Geschmackssache oder Warum wir kochen
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Geschmackssache oder Warum wir kochen

Von der Wärmestrahlung des Lagerfeuers zur Kochkunst

  1. 400 Seiten
  2. German
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Geschmackssache oder Warum wir kochen

Von der Wärmestrahlung des Lagerfeuers zur Kochkunst

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Spätestens mit der Entstehung der Sprache vor etwa 100 000 Jahren gehörten vermutlich Nahrungsmangel und Krankheiten zu den zentralen Themen menschlicher Kommunikation. Daran hat sich bis heute fast nichts geändert. Das Attribut »gesund« im Zusammenhang mit Ernährung impliziert, dass es auch »ungesunde« Ernährungsformen gibt und stellt einen qualitativen Zusammenhang zwischen den Merkmalen unserer Nahrung und ihrer Wirkung auf unseren Organismus her. Bedenkt man, dass sich Homo sapiens seit Beginn seiner Existenz von Rohstoffen ernährt, die er entweder gejagt, gefischt oder gesammelt hat, dann kann sich gesund oder ungesund nur auf Inhaltsstoffe beziehen - wenn nicht direkt Gifte oder Verdorbenes gemeint sind. Die Diskussion darüber, wie viel Obst, Gemüse und Fleisch gut oder schlecht sind, hat heute eine gedankliche Dynamik entwickelt, die sich jeder empirisch abgesicherten Beweisbarkeit entzieht und sich von der Versorgungswirklichkeit und den tatsächlichen Gesundheitsrisiken so weit entfernt, dass sie den Charakter einer virtuellen Ernährungswahrheit angenommen hat.Um in dieser Frage eine Orientierung zu erlangen, ist es notwendig, sich wieder auf die natürlichen Prinzipien der Nahrungswahl und traditionellen Techniken des Kochens zu besinnen. Dank Millionen Jahre währender Evolution sind für Homo sapiens Aromen (Duft und Geschmack) die verlässlichsten sensorischen »Informationen« zur Unterscheidung von 'guter' und 'schlechter' Nahrung. Rezeptorreize der Nase und Zunge werden jedoch ohne kognitives Zutun erlebt - sie sind biologische 'Ratgeber' bei der Wahl und Zubereitung von Rohstoffen. Der Verstand lässt uns vorteilhafte Rohstoffe und deren Bearbeitungen erinnern.Dieses Buch untersucht Aspekte der Sensorik aus evolutionsbiologischer Sicht und fragt, woher die Sinne "wissen", was dem Organismus guttut, warum uns schmeckt, was uns schmeckt. Dazu werden für den Unterricht in Köcheklassen erprobte lehr-/lerntheoretische Ansätze vorgestellt.

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Information

Verlag
tredition
Jahr
2020
ISBN
9783347088689
Teil III
Vom Rohstoff zur Speise
Die Fähigkeit, durch Misch- und Gartechniken aus ausdruckslosen, geschmacklich unattraktiven Rohstoffen schmackhaftes und gesundheitlich unbedenkliches Essen zu machen, ist wohl die älteste Kulturleistung der Menschheit, die uns am wenigsten bewusst ist. Dieses 'inverse' Rohstoffphänomen – oder »Geschmacks-Paradox« – wird uns in diesem Abschnitt mehrfach begegnen.
Abbildung 2 Grundmuster der Zubereitung – Beispiel Rotkohl
Die grafische Darstellung zeigt das Grundmuster der Zubereitung: Ein Rohstoff (ein Primärstoff, hier: Rotkohl) wird mit weiteren Rohstoffen (Sekundärstoffen, siehe Tab. 2, S. 227) nach sensorischen, nähwertbezogenen und funktionellen Aspekten kombiniert und gegart. Das Produkt heißt Speise
12 Rohstoffe – die Basis unserer Ernährung
Allgemein versteht man unter dem Begriff Rohstoff alle noch nicht bearbeiteten natürlich vorkommenden festen oder flüssigen Substanzen, die für den Menschen einen Nutzen bzw. Gebrauchswert haben. Der Nutzen tierischer oder pflanzlicher Rohstoffe liegt u. a. in ihrem Ernährungswert – sie enthalten die für uns notwendigen Nährstoffe – und werden deshalb in Abgrenzung zu allen übrigen Rohstoffen als Nahrungsrohstoffe bezeichnet. Im Gegensatz zu Tieren ernährt sich der Mensch in der Regel nicht unmittelbar von natürlich vorkommenden Rohstoffen (Ausnahme: Früchte), sondern von Produkten, die er aus ihnen herstellt. Diese bestehen überwiegend aus mehreren Komponenten und sind deshalb handwerklich hergestellte Rohstoffeinheiten, deren Aromen und Nährwerte die der Einzelkomponenten quantitativ und qualitativ übersteigen und gesundheitlich unbedenklich sind. Dieser physiologische Gesamtnutzen ist der eigentliche Grund, weshalb der Mensch Rohstoffe zeit- und arbeitsaufwändig bearbeitet und sie in ihrer Zusammenstellung variiert. Angeregt werden diese manuellen Aktivitäten u. a. durch verschiedene Hormone (u. a. Dopamin, ein bedeutender Faktor im Belohnungssystem),366 die uns ein bestimmtes Produkt (eine gemochte Nahrungsqualität) bereitwillig und geduldig herstellen lassen.
Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass auch die mit minimalem Aufwand hergestellten Produkte (kleine Speisen) stets aus verschiedenen Rohstoffen bestehen und auch nur in dieser Mixtur richtig munden. So wird z. B. das Spiegel- oder Frühstücksei gerne mit einer Extraportion Mineralien (mit Kochsalz NaCl) verzehrt. Ob wir etwas mögen oder nicht, hängt im Wesentlichen von der molekularen Zusammensetzung der Nahrung ab – und die kann der Mensch beeinflussen.
Hintergrundinformationen
Der mit Salz »verbesserte« Geschmack (Impact') ist gleich mehrfach biologisch begründet. U. a. werden notwendige Mineralstoffe aufgenommen, denn Salz lässt sich nur zusammen mit einer Trägersubstanz verträglich aufnehmen; zugleich wird die Verdauung (Resorption) von Eiweiß optimiert.367 Noch deutlicher ist der Natriumbedarf bei stärkereichen Lebensmitteln (Reis, Nudeln etc.), denn Stärke ist ein Vielfachzucker, dessen Bausteine (Glukose) nur mit Hilfe eines Natrium-abhängigen aktiven Transportsystems (Glukose-Transporters SGLT1)368 durch die Dünndarmwand gelangen können. Wenn wir ungesalzenes bzw. salzarmes Essen (eher) unattraktiv finden (insbesondere, wenn auch noch Glutamat = Mononatriumglutamat fehlt, BERGER 2010), dann ist der »Mangeleindruck« der 'gefühlte Hinweis' des Körpers, die Speise zu verbessern: nachzusalzen.
12.1 Nahrungsrohstoffe im Spannungsfeld von Genuss, Ge- und Verboten, von Gesundem und Ungesundem
Seit den Anfängen von Ackerbau und Viehzucht vor etwa 10 000 Jahren waren vor allem sensorische Merkmale entscheidende Auswahlkriterien für Pflanzen und Tiere, die in Kultur genommen wurden. Sie mussten nicht nur die Ernährung sichern, sondern auch für ein System bäuerlicher Kreislaufwirtschaft geeignet sein, denn nicht jedes Tier lässt sich domestizieren, nicht jede Pflanze lohnte den Arbeitsaufwand. Neben der Viehhaltung und dem Getreideanbau, der zur Basis für die Brot- und Bierherstellung wurde (REICHHOLF 2008), lieferten außerdem Wild und Wildgeflügel sowie Fänge aus fischreichen Fließgewässern oder Seen wertvolles tierisches Eiweiß und Fett. Waldbeeren, Nüsse, Pilze und Früchte (auch von Obstbäumen, die den Nektar für den Wildbienenhonig lieferten) komplettierten die (hier nur selektiv genannte) Nahrungspalette. Kurz: An Rohstoffvielfalt hat es den ersten entwickelten Agrargesellschaften (während klimatisch günstiger Phasen) nicht gemangelt. Der Übergang vom Jäger und Sammler zum Ackerbauer war zwar mit Mühsal verbunden – Nahrung wurde nun »im Schweiße des Angesichts« produziert – hatte aber im Vergleich zur traditionellen Jäger- und Sammlerwelt auch Vorzüge: Man war nicht mehr vom Glück des Sammelns oder Jagderfolgs abhängig. Mit der Sesshaftwerdung, die die Natur u. a. durch Brand- und Waldrodung in eine Kulturlandschaft transformierte, entstanden Besitz und Wohlstand, die menschliche Zivilisation mit ihren Werten und Verhaltensnormen.369
Es entstanden verschiedene kulturkreisabhängige, überwiegend religiös begründete Essregeln oder Nahrungstabus, die u. a. den Verzehr bestimmter Tiere (mitunter auch Pflanzen) und Genussmittel, wie z. B. Alkohol, untersagten. Die Tora der Juden fordert koscheres Essen (hebräisch: Kaschrut = jüdische Speisengesetze); ebenso sind für sie (auch für Muslime) der Verzehr von Blut (und mit Blut verarbeitete Erzeugnisse) sowie Schweinefleisch370 tabu. Im Koran (und der Sunna) wird klar geregelt, was halal (erlaubt) und was haram (verboten) ist. Für Hindus sind Kühe heilig; ein Inuit würde niemals seinen Schlittenhund essen, während Hundefleisch in China eine Delikatesse ist (Hundefleisch-Festival) (HARRIS 1990). Pferdefleisch durfte im Frühmittelalter wegen eines päpstlichen Verbots nicht gegessen werden.371 Selbst der biblische Mord (Kain erschlägt seinen Bruder Abel) hat einen konfliktträchtigen Produktionshintergrund, weist er doch auf die konkurrierenden Ernährungsund Wirtschaftsweisen jener Zeit, die jeweils Land beanspruchten. Der Konflikt ging für den Hirten Abel schlecht aus: Kains Opfergabe war zu gering – der Gott der Bibel präferierte das Tieropfer, nicht aber das »Pflanzen-Früchte-Opfer«372 – obwohl seine Produktionsweise die Grundlage unserer kulturellen Entwicklung werden sollte.
Ackerbau und Viehzucht zusammen bescherten der Menschheit in der Klimaphase des »Atlantikums«373 eine Epoche nie dagewesener Lebensqualität und des Wohlstands.374 Durch Ertragsüberschüsse trat Nahrungsmangel nur bei Missernten (und kriegerischen Auseinandersetzungen) auf, und die Bevölkerung wuchs rasant. In wenigen Jahrtausenden waren aus den Gebieten kleiner Jäger- und Sammlerkulturen große urbane Herrschaftsgebiete geworden, in denen Wohlhabende im Überfluss lebten. Auswüchse dieser überbordenden Lebensweisen sind u. a. aus Persien, Ägypten, Griechenland und der Römerzeit überliefert, in der von riesigen Essgelagen, von unvorstellbarem Reichtum an Nahrung, von Opulenz und Dekadenz großer Gastmahle berichtet wird. Wohl deshalb hatte der griechische Philosoph Platon (428–348 v. Chr.) in seinem Werk Symposion zur Mäßigung bei kulinarischen Exzessen aufgefordert (LÄMMEL 2003).
Seit der Antike ziehen sich die wechselnden Auffassungen über den Wert der Nahrung wie ein roter Faden durch unsere Kultur. So betrachtete Hippokrates (460–370 v. Chr.) Pilze und Obst als gefährlich, weil sie »feucht« und »kalt« waren – gut dagegen waren nach seiner Einteilung »warme« und »trockene« Lebensmittel. Erdbeeren, Pflaumen, Pfirsiche und Lauch galten der Nonne Hildegard von Bingen als Küchengifte, hingegen empfahl sie allgemein Obst, Getreide, Gemüse und Gewürze, besonders jene mit opioider Wirkung: Muskat, Zimt, Nelke (» … sie dämpfen alle Bitterkeit des Herzens und(machen) deinen Geistfröhlich«?375 Im 12./13. Jahrhundert wurde dem englischen König Johann Ohneland von Ernährungsforschern der Medizinschule in Salerno u. a. zu Hirn, Hoden, Mark und rohen Eiern, reifen Feigen, frischen Trauben und süßem Wein geraten. Pfirsiche, Äpfel, Birnen, Milch, Käse, salziges Fleisch, Kaninchen, Ziegen-, Hirsch- und Rindfleisch hielten dieselben Forscher für gesundheitsschädlich (SCHNURR 2006).
Im Mittelalter stand die Lebensweise der Fürstenhäuser in starkem Gegensatz zu kirchlichen Geboten. Letztere hatten gut 900 Jahre lang (nach Roms Untergang) Essen als bloße Nahrungsaufnahme, genussvolles »Essen zur körperlichen und geistigen Sünde degradiert« (LÄMMEL 2003). Der Arzt, Mystiker, Alchemist, Astrologe und Philosoph Paracelsus erkannte im 16. Jahrhundert Verdauung als Gärvorgang und betrachtete Sardellen, Salat, Mangold, Austern und Oliven als »gesund« – weil sie schnell verdarben. Auch Pilze und Obst waren deshalb wieder erlaubt, Zucker (ein Luxusgut) jedoch nicht. Als man schließlich im 19. Jahrhundert die »Bausteine« der Nahrung (Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate) und deren Körperfunktionen entdeckt hatte, sollte mehr tierisches Eiweiß verzehrt werden – der hohe Wassergehalt von Obst und Gemüse galt als Mangel (SCHNURR 2006). Pflanzen bzw. Vollgetreide gewannen erneut an Bedeutung, als Casimir Funk 1911 eine stickstoffhaltige Verbindung aus der Reiskleie isolierte (Thiamin, dessen Mangel fälschlicherweise mit der Krankheit Beriberi assoziiert wird)376 und damit einer bisher unbekannten Stoffgruppe den Weg in die Wissenschaft ebnete: den Vitaminen. Sie wurden – neben der allgemeinen Erforschung chemischer Zusammensetzung der Nahrung – zur Grundlage der Ernährungswissenschaft, die es seit 1956 in Deutschland gibt. Seit deren Gründung werden Rohstoffe »vermessen und gewogen«, die Wirkung der Inhaltsstoffe (respektive deren Mangel) an Tierversuchen überprüft und daraus Ernährungsempfehlungen abgeleitet. Auf diese Weise soll(t)en Fehlernährungen abgewendet werden, die u. a. auch mit Nahrungsüberangeboten und Industrieerzeugnissen in Verbindung stehen (können).
Die bisher massivsten »Nahrungstabus« werden tierethisch und ökologisch begründet. Die Menschen werden zum Umdenken aufgefordert, sollen industrielle Lebensmittelerzeugung meiden, Rohstoffe nach ihrer Ökobilanz und anthropogenen klimawirksamen Folgen (CO2-Fußabdruck»Carbon Footprint«) beurteilen. Insbesondere ist der »maßlose« Fleischverzehr Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen, da Massentierhaltung u. a. nicht das Tierwohl achte. Auch wird die moderne Landwirtschaft als Ursache für Umweltzerstörung und als Mitverursacher des Klimawandels gesehe...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Urheberrechte
  3. Titelblatt
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort und Einleitung
  6. Teil I: Ursprung und Entwicklung der Gartechniken
  7. Teil II: Das Phänomen Wohlgeschmack
  8. Teil III: Vom Rohstoff zur Speise
  9. Teil IV: Nahrungszubereitung als Unterrichtsgegenstand
  10. Nachtrag in eigener Sache
  11. Danksagung
  12. Anhang
  13. Abbildungsverzeichnis
  14. Tabellenverzeichnis
  15. Literaturverzeichnis
  16. Index