1.Teil
Theaterstück in 2 Akten
1. Akt
IN EINER VILLA IM SÜDEN FRANKREICHS
Personen der Handlung in der Reihenfolge des Auftritts :
Beckett, Literat
Beauvoir, Literatin
Sartre, Philosoph, Literat
Bost, Sekretär
Orletta, Studentin
Pierre, Schauspieler
1. Szene (Ende April 1961)
Die Bühne ist dreigeteilt. Auf der rechten Seite ist eine Kammer zu sehen, schwach beleuchtet, mit einer verkleideten Treppe nach oben und eine Tür zur Diele, die die Mitte der Bühne einnimmt. Durch eine Doppeltür verbunden, liegt auf der linken Seite ein bürgerlicher Salon mit drei großen 2flügeligen Terrassentüren zum Garten. In der Kammer sitzt Beckett, bekleidet mit Pullover und Cordhose, an einem kleinen Tisch, vor sich eine alte Schreibmaschine und Papiere.
Ein melodiöser Sopran aus dem Off: Warum sind Sie so garstig zu mir, Sartre?
Beckett murmelnd: Wie oft hat sie das heute schon gerufen?
Versonnen blickt Beckett vor sich hin. Er beginnt zu schreiben.
Beckett mit halblauter Stimme: Ich konnte es nicht mehr hören, habe mich zurückgezogen, in diese Kammer geflüchtet. Worauf ich mich nur mit den beiden eingelassen habe! Vor sechs Wochen hatte sie mich inständig gebeten, ein paar Tage mit ihnen zusammen zu verbringen. Und nun das.
Beckett überlegt, schreibt etwas, starrt ins Leere, streicht durch seine Haare.
Beckett zu sich: Muss mal eine schöne Villa gewesen sein, etwas dunkel, wegen der vielen Bäume im Park ringsherum und heruntergekommen. Was haben sie mir gestern Abend erzählt? Es sei ein Erbstück einer alten Freundin?
Beauvoirs Stimme: Wo sind Sie Monsieur Samuel?
Beauvoir tritt vom Vorplatz in den Flur. Sie trägt eine weiße Bluse, einen grauen Glockenrock, feste Laufschuhe und ein Tuch um die Haare geschlungen.
Beauvoir dringlich: Monsieur Samuel, ich brauche Ihre Hilfe! Beauvoir steht dicht vor der Tür zur Kammer.
Beauvoir besorgt: Monsieur Samuel! Monsieur Samuel, wo sind Sie denn? Haben Sie sich wieder in der Kammer versteckt?
Sie legt die Hand auf die Klinke.
Beckett laut: Kommen Sie schon rein!
Beauvoir: Haben Sie Albert gesehen? Ist der Kater bei Ihnen?
Beckett schüttelt den Kopf: Nein! vielleicht in der Küche?
Beauvoir beharrlich: In der Küche ist er nicht, seine Frühstücksportion ist noch unberührt.
Streng steht sie vor ihm auf beiden Beinen mit den Füßen in Schnürschuhen wie eine Stationsschwester. Ihre Augen entspannen sich plötzlich, auch ihre Wangen, und ein Hauch von Sanftmut wischt über ihr Gesicht.
Beauvoir: Entschuldigen Sie bitte mein Auftreten. Ich bin in Sorge.
Sie schaut ihn an, sieht seine gespielt interessierte Miene, geht darüber hinweg.
Beauvoir: Nicht nur wegen Albert bin ich besorgt, auch wegen Sartre. Er ist nicht mehr so verlässlich, vergisst vieles, ist in Gedanken verloren und so unberechenbar, auch was Albert angeht. Ich denke manchmal, er mag ihn nicht. Ob er eifersüchtig ist?
Beckett zuckt mit den Schultern und wendet sich ab.
Beckett zu sich: Nein nein, ich will nicht, will mich nicht in diese Geschichte hineinziehen lassen.
Beckett grummelt in sich hinein, zieht die Schultern hoch, strafft seinen Körper und atmet hörbar.
Beckett laut: Ich kann Ihnen nicht helfen, lassen Sie mich bitte allein. Ich werde über alles nachdenken.
Beauvoir mit unentschlossenem Blick, rafft sich zusammen, richtet sich zur asketischen Silhouette auf, streicht mit den schlanken Händen über den Kopf.
Beauvoir kurz angebunden: Gut.
Beauvoir dreht sich auf den Absätzen mit Schwung um, sodass der Glockenrock aus grauem Flanell empor fliegt und die nackten, weißleuchtenden Unterschenkel bis zum Knie freilegen. Sie verlässt die Kammer.
Beckett: Raus ist sie. Endlich!
Beckett kehrt zum Selbstgespräch zurück: Also wieder allein in der Kammer, meinem Rückzugsort. Wenn es draußen frisch windet, ist das Zimmer zu groß, zu weit, zu frostig. Zu groß der Raum, den sie mir überlassen haben, auch kaum Möbel drin. Wenn ich es recht überlege, nur ein Kanapee und zwei Sessel mit Ohren, gewiss gemütlich, aber die Polsterung zerschlissen, Sprungfedern vor dem Ausbruch, Ha! Was noch? Tja, ein Tisch mit drei Beinen und ein weiß lackiertes Bettgestell mit einem Galgen. Gelegentliche Beinhochlage möglich. Naja, und ein Schlei-ertuch darüber, wie ein Zelt. Hat was Bergendes. Behütet seist du alle Tage.
Beckett kramt in den Papieren.
Beckett monologisiert weiter: Übrigens, alle Tage? Welcher Tag ist heute? Montag? Alle Tage Montag? besser wäre Dienstag oder Donnerstag, noch besser Sonnabend. Dann wäre die Woche vorbei oder bei vor? Die Zeit vergeht so einfach. 1958 hatte ich Das aufgegebene Werk aufgegeben. Weiter jetzt. Wo war ich stehengeblieben? Im Zimmer? Beim Bett? Zeltdachschleier? abends aufziehen, morgens wegziehen. Achtung! Nicht in den Nachttopf treten! Steht im Weg. Was noch? Gobelinvorhänge graubraun, stockig, staubig, gefüttert mit Wachstuch, verdunkelungsfähig, noch ein Überbleibsel aus lang, lang ist es her….
Beckett starrt eine Weile ins Leere.
Beckett monologisiert: Lass das Zimmer. Es zieht dort, heute bist du in der Kammer unter der Treppe. Ein schöner Tisch, Mahagoni rot, eine Schreibtischlampe, beweglich das grüne Glas, nach oben gedämpft, nach unten weiß, strahlend das Papier hervorhebend. Meine Finger schreiben jetzt mit einem Bleistiftstummel. Ich denke nicht, die Finger schreiben und alles ist weg, verschwunden. Nur ich …..und ein Scharren?
Beckett dreht den Kopf in alle Richtungen. Scharren ist deutlich zu hören.
Beckett zu sich: Wieso ein Scharren? Wo kommt das Scharren her oder ist es ein Kratzen? Ja, ein Kratzen und Scharren, ha! unter mir, unter dem Stuhl, an den Stuhlbeinen, nicht mööglich. Hat sich der Kater hier bei mir versteckt. Albert? Wie bist du reingekommen? Hast du dich hinter Simone ´herein geschlichen? Albert! Schade, wir können nicht miteinander reden. Warum musstest du auch in dem Auto sitzen, als du schon die Fahrkarte nach Paris in der Tasche hattest. Ist schon über ein Jahr her, stimmt's? Ach ja, verstehe, du kannst nicht antworten, aber ich sehe es deinen Pupillen an, dass du lauschst. Verstehst du mich?
Beckett hält überrascht inne und schaut auf den Boden.
Beckett zum unsichtbaren Kater: Ist das Blinzeln ein Ja? Noch mal geblinzelt, wieder ein Ja? Aber das ist Unsinn. Was ist bloß in mich gefahren. Nur weil Simone dich Albert nennt, bist du noch lange nicht Er.
Beckett starrt einige Minuten ins Leere, bückt sich zum Boden.
Beckett zum unsichtbaren Kater: Und nun, was soll das wieder? Warum wackelst du mit dem Kopf? Heh? Ich versteh dich nicht. Wieso jetzt blinzeln und wackeln? Du machst mich verrückt, lass mich in Ruhe, ich will schreiben, sei nicht so aufdringlich, nimm die Pfoten von meinem Bein! Los, verschwinde! Hör auf mit diesem Schnurren. Zieh die Krallen ein, und was soll das Kopfwackeln Heh? Du willst auf meinen Schoß? Ach, sieh an, jetzt blinzelt er. Also ist das Blinzeln ein Ja? Nicht zu fassen, er blinzelt!
Becket schlägt sich an die Stirn.
Beckett zu sich: Albert auf meinem Schoß! Will ich das? Vielleicht bin ich verrückt oder wir beide? - Pause - Also los, komm, mach, spring. Ja so geht es. - Pause - Lass alle Einwände los, Sam. – Pause - Und du Albert, roll dich ein und verliere nicht den Halt. Das ist verrückt. Also, du behauptest wirklich Er zu sein, ja? – Pause - Warum reißt du jetzt die Augen auf? Sieh mich nicht so durchdringend an Albert. Albert, du bist ein Kater und ich noch nicht verrückt!
Beckett lehnt sich zurück, verschränkt die Hände hinter dem Kopf.
Beckett zu sich: Ich glaube nicht an Inkarnationen. Es gibt nur dieses eine Leben, einmalig und unwiederholbar. Geschenkt, um es auszupressen. Das Leben! – Pause - in Worte pressen, ausbreiten, ausfeilen, verdichten, dich...