem normalen Wohnhaus, in dem mehrere Zimmer vermietet werden. Reisende bleiben in diesen Unterkünften in der Regel zwischen einem Tag und einer Woche, bevor sie sich wieder auf den Weg machen. Manche der Gäste kehrten gerade aus Ägypten zurück, während andere, wie wir, den Sudan verließen.
Wir verbrachten insgesamt zwei Tage in der Unterkunft. Die Reise sollte dann per Schiff vom Hafen Halfas aus weitergehen und so machten wir uns am frühen Morgen des darauffolgenden Tages auf den Weg zu einem Ticket-Office. Wir mussten jedoch lange warten, bis das Büro endlich aufmachte. Zusammen hatten wir 800 US-Dollar dabei, von denen wir insgesamt 100 US-Dollar für die Tickets ausgeben mussten, umgerechnet 370 Sudanesische Pfund pro Person.
Absurd: Alle Reisenden müssen ein Hin- und Rückfahrtticket kaufen, selbst wenn sie gar nicht die Absicht haben, zurückzukehren. Also kauften wir beide ein Ticket für Hin- und Rückfahrt.
Beim Ticketkauf fehlten mir knapp drei Sudanesische Pfund, um die notwendigen Dokumente zu bezahlen. Ich sagte dem Polizisten am Schalter, dass ich nicht mehr als anderthalb Pfund hätte. Obwohl ich zusätzlich 30 Dollar bei mir hatte, stimmte das, denn man konnte am Schalter nur mit Sudanesischen Pfund bezahlen. Zu meinem Glück stand neben mir ein Ägypter, der hörte, was ich zu dem Beamten sagte. Er erklärte sich bereit, die drei Pfund für mich zu bezahlen.
Dafür war ich sehr dankbar. Also sprach ich ihn nochmals an und wir gingen gemeinsam mit Ishak und einem Freund des Ägypters in ein Restaurant zum Mittagessen. So wurden wir zu Reisefreunden.
Nach dem Mittagessen kehrten Ishak und ich zur Unterkunft zurück. Wir beteten das Nachmittagsgebet und machten eine kleine Erkundungstour östlich der Herberge. Dort gab es einen auffälligen Wasserspeicher, der von einem kleinen Hügel umsäumt wurde. Wir entspannten uns ein wenig und gingen schließlich wieder zur Herberge. Nach dem Abendgebet schauten wir etwas Fernsehen und gingen dann ins Bett.
Am Morgen des 20. November 2013 machten wir uns fertig zum Aufbruch. Um zehn Uhr gingen wir zum Hafen, um die letzten Vorbereitungen für die Reise zu erledigen. Gegen fünf Uhr abends bestiegen wir das Schiff, welches sich in Richtung Ägypten in Bewegung setzte. Insgesamt waren mehr als 350 Passagiere aus Ägypten und dem Sudan an Bord.
Am 21. November erreichten wir um neun Uhr morgens den Hafen von Assuan in Ägypten.
Es war nicht nur meine erste Schiffsreise in ein anderes Land, es war überhaupt meine erste Reise ins Ausland. Ich war in äußerst guter Stimmung!
Dass das Schiff bis zum Anschlag mit Passagieren besetzt war, änderte daran nichts. Es war so dichtgedrängt, dass sich immer sofort jemand auf den freien Platz setzte, sobald man aufstand. Dann hieß es warten, bis wiederum ein anderer Passagier aufstand, um eine Tasse Kaffee zu trinken oder auf die Toilette zu gehen. Hatte man Glück, ließen einen nette Menschen zwischenzeitlich auf ihrem Platz sitzen oder rutschten etwas, um etwas Platz zu machen.
Der Mechanismus der Platzvergabe auf dem Schiff erinnerte mich an das demokratische Prinzip des friedlichen Machtwechsels. Das heißt, niemand darf ewig sitzen bleiben – ganz im Gegensatz zu den afrikanischen Präsidenten also, denen der folgende Grundsatz egal zu sein scheint: „Du hast das Recht sie zu regieren, aber sie haben auch das Recht, über dich zu richten.“
Manchmal gingen wir auch an Deck, aber dort war es so kalt, dass man es nicht länger als 20 Minuten aushielt. Wir gingen also nur nach oben, um ein bisschen Abwechslung vom Innenleben des Schiffes zu bekommen. Von Zeit zu Zeit tranken wir einen Tee im Bordrestaurant. Das war auch eine Möglichkeit, dem Gedränge zu entkommen, einen Sitzplatz zu ergattern und der durch den Zigarettenqualm der vielen Raucher verpesteten Luft zu entfliehen.
Als wir dann nach einer beschwerlichen und anstrengenden Reise am Freitagmorgen im Hafen von Assuan ankamen, war es gegen neun Uhr. Wie bei solchen Reisen üblich, wurden wir bei der Ankunft in Ägypten als Erstes kontrolliert und durchsucht.
Nachdem wir zwei Stunden am Hafen verbracht hatten, fanden wir Reisebusse mit dem Ziel „Ägypten“, wie die Menschen ihre Hauptstadt Kairo auch nennen. Ishak und ich kauften genau wie Mohammad, ein Landsmann, den wir im Bus kennenlernten, für 100 Ägyptische Pfund pro Person ein Ticket von Assuan in die Hauptstadt. Um 11 Uhr vormittags setzten wir uns in Richtung Kairo in Bewegung. Merkwürdig war, dass es entlang der Strecke zwar viele Checkpoints gab, aber keiner der dort stationierten Wachposten von Armee und Polizei uns nach unserer Herkunft, unserem Ziel oder unseren Reisepässen fragte.
Dass nicht kontrolliert wurde, lag an den zu dieser Zeit guten Beziehungen zwischen dem Sudan und Ägypten, die sich in der Folgezeit aufgrund des Grenzkonfliktes um das sogenannte Hala’ib Dreieck, das beide Staaten für sich beanspruchen, drastisch verschlechtern sollten. Auch der brutale Umgang der ägyptischen Regierung mit den sudanesischen Bergleuten im Grenzgebiet und der Versuch des Sudans, sich mit der Erhöhung der Visagebühren zu revanchieren, trugen zur Verschlechterung der Beziehungen bei.
Um 22 Uhr hatten wir Kairo immer noch nicht erreicht. Dann ging auch noch der Bus kaputt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was das Problem war, aber wir brauchten mehr als drei Stunden, um es zu lösen. Erst um 4 Uhr morgens konnte der Schaden endlich behoben werden und wir setzten uns wieder in Richtung Kairo in Bewegung, was wir schließlich um 7 Uhr morgens erreichten.
Zu unserem Glück hatte Mohammad einen Verwandten in Kairo, der als Händler im Südsudan tätig war. Schon auf der Fahrt rief Mohammad ihn an. Er holte uns vom Busbahnhof im Zentrum Kairos ab und wir tranken etwas in einem nahegelegenen Café. Danach gingen wir zusammen in ein nicht weit entferntes Hotel im Stadtteil Diqn al-Bascha. Das Hotel lag in der Nähe des Tahrir-Platzes und wir mieteten für insgesamt 100 Pfund pro Tag ein Zimmer für uns drei.
Mohammads Bruder hatte Kontakte zu jemandem, der uns an Schleuser vermitteln konnte. Er rief ihn an und erklärte ihm, er wisse von drei Personen, darunter ein Verwandter, die nach Libyen wollten. Der Mittelsmann versprach, sich mittags mit neuen Informationen zu melden.
Nach zwei Stunden Warten im Hotelzimmer entschieden wir uns, den nahegelegenen Markt zu erkunden. Dieser Markt mit seinen Läden für Tee und Kaffee ist einer der Orte in Kairo, an denen sich viele Ausländer tummeln, insbesondere Sudanesen. Dort trafen wir schließlich auch den Mittelsmann der Schleuser, die die Route zwischen Ägypten und Libyen organisierten. Die Schleuser verlangten von uns 400 US-Dollar pro Person!
Wir versuchten mit Hilfe des Mittelsmanns zu verhandeln. Er fragte uns, wo genau in Libyen wir hinwollten. Als wir ihm sagten, unser Ziel sei Bengasi, senkte er den Preis auf 600 Dollar für Ishak und mich zusammen. Nachdem wir die Summe bezahlt hatten, blieben uns für die gesamte Reise nur noch 100 Dollar zum Leben. Der Mittelsmann wies uns an, unsere Sachen zu packen und uns bereit zu halten, denn schon in wenigen Stunden würden wir nach Libyen aufbrechen.
Wir gingen ins Hotel zurück, um unsere Sachen zu packen. Drei Stunden später, um sechs Uhr abends, holte uns der Mittelsmann mit einem Taxi ab und brachte uns zum Tahrir-Platz, wo der Wagen der Schleuser schon wartete. Eigentlich bot er nur Platz für 14 Personen, wir waren aber 17. Von unserem Standpunkt in der Nähe einer der Hauptverkehrsadern der Stadt fuhren wir zunächst zu einem Restaurant in der Innenstadt und aßen dort zu Abend. Es sollte das letzte Mal für lange Zeit sein, dass ich etwas Richtiges aß.
Es sollte auch das letzte Mal für lange Zeit sein, dass ich mich frei fühlte. In jenem Restaurant hörte ich auf frei zu sein und wurde in die Welt der Schleuser hinabgezogen – eine Welt voller Erniedrigungen und Angst, die weder Annehmlichkeiten, noch Sicherheit, Mitleid und Erbarmen kennt.

3. Der Weg nach Libyen

Die Begegnung mit den Schleusern war das erste Mal in meinem Leben, dass ich der Macht und Willkür anderer Menschen absolut ausgesetzt war.
Mit 17 Personen in einem Wagen, der eigentlich nur Platz für 14 bot, verließen wir Kairo in Richtung Alexandria, am Steuer ein professioneller Schleuser. Er wies uns an, uns als Touristen auf dem Weg nach Alexandria auszugeben, falls unterwegs irgendwer Fragen stellen sollte. Aber obwohl wir auf der Fahrt an mehreren Kontrollposten der ägyptischen Armee und Polizei vorbeikamen, stellte uns niemand Fragen. Gegen Mitternacht trafen wir auf einen Soldaten, der am Straßenrand stand. Er sprach mit dem Fahrer und verlangte von ihm, ihn an einen Ort zu bringen, der ungefähr eine Autostunde entfernt lag. Zuerst antwortete ihm unser Fahrer, dass das Auto bereits voll sei und er nicht noch eine Person mitnehmen könne. Letztlich lenkte er aber ein, woraufhin wir den Soldaten mitnahmen.
Ich weiß nicht, warum unser Fahrer am Ende einwilligte. Vielleicht hatte er Angst davor, dass der Soldat den überfüllten Wagen melden würde. Vielleicht hatten sie schon einmal miteinander zu tun gehabt oder kannten sich sogar gut, das konnten wir nicht wissen. Vielleicht war das Ganze auch eine Inszenierung für uns gewesen, damit wir nicht auf die Idee kämen, sie würden unter einer Decke stecken. Jedenfalls nahm er den Soldaten mit, obwohl eigentlich kein Platz mehr im Wagen war.
Kurz nachdem wir unsere Fahrt wieder aufgenommen hatten, kamen wir an einen weiteren Kontrollpunkt. Die Stimmung im Wagen war gedrückt, alle hatten Angst. Denn nur der Fahrer und der Soldat waren Ägypter, während wir anderen allesamt aus dem Sudan kamen. Dieses Mal wurden wir am Kontrollpunkt angehalten. Zu unserem Glück trug der Soldat seine Uniform. Drei Wachsoldaten näherten sich unserem Wagen und als sie einen Blick ins Innere warfen, sahen sie die Uniform. Noch bevor sie etwas fragen konnten, sagte der Soldat scherzend zu ihnen: „Die hier stehen alle unter amerikanischem Schutz!“
Es war seine Art, den Wachen zu verstehen zu geben, dass auch er erstens ein Staatsdiener sei und zweitens für uns bürge. Als er seinen Mantel öffnete, zeigte sich, dass er sogar Offizier war! Da er der Ranghöchste unter den anwesenden Soldaten war, salutierten sie ihm und ließen uns ohne weitere Umstände passieren.
Im Nachhinein schätze ich jenen Kontrollposten als sehr gefährlich für die Schleuser ein. Umso sicherer bin ich mir, dass der Offizier eingeweiht war und mit ihnen zusammenarbeitete.
Letztlich konnten wir den Kontrollposten ohne Probleme wieder verlassen. Nur fünf Minuten später und nicht weit vom Kontrollposten entfernt erwartete uns bereits einer der Köpfe der Schleuserbande. Er gehörte zum Stamm der Awlad Ali, die im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen leben. Ich habe keine Ahnung, wie der Fahrer mit dem Schleuser kommuniziert hatte. Angerufen hatte er ihn jedenfalls nicht.
Sie befahlen uns, schnell in den Wagen des zweiten Schleusers zu wechseln. Der moderne Toyota Pickup stand direkt vor uns, mitten auf der Straße, die Ladefläche mit einer Plane abgedeckt. Wir beeilten uns, umzusteigen. Offensichtlich wurde der Wagen tagsüber für den Transport von Tieren verwendet, während er nachts dazu diente, Menschen wie uns zu schleusen. Obwohl der Wagen nur Platz für acht Personen bot, wurde wir alle „aufgeladen“ und sofort raste der Fahrer mit uns davon. Kurz da...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Danksagung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. 1. Einleitung
  7. 2. Der Weg nach Ägypten
  8. 3. Der Weg nach Libyen
  9. 4. Bengasi: Tage des Grauens
  10. 5. Von Bengasi nach Ben Dschawad
  11. 6. Ben Dschawad
  12. 7. Die Schlacht um den Golf von Sidra
  13. 8. Von Ben Dschawad nach Adschdabiya
  14. 9. Unvergessliche Tage in Bishr
  15. 10. Al-Arqub: Ein neues Leben
  16. 11. Der Entschluss
  17. 12. Von Bishr nach Tripolis
  18. 13. Abschied von Bishr
  19. 14. Ras Lanuf
  20. 15. Sirte
  21. 16. Wadi Zamzam
  22. 17. Bani Walid
  23. 18. Tarhuna
  24. 19. Zliten
  25. 20. Wadi Alrabie
  26. 21. Espiia
  27. 22. Zuwara
  28. 23. Italien
  29. 24. München
  30. 25. Osnabrück und Bramsche
  31. 26. Braunschweig
  32. 27. Hildesheim
  33. 28. Der Ablehnungsbescheid
  34. Weitere E-Books von Arete