Als gäbe es keine Schwerkraft
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Als gäbe es keine Schwerkraft

BUSINESS-LEADERSHIP durch die Augen eines Tänzers

  1. 184 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Als gäbe es keine Schwerkraft

BUSINESS-LEADERSHIP durch die Augen eines Tänzers

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Dieses Buch ist nicht nur eine Hommage an das Tanzen, sondern vor allem an das wertschätzende Führen von Menschen. Denn je mehr es, gerade in modernen digitalen Zeiten, um das Erreichen von kreativen und innovativen Spitzenleistungen geht, desto offensichtlicher werden die Parallelen zwischen Kunst als Leistungssport und Performance im Management.Ein erfolgreiches Agieren in einer sich permanent verändernden, von Technologie getriebenen Welt stellt neue Anforderungen an Führungskräfte und fordert sie mehr als je zuvor als Mensch und Persönlichkeit - warum also nicht von denjenigen lernen, für die wahre Emotionen, erfolgreiche Führung und leicht anmutende Bewegung elementare Bestandteile der eigenen Darbietung sind?Erzählt von einem versierten Kenner beider Welten, ist das Buch die Einladung an jeden Entscheider in Unternehmen, die eigene Verantwortung und vor allem die eigenen Handlungsmöglichkeiten durch die Augen eines Tänzers zu erleben.Bernd Preuschoff blickt auf über 30 Jahre Erfahrung als Tanzsportler und Trainer zurück, aber ist auch seit 20 Jahren erfolgreich als Führungskraft im Digital-Bereich aktiv und wurde in dieser Zeit mehrfach auf den Bühnen Deutschlands mit Preisen für die erfolgreiche Arbeit seiner Teams ausgezeichnet. Gefüllt mit Anekdoten aus seinem Leben und seiner reichhaltigen Berufs- und Tanzerfahrung, eröffnet das Buch dem Leser den Weg zu Leichtigkeit, Lächeln und menschlich wertvoller Interaktion: Führung, wie sie sein sollte!

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783962298609

EINFÜHRUNG – Wie alles begann

„Tanzen ist nichts anderes
als ein mit den Füßen vorgetragenes Gebet an das Universum
mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft.“
Fred Astaire
Nur noch wenige Minuten.
Gleich ist es so weit. Im Moment unterhalten sich die anwesenden Gäste im Festsaal noch. Es sind viele, vielleicht 500, es können aber auch mehr sein, es ist schwer zu schätzen. Nicht alle haben Sitzplätze bekommen, die Empore, auf der es keine Stühle gibt, ist ebenfalls voll besetzt. Eintrittskarten für mitgereiste Fans waren nicht mehr zu bekommen.
Es ist laut. Das Summen vieler fröhlicher Gespräche liegt in der Luft, unregelmäßig unterbrochen von Gelächter und dem hellen Klirren von Gläsern, die aneinandergestoßen werden.
Die Tanzfläche des Ballsaales ist noch leer, abgesehen von den beiden jungen Männern, die mit ihren großen Besen eifrig darüberwischen, sorgsam bemüht, klare Linien abzulaufen und jeden in den vorherigen Runden abgefallenen Strassstein, Haarfussel oder Ohrring zu erwischen, auf dem man später ausrutschen könnte.
Menschen in festlicher Kleidung schwirren wie ein Bienenschwarm zwischen den Tischen und den Ausgängen hin und her. Leise Musik vom Band rieselt im Hintergrund. Das große Orchester auf der Bühne hat noch Pause, die Sitze hinter den Instrumenten sind leer.
Du stehst gemeinsam mit Deiner Dame abseits in einer dunklen Ecke hinter den Säulen unter der Empore. Leise hüpfst Du mehrere Male auf der Stelle, dehnst Deine Waden- und Oberschenkelmuskeln. Nicht mehr lange und der Turnierleiter des Abends wird Eure Nummer aufrufen.
Dann kommt es darauf an. Auf Euch beide.
Wenn man das alles schon viele Male erlebt hat, dann weiß man genau, dass es jetzt nicht mehr lange dauert. Die Energie im Raum ist zu spüren und steigt immer mehr an, wie ein schneller werdender Herzschlag. Ein leises Sirren liegt in der Luft, welches Du wahrnimmst, weil Du in diesem Moment mit all Deinen Sinnen hemmungslos und ohne Filter offen bist für das, was um Dich herum geschieht. Wir Tänzer sind das immer, diese Sensibilität gehört untrennbar zu uns. Schließlich arbeiten wir mit Gefühlen. Mit denen unserer Zuschauer, unseres Partners und mit unseren eigenen.
Noch ein einziges Mal die Schuhsohlen bürsten. Sichergehen, dass kein Körnchen Staub zu einem riesigen Stolperstein in Deiner Performance werden könnte. Noch einmal die Schnürsenkel auf Risse kontrollieren und noch einmal richtig fest anziehen. Der Boden und Deine Füße müssen eins werden. Ein Schuh sitzt erst dann fest genug, wenn man ihn nicht mehr spürt. Tanzen verzeiht keinen Fehler. Ein Stolpern kannst Du nicht mehr rückgängig machen. Die Zuschauer haben es gesehen. Es gibt kein Zurückspulen auf der Tanzfläche.
Ein letzter Blick in den Spiegel – die Anspannung und den Schweiß der vergangenen Runden dürfen nicht mehr zu sehen sein. Die Haare, die Kleidung, das Make-up: Jetzt ist Dein bestes Erscheinungsbild gefragt. Gar nicht so leicht, wenn man bedenkt, dass man zu diesem Zeitpunkt schon drei Runden oder 15 Tänze in den Knochen hat. Jeder Tanz ist identisch mit 1,5 Minuten Vollsprint, allerdings unter ganz anderen Bedingungen im Vergleich zum 100-m-Läufer: Wir bringen Höchstleistung mit einem Lächeln im Gesicht und mit einem Partner an der Hand. Wir Tänzer machen manchmal Scherze über die schmerzverzerrten Mienen anderer Sportler, welche bei Events gerne auf Großbildleinwänden übertragen werden. Für uns ist ein solcher Gesichtsausdruck unmöglich. Unser Publikum möchte uns nicht arbeiten sehen. Es will Leichtigkeit sehen und verzaubert werden – verzaubert von dem magischen Moment, wenn wir das Unmögliche möglich machen und der Schwerkraft widerstehen.
Im Fußball, Handball oder in der Leichtathletik zählen außerdem andere Dinge als bei uns, Dinge wie die Zahl der Tore, die Weite, die Höhe oder die Zeit. Dinge, die Du messen kannst. Nicht, ob Du dabei gelächelt hast. Oder ob Du Deinem Beobachter dabei ein gutes Gefühl geschenkt hast. Bei uns ist das anders, wir müssen zaubern. Im Fußball kannst Du auch ein Spiel gerne mal in den ersten Minuten entscheiden. Für uns unmöglich. Tanzen ist in dieser Hinsicht wie eine Besteigung des Mount Everest. Wenn Du schon richtig platt bist, Deine Muskeln bereits leicht angesäuert, Dein Geist schon im Begriff, müde zu werden – genau dann musst Du Deine beste Leitung bringen, auf dem Weg zur Spitze. Im Finale. Denn nur dort kann man die Eins erhalten, die über den Sieg entscheidet. Alles, was Du in den Runden vorher gezeigt hast, zählt nicht mehr.
Ein letzter Blick zur Partnerin. Du schaust ihr in die Augen. Suchst darin nach Anzeichen von Nervosität, irgendeinem kleinen Indiz von Unsicherheit, um ihr im Falle des Falles vielleicht noch irgendwie helfen zu können. Ihr Mut zuzusprechen. Du hast ihr leichtes Zittern sehr wohl gespürt in der letzten Runde, als sie dem anderen Paar ausweichen musste – genauso wie die zehn Prozent Power, die sie danach zugelegt hat, um diesen kurzen Moment des Korrigierens auszugleichen. Dein Erfolg wird entscheidend davon abhängen, ob sie sich wohlfühlt. Denn sie ist die Dame, die Dich komplett macht. Du bist ihr Herr, der sie durch die Menge ins Scheinwerferlicht führen muss. Gemeinsam seid ihr die kleinste Mannschaft der Welt. Ihr beide gegen den ganzen Rest davon. Doch sie strahlt. Ihre Augen glänzen vor begeisterter Aufregung, purer Freude und wahrer Lust auf das, was kommt. Sie lächelt alle an. Sie sieht atemberaubend aus in diesem neuen Outfit, das Du gemeinsam mit ihr für diesen Tag heute entworfen hast. Meisterlich. Einzigartig. Man wird sie auf jedem Foto sofort erkennen. Und sich an Euch erinnern.
Ein letztes Mal nimmst Du ihre Hand in Deine, einfach nur, um noch ein paar Schritte im Dunkeln miteinander zu gehen. Um sicherzustellen, dass sofort wieder diese unsichtbare Verbindung zwischen Euch da ist, dieses magische Im-gleichen-Tempo-Gehen, ohne dass jemand gezählt hat oder gesprochen hat. Genau zu spüren, wo das Gewicht des anderen in dieser Sekunde ist, welche Spannung er in seinem Körper hat, wie er atmet. Diesen unbeschreiblichen Flow zu spüren, in dem Ihr Euch befindet, wenn alle Bewegungen zwischen Euch im Einklang sind. Noch ein letztes Mal diesen schwierigen Teil der Choreografie des ersten Tanzes kurz durchgehen; noch einmal millimetergenau testen, wer wann wo welche Muskeln anzuspannen hat, damit diese Figur, das Highlight Eurer Figurenfolge, in wenigen Sekunden auf der Tanzfläche perfekt wirken kann. Es wird funktionieren. Ganz sicher. Unzählige Male im Training hat es funktioniert. Du schaust sie an. Pure Energie fließt jetzt zwischen Euch.
Du hörst die tiefe, mit einem Lachen verzierte Stimme des Turnierleiters, wie sie den Geräuschpegel durchschneidet, der sofort abebbt, in Stille mündet und dem Mann am Mikrofon den Raum überlässt. Jeder, der heute hier ist, will alles, jedes einzelne Detail, an diesem Abend mitbekommen – sie haben lange darauf gewartet.
„Meine Damen und Herren, nun ist es endlich so weit – wir beginnen mit dem großen Finale unserer heutigen Meisterschaft, welches Sie alle so voller Spannung erwartet haben! Aus einem großen Feld an Teilnehmern haben sich nun die besten sechs für diese letzte Runde an diesem Abend qualifiziert und warten gespannt darauf, Ihnen Ihre beste Leistung zeigen zu dürfen und den Besten unter sich zum Meister zu küren! Begrüßen Sie nun mit mir, mit einem kräftigen Applaus, das Paar mit der Startnummer 138 …“
Und mit einem letzten festen Händedruck geht es los. Rücken gerade, die Arme weit geöffnet. Hinaus auf die Tanzfläche. Hinein ins Scheinwerferlicht. Zeigen wir es ihnen. Begeistern wir sie. Lächle mit mir.
Mein Name ist Bernd.
Ich tanze, seitdem ich 14 Jahre alt war.
Wie es überhaupt dazu kam, dass ich meine Füße viele Jahre mit der Tanzfläche verheiratet habe und nicht wie andere Jungs einem Ball nachlief, Gewichte stemmte oder über Hürden sprang, dazu später mehr.
Mit 17 setzte ich auf alle Fälle das erste Mal meinen Fuß in einen Tanzsportklub. Der ehrliche Grund: ein Mädchen, auf das ich fürchterlich stand und mit dem ich zuvor schon diverse Kurse in der ortsansässigen Tanzschule gemacht hatte. Sie hatte auf der letzten Tanzparty am Wochenende verkündet, dass sie nun „in den Klub“ gehen würde, da ihr das Programm hier in den normalen Tanzkursen zu langweilig sei. Sie war eines dieser bildhübschen Mädchen, das jedem in ihrer Klasse und selbstverständlich auch in ihrem Tanzkurs mindestens einmal den Kopf verdreht hatte – und ich gehörte natürlich dazu. Der Wettbewerb war also hart für mich, denn es gab viele, die sie zum Tanzen aufforderten. Fakt war aber auch, dass offenbar, wie ich aus schneller Analyse der Gesichtszüge der Anwesenden schloss, keiner der Männer hier bei dieser Ankündigung so richtig zog – der Klub schien ihnen eine Nummer zu groß zu sein. Das war meine Chance.
Ich beschaffte mir also eine Zeitung (1990 gab es noch kein Internet – für alle Spätgeborenen!) und schaute die Trainingstermine des Vereins nach. Und da stand es auch schon im Veranstaltungskalender auf Seite 2: Mittwochabends, 18.00 Uhr, Einsteigertraining. Mein Moment war also gekommen – ich war bereit. Mit einem Blumenstrauß in der Hand stand ich, perfekt gekleidet für die damalige Zeit in einem lockeren Hemd und schwarzen Bundfaltenhosen, am nächsten Mittwochabend vor der Hallentür und wartete auf das hübsche Mädchen. Ich freute mich diebisch und war mir sicher, dass mein Plan, der mich an die Seite der jungen Dame bringen sollte, geradezu perfekt war – man muss dazu wissen, dass ich, im Gegensatz zu meinen Freunden, nie gut darin war, ein Mädchen auf einer Party ganz cool anzusprechen. Übrigens ist das eines der typischen Klischees über Tänzer: Angeblich haben wir ja, Gerüchten zufolge, aufgrund unserer Bewegungskünste eine Frau an jedem Finger. Glauben Sie mir, es stimmt nicht. Ganz sicher sogar nicht für mich, im zarten Alter von 17 Jahren und bis dato ohne ein hervorstechendes sportliches Talent. Ich musste mir also demzufolge andere einzigartige und ungewöhnliche Dinge überlegen, auf welche die anderen coolen Jungs, die Handstände machen konnten oder Torschützenkönige waren, nicht kamen, um bei einem weiblichen Pendant einen Wow-Effekt zu überzeugen. Dies schien genau solch ein Moment zu sein.
Sie ahnen es schon: Die junge Dame kam natürlich nicht. Die Minutenzeiger liefen weiter und weiter, ohne dass jemand erschien – außer natürlich die Vereinspaare, die mit etwas zweifelndem Blick, aber zumindest teilweise aufmunterndem Lächeln an dem höflichen jungen Unbekannten, der mit Blumen in der Hand neben der Tür stand, vorbeiliefen.
Irgendwann wurde es mir tatsächlich zu blöd und ich erkannte, dass aus meinem Vorhaben heute nichts mehr werden würde. Ich legte die Blumen auf die Mauer neben dem Eingang und lief, abgrundtief sauer und vollkommen frustriert, vom Hof der Turnhalle. Da jedoch erklang auf einmal südamerikanische Musik aus der Halle, deren Fenster nämlich aufgrund der sommerlichen Temperaturen offen standen – wie ich heute weiß, war dies die Musik, welche im freien Training dazu dient, sich aufzuwärmen.
Es ist diese Art von Musik, die den Zuhörer sofort mit dem Fuß wippen und mit den Fingern schnippen lässt – Sie kennen das sicher. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich diese paar Takte spannender Rhythmen genau in diesem Moment nicht mehr gehört hätte? Auf alle Fälle wurde meine Laune schlagartig besser und ich dachte bei mir: „Wenn du schon hier bist, kannst du es dir auch anschauen“, drehte um, öffnete die Tür und betrat den Saal. Ich war wild entschlossen, mir doch noch das Beste aus dem Abend zu holen und mir einfach ein wenig gute Laune bei Musik zu gönnen – ganz der abwesenden Dame zum Trotz.
Als ich den Saal betrat, waren alle Paare schon eifrig am Aufwärmen und drehten sich mit für mich atemberaubender Geschwindigkeit durch den großen Übungssaal mit den hohen Fenstern und dem dunklen Holzboden. Die Musik hallte aus einem schon etwas angestaubten Lautsprecher in der Ecke und wurde von den Turnhallenwänden noch dazu mehrfach verstärkt, ab und an unterbrochen durch ein Klatschen von Händen oder ein Klackern von Absätzen. Ich stand, fasziniert von dieser Mauer aus Musik und der darin schwebenden Atmosphäre, vermutlich mit offenem Mund da und vergaß sofort, dass ich ja neu hier war.
Der Übungsleiter, der die Stunde betreute, sah mich jedoch in diesem Moment am Eingang stehen und kam auch sogleich auf mich zu. Er stellte sich vor: „Hi, ich bin Peter. Was führt dich denn hierher?“ Peter war, wie ich später feststellte, eine kleine Institution als Anfänger-Trainer in diesem Verein und stellte sich sogleich als sehr direkter Mensch heraus, der immer ohne Umschweife zum Punkt kam. Etwas überfahren, suchte ich erst einmal nach passenden Worten – ich konnte ja nicht gleich beim ersten Kennenlernen kundtun, dass ich eigentlich nur da war, weil man mich versetzt hatte und ich nun der jungen Dame meine empfundene Schmach nicht gönnen wollte. Also stammelte ich, immer noch leicht verlegen: „Ich … ähm … interessiere mich fürs Tanzen und wollte mal bei euch zuschauen. Ich setz mich einfach auf die Bank dort, beachtet mich gar nicht, o. k.?“ Daraufhin sagte Peter, ohne mit der Wimper zu zucken, denjenigen Satz, der im Weiteren den Verlauf aller folgenden Jahrzehnte meines Lebens in massiver Weise verändern sollte: „Hinsetzen ist nicht. Mitmachen oder raus.“
Der Rest ist Geschichte. Mit 17 Jahren und nach einem halben Jahr Training begann ich, Turniere zu tanzen. Meine erste Turniertanzpartnerin hieß Anja. Eigentlich passten wir nicht zueinander, denn ich war damals schon fast 20 Zentimeter größer als sie; wir waren also, wenn wir so nebeneinanderstanden, der vollkommene Widerspruch zur damaligen Idealvorstellung eines Tanzpaares, die ja viel lieber gleich große Partner vorsieht. Noch lange Zeit zog uns unser damaliger Vereinspräsident damit auf, dass er ja finde, dass wir gar nicht zusammenpassen würden. Wir fanden jedoch beide bei unseren Versuchen keine anderen, eventuell von der Größe her besser passenden Partner, daher probierten wir es einfach miteinander – wir hatten die gleiche Einstellung zu viel Training, wollten beide unseren Weg zu Turnieren schnell voranschreiten, und das reichte uns erst einmal. Im Weiteren wurden wir, allen Unkenrufen zum Trotz, schnell zum erfolgreichsten Latein-Paar des Vereins, dann der Region, bis wir schlussendlich Landesmeister wurden und begannen, internationale Turniere der Amateure zu besuchen.
Ungezählte Erlebnisse folgten, von Deutschen Meisterschaften über internationale offene Meisterschaften, Einladungs- und Massenturniere bis hin zu Reisen durch Deutschland und Europa, wie z. B. zu den German Open in Mannheim oder den French Open in Paris. Für einen jungen Mann wie mich, der in einer kleinen Stadt in der Pfalz groß wurde und damals noch nicht viel gereist war, waren solche Trips in die Hauptstädte ein unglaublich spannendes Erlebnis, bei dem ich Dinge zu sehen bekam, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an unseren ausgedehnten Besuch des damals noch relativ neuen EuroDisney-Parks in Paris – ich kann an dieser Stelle versichern, dass vermehrtes Stehen in Warteschlangen an Fahrattraktionen nicht hilfreich ist, wenn man am nächsten Tag im Stade de Bercy das größte Turnier Frankreichs tanzen soll.
Den emotionalsten Moment, den ein Turniertänzer erleben kann, nämlich den heiligen Boden der British Open in Blackpool/England, zu betreten, erlebten Anja und ich schließlich auch. England gilt als das Geburtsland des Tanzsports, wie wir ihn heute kennen, und die offene internationale englische Meisterschaft in Blackpool mit ihrem Blumenstrauß an Traditionen gilt deswegen als das Highlight des Jahres im Turnierkalender aller Paare.
Das Gefühl, dort, wo all die Legenden und Helden unseres Tänzerlebens Geschichte geschrieben hatten, auch auf der Tanzfläche zu stehen, ist mit nichts zu beschreiben. Durch diese vielen Reisen, das Training, die Begegnungen kann ich sagen: Tanzen und der Leistungssport haben mein Leben verändert. Diesen Erfahrungen in jungen Jahren habe ich viel zu verdanken. Mehr, als ich vermutlich jemals verstehen werde.
Als Trainer zu arbeiten, fühlte sich daher von Anfang an irgendwie ganz natürlich an für mich und so begann ich schon relativ früh damit, jungen Paaren, die nach uns in den Verein kamen, beim Training zu helfen. Es machte mir, neben meinem eigenen Training natürlich, einfach riesigen Spaß, Bewegungen bei anderen Tänzern zu beobachten, zu analysieren und ihnen dabei zu helfen, diese zu verbessern und eine gelungene Performance zu liefern. Während man selbst vorm Spiegel tanzt, kann man zwar schon vieles erkennen, aber aufgrund von Drehungen und Richtungswechseln eben nicht alles – dazu braucht man dann schließlich einen Trainer, der einem seine Augen leiht.
Die größte Freude neben dem Feilen an Bewegungen jedoch war es immer schon für mich gewesen, das Innerste der beiden Menschen in diesem Paar vor mir zu verstehen – ihre wahren Persönlichkeiten herauszuarbeiten, gemeinsam mit ihnen ihre einzigartige Identität als Paar zu formen und schließlich Choreografien zu entwerfen, welche genau diese Einzigartigkeit glänzen ließen. Wenn meine Paare auf diese, ihre ganz persönliche Art und Weise erfolgreich waren und die Tanzflächen und manchmal auch Herzen eroberten, dann war ich so richtig glücklich.
Um im Verein auch offiziell als Trainer angestellt sein zu können, erwarb ich 1992 meine erste Lizenz als Trainer-C, zeitnah gefolgt vom Trainer-B-Schein im Jahr 1994. Ausgestattet mit dem Wissen aus zwei Jahren Trainerlehrgängen und der eigenen Erfahrung meiner Turnierlaufbahn, übernahm ich in den nun folgenden Jahren die Leitung verschiedener Gruppen in den Vereinen der jeweiligen Region, auch nachdem ich meinen Wohnort studienbedingt gewechselt hatte. Seit diesen Anfangsjahren habe ich eigentlich, nur von kleinen Pausen unterbrochen, bis zum heutigen Tag unterrichtet und an vielen Orten und bei vielen Gelegenheiten den unterschiedlichsten Menschen das Tanzen nähergebracht. Neben dem Studium und später dem Beruf funktionierte das zeitlich recht gut und sorgte somit in meinen jungen Jahren auch immer für einen schönen emotionalen Ausgleich zum Arbeitsalltag, sowie natürlich auch für einen kleinen Zuverdienst zum Studentenleben oder später neben dem normalen Gehalt.
Doch bei den vielen Aufgaben als Trainer in Vereinen und den vielen Stunden als Coach für Privatpersonen, was in Summe fast jede freie Minute neben der Arbeit in Anspruch nahm, sollte es in meinem Leben zum Thema Tanz nicht bleiben. Als sich nach einigen Jahren im Beruf (was ich genau mache, dazu kommen wir später) abzeichnete, dass mal wieder ein Positionswechsel weg von meinem aktuellen Unternehmen anstand, bot sich mir eine Gelegenheit, die ich einfach nutzen musste: Für zwei Jahre stieg ich, entgegen aller Karrierekonventionen und trotz zahlloser fassungsloser Blicke aus dem Kollegenumfeld, aus meiner bis dato sehr gut verlaufenen beruflichen Karriere als Führungskraft im digitalen Umfeld aus, um gemeinsam mit einer Sportkollegin meine eigene Tanzschule zu leiten und die Art, wie Einsteiger bis dato in den gängigen Tanzschulen in Deutschland Tanzen lernten, zu verändern: Wir mieteten nämlich nicht einfach, wie alle anderen, einen Saal und erwarteten, dass die Menschen nach Feierabend zu uns kamen, um mit dem Standard des sogenannten Welttanzprogramms konfrontiert zu werden – nein, wir brachten den Tanzunterricht in Form von individuell gestalteten Projekten zu den Menschen nach Hause oder zu Unternehmen an deren Campus.
Den Lehrinhalt dieser Projekte durften die Kunden dabei individuell gestalten und frei wählen, welche Tänze sie tatsächlich lernen und auf welche Themen sie sich vorbereiten wollten: Ob es nun die anstehende Hochzeit der Tochter, die Salsa-Party des besten Freundes oder einfach die kommende große Silvesterparty des Nobelhotels am Urlaubsort war – wir brachten den Menschen das Tanzen dafür bei, so wie es für sie passte und wo sie wollten. Ein weiteres Qualitätsmerkmal war, dass wir den Kunden keine klassischen Tanzlehrer, sondern hoch qualifizierte Tanzsport-Trainer als Lehrkräfte anboten, die durch ihre Ausbildung in wichtigen Bereichen, wie z. B. Sportmedizin, Bewegungslehre oder Psychologie, sehr individuell auf die Anforderungen und etwaige gesundheitliche Voraussetzungen der jeweiligen Teilnehmer eingehen konnten. Ich wollte mit diesem Konstrukt von Anfang an herausfinden, ob man in diesem Thema Tanzunterricht nach Hunderten von Jahren gleicher Abläufe in Tanzschulen eine ganz andere Art der Experience, nämlich ein wahres Premium-Tanz-Lernerlebnis, liefe...

Inhaltsverzeichnis

  1. Als gäbe es keine Schwerkraft
  2. Urheberrechte
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. Widmung
  6. EinFührung – Wie alles begann
  7. Musik – Der Zauber des Zuhörens
  8. Basics – Der andere linke Fuß
  9. Balance – Dein Körper lügt nicht
  10. Partnering – Der Solist ist der Feind des Paares
  11. Performance – Die alte Dame am Rande der Tanzfläche
  12. Führung – Bewegen, ohne zu berühren
  13. Lernen – Die unendliche Leiter
  14. Ergebnisse – Auf der Fläche liegt die Wahrheit
  15. Anerkennung – Eine Reise zu einem Geschenk
  16. Identität – Vor Musik kannst Du Dich nicht verstecken
  17. Inspiration – Wenn Weltmeister zurücktreten
  18. Warum – Die größte Frage von allen
  19. Epilog – Tanzen und Führung: Menschen treffen Menschen
  20. Der Autor: Bernd Preuschoff
  21. Szenen eines bewegten (Tänzer-)Lebens