1.EINLEITUNG
Abgerissene Gesichtshaut, weiĂe, starrende Augen, blutverschmierter Mund!
Dieses Bild wirkt nahezu verstörend, bis der Betrachter unten rechts die Schriftzeile »The Walking Dead. Dead Yourself« sieht. Nun wird klar, das Foto ist ein digital bearbeitetes Bild, sofort kommt die Fernsehserie THE WALKING DEAD in den Sinn, in der sich die Handlung um Ăberlebende in einer Zombie 1 Apokalypse dreht. Dieses Bild ist als Post auf Facebook zu sehen. Durch die Bildunterschrift wird der Betrachter animiert, nach der Serie zu suchen. Mit einer kurzen Internetrecherche kann die offizielle Webseite der Serie und des USamerikanischen Fernsehsenders AMC gefunden werden. Hier wird schnell klar, dass es eine Handy-Applikation gibt, mit der man sich offensichtlich fotografieren und mithilfe von Bildbearbeitung in einen Untoten verwandeln kann. Die Internetseite bietet aber noch mehr Möglichkeiten: Einen Shop mit Merchandising-Artikeln zur Serie, Games, Apps2, virtuelle Touren durch die Serienumgebung, Webisodes3. Ein Klick auf eine angezeigte Episode leitet zu einer anderen Plattform weiter, auf der diese Episode angesehen werden kann. Das durch die Internetseite geweckte Interesse veranlasst jemanden, diese Episode anzuschauen und parallel auf dem Handy eine Story Sync-App4 zu nutzen, in der man abstimmen kann, welche Personen ĂŒberleben werden, einen âșKill-Countâč verfolgen kann, Zitate der Folge nachlesen kann und Informationen zu den genutzten Waffen in der Serie erhĂ€lt. Letztlich ist noch ein Hinweis auf das Handyspiel zu sehen, das zum Download animiert. Danach folgt ein Blick in die Programmhinweise von AMC: Wann wird die nĂ€chste Episode der Serie ausgestrahlt? Diese wird sich der Betrachter mit Sicherheit nĂ€chsten Mittwoch im laufenden Fernsehprogramm ansehen. Der Betrachter wird zum Rezipienten 5 und ist somit tief eingetaucht in das âștransmediale Universumâč der Fernsehserie.
Was hat dieses Beispiel zeigen können? Es scheint hier eine mediale Ordnungsstruktur vorzuliegen, die mehrere Medien verbindet. Eine Fernsehserie weist offenbar fĂŒr diese unterschiedlichen Medienplattformen relevante Aspekte auf und ist demzufolge auf diese verteilt. Ebenso liegen Verweise zwischen diesen Teilen vor, die den zeitlichen Ablauf der beschriebenen Rezeption bestimmen. Diese Feststellungen werfen Fragen auf, die einer genauen Betrachtung unterzogen werden mĂŒssen.
Das Medium Fernsehen indes ist sicherlich kein neues Medium, aber eines, das sich scheinbar neu im Umfeld anderer Medien verortet. Es befindet sich nun in einer medialen Ăberschneidung mit anderen Medien. Gab es bis vor einiger Zeit noch unter anderem eine Trennung von FernsehgerĂ€t und anderen Bildschirmen, wie z. B. Computerbildschirm, wird diese Trennung der technischen EndgerĂ€te aufgehoben (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 76). Das beschriebene PhĂ€nomen ist begrĂŒndet in der Möglichkeit, dass Mediengrenzen sich verschieben oder gar verschwinden durch eine âșMedienkonvergenzâč 6 , die neue Möglichkeiten bietet, Narrationen auszufalten. Neue Techniken, wie das Internet oder Smartphones, können diese neue Narrative begĂŒnstigen. Produzenten nutzen zunehmend Möglichkeiten, Inhalte zu ihren Formaten auch auf anderen Medienplattformen anzubieten (vgl. Kurp 2012, 15). Hierbei entsteht zwar kein neues Medium, wohl aber ein erweiterter Medienverbund, der immer neue Narrative hervorbringt. Das derzeitige âșFernsehenâč und seine Formate zeichnen sich durch diesen Aspekt des Medienverbunds und âșTransmedialitĂ€tâč aus. Dies ist ein PhĂ€nomen, das Henry Jenkins (2006) als narrative Erweiterungen auf unterschiedlichen Medienplattformen (Print-Comic, Videospiel, Blogs7, Webisodes, soziale Netzwerke etc.) beschreibt. Die dort zu verortenden Narrative können als âșTransmedia Storytellingâč bezeichnet werden, die eine komplexe âșStoryworldâč eröffnen können. So âșfransenâč televisuelle Serien ĂŒber ihre Mediengrenzen hinweg aus und werden zu fragmentierten Extensionen, die den Zuschauer in eine narrative Welt einbeziehen (vgl. Jenkins 2006, 1ff). In transmedialen Fernsehserien, deren Narration ĂŒber Mediengrenzen hinweg verbreitet wird, verlĂ€sst der Zuschauer zunehmend dieses Narrativ und vollzieht den Griff zum âșSecond Screenâč8, um das Narrativ auf anderen Medien(plattformen) weiterzuverfolgen.
Exemplarisch zeigen diese Fernsehserien, dass sie zunehmend fortlaufender, epischer und komplexer auf differenten Ebenen erzĂ€hlen.9 Wie Olek und Piepiorka (2012) 10 darlegen, sind sie nicht mehr auf die Ausstrahlung im Medium Fernsehen beschrĂ€nkt, sondern von einem spezifischen GerĂ€t (vgl. Köhler/Keilbach 2012, 4) sowie Programmablauf entkoppelt. Dies bezieht sich nicht nur auf differente Distributionswege 11 oder die »ubiquitĂ€ren« Zugriffsmöglichkeiten (vgl. ebd.). In den Blick genommen werden spezifische Modifikationen, in denen narrative Elemente zeitgleich 12 in unterschiedliche Medien und deren jeweilige spezifische Formen eingebunden werden und dadurch die Geschichte erweitern, wobei die Serie weiterhin als Kerntext fungiert (vgl. Olek/Piepiorka 2013). Wie das eingangs skizzierte Beispiel zeigt, werden transmediale Elemente zu einem groĂen Teil im Internet 13 prĂ€sentiert. Bereits 1997 postulierte Janet Murray (1997, 84f), dass sich digitale Umgebungen besonders fĂŒr episch ausgebreitete ErzĂ€hlungen anbieten, sodass sich das Internet schon sehr frĂŒh als Erweiterung von Fernsehserien etabliert hat (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 77). In dieser Zeit entstanden die ersten VorlĂ€ufer transmedialer Extensionen. In diesen werden eine Vielzahl von Medienplattformen an unterschiedlichen âșOrtenâč als narrative Erweiterungen eingebunden, um von dort aus potenzielle Zuschauer zu adressieren.
Diese Ausfaltung von Fernsehserien in andere Medien erweitert die serieninhĂ€rente Annahme, dass es eine dynamische Entwicklung statt eines repetitiven Stillstandes gibt. Dies schlieĂt an das Konzept von Wiederholung und Differenz nach Deleuze an, welches eine schöpferische Kraft des Seriellen annimmt und eine Serie damit dynamisch auf ein Werden ausgerichtet ist (vgl. BlĂ€ttler 2012, 75). Eine weitere Ebene der Differenz auĂerhalb des Serientextes wird in den transmedialen Extensionen deutlich, welche die Möglichkeiten des Seriellen potenzieren (vgl. Olek/Piepiorka 2013). Diese sind, je nach ihrer medialen SpezifizitĂ€t14, in sich selbst sukzessive wahrnehmbar und teils nicht zwingend mit der inhĂ€renten Zeitlichkeit der Serie zu verknĂŒpfen, sodass die Reihenfolge der Wahrnehmung einzelner Fragmente beliebig 15 sein kann. Infolgedessen entsteht eine SynchronitĂ€t von Fragmenten (vgl. ebd.). Die transmediale Fernsehserie kann demnach als eine »gleichzeitige PrĂ€sentation der Fragmenten in unterschiedlichen Medienkontexten 16 als Angebot pluraler Möglichkeiten«, die stetig wĂ€chst und »hypertextuelle Charakteristiken aufweist« (Olek/ Piepiorka 2012, 81), verstanden werden. Wie Olek (2011) ausfĂŒhrt, sind Hypertexte generell als ein Set in sich geschlossener Einheiten jeder Art (Bilder, Texte, Tabellen, Videoclips)17 zu verstehen und können mit- und untereinander ĂŒber Verlinkungen verbunden sein (vgl. Murray 1997, 84f; Olek 2011, 19ff). Wie Olek/Piepiorka (2012) bemerken, hat das hypertextuelle Netzwerk, basierend auf Deleuze/Guattari, die Struktur eines Rhizoms, eines »sich permanent weiterverzweigende[n] Wurzelgeflecht[s]« (Kajetzke/Schroer 2010, 197), das ohne ĂŒbergeordnete Ordnungsstrukturen keinen Anfang und kein Ende hat, sondern aus der Mitte herauswĂ€chst, die sich jederzeit verschieben kann (vgl. Deleuze/Guattari 1997, 36f).
Wie beschrieben, bieten die transmedialen Extensionen oftmals eine beliebige Reihenfolge, können aber dennoch nicht als rhizomatisch charakterisiert werden. Denn auch wenn es in Bezug auf die Anfangs- und Endpunkte Aufweichungen18 gibt, ist der Serientext an sich ganz eindeutig als Zentrum definiert und hierarchisiert so das narrative Netzwerk. Dennoch werden transmediale Serien oftmals bezĂŒglich ihrer Organisation als netzwerkartig beschrieben (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 82).
Folgt man dieser Beschreibung eines netzwerkartigen Raums und einer sukzessiven Wahrnehmbarkeit dieser transmedialen Serien, muss die Frage nach einer möglichen Transformation der Kategorien Raum und Zeit durch TransmedialitĂ€t gestellt werden. Mit den fernsehserieninhĂ€renten Prinzipien einer Aneinanderreihung und Wiederholung wird zunehmend gebrochen, da ein ErzĂ€hlvorgang in Verbindung mit fragmentierten Expansionen der Serie vorherrscht (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78). Hierdurch entsteht eine Gleichzeitigkeit dieser Fragmente, die sich flĂ€chig und rĂ€umlich anordnen. Denn literarische Texte oder audiovisuelle Formen prĂ€sentieren nicht nur RĂ€ume als Handlungsorte, sondern »funktionieren selbst rĂ€umlich« (Sasse 2010, 304). Daraus ableitend stellt sich wiederum die Frage, wie eine âșVerrĂ€umlichungâč, wie sie durch eine flĂ€chige Anordnung hervorgerufen wird, in einem dominant sukzessiven Modell wie der seriellen Narration funktionieren kann (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78). In UnabhĂ€ngigkeit vom Medium ist die Narration eine Abfolge von Ereignissen, die von einem Handelnden ausgelöst oder erfahren wird (vgl. Manovich 2001, 227). In diesem Zusammenhang ist Zeit als essentielle Kraft auf eine narrative Ereignisfolge als SchlĂŒsselelement zurĂŒckzufĂŒhren (vgl. Lammes/ Verhoeff 2010, 10). Demnach steht hier im Fokus dieses VerstĂ€ndnisses das Voranschreiten der Handlung. Wie Olek/ Piepiorka (2012, 78) bereits hierzu anmerken, wird jedoch in der Literaturtheorie, allen voran von Genette (1994) und Bachtin (2008 [1973]), auch die rĂ€umliche Komponente betont, da sich Handlung auch im Raum erstreckt (vgl. Sasse 2010, 299). Der Raumbegriff bezieht sich hierbei also nicht nur auf den diegetischen Raum19 als Ebene der Inszenierung, sondern auch auf einen strukturellen Raum, der durch die Verbindung der einzelnen Narrationselemente an verschiedenen medialen Orten entsteht (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 79). »Mithilfe dieses Raumbegriffs soll somit die Struktur transmedialer Narrationen, die durch die Verbindung der einzelnen Handlungselemente an verschiedenen medialen Orten untereinander entsteht, sichtbar gemacht werden« (vgl. Olek/Piepiorka 2013). 20 Grundlegend muss festgehalten werden, dass sich »Raum als metaphorisches Ordnungsprinzip von Narrationen definiert ĂŒber ein relationales Modell und nicht ĂŒber ein physikalisches, insofern er keine gegebene, feste Konstante ist, sondern durch âșsoziale Praktiken [...] Handlung und Kommunikation hervorgebrachtâč (Schroer 2012, 275) wird« (Olek/Piepiorka 2012, 79). Daran schlieĂt sich die Frage an, woran âșRĂ€umlichkeitâč in der Narration von Fernsehserien festgemacht werden kann? Die hier relevante Möglichkeit, âșRĂ€umlichkeitâč zu generieren, bietet die Einbindung aller âșOrteâč des Medienverbundes bei der Konstruktion der Narration, indem einzelne Teile ĂŒber den Raum verteilt werden.21 Hierbei entsteht ein Angebot pluraler Möglichkeiten durch die synchrone PrĂ€sentation der transmedialen Extensionen (vgl. ebd., 81). So stehen die Ebenen Raum und Zeit in einer Interdependenz zueinander. In dieser Untersuchung ist demnach darzustellen, wie sich die Kategorien Raum und Zeit durch TransmedialitĂ€t verĂ€ndern, und mit welchen Konzepten diese beschrieben werden können.
Die Annahme der VerÀnderungen von Raum-Zeit-Strukturen hat nicht nur Auswirkungen auf die Serie selbst, sondern bezieht sich auch auf das Konzept der SerialitÀt als deren spezifisches Charakteristikum. Die transmedialen Extensionen leisten zumeist, gemÀà Jenkins (2006, 95), einen eigenen, entscheidenden Beitrag zur transmedialen Story. Doch es gibt auch Extensionen, die nur eine Wiederholung von bereits Dargestelltem sind. Hier wird das serien-konstituierende Konzept von Wiederholung und Differenz deutlich: Die Differenzierung von bereits Gezeigtem wie eine Neuperspektivierung und ein neuer Handlungsstrang erweitert die Story und trÀgt damit zur Ausdifferenzierung der Narration bei und affirmiert zugleich das Konzept der SerialitÀt.
Zu fragen ist dann: Wird somit die inhĂ€rente Zeitlichkeit oder gar die SerialitĂ€t per se in Frage gestellt? Denn die Proliferation von Serien in andere Medien resultiert in einer Entgrenzung der Narration und hat letztendlich entscheidende Auswirkungen auf das Konzept von SerialitĂ€t (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78): Es gibt einen Wandel von der seriellen IdentitĂ€t hin zu einer temporalen und rĂ€umlichen ProzessualitĂ€t. Ist denn der Fortlauf einer transmedialen ErzĂ€hlung in unterschiedlichen Medientexten eine Sukzession bei gleichzeitiger VerrĂ€umlichung? Das transmedial komplexe ErzĂ€hlen stellt so die Zeitlichkeit sowie RĂ€umlichkeit, im Grunde gar die SerialitĂ€t per se, in Frage. Diese Thesen fĂŒhren zu einer zwingenden Neukonzeption nicht nur des Begriffs der Fernsehserie, sondern auch der SerialitĂ€t durch die Dimensionen von Zeit und Raum.
Weiter muss, mit dem Eingangsbeispiel im GedĂ€chtnis, gefragt werden: Welche Konsequenzen hat dieser Umstand der TransmedialitĂ€t von Fernsehserien auf das zeitliche und rĂ€umliche Zuschauerverhalten? So ist das transmediale Universum auf unterschiedlichen medialen Plattformen organisiert, bedarf jedoch der Adressierung und letztlich Handlung des wahrnehmenden Subjekts, um komplementiert zu werden (vgl. Lammes/ Verhoeff 2010, 2). »Der Einzelne wird auf verschiedene Arten adressiert, sodass seine Navigation durch den transmedialen Raum möglich wird. Er/sie konstruiert zugleich die Narration, infolgedessen ist VerrĂ€umlichung das Resultat menschlichen Handelns (vgl. Deleuze/Guattari 1997, 17).« (Olek/Piepiorka 2013). Vice versa bedeutet dies, dass ohne entsprechendes Handeln rĂ€umliches ErzĂ€hlen nicht funktioniert und die Fernsehserien weiterhin ausschlieĂlich televisuell bleiben. Wie Olek/Piepiorka (2012, 85) bereits feststellen: Die essenzielle Bedeutung von Bewegung fĂŒr Narrationen beschrieb bereits Lev Manovich (2001, 247) im Kontext von Hyperfiktionen, insofern, als dass die Narration innehĂ€lt, wenn der User22 nicht agiert: Die rĂ€umlich virtuelle Reise (vgl. Piepiorka 2011, 138) von einem Server zum anderen lĂ€sst sich als Bewegung von einem physikalischen Ort zu einem anderen beschreiben (vgl. Manovich 2001, 164f).
Doch da âșder Zuschauerâč ohne eine empirische Rezeptionsforschung nur hypothetisch erfasst werden kann, soll von der These ausgegangen werden, dass der Medientext den Zuschauer als Leerstelle/Konzept einschreibt und damit zeitliche und rĂ€umliche Ordnungsstrategien anbietet, in denen er sich dann vermeintlich bewegen und agieren kann und letztlich als Schnittstelle zwischen den Extensionen fungiert. Demnach muss die Frage lauten: Wie schreibt der Medientext den Zuschauer als Leerstelle ein und erschafft damit eine zeitliche und rĂ€umliche Ordnungsstrategie fĂŒr diesen? »Ist der Einzelne gewillt, das narrative Universum zu erfahren, muss er âșandersâč mit der ErzĂ€hlung umgehen, als wenn diese ausschlieĂlich televisuell ist« (Olek/Piepiorka 2013). Transmediale Serien sind, in Anlehnung an Hickethier23 (1995, 75), als Vermehrung und Ausdifferenzierung dieses Formats zu betrachten, insofern, als diese Strategie den Zuschauer stĂ€rker einbinden soll. Da in Fernsehserien Hinweise auf transmediale Extensionen gegeben werden, kann der Zuschauer als eingeschriebenes Element im Serienuniversum gelten. Ob der Einzelne auf die unterschiedlichen Adr...