AUFBRUCH
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem theoretischen Unterbau für Bildauswahlen. Wir lernen, warum Bilder wirken, wie sie mit uns kommunizieren und wo wir am besten Bilder auswählen. Möchtest du direkt praktisch beginnen, springe zum nächsten Abschnitt »Neue Welt«.
1.
MIT BILDERN KOMMUNIZIEREN
In diesem Kapitel klären wir, wie Bilder kommunizieren und auf welchen Ebenen Kommunikation über Fotos möglich ist.
Ausblick nach dem Aufwachen im Nachtzug von Thailand nach Malaysia
Was ein Fotograf alles macht
Laien sehen Fotografen häufig als Menschen, die Bilder machen. Wir Fotografen wissen, dass diese Ansicht etwas zu kurz kommt: Wir planen ein Shooting, müssen das Licht gestalten und setzen, haben viel Arbeit mit der Nachbearbeitung und legen dann fest, welches Bild sich am besten eignet, um an der Wand zu hängen. Anschließend bereiten wir die Bilder auf den Druck vor, versenden sie im richtigen Format und mit dem korrekten Farbraum und hängen es abschließend in einen passenden Rahmen, der zu Bild und Raum passt.
Ein guter Fotograf ist also weit mehr als nur jemand mit einer Kamera in der Hand. Er ist in der Lage, sein Publikum mit seinen Bildern zu begeistern. Das macht er, indem er aus dem breit gefächerten Werkzeugkoffer an Methoden genau diejenigen heraussucht, die für das aktuelle Bild passend sind.
Unsere Bilder können noch so gut sein, werden sie nicht gefunden oder wahrgenommen, wird sich keiner daran erfreuen können.
Bilder als Kommunikationsmedium verstehen
Das Spannende an der Fotografie ist ihre Vielseitigkeit. Jeder »liest« etwas anderes in Bildern. Sie können schön, angenehm, aber auch hart und grauenvoll sein. Bilder packen unsere Emotionen und schaffen es, uns zum Lachen oder Weinen zu bringen.
Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Bilder kommunizieren und wie Kommunikation grundsätzlich abläuft.
Das Sender-Empfänger-Modell von Claude E. Shannon und Warren Weaver gilt als die Mutter aller Kommunikationsmodelle. Es stammt aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Das Modell besagt, dass jede Botschaft von einem Sender ausgeht und von einem Empfänger empfangen wird. Diese Übermittlung läuft jedoch nicht per Gedankenübertragung ab. Der Sender benötigt einen Kanal, über den er seine Nachricht transportiert. Der Kanal kann Sprache oder Körpersprache sein. Ebenso ist es möglich, dass die Nachricht mithilfe von Papier und Schrift übermittelt wird – oder über ein Medium wie die Fotografie.
Die einfachste Form der Nachrichtenübertragung ist ein direktes Gespräch in der gemeinsamen Sprache. Der Sender codiert seine im Gehirn entwickelte Nachricht mithilfe von Worten aus seiner Sprache. Der übermittelnde Kanal ist in diesem Fall die Stimme bzw. die Luft, die die Schallwellen der Stimme überträgt. Anschließend decodiert und verwertet der Empfänger die Worte und gibt eine Rückmeldung.
Shannon-Weaver Kommunikationsmodell
Was Weaver als Rauschen bezeichnet, ist der Informationsverlust durch den übertragenden Kanal. Das könnte zum Beispiel das Hupen lauter Autos sein, das verhindert, dass die vollständige Nachricht den Empfänger erreicht. Oder aber auch unser Nuscheln, wenn wir undeutlich sprechen sollten. Er selbst meint mit Rauschen tatsächlich auch ein Rauschen. Weaver hat speziell für die Telekommunikationsbranche geforscht. Sein Ziel war es, das Rauschen in seinem bevorzugten Kanal, dem Telefon, zu minimieren.
Das Dekodieren
Jeder Kommunikationsteilnehmer hat ein eigenes Repertoire an Wissen und ihm kulturell zur Verfügung stehenden Informationen. Spreche ich mit einem Franzosen deutsch, wird er mich nur schwerlich verstehen können. Dort, wo sich unsere beiden Repertoires überschneiden, besteht die Möglichkeit, verständlich in Kontakt zu treten. Probieren wir zum Beispiel mit Händen und Füßen zu kommunizieren, könnten wir unseren französischen Gesprächspartner bestimmt bis zur nächsten Bank navigieren.
Repertoire des Gegenübers bedenken
Ein anderes Beispiel:
Spräche ich auf einem Ärztekongress davon, dass ich mithilfe eines »Shiftstitches den gesamten Bildkreis meines Objektivs abgebildet habe und diese per Verrechnungsmodus nach dem Scannen einfach übereinanderlegen konnte«, hätte ich mein Publikum trotz gleicher Sprache mit einem falschen Teil meines Repertoires angesprochen. Nur wenige Menschen würden etwas verstehen.
Möchte ich dennoch etwas Fotografiebezogenes an die Anwesenden übermitteln, muss ich Wörter und Erfahrungen auswählen, die meine Zuhörer verstehen. Ich könnte ihnen vermitteln, dass ich mit spezieller Kameratechnik in der Lage bin, eine sehr weitwinklige Aufnahme architektonisch korrekt aufzunehmen.
Decodieren bedeutet für den Betrachter also, das Empfangene in Bezug zu dem zu setzen, was er bereits kennt. Als Fotografen liegt es an uns, die Informationen, die wir im Bild hinterlassen, so zu codieren, dass der Empfänger sie decodieren kann. Das gilt auch für die Bildpräsentation.
Die nebenstehende Fotografie demonstriert einen Fall, in dem ein Bild nicht seinen definierten Zweck erfüllen konnte. Während die Werbung an sich funktionierte (davon konnte ich mich an anderer Stelle überzeugen), war die Präsentationsfläche so ungünstig gewählt, dass die Werbebotschaft für uns Betrachter nicht ermittelbar war. Der Text und das Produkt lagen außerhalb des sichtbaren Bereichs.
Als Fotografen müssen wir Kommunikation also von beiden Seiten denken. »Was wollen wir sagen?« ebenso wie »Was werden wir verstehen?«.
Werbung ohne Nutzen
Nicht ideal platzierte Werbung an einem Straßenübergang in Bangkok. Der Sender hat ein gutes Plakat entworfen, allerdings nicht daran gedacht, wie der Empfänger das Plakat später einmal zu Gesicht bekommen wird.
2.
PERSPEKTIVE WECHSELN
Wir sind verantwortlich für das, was wir sagen, nicht für das, was andere verstehen. Deswegen müssen wir Fotografen versuchen, vorab in unsere Bilder hineinzuhören. Denn ob wir verstanden werden oder nicht, liegt trotz allem auch in unserer Hand.
Menschen laufen bei Nacht auf ein riesiges Feuer in Kuala Lumpur zu.
Unsere tägliche 180°-Grad-Drehung
In der Fotografie werden Informationen übermittelt – immer und zu jeder Zeit. Sobald eine Fotografie angeschaut wird, sendet sie dem Betrachter Informationen zu, ohne irgendwann damit aufzuhören.
Der Sender bzw. Fotograf hat keinen direkten Einfluss darauf, wie das Bild verstanden wird. Es ist der Empfänger, der die an ihn gerichtete Information auswertet, losgelöst von der Absicht des Urhebers.
Anhand von Erfahrungswerten können gute Fotografen näherungsweise ausmachen, wie ihre Bilder verstanden werden. Robert Kneschke, ein bekannter und erfahrener Fotoproduzent für Bildagenturen, sagte einmal zu mir, dass er bis heute beim Einstellen neuer Stockbilder immer wieder gespannt ist, welches Bild sich am besten verkauft. »Es gibt Hinweise und Schätzungen, was funktioniert, aber so richtig wissen kann man es nie«, fügte er hinzu.
Der Betrachter gleicht die Bilder anhand des eigenen Repertoires ab – nicht mit dem Repertoire des Fotografen.
Möchten wir sicher sein, dass eine b...