Jesus, der Kapitalist
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Jesus, der Kapitalist

Das christliche Herz der Marktwirtschaft

  1. 192 Seiten
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Jesus, der Kapitalist

Das christliche Herz der Marktwirtschaft

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Christentum und Kapitalismus. Die Schriften des Alten wie auch des Neuen Testaments gebieten geradezu Verhaltensweisen, die den unverzichtbaren Rahmen des Kapitalismus darstellen: die Achtung des Privateigentums, die Einhaltung von Verträgen, die Gleichheit aller vor dem Recht und ein äußerstes Misstrauen dem Staat gegenüber. Robert Grözinger zeigt auf, dass Wohlfahrtsstaat und Ökologismus Ausdruck einer dem Christentum entgegenstehenden Machtreligion sind. Wirksam bekämpft werden können sie nur, wenn ihr religiöser Aspekt nicht ignoriert wird.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783862482931

Einleitung

Warum dieses Buch?

Dieses Buch wendet sich im Wesentlichen an drei Gruppen: An antikapitalistische Christen oder christliche Antikapitalisten, an atheistische oder agnostische Kapitalismusbefürworter, vor allem aber an jene, die dem christlichen Glauben anhängen, aber von den antikapitalistischen Äußerungen vieler Kirchenvertreter verwirrt und abgeschreckt sind und nicht wissen, wie sie ihnen antworten sollen.
Schon bald nach dem Beginn der gegenwärtigen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise erhoben sich Stimmen, die dem angeblich ungezügelten Kapitalismus die Schuld in die Schuhe schieben wollten und eine neue, globale Regulierung der Finanzmärkte forderten. Nicht selten stimmen in diesen Chor auch Vertreter christlicher Kirchen ein. So mag es zunächst überraschen, wenn ein Buch erscheint, das der Marktwirtschaft ein christliches Herz bescheinigt. Mit diesem Werk soll jedoch belegt werden, dass a) die Lehren des Christentums mit den Werten und Normen des Kapitalismus völlig kompatibel sind, b) das Christentum ursächlich für die Entstehung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in Europa und somit indirekt auf der ganzen Welt verantwortlich ist und c) der Kapitalismus ohne ein gelebtes Christentum nicht dauerhaft überleben kann.
Die Finanzkrise ist nur das aktuellste Beispiel dafür, dass, wenn die Marktwirtschaft ohne ihr Herz auskommen soll, dieses Vakuum mit alternativem spirituellen Inhalt gefüllt wird, der nicht zu ihr passt und an dem sie zugrundegeht: Kommunismus, Faschismus, Sozialdemokratie und Ökologismus – die, ganz nüchtern betrachtet, nur verschiedene Spielarten des Sozialismus sind – nisten sich dann in die Gesellschaft ebenso ein wie Okkultismus und Werterelativismus. Der tatsächlich vorhandene, weithin sichtbare seelenlose Materialismus, für den oberflächliche Beobachter heutzutage den Kapitalismus fälschlicherweise verantwortlich machen, rührt daher, dass die genannten »Ersatzreligionen« die Funktion der kraftspendenden Werte und Glaubensinhalte des Christentums nicht ersetzen können. Der von den verschiedenen sozialistischen Spielarten infizierte »Kapitalismus« von heute verhält sich zu einer vom Christentum genährten kapitalistischen Wirtschaftsordnung ungefähr wie ein Frankenstein-Monster zu einem geistig und körperlich gesunden, natürlich entstandenen Menschen. Es ist kein Wunder, dass in einem solchen Körper auch andere Weltreligionen, allen voran der Islam, an Einfluss gewinnen können.
In der allgemeinen Wahrnehmung pflegt die christliche Religion, pflegen ihre Kirchen und ihre Theologen bestenfalls ein eher distanziertes Verhältnis zu einer marktwirtschaftlichen Ökonomie. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und werden in diesem Buch diskutiert. Der Hauptgrund wird aber die im Neuen Testament wiederholt zur Sprache kommende Kritik an bestimmten Verhaltensweisen sein, die gerade für reiche und wohlhabende Menschen typisch ist. Wahr ist, dass Jesus in sehr vielen Gleichnissen und in seinen anderen Lehrsätzen darstellt, wie sehr ein unbedingtes Festhalten am materiellen Wohlstand ein Hindernis für das Seelenheil ist. Es gibt daher keinen Zweifel, dass Geld und der Umgang damit im Christentum ein ganz zentrales Thema ist. An keiner Stelle jedoch verurteilten der Rabbi aus Nazareth oder seine Apostel materiellen Reichtum an sich. Im Gegenteil: Sie feierten gerne, viel und ausgiebig (aber nicht ausschweifend). Trotz seiner 40 Tage währenden Fastenzeit war Jesus kein Asket. Eine zentrale Aussage Jesu im Hinblick auf Wohlstand ist, dass nicht Geld, sondern Gott an die erste Stelle der persönlichen Werteskala gehört, und dass persönliches und/oder gesellschaftliches Unheil drohe, wenn etwas anderes diese Stelle einnimmt. Nach Paulus ist die »Liebe zum Geld«, nicht das Geld an sich, die »Wurzel allen Übels« (1. Timotheusbrief 6, 10). In vielen Gleichnissen Jesu wird Gott durch einen wohlhabenden Kapitalisten symbolisiert. Er ist der Vater im »verlorenen Sohn«, der Grundbesitzer bei den »Arbeitern im Weinberg« und der Geldeigentümer im »Gleichnis von den Talenten«. Wenn in den Evangelien Gott oft als reicher Kapitalist symbolisiert wird, kann Reichtum an sich nach christlichem Verständnis nichts Schlechtes sein.
Solange er rechtmäßig erworben wurde, wird nicht der Reichtum an sich kritisiert – im Gegenteil, er wird oft als Zeichen göttlichen Segens betrachtet. Kritisiert wird, dass Reichtum oft als höchstes Ziel angesehen wird, womit der Blick auf Gott versperrt oder der Gedanke an Gott ausgeblendet wird. Die Liebe zum Geld ist eine pervertierte, fehlgeleitete Liebe. Wer Geld und Besitz und das Streben danach zum obersten Wert und Ziel erhebt, verstößt gegen das erste Gebot und wird infolgedessen zwangsläufig weitere der Zehn Gebote brechen. Das eigene Seelenheil, heute sagt man »Glück« oder »Zufriedenheit«, wird ebenso Schaden nehmen wie das Seelenheil der Nächsten. Wir werden in diesem Buch feststellen, welche menschliche Institution die Habsucht, die Liebe zum Geld fördert und den Blick auf Gott versperrt. So viel sei schon mal verraten: Der freie Markt ist es nicht.
In der Bibel fehlt es nicht an Aufrufen zur Freigiebigkeit und Mildtätigkeit sowie zum Maßhalten. Doch an keiner Stelle findet man in ihr ein Gebot oder auch nur die wohlwollende Betrachtung einer von Menschen vorgenommenen erzwungenen Enteignung zugunsten eines einfacheren, göttlicheren Lebens. Nirgends, mit anderen Worten, wird die heute vom Staat angemaßte Zwangsumverteilung von der christlichen Lehre gutgeheißen.
Ungeachtet der vielfach zu beobachtenden »Zelebrierung der Armut in einigen [christlichen] Orden«1 ist das Christentum als Lehre den Prinzipien und Werten des Kapitalismus gegenüber also grundsätzlich aufgeschlossen. Dies ist kein Zufall, denn, ungeachtet des »gefühlten« Unbehagens unter vielen Christen dem materiellen Wohlstand gegenüber hat diese Religion maßgeblich zur Entstehung des modernen Kapitalismus beigetragen. Sie ist der geistige Nährboden, auf dem, zumindest im Westen, der rationale Diskurs und die Empirie gediehen, die zentrale Voraussetzungen für die realistische Erfassung der Welt und somit die Verbesserung der Lebensumstände sind. Letzteres ist nachhaltig allein durch den Kapitalismus gelungen. Die christliche Religion ging und geht davon aus, dass die Welt und Gott potenziell rational verstehbar sind, wenn sie auch längst noch nicht vollständig verstanden sind oder jemals vollständig verstanden werden können. Außerdem förderte ihre Vorstellung einer aufgrund der Menschwerdung Christi ermöglichten persönlichen Beziehung zu Gott die Ideen der Menschenwürde, des freien Willens und des Individualismus. Als Förderin des rationalen Denkens bildete sie zudem eine wichtige Voraussetzung für die »ältere« industrielle Revolution (nämlich die des Mittelalters) und für die wissenschaftliche Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts. Auf die jüngere industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts hatte sie ebenfalls positiven Einfluss, wie an späterer Stelle noch erläutert werden wird.
Umgekehrt ist es der allein im Kapitalismus entstehende Wohlstand in privater Hand, der Hilfe im Sinne der Nächstenliebe überhaupt möglich und effektiv macht. Die jährlichen weltweiten Geldspenden in Millionen- oder gar Milliardenhöhe für wohltätige Zwecke können nur durch profit­orientiertes Handeln erwirtschaftet werden. Ohne den durch einigermaßen freien Welthandel global sich verbreitenden Wohlstand könnten heute nicht sieben Milliarden Menschen gleichzeitig auf diesem Planeten leben. So scheint es sogar, dass Kapitalismus und Christentum symbiotisch existieren: Das eine System nährt das andere, ohne das eine könnte das andere nicht lange überleben. Darüber hinaus ähneln sich diese zwei Systeme auch phänomenologisch: In beiden hat das Individuum einen hohen Stellenwert. Im Christentum entwickelt das Individuum seine Beziehung zu Gott, im Kapitalismus entwickelt es seine Beziehung zur Welt.
Wer die vielen kapitalismuskritischen bis -feindlichen Äußerungen aus christlichen Kreisen verfolgt, wird vielleicht meinen, dass Kapitalismus und Christentum eher gegensätzliche Systeme und dass Übereinstimmungen zwischen ihnen eher zufällig, höchstens spärlich und vielleicht nur das Ergebnis einseitiger Interpretationen sind. Doch die Einflüsse und Zusammenhänge zwischen Christentum und Kapitalismus sind sehr tiefgreifend und vielschichtig. Die positive Einstellung Jesu gegenüber den Prinzipien des Kapitalismus beruht, wie die meisten seiner Aussagen, auf den Schriften des Alten Testaments. Sowohl diese als auch die Schriften des Neuen Testaments gebieten geradezu die Verhaltensweisen, die den unverzichtbaren Rahmen des Kapitalismus bilden: Die Achtung des Privateigentums, die Einhaltung von Verträgen und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Schon die Schöpfungsgeschichte wäre selbst als Metapher ohne eine Vorstellung von Privateigentum sinnlos, denn der christlich-jüdische Schöpfergott ist der erste und letzte Eigentümer der Welt.

Religion und Spiritualität

Eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs »Religion« gibt es nicht.2 Es muss also erst einmal geklärt werden, was in diesem Buch unter »Religion« verstanden wird. Jeder Mensch steht mit seinen Überzeugungen, seiner Weltsicht, seiner Art, wie er mit sich und der Umwelt umgeht, auf der Grundlage meist unausgesprochener Annahmen. Diese Annahmen sind seine »Rückbindung«, was eine Form der Übersetzung des Wortes Religion ist.3 Jedem Menschen stellt sich daher irgendwann im Leben, oft verklausuliert, die Frage: Was sind deine Grund­annahmen, was ist deine »Religion«? Auf diese »Gretchenfrage«4 gibt es nur zwei mögliche, sich gegenseitig ausschließende Antworten: Schöpfung oder Zufall. Wir werden diesem Gegensatz im vorliegenden Werk mehrfach begegnen und ihn diskutieren.
Zuvor muss jedoch noch ein weiterer Aspekt von Religion betrachtet werden, nämlich ihr Bezug zu Spiritualität. Damit ist die geistige Arbeit gemeint, die nötig ist, um sich seiner selbst, seiner Welt und des Bezugs beider zueinander bewusst zu werden. Im Verlauf seiner physiologischen Entwicklung ändert sich nicht nur der Körper, sondern auch der spirituelle Ausblick der Menschen. Der US-amerikanische Theologe James W. Fowler hat eine sechsstufige Glaubensentwicklungstheorie erarbeitet.5 Unabhängig vom Glaubensinhalt durchläuft demnach jeder Mensch zumindest einige dieser Glaubensstufen. Der Psychiater und Psychotherapeut M. Scott Peck entwickelte ein sehr ähnliches, vierstufiges Glaubensentwicklungsmodell, das nicht nur sehr anschaulich, sondern auch für das Verständnis des Begriffes Spiritualität sehr hilfreich ist:6
»Stufe I ist chaotisch, ungeordnet und rücksichtslos. Sehr junge Kinder befinden sich in Stufe I. Sie neigen zum Trotz und zum Ungehorsam und sind nicht willens, einen höheren Willen als den eigenen zu akzeptieren. Viele Kriminelle sind Menschen, die der ersten Stufe nie entwachsen sind.
Stufe II ist die Stufe, in der eine Person einen blinden Glauben hat. Wenn Kinder einmal gelernt haben, ihren Eltern zu gehorchen, erreichen sie die Stufe II. Viele sogenannte religiöse Menschen befinden sich im wesentlichen in der zweiten Stufe in dem Sinn, dass sie einen blinden Glauben an Gott haben und seine Existenz nicht in Frage stellen. Blinder Glaube geht mit Demut und einem Willen zum Gehorsam und zum Dienen einher. Die Mehrheit guter, gesetzestreuer Bürger wächst nie über die zweite Stufe hinaus.
Stufe III ist die Stufe des wissenschaftlichen Skeptizismus und der Neugier. Eine Person auf der dritten Stufe akzeptiert nichts auf der Basis von Glauben, sondern nur, wenn sie auf der Grundlage von Logik überzeugt ist. Viele in der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung Tätige befinden sich in Stufe III.
Stufe IV ist die Stufe, in der ein Mensch das Geheimnis und die Schönheit der Natur zu genießen beginnt. Während er einen Skeptizismus beibehält, beginnt er, große Muster in der Natur zu erkennen. Seine Religiosität und Spiritualität unterscheiden sich deutlich von denen einer Person auf Stufe II in dem Sinn, dass er die Dinge nicht auf Grundlage blinden Glaubens akzeptiert, sondern aufgrund von aufrichtigem Glauben. Menschen in Stufe IV werden Mystiker genannt.«7
Nach Auffassung Pecks sind Übergänge von Stufe I zu Stufe II abrupt, während die Übergänge von Stufe III zu Stufe IV graduell sind. Dennoch sind diese Wandlungen sehr deutlich und kennzeichnen eine bedeutende Veränderung in der Persönlichkeit des Individuums.8
Viele jedoch schließen die Welt des Spirituellen als mögliche Realität aus und verharren auf der skeptischen Stufe III. »Oft habe ich festgestellt, dass diejenigen, die die spirituelle Welt so freimütig verwerfen, sich nicht einmal zehn Minuten Zeit genommen haben, zu erkunden, ob eine solche Welt wirklich existiert oder nicht.«9 Dabei gibt es eine Reihe von Bekenntnissen moderner Naturwissenschaftler, die Anlass genug für jeden Skeptiker sein dürften, seine Einstellung selbst einmal kritisch zu überprüfen. Max Planck z. B., der Begründer der Quantenphysik, hat immer wieder dazu aufgerufen, Naturwissenschaft und Religion zu verknüpfen: »Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skeptizismus und Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen, und das richtungsweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott!«10
Der Physiker und Astronom Stephen M. Barr schrieb vor kurzem in seinem Buch »Modern Physics and Ancient Faith«: »Viele haben sich von der Seltsamkeit moderner Ideen der Physik, wie zum Beispiel der Quantenphysik, zum Gedanken verleiten lassen, dass daraus die Lehre einfach zu ziehen sei, dass alle traditionellen Vorstellungen über Bord geworfen werden sollten. Eine genauere Untersuchung der naturwissenschaftlichen Revolutionen des zwanzigsten Jahrhundert offenbart jedoch ein ganz anderes Bild. Wir entdecken, dass der menschliche Geist vielleicht doch nicht lediglich eine Maschine ist. Wir entdecken, dass das Universum vielleicht schließlich doch einen Ursprung hatte. Wir entdecken, dass es in der Tat Gründe für den Glauben gibt, dass die Welt das Produkt eines Plans ist, und dass Leben vielleicht ein Teil dieses Plans ist. ... [Der Materialist] behauptete, dass es zwei Vorstellungen von der Welt gab, die religiöse und die materielle, und dass der wissenschaftliche Fortschritt eine Welt offenbart hat, die immer mehr der materialistischen und immer weniger der religiösen Vorstellung gleicht. ... Die Wissenschaft, so wurde behauptet, habe die Erwartungen des Materialisten erfüllt und die des religiös Gläubigen zunichte gemacht. Ich [dagegen] behaupte, dass jüngste Entdeckungen in den entscheidenden Punkten begonnen haben, die Erwartungen der Materialisten zunichte zu machen und jene der Gottesgläuben zu bestätigen.«11
Werner Heisenberg, der Entdecker der Unschärferelation, fand eine besonders poetische Ausdrucksform für den Übergang von der Peck’schen Stufe II zu Stufe III und von Stufe III zu Stufe IV: »Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch. Aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.«12 Der Arzt Dr. Bernhard Siegel, Autor mehrerer Bestseller über spektakuläre Heilerfolge bei Schwerkranken, schreibt, dass er mystisch (hier verstanden im Peck’schen Sinne) ist, und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil er Chirurg ist. »Je mehr ich vom Wirken des Universums sehe, desto mystischer werde ich. [...] Als Chi­rurg sehe ich jeden Tag Wunder.«13
Es ist also keineswegs so, dass mit »Religion« ausschließlich ein blinder, unkritischer Glaube an transzendentale Kräfte, Jenseits, Wunder, Gott, Engel oder Teufel verbunden ist. Nach einer Phase des Skeptizismus kann eine sehr viel reifere Form des Glaubens entstehen. Aber auch der explizite Nichtglaube an einige oder alle genannten Phänomene beziehungsweise der Glaube an den Zufall als Ursprung des Universums ist eine Form von Spiritualität und insofern ebenso eine Form von Religion. Umgangssprachlich wird Religion zwar stets mit einer wie auch immer gearteten Form von Frömmigkeit gleichgesetzt. Zum Verständnis dieses Buches ist diese eingeschränkte Bedeutung jedoch untauglich. Wertvorstellungen werden auch dann normativ beeinflusst, wenn der Träger dieser Vorstellungen ausschließlich an das glaubt, was ihm seine fünf Sinne über die materielle Natur sagen. Seine Wertvorstellungen werden jedoch oftmals andere sein als die eines Gottesfürchtigen.
Auch durchaus überzeugende Forschung...

Inhaltsverzeichnis

  1. Widmung
  2. Danksagung
  3. Vorwort
  4. Einleitung
  5. Schlussbetrachtungen
  6. Anmerkungen
  7. Robert Grözinger